Читать книгу Am Abgrund - Georg Sonnleitner - Страница 4
ZWEI
ОглавлениеAls Stefan am nächsten Morgen aufwachte, öffnete er die Augen einen Spalt. Im Gegenlicht der Fensterfront seines Schlafzimmers sah er Marie‘s Silhuette. Sie war bereits halb angezogen. Er blieb liegen, bis sie seine Wohnung verlassen hatte.
Stefan nahm eine kalte Dusche, rasierte und kämmte sich, zog einen frischen Anzug an und machte sich bereit zu gehen. An der Garderobe warf er noch einen prüfenden Blick in den Spiegel. Dann nahm er seinen schwarzen Aktenkoffer und rief den Aufzug, der ihn direkt von seiner Wohnung ins Ergeschoss des Altbaus brachte.
Er frühstückte bei Giotto, einem kleinen, italienischen Café, nicht weit von seiner Wohnung. Es war ein unscheinbares Lokal. Stefan mochte es, denn man hatte dort seine Ruhe. Der Campus war zwar nicht weit entfernt, die meisten Studenten bevorzugten jedoch die direkt dort gelegenen Lokale.
Alf Giotto, ein kleiner, braun gebrannter Mann mit faltigem Gesicht und grauschwarzen Haaren, stellte ihm einen Espresso an seinen Fensterplatz. Stefan holte sein Tablet heraus und sah seinen Maileingang und die Wirtschaftsnachrichten durch. Wenige Minuten später kam sein Omelette und sein frisch gepresster Orangensaft. Er brauchte nicht zu bestellen. Diese Warterei war ihm irgendwann so auf die Nerven gegangen, dass er mit Alf Giotto vereinbarte, ihm sein Frühstück unaufgefordert zu bringen. Am Ende des Monats bekam Stefan eine Abrechnung an den Tisch und er bezahlte.
Durchs Fenster sah Stefan drei Betrunkene auf der Straße umherwanken. Es waren drei Studenten, die er aus einem Tutorium kannte, das er vor ein paar Wochen gehalten hatte. Sie hatten das Studium zeitgleich mit Stefan begonnen, doch durch ständiges Feiern und ihrem Mangel an Ehrgeiz waren sie weit zurückgefallen. Würden ihre Eltern nicht fleissig in die Universitätsstiftung einzahlen, hätten sie diese Versager längst rausgeworfen, dachte Stefan.
Die drei lungerten an einer Bushaltestelle herum. Einer lag auf einer Bank und schien zu schlafen. Stefan beobachtete sie mit tiefer Verachtung. Wie diese Idioten das Geld ihrer Väter zum Fenster rauswarfen...Wohnen in teuren Miethäusern direkt am Campus... machen jede Nacht Party, anstatt sich um ihr Studium zu kümmern...
Stefan versuchte sich wieder auf das Tablet zu konzentrieren, doch die Partywütigen veranstalteten einen Höllenlärm. Und als wäre das nicht schlimm genug, hatte einer der drei Stefan durch das Fenster erkannt und zeigte auf ihn. Sie weckten ihren Kumpel auf der Bank und kamen über die Straße ins Lokal. Alf Giotto stand mit einem verschlagenen Grinsen hinter dem Tresen. Zwei der Betrunkenen setzten ließen sich auf die Barhocker fallen und bestellten Bier. Der Dritte aber kam zu Stefan an den Tisch. Ein penetranter Mief von Rauch und Alkohol umgab ihn. Sein schwarzer Anzug mit Kravatte und weißem Hemd hatte im Laufe der Nacht einiges abbekommen. Seine Gelfrisur aber hatte sich erstaunlich gut gehalten. »Hey, haste eine Zigarette für mich..?«, sagte der drahtige Bursche lallend. »Ich rauche nicht« Stefan versuchte, den Gestank zu ignorieren. Er sah den Betrunkenen kaum an. Da setzte der sich ihm gegenüber.
»Haben die ein gutes Omelette hier..?«
Seine geröteten Augen starrten auf Stefans Teller.
»Es ist nicht schlecht. Aber wirklich gut ist es gegenüber. Bei Gerri.«
Stefan aß in Ruhe weiter und würdigte sein Gegenüber keines Blickes. Der trommelte auf die Tischplatte. »Du willst uns nicht hierhaben, verstehe...« - Seine dünne Stimme wurde plötzlich kräftig und stark. »Warum; was haben wir getan..?
»Ich will nur in Ruhe frühstücken«, sagte Stefan. »Und ich hätte das gerne ohne den Gestank von Kotze getan.«
»Was machst du da, Hari..?« rief einer seiner Freunde an der Bar. »Komm und trink mit uns.«
Hari wandte seinen Blick nicht von Stefan ab. Als dessen Teller leer war, schob er ihn von sich weg, trank seinen Orangensaft aus und packte seine Sachen in die Tasche. Während er das Lokal verließ, sah er niemanden an. Er war ein paar Meter auf dem Gehsteig gegangen, da sprang Giotto‘s Tür auf. »Hey, was soll das? – Warum beleidigst du mich..?.«
Hari war auf 180. Mit hastigem Schritt stieg er Stefan nach.
»Weil du mich nervst. Und jetzt hau ab, bevor ich die Geduld verliere...!.«
Als Stefan merkte, dass Hari ihm weiter hinterher lief, legte er seine Aktentasche nieder. Er drehte sich um und ließ den groß gewachsenen Burschen an sich heran. Eine widerwärtige Mischung von Schweiß, Bier und Tabak stieg Stefan in die Nase. Die Straße war leer. Bevor Hari ihn packen konnte, schlug Stefan ihn ins Gesicht. Der Betrunkene knickte ein. Bevor er ganz zu Boden sackte, packte Stefan seinen schlaffen Körper und stieß ihn in die Seitengasse nach Alf Giotto‘s Café. Hari wand sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem staubigen Betonboden. Stefan sah auf ihn herab »Du Stück Scheiße widerst mich an.«
Er nahm seine Aktentasche und ging pfeifend weiter.