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DREI
ОглавлениеAm Nachmittag saß Stefan auf der Dachterasse der Mensa. Man hatte von dort einen wunderbaren Blick über den Campus. Im Vergleich mit anderen Universitäten war jene in Freistadt klein und der Campus überschaubar. Die privaten Institute für Wirtschaft, internationales Recht und Management genossen jedoch einen hervorragenden Ruf, auch weit über die Landesgrenzen hinaus. Um einen Studienplatz in Freistadt zu bekommen, musste man einen makellosen Abschluss vorweisen können und sich einem umfangreichen Bewerbungsverfahren stellen. Der Andrang war riesig und um das hohe Niveau zu halten, wurden nur die Besten aufgenommen.
Die Sonne war kräftig, der Mai war heiß. Während er sich auf die Datenblätter eines Anlageplans auf dem Bildschirm seines Laptops zu konzentrieren versuchte, glitten seine Gedanken immer wieder zu Maximilian Gerber ab. Gerade war es ihm gelungen, sich wieder in seine Arbeit zu vertiefen, da setzte sich Ralph Meissner auf den Platz ihm gegenüber. Der schlaksige junge Mann mit Lockenkopf knallte seinen Kaffeebecher auf den Tisch. Stefan tat so, als hätte er ihn nicht bemerkt. »Sagt dir der Name Harald Peiler was..?«, fragte er und Stefan sah vom Bildschirm auf. »Wer?«
Ralph kniff seine kleinen Augen noch weiter zusammen.
»Heute Morgen, so gegen acht, ging ich die Felberstraße entlang. Du kennst doch dieses italienische Café dort..«
»Giotto’s. Ich frühstücke immer dort« sagte Stefan.
Ralph kippte ein Päckchen Zucker in seinen Kaffee.
»Ich war sogar heute dort«, sagte Stefan.
Ralph wurde unruhig. »Ich habe Harald Peiler in einer Seitengasse gefunden. Er lag auf den Boden, halb bewusstlos.«
Stefan lehnte sich gelassen zurück.
»Er wird hingefallen sein – stockbesoffen wie er war.«
»Er hatte ein blaues Auge und seine Nase war gebrochen«, sagte Ralph.
»Worauf willst du hinaus..?« - Stefan hob den Kopf und sah Ralph gelangweilt an.
»Ich habe dich gesehen, Stefan«, sagte Ralph mit dünner Stimme.
Stefan schnaubte verächtlich. Er wandte sich wieder seinem Laptop zu.
»Das ist Körperverletzung!« sagte Ralph mit zitternder Stimme.
»Seltsam. Ich hab dich gar nicht gesehen dort«, sagte Stefan.
Ralph schüttelte entrüstet den Kopf.
»Er hat mich angegriffen, was sollte ich machen..?!«
»Hari trinkt schon mal einen über den Durst. Aber er ist ein friedlicher Typ...«
»Er ist ein Versager, sonst gar nichts..!«
»Psychopath..!« - Ralph’s Stimme überschlug sich. »Es gab Zeiten, da habe ich dich bewundert.«
»Du nervst mich schon seit damals. Hast du endlich erkannt, dass ich nicht der bin, für den du mich hältst.«
Stefan mochte Ralph nicht, seitdem er ihn das erste Mal sah, da waren sie noch Kinder. Im Laufe der Jahre entwickelte sich diese Abneigung in Gleichgültigkeit. Ralph, der ein gutmütiger Mensch war, ärgerte sich, mit welcher Brutalität und Kaltschnäuzigkeit Stefan sein Umfeld behandelte.
Ralph wollte gerade etwa darauf sagen, da bemerkte er jemanden am Selbstbedienungsthresen und hob kurz die Hand. Ein nervöses Lächeln zuckte über sein wütendes Gesicht.
»Was will ein Mädchen wie Anna mit einer Flasche wie dir?«, sagte Stefan ohne sich umzudrehen. Ralph sah ihn fragend an.
»Du hättest deinen dämlichen Gesichtsausdruck sehen sollen«, sagte Stefan. »Zugegeben, Anna sieht nicht schlecht aus und hat auch was im Kopf.
Was mich wieder zu meiner Frage bringt: was will sie mit dir..?«
Stefan grinste Ralph herausfordernd an. Doch Ralph schüttelte nur den Kopf und zog ab.
Mit Genugtuung sah Stefan Ralph nach. Dann wandte er sich wieder seiner Arbeit zu. Er hatte diesen Schlappschwanz noch nie leiden können. Diesen Schwächling.
Immer wieder hielt Stefan seiner Mutter vor, dass sie ihm das eingebrockt hatte.