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Mutige Evangelisierung
ОглавлениеWie weit sie sich wirklich für die »Kraft Gottes« geöffnet haben, »die jeden rettet, der glaubt« (Röm 1,17), und wie wirksam ihre Nachfolge ist, messen evangelikale Katholiken daran, ob sie das Geschenk, das sie selbst empfangen haben, an andere weitergeben: daran, wie sehr sie sich dafür einsetzen, andere zur Freundschaft mit Christus zu führen oder die Liebe Christi für die, die bereits getauft sind, tiefer erfahrbar zu machen. Der evangelikale Katholizismus ist daher ein nicht-apologetischer, missionarischer Katholizismus. Der evangelikale Katholik – Laie, Priester, Bischof oder Ordensmitglied – betrachtet jeden Schauplatz seines oder ihres Lebens als Gelegenheit zur Evangelisierung. Dieses evangelikale Engagement äußert sich vor allem in der Nächstenliebe: in einer Begegnung mit anderen, die hilft, Zerbrochenes zu heilen, Schwaches aufzurichten, in der Trauer zu trösten und in der Verwirrung zu erleuchten. Der evangelikale Katholik, der das Kreuz Christi umarmt und so die Kraft gewonnen hat, jenseits der Angst zu leben, versucht anderen einen ähnlichen Mut einzuflößen. Durch sein Vorbild (eine Form dessen, was die Katecheten als »Präevangelisierung« bezeichnen) eröffnet sich die Möglichkeit, im nächsten Schritt eine Begegnung mit dem Evangelium in der Bibel und mit dem Mensch gewordenen Wort Gottes in den Sakramenten der Kirche anzubahnen. Den Weg, »der alles übersteigt« (1 Kor 12,31), lebt der evangelikale Katholizismus vor, ehe er ihn lehrt; was er aber unermüdlich lehrt, ist vor allem dieses: »Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm« (1 Joh 4,16).
Deshalb werden evangelikale katholische Gemeinden (und ihre Pfarrer) und evangelikale katholische Diözesen (und ihre Bischöfe) ihre Umkehr, ihre Treue und ihre Nachfolge an anderen Kriterien messen, als sie im institutionell verwalteten Katholizismus üblich sind. Wie viele potenzielle Konvertiten die Pfarrgemeinde oder das Bistum eingeladen hat und wie viele dieser potenziellen Konvertiten sich entschlossen haben, dem Weg Jesu, des Herrn, nachzufolgen, gilt im evangelikalen Katholizismus als besserer Gradmesser für die eigene »Performance« als die jährliche Zählung der Gottesdienstbesucher an einem Sonntag X (das Standardverfahren der »Praxismessung« in großen Teilen der katholischen Kirche) – eben weil es ein evangelikaler Gradmesser ist. Und in einer evangelikalen katholischen Gemeinde sind es sowohl die Laien als auch die Kleriker, die diese Fragen stellen und die Antworten auswerten.
Mit den Worten, mit denen Petrus auf die Verklärung Jesu reagiert – »es ist gut, dass wir hier sind« beim Herrn in seiner Herrlichkeit (Mt 17,4) –, fasst das Evangelium alle wichtigen Merkmale der evangelikalen Katholiken zusammen. Die Freude, in der Gegenwart des Herrn zu sein, ist die Dynamik, die der Communio zugrunde liegt, jener einzigartigen Form der menschlichen Gemeinschaft, die die Kirche ist. Ebendiese Freude treibt die, die an dieser Communio teilhaben, dazu an, sie anderen anzubieten. Das ist ihre evangelikale Sendung.
Doch diese Sendung wirklich zu leben heißt, sich Rechenschaft darüber zu geben, weshalb sich die Kirche in solch großen Teilen der westlichen Welt in einer Periode der Trockenheit befindet. Und damit sind wir wieder bei der Frage nach der Wahrheit.