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Der Schlüssel zum II. Vaticanum und zu allem anderen
ОглавлениеÜber vier Jahre vergingen, ehe das Zweite Vatikanische Konzil seine dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung ausgearbeitet hatte. Ursprünglich konzipiert, um die Frage des Verhältnisses der katholischen Kirche zur modernen Bibelwissenschaft zu klären und eine langjährige Auseinandersetzung innerhalb der katholischen Theologie über die »Quellen der Offenbarung« zu beenden (daher der lateinische Titel), war Dei verbum (»Das Wort Gottes«) das Ergebnis eines langwierigen Reifeprozesses einschließlich heftiger Debatten und zahlloser Neuentwürfe. Von den Konzilsvätern mit überwältigender Mehrheit angenommen und am 18. November 1965 (genau drei Wochen vor Abschluss des Konzils) von Papst Paul VI. promulgiert, ist Dei verbum ungeachtet seiner mühevollen Entstehung in vieler Hinsicht der Schlüsseltext des II. Vaticanums – die Linse, die die von Leo XIII. in Gang gesetzte Entwicklung des katholischen Selbstverständnisses zum klaren, weißen Licht des evangelikalen Katholizismus bündelt. Und in diesem essenziellen Sinn ist Dei verbum zugleich das maßgebliche Konzilsdokument für die tiefgreifende Reform der katholischen Kirche.
Alles, was wir bisher erörtert haben, ist in Dei verbum bereits enthalten. In Dei verbum erklärt die katholische Kirche unmissverständlich, dass die göttliche Offenbarung kein frommer Mythos, sondern eine Tatsache ist. Und im Zuge dieser Offenbarung beschloss Gott, nicht mehr nur Aussagen über sich, sondern sich selbst zu offenbaren. Die Worte und Taten, mit denen er dies getan hat, sind sowohl im Alten Testament, das für die katholische Kirche immer ein heiliger Text bleiben wird, als auch im Neuen Testament verzeichnet, das, wie sein hebräischer Vorgänger, ein glaubwürdiges Zeugnis dieser Wahrheit ist, die Gott zum Heil der Menschheit hat offenbaren wollen.18 Seinen entscheidenden Moment hat dieser Prozess der göttlichen Selbstoffenbarung mit dem Leben, dem Tod und der Auferstehung Jesu von Nazareth erreicht: des Gesalbten Gottes, dessen Paschamysterium (das die Kirche alljährlich von Gründonnerstag bis Ostersonntag nacherlebt) die göttliche Offenbarung vollendet und besiegelt.
Dieses Paschamysterium offenbart die Wahrheit: nicht nur die Wahrheit der Christen, sondern die Wahrheit der Welt. Mit dieser Wahrheit in Berührung zu kommen heißt, die Gelegenheit zu etwas zu erhalten, das der hl. Paulus den »Gehorsam des Glaubens« nennt (Röm 1,5; 16,26). Dieser Gehorsam wird möglich durch die Gnade Gottes, die der Heilige Geist über der Welt ausgießt, und er ist nicht etwa eine Last, sondern eine freudige Befreiung zur Wahrheit des eigenen Menschseins: eine Befreiung, die aus einer sicheren Erkenntnis Gottes und seiner Liebe erwächst.
Der Herr selber, so Dei verbum weiter, gebot den Aposteln Christi, »das Evangelium, das er als die Erfüllung der früher ergangenen prophetischen Verheißung selbst gebracht und persönlich öffentlich verkündet hat, allen zu predigen«. So erhielten die Apostel den Auftrag, allen Menschen »göttliche Gaben zu übermitteln«, denn das Evangelium war »die Quelle jeglicher Heilswahrheit und Sittenlehre«. Dadurch, dass die Apostel und ihre Nachfolger in Erfüllung dieses Auftrags »die Botschaft vom Heil niederschrieben«, brachten sie das Neue Testament hervor.19 Besagte Nachfolger setzten die apostolische Verkündigung mit derselben Autorität fort, die Christus den Aposteln verliehen hatte. Geleitet vom Heiligen Geist, schufen sie so das einheitliche, evangelikale Zeugnis der katholischen Kirche.