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Und wieder ist Pfingsten

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Nach dem Wunsch des heiligen Johannes XXIII. sollte das Zweite Vatikanische Konzil ein neues Pfingsten werden. Nach dem Wunsch des heiligen Johannes Paul II. sollte das Heilige Jahr 2000 eine Pfingsterfahrung für die gesamte Weltkirche werden und den Katholizismus des dritten Jahrtausends zu einer »Neuevangelisierung« anspornen. Doch man darf den Wunsch nach einem neuen Pfingsten nicht auf die leichte Schulter nehmen. Sich ein neues Pfingsten zu wünschen heißt, mit dem Feuer zu spielen.

In einer Betrachtung zum Pfingstfest (der jährlichen Feier der ersten Ausgießung des Heiligen Geistes, die oft als die Geburtsstunde der Kirche beschrieben wird) hat Joseph Ratzinger einmal geschrieben: »Der Heilige Geist ist Feuer; wer nicht gebrannt werden will, darf sich ihm nicht nahen.« Im weiteren Verlauf erinnert Ratzinger an ein nichtbiblisches Jesuswort, dass der alexandrinische Theologe Origenes im dritten Jahrhundert überliefert hat: »Wer mir nahe ist«, so sagt Jesus bei Origenes, »ist dem Feuer nahe« – ein Herrenwort, das an Lk 12,49 erinnert: »Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen!« Dieses Feuer, so Ratzinger weiter, »weist auf den Zusammenhang von Christus, Heiligem Geist und Kirche in unnachahmlicher Weise hin.«

Diese Beziehung und ihre Verbindung zur Mission hat, so Ratzinger weiter, der heilige Johannes Chrysostomos, der gelehrte Patriarch von Konstantinopel, im vierten Jahrhundert in einem Kommentar zu jener Stelle in der Apostelgeschichte sehr schön beschrieben, in der die aufgeregten Einwohner von Lystra Paulus und Barnabas für Inkarnationen der griechischen Götter Zeus und Hermes halten. Die Apostel erschrecken, als das Volk sie wie Götter verehrt, und sie beeilen sich, den Leuten zu erklären: »Auch wir sind nur Menschen, von gleicher Art wie ihr; wir bringen euch das Evangelium« (vgl. Apg 14,8–18). Chrysostomos schreibt in seiner Auslegung zu diesem Text, dass sie in der Tat Menschen waren, genau wie die überspannten Männer und Frauen von Lystra. Und doch waren sie auch mehr, waren sie anders, denn sie waren vom Feuer berührt worden – und sprachen nun auf geläuterte und machtvolle Weise, denn die Feuerzungen, die bei der Ausgießung des Heiligen Geistes an Pfingsten auf die Kirche herabgekommen waren, hatten sie berührt.

Das Feuer des Heiligen Geistes läutert, inspiriert und schmilzt Männer und Frauen zu einer neuen menschlichen Gemeinschaft zusammen: der Kirche. Durch jedes ihrer Mitglieder und in ihnen ist die Kirche als ein Ganzes der Leib Christi auf Erden. Paulus, Barnabas und alle, die wahrhaft zu Christus bekehrt worden sind – sodass die grundlegende Dynamik ihres Lebens in der Freundschaft mit Christus und der Möglichkeit besteht, diese Freundschaft an andere weiterzugeben –, sind andere Menschen geworden. Christen, die eine radikale Umkehr vollzogen haben, werden zu Männern und Frauen, die von Feuerzungen berührt und vom Heiligen Geist beseelt worden sind, und sie erkennen die bleibende Gegenwart dieses Heiligen Geistes in der Liturgie, wenn sie miteinander beten, einander den Frieden Christi schenken und gemeinsam den Leib und das Blut des Herrn empfangen.

Gegen Ende seiner Betrachtung zum Pfingstfest gibt Joseph Ratzinger bereitwillig zu, dass man sich bei vielen Christen heute fragen muss: »Wo ist die Feuerzunge geblieben?« Und dann formuliert er eine Herausforderung, die den evangelikalen Katholizismus in seiner ganzen Dramatik einfängt: »Der Glaube ist eine Feuerzunge, die uns brennt und umschmilzt, damit immer mehr gelten könne: ich und doch nicht mehr ich. […] Wo wir dem brennenden Feuer des Heiligen Geistes ausweichen, wird Christsein freilich nur auf den ersten Blick bequem. […] Nur wenn wir die Feuerzunge nicht fürchten und den Sturm, der sie mit sich bringt, wird Kirche Ikone des Heiligen Geistes. Und nur dann öffnet sie die Welt auf das Licht Gottes hin.«12

Wie diese Gedanken zum Pfingstereignis bereits andeuten, hat der evangelikale Katholizismus nichts Leichtes, Einfaches oder Bequemes an sich. Der kulturelle Katholizismus der Vergangenheit war »bequem«, weil er sich nahtlos in die umgebende Kultur einfügte und fast keine Reibung zwischen dem Leben »in der Kirche« und dem Leben »in der Welt« verursachte. Der evangelikale Katholizismus jedoch ist eine Gegenkultur, die die umgebende öffentliche Kultur zu bekehren sucht, indem sie die Wahrheit verkündet, im Geist und in der Wahrheit anbetet und eine menschlichere Lebensart vorlebt. Der evangelikale Katholizismus will sich nicht »arrangieren«: Er will bekehren.

Niemand sollte denken, das sei nicht schwer. Auch der Katholizismus der Gegenreformation war nicht immer nur einfach, denn er hatte es mit der fortwährenden Rastlosigkeit des menschlichen Herzens und dem uralten Aufruhr der menschlichen Leidenschaften zu tun. Doch in einer prämodernen Welt, deren Autoritäten als selbstverständlich galten, war die religiöse Autorität der Kirche als einer Zuchtmeisterin des menschlichen Eigensinns durchaus selbstverständlich. Die kirchliche Autorität war, um es in Peter Bergers soziologischer Terminologie auszudrücken, eine unangefochtene »Plausibilitätsstruktur«, mit der der Mensch sein Leben ordnen konnte, und die Kirchenzugehörigkeit ging typischerweise in der umgebenden öffentlichen Kultur auf. Allermindestens war die Zugehörigkeit zu dieser Lebensform keinen Frontalangriffen seitens der umgebenden öffentlichen Kultur ausgesetzt.

Das ist in der entwickelten Welt des 21. Jahrhunderts nicht mehr der Fall. Katholiken können nicht durch die New Yorker Madison Avenue oder vergleichbare Straßen in Toronto, Buenos Aires, Paris, Berlin, London, Rom oder Sydney gehen, ohne dass ihre »Plausibilitätsstruktur«, also ihr christliches Verständnis davon, wie die Dinge sind und wie die Dinge sein sollten, an jeder Ecke sinnenfällig angegriffen wird. Wer sich zu den Inhalten des Credo bekennt – sie also nicht nur als seine »persönliche« Wahrheit, sondern als die Wahrheit der Welt betrachtet, wie sie der Mensch gewordene Sohn Gottes offenbart hat –, muss in Kauf nehmen, dass man ihn für einen Idioten hält. Wer in der biblischen Moral eine sowohl offenbarte als auch mit dem Verstand erkennbare Wahrheit und außerdem nach wie vor eine Möglichkeit sieht, menschliche Beziehungen zu ordnen, muss damit rechnen, dass man ihn bigott nennt.

Unter diesen Umständen hat der laue Katholizismus keine Zukunft: Sich dem verwandelnden Feuer des Heiligen Geistes auszusetzen, ist nicht länger nur eine Option.

Der evangelikale Katholizismus ist in vielerlei Hinsicht weitaus anspruchsvoller als der gegenreformatorische, katechetisch-devotionale Katholizismus. Er verlangt Priestern und Bischöfen, Ordensleuten und Laien größere Anstrengungen ab; den Feuerzungen kann sich niemand entziehen. Er erfordert eine tiefere religiöse Kultur: Der evangelikale Katholizismus wird, um es an einem Beispiel zu verdeutlichen, nicht von den simplen Formen des Baltimore-Katechismus, sondern von den mystagogischen Reflexionen der alten Jerusalemer Katechesen gespeist, die die Christen dazu einluden, sich tief in die »Mysterien« – gemeint sind die Sakramente – zu versenken und ihr ganzes Leben von ihnen formen zu lassen.13 Von den Laien verlangt der evangelikale Katholizismus einen großzügigen Einsatz ihrer Zeit, damit sie inmitten des überstürzten postmodernen Lebens zu einer tieferen Christusbegegnung gelangen, als es ihnen mit nur einer Stunde Gottesdienst pro Woche möglich ist. Von Seelsorgern und Bischöfen verlangt der evangelikale Katholizismus außerdem ein höheres Maß an Stabilität, weil der Aufbau pulsierender evangelikaler Gemeinden Zeit braucht. Und Zeit braucht es auch, die nötigen Beziehungen wachsen zu lassen für jenen Weg der missionarischen Ausformung und Fruchtbarkeit, der, wie der hl. Paulus schreibt, »alles übersteigt« (1 Kor 12,31) – und der schon immer der beschwerlichere Weg gewesen ist.

Der evangelikale Katholizismus, der sich als ein Ergebnis der katholischen Erneuerung Leos XIII. und seiner Nachfolger abzeichnet, wird eine erhöhte Aufmerksamkeit für die sakramentale Vorbereitung und die Sakramentendisziplin erfordern, weil er sich – ganz im Einklang mit den Vorstellungen der klassischen Liturgischen Bewegung Mitte des 20. Jahrhunderts, die Liturgie und Gottesdienst mit christlicher Bildung und Mission und mit dem christlichen Einsatz für Gerechtigkeit in der Welt verknüpfte – aus den Sakramenten speisen wird. Der evangelikale Katholizismus wird eine sehr viel größere Aufmerksamkeit für die Verkündigung erfordern, als sie in großen Teilen der Kirche in den entwickelten Ländern zu finden ist, weil Mission aus den Sakramenten und aus dem Wort Gottes lebt. Und das wiederum wird eine tiefgreifende Reform der Priesternachwuchsarbeit und der Priesterausbildung erfordern.

Der evangelikale Katholizismus wird es ferner erforderlich machen, dass die Bischöfe ihre Rolle als Werkzeuge der Einheit in der Kirche überdenken: Die Bischöfe der katholischen Zukunft müssen einsehen, dass sie nur dann Werkzeuge der Einheit sein können, wenn sie den Seelen helfen, die befreiende Wahrheit des Evangeliums zu bejahen, was wiederum bedeutet, dass diese Seelen der Falschheit und Sünde entsagen müssen. Deshalb wird der evangelikale Katholizismus es zuweilen erforderlich machen, dass die Kirche an ihren Schnittstellen mit dem öffentlichen Leben fest und unzweideutig »Nein« sagt – wie es die deutschen Bischöfe im bismarckschen Kulturkampf tun mussten (als die Hälfte von ihnen im Gefängnis saß); wie es 1953 die polnischen Bischöfe taten, als sie »Nein« sagten zu den Bestrebungen des polnischen Kommunismus, die Kirche zu einem verlängerten Arm der Partei zu machen (auch dies ein kühnes Eintreten für das Evangelium, das einige Nachfolger der Apostel ins Gefängnis brachte); wie es die Bischöfe der westlichen Welt überall dort tun müssen, wo sich der Staat das Recht anmaßt, das Wesen der Ehe zu verändern oder ganze Gruppen von Menschen aus der gemeinsamen Schutz- und Interessengemeinschaft auszuschließen.

Wenn der evangelikale Katholizismus die Gemeinschaft der Gläubigen aufbaut, dann tut er das nicht um der Gemeinschaft, sondern um der gemeinsamen Teilhabe an den Glaubensgeheimnissen willen. Diese Teilhabe wird ihrerseits zur Quelle der Gnade, aus der die Gemeinschaft schöpft, wenn sie anfängt, die Welt zu bekehren. Die Feuerzungen, die die Kirche formen, werden so zum Feuer der Mission, das die Welt in Brand steckt.

Der evangelikale Katholizismus ruft die ganze Kirche um ihrer missionarischen Sendung willen zur Heiligkeit auf.14

Die Erneuerung der Kirche

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