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Leo XIII. – auf den Punkt gebracht

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Die Herz-Jesu-Verehrung, auf die Leo XIII. solch großen Wert gelegt hatte, war zum einen eine populistische Antwort auf das nach wie vor aktuelle Problem des »Monophysitismus«, wie die Theologen es nennen, also der Tendenz, die Gottheit Christi so sehr zu betonen, dass seine menschliche Natur zu einer bloßen Verkleidung wird – ähnlich wie der behornbrillte Clark Kent, der Superman als Verkleidung diente. Der Monophysitismus hat das Christentum über eineinhalb Jahrtausende lang geplagt und war für den Katholizismus gegenreformatorischer Prägung ein wiederkehrendes theologisches und katechetisches Problem.11 Mit der Förderung der Herz-Jesu-Frömmigkeit und der Weihe der Welt an das Heiligste Herz 1899 setzte Leo XIII. drei interessante Entwicklungen in Gang.

Erstens setzte er der extrem weltlichen Politik der Moderne einen Schuss vor den Bug. Das Herz Jesu war lange Zeit ein Symbol des Widerstands gegen den postjakobinischen radikalen Säkularismus und die gesetzlich verordnete Privatisierung des Glaubens und der religiösen Praxis gewesen. Die Weihe der Welt an das Heiligste Herz Jesu war mithin eine stillschweigende, aber unmissverständliche Warnung vor den Risiken eines öffentlichen Lebens, das die in diesem Bild der Barmherzigkeit und Mitmenschlichkeit enthaltenen Grundwahrheiten aus dem öffentlichen Bereich verbannte. Unabhängig davon, wie Leos Zeitgenossen darauf reagiert haben, erscheint seine Warnung angesichts der exzessiven Selbstzerstörung des Westens im 20. Jahrhundert bemerkenswert hellsichtig: Dieser Akt des kulturellen Vandalismus und Autogenozids war, wie Alexander Solschenizyn es in seinem berühmten Ausspruch auf den Punkt brachte, das Nebenprodukt einer Welt, die »Gott vergessen« hatte.12

Zweitens brachte Papst Leo mit der Weihe der Welt an das Heiligste Herz eine Form der Volksfrömmigkeit zur Geltung, die wichtige Themen aus dem Denken des hl. Thomas von Aquin aufgriff: Nach Leos Überzeugung war das Werk des Aquinaten der intellektuelle Dreh- und Angelpunkt einer neuen Auseinandersetzung der Kirche mit der entzauberten Welt. Das Herz Jesu, so schreibt Leo in Annum sacrum, erinnert die Kirche daran, dass Christus, der Pontius Pilatus am Tag seines Todes gesagt hatte, er sei in der Tat ein König (vgl. Joh 18,37), seine einzigartige Souveränität nicht durch Zwang und Gewalt, sondern »durch Wahrheit, durch Gerechtigkeit, am meisten durch Liebe« ausübt.13 In seiner Summa Theologiae, so Leo, habe Thomas von Aquin diese einzigartige Form der souveränen Hoheit hervorgehoben und so dazu beigetragen, einen vornehmeren Begriff von Herrschaft und Autorität in die kulturellen Fundamente des Abendlandes hineinzuschreiben als den bloßen Machtwillen, der unglücklicherweise (heute wie zu Leos Zeiten) viele Ausdrucksformen der politischen Moderne charakterisiert.

Drittens setzte Leo sein päpstliches Siegel unter einen Entwicklungsprozess im katholischen Selbstverständnis, der letztlich dazu führen sollte, dass das Zweite Vatikanische Konzil das Evangelium wieder in die Lebensmitte der katholischen Kirche rückte. Denn die Kirche wieder auf das Evangelium auszurichten heißt, Jesus Christus und die Freundschaft mit Christus, in dessen Menschennatur das barmherzige Antlitz Gottvaters greifbar wird, wieder ins Zentrum der Kirche zu stellen – ein Punkt, den Johannes Paul II. erneut zur Geltung brachte, indem er, gleichsam als Schlussakkord zu allem, was seit Annum sacrum geschehen war, den Sonntag der Osteroktav zum Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit erklärte.

Die Erneuerung der Kirche

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