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Tiefenwachstum
ОглавлениеDer eine oder andere mag einwenden, dass das einfach nicht funktionieren wird: dass eine solche Vision von zutiefst bekehrten, durch und durch katechetisierten, sakramental bereicherten und evangelikal begeisterten Katholiken, die auf den tiefen See der postmodernen Welt hinausfahren, einfach zu anspruchsvoll ist und nur ein beschönigender Name für ein neues katholisches Sektierertum, für eine reinere, aber kleinere Kirche ist. Gewiss, der evangelikale Katholizismus verlangt viel. Und doch war es schon immer genau dieser Ruf nach christlicher Größe – einer Größe aus der Kraft der göttlichen Gnade, die die Herzen emporhebt, und des Heiligen Geistes, der unseren Bemühungen sein Feuer eingießt –, die den katholischen Glauben hat wachsen lassen.
Genau dieser Glaube hatte die heidnische Welt erobert und die frühen Märtyrer in ihren Prüfungen gestärkt.
Genau dieser Glaube, vereint mit einer mystagogischen Sicht auf die Sakramente, hatte Fischhändler und Bäcker in Konstantinopel dazu gebracht, über das Verhältnis zwischen der göttlichen und der menschlichen Natur in Jesus Christus zu debattieren. Und wenn byzantinische Kaufleute über die hypostatische Union debattieren konnten, dann sollte es doch auch möglich sein, dass die mit Sicherheit am besten ausgebildeten Katholiken der Kirchengeschichte unter Anleitung ihrer Seelsorger, die meisterhafte Prediger sind, die Tiefen dessen erkunden, was sie Sonntag für Sonntag im Glaubensbekenntnis aussprechen, nämlich dass Jesus, der Herr, »eines Wesens mit dem Vater« ist, und dass sie sodann aus dieser Betrachtung neue Einsicht, Kraft und Leidenschaft für ihre missionarische Sendung gewinnen.
Genau dieser Glaube – ein zutiefst biblischer und im sakramentalen Sinne reicher Glaube, in dem die göttliche Gegenwart eine greifbare Realität des alltäglichen Lebens ist – hat das enorme Wachstum des Katholizismus im Afrika des 20. und 21. Jahrhunderts herbeigeführt, als Millionen von Afrikanern aus einer Welt der Geister und Mächte in die Wahrheit des einen und wahren Gottes, seines Sohnes und des Heiligen Geistes geführt wurden.
Ein evangelikaler Katholizismus ist auch dort am Werk, wo aus den vermeintlichen Ruinen des einstmals bedeutsamen westlichen Katholizismus neues Leben wächst. Überall auf der Welt blühen an den unwahrscheinlichsten Orten katholische Pfarreien (Soho im Londoner West End; Greenville, South Carolina, im Herzen des amerikanischen Bible Belt; Manhattan Zentrum) und Studentengemeinden (an der A&M University in Texas, in Princeton und an der katholischen Universität Lemberg, die von der ehemals illegalen Untergrundkirche der griechischen Katholiken in der Ukraine betrieben wird), weil Seelsorger ohne Kompromisse das Evangelium verkünden, die Sakramente mit Würde und Gnade feiern, den Ausgegrenzten dienen und auf diese Weise »die Heiligen für die Mission rüsten« (vgl. Eph 4,12). Es ist kein Zufall, dass diese und ähnliche Pfarreien, Studentengemeinden und höhere katholische Bildungseinrichtungen in einer ansonsten eher trockenen Periode eine große Menge an Priester- und Ordensberufungen hervorbringen.
Von Yonkers, New York, über Alma, Michigan, bis hin nach Nashville, Tennessee, von Pluscarden Abbey im schottischen Hochland bis hin zum Kloster Our Lady of the Annunciation in Clear Creek, Oklahoma, schießen Frauen- und Männerorden aus dem Boden, die ein geweihtes Leben nach dem Modell des evangelikalen Katholizismus führen, in einer Zeit, in der andere Orden zur Bedeutungslosigkeit verkümmern, weil sie in sich nicht plausibel sind.
Erneuerungsbewegungen und neue katholische Gemeinschaften, die die evangelikale Essenz des II. Vaticanums begriffen haben und ein Leben der missionarischen Jüngerschaft führen, sind die lebendigsten Saatfelder der Kirche in einst so durch und durch katholischen Ländern wie Frankreich oder Argentinien.
Seminare, die evangelikale katholische Priester für das 21. Jahrhundert ausbilden, verzeichnen wachsende Mitgliederzahlen (und sind in einigen wenigen Fällen sogar ausgelastet), während Seminare, die noch immer in den tief ausgefahrenen Furchen eines entweder progressiven oder traditionalistischen Katholizismus feststecken, auf der Stelle treten oder langsam dahinsiechen.
In der ganzen westlichen katholischen Welt inspiriert der evangelikale Katholizismus kreative intellektuelle Leistungen, was zu einem nicht geringen Teil daran liegt, dass der Glaube von vornherein nicht als irgendein Objekt betrachtet wird, das nach allen Regeln der postmodernen Skepsis und Strukturlosigkeit zerpflückt werden muss, sondern als ein kostbares Offenbarungsgeschenk, das den Verstand herausfordert und seine ganze Wertschätzung verdient.
Selbst in den Künsten sind die Anfänge einer evangelikalen katholischen Renaissance zu erkennen – etwa in den Werken des britischen Komponisten James MacMillan, des amerikanischen Architekten Duncan Stroik, der in Russland gebürtigen Malerin Natalia Tsarkova, des irischen Bildhauers Dony MacManus, der niederländischen Bildhauerin Daphné Du Barry und der in Rom ansässigen Kunsthistorikerin Elizabeth Lev.
Vor diesem Hintergrund mag man versucht sein, G. K. Chestertons berühmte Bemerkung zu zitieren, wonach »das christliche Ideal nicht erprobt und für zu leicht befunden, sondern für zu schwer befunden und gar nicht erst erprobt wurde«. Doch das wäre jenen gegenüber unfair, denen der evangelikale Katholizismus nie vorgeschlagen worden ist – den dürftig Katechetisierten, den liturgisch Gelangweilten, den moralisch Verwirrten. In den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts ist der evangelikale Katholizismus nach einem mehr als hundertjährigen Ringen darum, wie genau man diese neue Art, in der Welt katholisch zu sein, definieren soll – einem Ringen, das sich bis zum Pontifikat Leos XIII. zurückverfolgen lässt –, gerade dabei, zu einer ersten Reife zu gelangen. Und überall dort, wo der evangelikale Katholizismus angeboten wird, ist die Begeisterung größer als die Ablehnung. So lehrt es die Erfahrung der eben erwähnten Pfarreien, Studentengemeinden, Ordensgemeinschaften, Seminare, Erneuerungsbewegungen und intellektuellen Zentren.
Doch er muss angeboten werden. Dieses Angebot detaillierter zu entwerfen ist der nächste Punkt auf unserer Tagesordnung.