Читать книгу Die Erneuerung der Kirche - George Weigel - Страница 15
Die Herausforderung annehmen
ОглавлениеDas Zweite Vatikanische Konzil hat das Evangelium – alles, was Gott zu unserem Heil in der Heiligen Schrift und der apostolischen Tradition offenbart hat – ins Zentrum der Kirche gestellt und so den Fehdehandschuh der Moderne und aller eventuellen Folgeepochen aufgenommen. Moderne und Postmoderne leugnen, dass es so etwas wie Offenbarung überhaupt gibt. Der evangelikale Katholizismus nimmt die Herausforderung an und räumt ein, dass das Christentum entweder eine Offenbarungsreligion oder eine falsche Religion ist. Im nächsten Schritt aber sagt er, dass das Christentum nicht vom Menschen, sondern von Gott stammt.
Mithin ist die Überzeugung, dass das Christentum eine Offenbarungsreligion ist, die Grundlage des evangelikalen Katholizismus: Den Menschen, Männern und Frauen, wird das übernatürliche Geschenk der göttlichen Offenbarung (also die Tatsache, dass Gott kommt, um nach uns zu suchen) zuteil, sodass sie durch einen Akt des Glaubens, der seinerseits wieder durch die übernatürliche Gabe der Gnade ermöglicht wird, den Weg des Heils einschlagen können, an dessen Ende die Verherrlichung der menschlichen Person im Licht und Leben des dreifaltigen Gottes steht (das heißt, dass wir Gott, der nach uns sucht, antworten und lernen, auf seinen Wegen durch die Geschichte zu gehen).
Mit anderen Worten: Alles ist immer übernatürlich. Die Antwort des evangelikalen Katholizismus auf die »Entzauberung der Welt« ist keine stoische Tugendhaftigkeit und keine ehrenhafte Resignation, wie sie Albert Camus und andere aufrechte Nichtgläubige der Moderne vorschlagen. Der evangelikale Katholizismus glaubt vielmehr – und er folgt darin der auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil erfolgten radikalen Wiederausrichtung der Kirche auf das Evangelium –, dass man der modernen Unruhe und dem postmodernen Unbehagen am besten mit der Verkündigung der Frohbotschaft der biblischen Offenbarung begegnet: dass unsere Welt eine Schöpfung ist, deren Fenster, Türen und Dachluken von Gott selbst geöffnet worden sind, um das Licht hereinzulassen: Gott selbst tritt in die Geschichte ein, um die Schöpfung, die er ins Dasein gerufen hat, zu erlösen. Und durch dieses Licht der göttlichen Offenbarung wird die Dunkelheit im Hier und Jetzt – die zum Teil von der menschlichen Neigung zum Bösen und zum Teil von der Erkenntnis herrührt, dass der Tod unvermeidlich ist – durch die tiefste Wahrheit des Menschseins erhellt: dass wir durch Taten der göttlichen Liebe, die der Zeit vorangehen, sie definieren und über sie hinausreichen, von Gott geschaffen und für Gott bestimmt sind.
In seiner 1847 erschienenen Erzählung Loss and Gain (»Verlust und Gewinn«) hat John Henry Newman die wesentlichen Grundzüge der evangelikalen katholischen Überzeugung erfasst, wonach der Akt des Glaubens auf die göttliche Offenbarung hingeordnet ist. Die genau abgewogenen Worte über den Unterschied zwischen einer lauen, kulturell vermittelten Religiosität und dem echten christlichen Glauben, die der Erzähler Newman einem seiner Charaktere in den Mund legt, beleuchten die Situation im 21. Jahrhundert ebenso gut wie die viktorianischen Verhältnisse, auf die sie eigentlich gemünzt waren:
»Persönlich mögen sich viele in rührender Weise dienstbeflissen erzeigen oder eine Gewissenhaftigkeit an den Tag legen, die unsere Hochachtung verdient; immer aber fehlt es ihnen, bis sie erst den Glauben haben, an dem festen Grunde, und was sie aufbauen, wird in sich zusammenstürzen. In religiösen Dingen wird kein Segen mit ihnen, wird all ihr Tun vergeblich sein, bis sie den rechten Anfang machen mit einem tatkräftigen, rückhaltlosen Glauben an Gottes Wort […]; bis sie über sich selbst hinausgehen; bis sie aufhören, irgendwie in sich selbst einen höchsten Richterstuhl zu finden; bis sie ihren Willen vollenden heißen, was die Vernunft genügend zwar, aber doch immer nicht zwingend, an Beweisen liefert.«4
Die Kirche des 21. Jahrhunderts kann die Männer und Frauen unserer Zeit jedoch nicht auf der Grundlage ihrer Autorität zum Glauben einladen. Sie muss kühnere, evangelikalere Impulse setzen. Sie muss die Sache anders anpacken.