Читать книгу Der Mann mit dem Tattoo am Hinterkopf - Gerald Edinger - Страница 12
ОглавлениеDIE MACHT DER CLIQUE
Wenn Ringo in jungen Jahren mit seiner Clique unterwegs war, gab es witzige Geschichten, die er mit seinen Freunden erlebte. „Da waren wir mal alle Mann zusammen auf der Kerb, hatten schon vorher gut geballert. So saßen wir im Zelt breit und hackedicht vor der Blasmusikkapelle.“ Was in Hessen die Kerb, ist in anderen Bundesländern die Kirmes oder Chilbi, eben ein Volksfest. Die Gruppe der Jugendlichen beobachtete das Geschehen auf der Bühne in gespannter Erwartung, was gleich geschehen sollte. Ein Musiker blies voller Inbrunst die Tuba, andere spielten Trompete oder Posaune. Mit diebischer Vorfreude zückten die Jungs die zuvor organisierten Zitronen und bissen genau im Blickfeld der Kapelle herzhaft in die gelben Zitrusfrüchte. Als sie das sahen, bekamen sie plötzlich keinen Ton mehr raus. „Wir haben hier nur Zitronen gegessen, was wollt ihr denn?“, stellten sich Ringo und seine Kumpels dumm und hielten sich vor Lachen die Bäuche. Unbeschwerte Momente, an die er sich gerne amüsiert erinnert.
Oder als die ausgelassene Clique an Fasnacht beim Maskenball in der Bürgerhalle war. „Vorher hatten wir LSD-Trips eingeschmissen. Wir sahen nur Mickymäuse und haben die ganze Nacht gelacht. Am nächsten Tag haben uns vom Lachen die Backen und der ganze Körper wehgetan. An Fasching sind die Leute sowieso schon maskiert und wir waren noch auf Trip…“ Die Menschen in diesem Saal haben in dieser Nacht offenbar gedacht, dass die Jungs zu viel getrunken hatten. Dass der nicht enden wollende Lachanfall völlig andere Gründe haben könnte, das überstieg scheinbar die Vorstellungskraft der ausgelassen feiernden Fastnachtsgesellschaft.
Auch in seiner damaligen Stammkneipe zeigte sich, dass er und seine Freunde nicht in die Norm passten. Die Alteingesessenen tranken ihr Bier und posaunten ihre Ansichten und Standpunkte ungefragt und ungefiltert heraus. Über die Jugendlichen im Lokal tuschelten sie wohl mit voller Absicht so laut, dass es alle hören konnten: „Die spritzen ja Hasch!“ Keine Frage, dass diese Gegensätze, die konservativen Stammtischbrüder auf der einen, die jungen Leute mit ihrem unüberhörbaren Schrei nach Freiheit auf der anderen Seite, für Spannungen sorgte.
Lange konnte Ringo seine Sucht vertuschen, wollte sich aber nicht eingestehen, dass er längst den Drogen hoffnungslos verfallen war. Er belog sich immer wieder aufs Neue. Genau das sei das Schlimme an einer Sucht: der Verlust der rationalen Einschätzung, was gerade passiert, dass die Droge einen fest umklammert hält und nicht mehr loslässt. Er hatte keine Vorstellung davon, wohin ihn diese Sucht bringen würde.
Die erste Zigarette in diesem kleinen Keller in der Frankfurter Vorstadt war für Ringo der Einstieg in die Drogen-Hölle. Aber diese harmlos aussehenden kleinen, weißen Tabakstäbchen waren nur der Anfang einer langen, drogengeschwängerten Suche nach dem ultimativen Kick!
Beschleunigt wurde Ringos Entwicklung zum Junkie durch die Dynamik der Clique. „Wir hatten da was ganz Tolles. Die ganze Gang war dabei und da haben wir uns das Zeug reingepfiffen! Meine Freunde waren meine Ersatzfamilie. Da hat man nicht lange überlegt, wenn einem etwas angeboten wurde. Zu Hause war ich nicht der Richtige. Aber wenn du das Zeug geraucht hast; warst du cool, hast zur Gruppe dazugehört.“
Am Anfang hatte für Ringo alles viel mit Gaudi zu tun. „Es war ja nicht alles schlecht, sondern etwas ganz Großartiges, was mit der Clique zu unternehmen. Abends im Auto was zu rauchen, war so etwas wie ein Ritual für uns. Danach haben wir uns mit den anderen getroffen, machten irgendwas. Entweder spielten wir Tischfußball oder sind zum Frankfurter Flughafen gefahren. Es war nicht alles schlecht in dieser Zeit, auch auf der Szene war nicht alles schlecht.“ Sonst hätte es ja absolut keinen Grund für Ringo gegeben, immer weiterzumachen.
„Das Verführerische ist dieser scheinbare Gewinn, der beim Konsum von Drogen herausspringt. Der Abstieg ist ganz schleichend, bis es schließlich nicht mehr bloß um den Gewinn geht, den man aus dem Drogenkonsum zieht. Dann geht es allein ums Überleben“, sagt Ringos Frau Zoe. Er selbst unterstreicht diese Einsicht durch seine Selbsterfahrung: „Das Schlimme an der Sucht ist, dass du am Anfang meinst: Ich kann jederzeit aufhören. Das perfide daran ist, dass du eben nicht aufhören kannst. Die Droge bestimmt längst deinen Alltag, dein Leben!“
*
Wie alle jungen Männer wollte auch Ringo seine Wirkung auf Mädchen ausprobieren: „Frauen spielten eine Rolle, aber nur so nebenher. Mit 15, 16 waren mir meine Freunde wichtiger als eine Bekanntschaft mit Mädels.“ Später wohnte er sogar einige Zeit mit einer Frau zusammen. Auf diese Beziehung konnte er sich aber gar nicht richtig einlassen. „Mein Leben war bestimmt von der Clique, wie wir Geld machen konnten, um mit dem Zug nach Darmstadt zu kommen, um Stoff zu besorgen.“ Manchmal schnappten sich die jungen Männer einfach ein Auto und fuhren los – ohne Führerschein. Keine Fahrerlaubnis zu besitzen, war damals für Ringo kein Hindernis, in ein Auto zu steigen und loszufahren. Er stellt dabei klar: „Die Mädels waren bei diesen Touren nie dabei, wenn wir Stoff besorgten. Sie waren auch nicht drogenabhängig, so wie wir Jungs.“
Seine damals bewusst gelebte Distanz zu Frauen erklärt er so: „Ich wollte nicht mehr, dass eine Frau so nah an mich herankommt wie meine Mutter. Sie hat mich erdrückt und das wollte ich nicht mehr. Mich gegenüber einer Frau zu öffnen, damit habe ich heute noch Schwierigkeiten!“
Zoe hat viel Verständnis für Ringos Zurückhaltung: „Ich bin eine völlig eigenständige Person, bin aber in vielen Dingen genauso wie seine Mutter.“ Sie erkennt bei der Partnerwahl ein Muster: Man sucht sie sich danach aus, weil sie in Teilen Persönlichkeitszüge haben, die man von seiner Mutter oder dem Vater kennt. „Aber Ringo hat gelernt, mich nah an sich herankommen zu lassen.“