Читать книгу Der Mann mit dem Tattoo am Hinterkopf - Gerald Edinger - Страница 7
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Mein ganzes Journalistenleben habe ich mich standhaft geweigert, ein Druckwerk wie dieses zu verfassen. Meine Ehepartnerin drängte mich zwar aber und abermals wieder dazu, doch ich blieb beharrlich. Ehrlich, ich hatte keine Lust neben meinem erfüllenden Beruf, der für mich immer Berufung war, ein Buch zu schreiben, das anschließend neben unzähligen anderen Werken ungelesen in irgendeinem Buchladen vor sich hingammelt, weil es – außer meiner Frau – niemanden interessiert. Wie sie sehen und lesen können, musste ich beinahe siebzig Jahre alt werden, um mich hinzusetzen und ein Buch zu schreiben. Es ist eine Biografie geworden über einen Menschen, dessen Lebensgeschichte fast unglaublich erscheint. Seinen echten Namen haben wir nicht verwendet, um seine Familie zu schützen. Aus diesem Grund haben wir ebenfalls den Namen seiner Frau geändert und weitere Personen in dieser Biografie nicht namentlich genannt. Kennengelernt habe ich ihn, als er mit einem Polizeikommissar vor Jugendlichen im Alter von 13, 14 Jahren in einer Schule seine bewegende Geschichte erzählte. Es galten die Corona-Maßnahmen, also trug er die ganze Zeit einen Mund-Nase-Schutz. Seine Augen sprachen allerdings Bände. Er erzählte traurige, spannende, brutale und berührende Episoden aus seinem Leben, das ihn fast an den Abgrund geführt und das Leben gekostet hätte. Eines Tages fragte er mich am Telefon, ob ich nicht seine Geschichte aufzeichnen möchte. Das war, nachdem ich seine Drogen-Karriere in einer Reportage für den SÜDKURIER aufgeschrieben hatte. Lange musste ich nicht überlegen, ich sagte zu. Warum? Seine Erzählungen haben mich gepackt, mich emotional durcheinandergewirbelt, schließlich bin auch ich ein Kind der Flower-Power-Zeit, der freien Liebe und des Auflehnens gegen die Weltanschauungen der spießigen Lebensart unserer Eltern. Meine Helden waren die Rolling Stones – und sind es bis heute geblieben. Obwohl ihr Drogenkonsum immer wieder Thema in den Medien war, haben mich Hasch, LSD oder andere Rauschgifte nie interessiert. Dafür gibt es viele Erklärungen. Der wichtigste Grund ist dieser: Ich hatte früh eine feste Beziehung, die mir Halt und Orientierung gab und bis heute gibt. In diesem Buch habe ich auch einige Erlebnisse aus meinen Leben geschildert, um die krassen Gegensätze beider Welten herauszustellen. Mir wurde dabei bewusst, wie sehr der Weg, den wir im Leben gehen, von Zeit, Ort und den Umständen, in die wir hineingeboren werden, abhängig ist. Egal ob man es Zufall, Schicksal oder göttliche Fügung nennt.
Um die damalige Zeit gerade für jüngere Leser einzuordnen, habe ich auch aus Zeitungen, Polizeistatistiken, anderen Medien und aus einer Reportage-Serie zum Thema Drogen am Hochrhein, die ich für den SÜDKURIER im Jahr 2020 geschrieben habe, zitiert. Dieses Buch ist also auch eine Zeitreise zurück in die 1960er bis 1990er-Jahre, die für Ringo so dramatisch verliefen.
Ringo wuchs im Dunstkreis einer Großstadt auf, verinnerlichte die Philosophie von Janis Joplin, die ihr „Live Fast, Love Hard, Die Young“ (Übersetzt aus dem Englischen: „Lebe schnell, liebe heftig, stirb jung“) bis zum tödlichen Ende ihres exzessiven Lebens mit 27 Jahren ausgelebt hat. Ich hatte Glück, vielleicht, weil ich auf dem Land aufwuchs und sich mein Leben nur um Fußball, Rockmusik und Mädchen drehte. Ringo erlag den drogengeschwängerten Verführungen der Großstadt. Ein Vierteljahrhundert warf er alle Drogen ein, die es für Geld zu kaufen gab oder mischte sich einen gefährlichen Cocktail aus Tabletten und Heroin. „Ich habe überlebt“, sagt er heute mit Mitte 60.
Die vielen Facetten seines Lebensweges zogen mich an wie ein Magnet. Schon beim Treffen in dieser Schule kurz vor Weihnachten war mir klar, dass eine Reportage nur bruchstückhaft dieses erbarmungslose Leben auf dem dünnen Drahtseil zwischen ausschweifenden Drogen-Exzessen und der ruhelosen Suche nach dem ultimativen Kick auf der einen und dem allgegenwärtigen Tod auf der anderen Seite widerspiegeln kann.
Eine wesentliche Rolle bei Ringos Weg heraus aus dem Drogensumpf spielte sein Glaube. Dieser ist ihm auch heute noch ein großer Halt und das Hauptthema des letzten Teils des Buches.
Die Corona-Vorgaben bremsten uns aus, persönliche Kontakte waren in Zeiten staatlich angeordneter sozialer Distanz praktisch unmöglich. Nun ist das Buch fertig, unser gemeinsames Werk. Ein wenig bin ich stolz darauf, dass Ringo so offen zu mir war und ich seine außergewöhnliche und dramatische Lebensgeschichte aufschreiben durfte.