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Aber nun zurück zum Drilling!

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Unser Jagdherr hatte selber einige „wiedergefundene“ Waffen in seinem Schrank stehen. Darunter einen Doppelbüchsdrilling im seltenen Kaliber 6,5 x 58R. Diesen konnten wir uns zeitweilig ausleihen. Doch die dazugehörige Munition war so rar, dass jeder Schuss sorgfältigst überlegt werden musste, denn bald drohte der kaum ersetzbare Vorrat zu Ende zu gehen.

Da kam uns das Geschenk des alten Hahndrillings wie gerufen. Der erste Probeschuss war zufriedenstellend, doch eine größere Probeserie war ausgeschlossen, denn auch hier musste an der schwer zu bekommenden Munition gespart werden. So gaben wir uns mit dem Ergebnis zufrieden, bis dann die „raue Praxis“ zeigte, dass das Pulver, im wahrsten Sinne des Wortes, „nass“ geworden war.

Nach mehreren „Fehlzündungen“, die uns beinahe mutlos gemacht hatten, geschah es dann, dass der nächste Schuss nicht nur losging, sondern auch da saß, wo er hingehörte. „Na also, es geht doch!“ sagten wir, und das gab uns immer wieder neuen Mut zu neuen Taten.

Es kam der Herbst, und der Geißenabschuss sah mich fleißig im Revier. Rehe gab es nicht mehr viele, denn die amerikanischen Besatzer hatten ziemlich „reinen Tisch“ gemacht. Wieder einmal war ich als Benutzer der edlen Waffe dran und mein Bruder war nur interessierter Begleiter. Gut gedeckt, erwarteten wir von einem Bodensitz das zu Felde ziehende Rehwild. Vor uns ein lichtes Fichten-Stangenholz, ohne Bodenbewuchs. Eine einzelne Geiß zog noch bei gutem Licht dem Waldrand zu. Ruhig zielte ich ihr die Kugel aufs Blatt. Auf den Schuss die bilderbuchmäßige Hochflucht, wie bei einem guten Blattschuss. Bald war sie außer Sicht, aber wir waren uns sicher, sie nach wenigen Metern zusammenklauben zu können. Doch zuerst, wie sich das für einen angehenden, gewissenhaften Jäger gehört, den Anschuss kontrollieren. Seltsam, kein Tröpferl Schweiß, kein Schnitthaar zu finden. Nur kräftige Schaleneindrücke, genau dort, wo der Anschuss war. Wir schnoberten auf dem blanken Waldboden umher, da plötzlich, ja, was liegt denn da? Das Kügerl!

Die schwach gewordene Pulverladung hatte das Geschoss gerade noch bis zur Geiß getrieben, sie wie mit einem Schuss aus der Steinschleuder getroffen, heftig erschreckt und war dann kraftlos zu Boden gefallen. Das war ja doch die Höhe! Die nächste Stufe wären ja dann wirklich Pfeil und Bogen.

Wir großen Waidgesellen haben uns erst saudumm angeschaut, doch dann lachten wir herzlich. Unser Vater daheim musste zwar auch verkniffen schmunzeln, doch er fand, das sei nun doch keine rechte Jagerei und mein Bruder, als der Ältere, bekam einen Mauser Repetierer im Kaliber 7 x 57, und den auch noch mit Zielfernrohr.

Doch mir blieb dann nur als Ausweg der alte Drilling, wenn wir getrennt jagen wollten.

So war ich im Spätherbst übers Wochenende bei einem Freund in dessen väterlichem Revier im Süden Münchens zum Geißenabschuss eingeladen.

Diese „Jagdreisen“ machte ich damals stets per Eisenbahn. Mit dem Kurzhaar an der Seite, den Drilling ohne Futteral stolz geschultert, trabte ich durch den Münchner Hauptbahnhof, um den Anschlusszug gen Süden zu besteigen. Kein Mensch wunderte sich damals über den bewaffneten jungen Jäger, kein Mensch kam auf irgendwelche ängstliche oder gar jagdfeindliche Gedanken.

Auch am Ankunftsort ging ich per pedes zum Jagdfreund auf die Hütte. Mein Freund Leonhard, als frommer Mensch, eilte am nächsten Morgen, es war Sonntag, zur Kirche, während ich schon in der Dämmerung einen Hochstand am Waldrand mit Blick auf das ferne Dorf bestieg. Lange Zeit tat sich nichts. Nur am Glockengeläut der Kirche konnte ich den Fortgang des Gottesdienstes verfolgen. Dann, gerade als das Läuten das Ende der Messe verkündete, zog ein Sprung Rehe vom Wald heraus auf die Wintersaat. Gleichzeitig sah ich den Leonhard die lange Allee vom Dorfe zum Wald herankommen. Ich suchte mir ein Kitz aus der kleinen Schar heraus, der Hintergrund war frei, Hahn aufgezogen und der Schuss fuhr heraus. Nichts! Der Sprung Rehe trat beunruhigt durcheinander, noch ohne abzuspringen. Das Kitz stand frei, also noch mal geschossen. Wieder nichts! Jetzt war’s den Rehen doch zu bunt, sie flüchteten zurück zum Wald. Dort, im Stangenholz, verhofften sie. Dritter Schuss. Wieder kein Ergebnis! „Ja, Kruzitürken, zum Teufel mit der verdammten Munition!“ In der Allee sah ich den Freund herbeirennen, was die Beine hergaben. Jetzt stand ein anderes Kitz frei, also frisch noch einmal geschossen! Es fiel um, wie erschlagen. Na also!

Immer noch rannte Leonhard wie von Furien gehetzt. Wieso denn nur? Na, ich hatte mein Kitz, das wollte ich mir nun holen.

Nach dem Einschuss suchend, stand ich ziemlich ratlos da. Es gab keinen. Wie ich es auch drehte und wendete, es war weder ein Ein- noch ein Ausschuss zu finden. Das Kitz konnte doch nicht vor Schreck verendet sein. Beim Hochheben traf mich ein Schweißspritzer. Halt, wo kam der jetzt her? Vom Haupt. Und dann sah ich ein wenig Schweiß, innen in der Höhlung des Lauschers. Die Kugel hatte genau in den Lauscher, in den Gehörgang, hineingetroffen.

Der atemlos angelangte Leonhard traf mich gerade beim Aufbrechen an. Verwundert fragte ich ihn, warum er denn so gerannt sei.

„Was war denn bei dir los?“ keuchte er, „ich dachte du hättest ein Gefecht mit Wilderern. Und warum denn so viele Schüsse?“

„Ja weißt du,“ ich musste mir schamvoll schnell eine Jäger-Notlüge ersinnen, „ich hatte vor Kälte so klamme Finger, dass ich den allzu fein eingestochenen Abzug mit den klammen Fingern immer zu früh berührt habe. Als die Rehe dann fast verschwunden waren, schaute nur noch das Häuptl eines Kitzes hinter einem Baum hervor, und so habe ich es mit Kopfschuss erlegt.“

Das war knüppeldick aufgetragen, dafür sollte ich mich heute noch schämen, doch der gute Freund hat’s schmunzelnd „gefressen“. Vor allem war er erleichtert, dass es nun doch keine Wildererschlacht war.

Nach dieser abenteuerlichen Geschichte war dann endgültig Schluss mit der unzuverlässigen Kugelschießerei. Der heilige Hubertus hatte die ganze Zeit seine Hand schützend über seinem Wild gehalten. Trotz der abenteuerlichen Schussergebnisse wurde nie ein Stück Wild krank geschossen. Entweder die Kugeln gingen ins Blaue, oder sie trafen absolut tödlich, sodass dem Wild niemals unnötige Leiden zugefügt wurden.

Der Drilling kam nur noch als Flinte zum Einsatz und tat so noch eine ganze Zeit seinen Dienst, bis ich mir endlich, endlich eine eigene, neue Waffe leisten konnte.

Man könnte heute leicht stirnrunzelnd kritisieren, dass ich mit einem solchen Gewehr überhaupt auf die Jagd gegangen war. Doch Anfang der Fünfzigerjahre war das Angebot an Waffen äußerst rar und meine Mittel als Gymnasiast waren mehr als gering, im Gegensatz zu meiner unbändigen, heißen Jagdleidenschaft.

Auch wenn die Waffe nicht mehr zum Einsatz kam, so hat sie mich in späteren Jahren, als ich mir längst die Träume von handgearbeiteten Waffen erfüllen konnte, an die Jugendzeit erinnert, die wir, miteinander jagend, erlebt und erlitten haben.

Der schöne Drilling stand dann mit den neu dazu gekommenen Feuerrohren liebevoll gepflegt im Schrank bis zu einer Sturmnacht an einem Faschings-Dienstag: Mit der Familie im Skiurlaub weilend, erreichte uns die Nachricht, dass in jener Nacht bei einem Einbruch in unser Haus sämtliche Jagdwaffen gestohlen worden waren.

Ich habe nie mehr etwas vom Verbleib des alten Hahndrillings gehört und hoffe und wünsche, dass der alte Lauf nunmehr alle Kugeln um die Ecke schickt.

All das ist Jagd

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