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„Horn auf!“ Erinnerungen an einen Neubeginn

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Als in den ersten Nachkriegsjahren jedermann mit dem Wiederaufbau und dem Kampf ums täglich’ Brot sein Tagwerk verdingte, gab es Waidmänner, denen neben der Wiedererlangung der Jagdrechte auch die Erhaltung des jagdlichen Brauchtums am Herzen lag.

Einer dieser Männer der ersten Stunde war mein Lehrprinz, Dietrich Graf Bülow-Dennewitz. Nach der Flucht aus seiner Heimat Ostpreußen hatte er in München seinen neuen Wohnsitz gefunden. Er wurde der Lehrmeister einer kleinen Schar angehender, junger Jäger, die sich allwöchentlich in seiner Wohnung zum Jagdhornblasen traf.

Ich war damals noch Gymnasiast der Unterstufe und musste täglich eine Dreiviertelstunde mit dem Zug nach München zur Schule fahren. Ein Mitschüler der Oberstufe, der in seiner abendlichen Freizeit bereits im Orchester der Staatsoper spielte, erbarmte sich meines Defizits im Notenlesen. Während der Zugfahrt trällerte er mir die Jagdsignale aus dem Notenbuch vor. Als Gedächtnisstütze dienten mir die Texte, die es zu den Signalen gibt. Oft fuhren wir gemeinsam mit den Rädern in die Wälder. Mein Freund sang mir dann die Signale vor, und ich blies das Gehörte auf dem Pless-Horn, bis er zufrieden war. Bei den Bülow’schen Übungsabenden war ich dann den anderen, zu deren Erstaunen, schon immer einen Schritt voraus. Da wir sehr abgelegen wohnten, konnte ich ohne Störung der Nachbarn abends vor dem Hause üben.

In der nichtjagenden Bevölkerung war das Jagdhorn damals weitgehend unbekannt. Und so hörte ich eines Tages auf der Bahnfahrt, wie ein Mann einem Mitreisenden die Sensationsnachricht überbrachte: „De Ami blos’n scho’ wieder Alarm! Wahrscheinli’ geht’s jetzt gega de Russ’n!“

Unsere fünf Mann starke Gruppe war im Jahr 1950 reif für den ersten öffentlichen Auftritt. Ich bekam einen Bläserhut verpasst: Schwarz mit fünf Reihen grüner Kordeln. Unter dem zu großen Hut sah ich aus wie die „Maus unter der Teigschüssel“. Die Bezirksgruppe des Münchner BJV war stolz, mit uns eine der ersten Bläsergruppen der Nachkriegszeit zu haben. Für einige Jäger war jedoch das Jagdhornblasen ein Brauch, den sie als „preußisch“ ablehnten. Wir mussten des Öfteren hören: „In meinem Revier will ich keinen Ton hören, da wird nicht geblasen!“

In den frühen Fünfzigerjahren feierte Kronprinz Rupprecht von Bayern seinen 85. Geburtstag. Zu diesem Anlass beorderte uns der Jagdschutzverband nach Schloss Nymphenburg, um dem hohen Herrn einen Geburtstagsgruß mit dem Jagdhorn zu bringen.

Nach Ankündigung beim Haushofmeister platzierte man uns unter dem Fenster des greisen Jubilars. Doch unser Fürstengruß konnte selbst seinem Fenster-Vorhang keine Regung abverlangen. Man servierte uns jedoch Kognak und Brasil-Zigarren, wobei ich mir mit meinen 15 Jahren schon sehr erwachsen vorkam. Doch nach diesem Genusse musste ich mich sehr zusammenreißen, die Beine waren mir schwer, und Nymphenburger Schloss und Park drehten sich beängstigend.

Als eine der ersten bayrischen Bläsergruppen wurden wir, mangels anderer Corps, im ganzen Lande herumgereicht. Wo immer es ein größeres Jubiläum zu feiern gab oder eine größere Jagdveranstaltung stattfand, wir waren sehr gefragt. Oftmals fand am darauf folgenden Tag eine Treibjagd statt. Kein Mensch störte sich damals daran, dass ich erst den Jugendjagdschein hatte, mit dem ich eigentlich keine Gesellschaftsjagd mitmachen durfte.

Auch die Amerikaner, damals noch Besatzer, forderten uns an, da ihnen das jagdliche Brauchtum der Deutschen gut gefiel. Einmal waren wir zu einer Drückjagd der Amis auf Sauen als Bläser und Treiber in den Eichstätter Forsten eingeladen. Die Jagd fand unter der Leitung bayrischer Forstbeamter statt, die aber ihrerseits keine Waffe führen durften. Besonders ein Schütze ist mir in bester Erinnerung, entsprach er doch der Klischee-Vorstellung des wilden Texaners: links und rechts baumelte ein schwerer Colt im patronen-gespickten Holster von der Hüfte. Kreuzweis’ über der Brust prahlten zwei wohlgefüllte Patronengurte für seine zwei! Schnellfeuer-Rifles. Die martialische Erscheinung krönte ein kühn geschwungener Texas-Hut. So stellte ich mir den wahren Amerikaner vor. Der Zufall wollte es, dass ich in seiner Nähe war, als eine Rotte Sauen bei ihm durchzubrechen versuchte. Als er die Schwarzkittel stangengerad’ auf sich zustürmen sah, floh er, seine Rifles von sich werfend, hinter den nächsten dicken Baum. Als dann die wilde Jagd an ihm vorbei in Richtung der parkenden Ami-Schlitten davongerauscht war, sprang er flugs zu seinen Automat-Waffen und entlud die Magazine in Richtung der Pürzel schwenkend Entschwundenen. Die Kontrolle der Fluchtfährten ergab glücklicherweise nichts, außer dass ein himmelblauer Cadillac mehrmals tiefblatt und waidwund getroffen wurde. Amerika hat für so etwas der staunenden Welt ein neues Wort beschert: „Kollateralschaden“.

Wir haben dann abends, da nichts auf der Strecke lag, das „schöne alte deutsche Jagdsignal Caddy tot“ geblasen. Ein „gemütliches Beisammensein“ nach der Jagd mit den Besatzern gab es nicht, denn jede Fraternisierung der Amis mit den „Krauts“ war seinerzeit untersagt. Das hat sich bekanntlich bald geändert. Es gipfelte in meinem Fall darin, dass mich ein amerikanischer General, natürlich ein Jäger, unbedingt adoptieren wollte.

Den festlichen Höhepunkt erlebten wir 1952, als wir die Landestagung des BJV in Rothenburg o.d.T. mit unseren Hörnern umrahmen durften. Mit meinen fünfzehn Jahren lernte ich da Jäger kennen, deren ich noch heute mit Hochachtung gedenke, wie z.B. Ulrich Scherping, den untadeligen ehemaligen Oberstjägermeister, oder Wolfgang Baron Beck, dem wir den Erhalt des Reviersystems zu verdanken haben.

Ein Jahr darauf bliesen wir dem damaligen BJV-Präsidenten, Baron Eggloffstein, das letzte Halali. Sein Sarg stand, von uns Bläsern flankiert, auf der Bühne des Münchner Krematoriums. Beim Kommando „Horn ab“ schlug einer von uns, zackig das Horn absetzend, donnernd auf den Sarg. Doch das hat den alten Waidmann nicht mehr erschüttert. Nach der Trauerfeier kam einer der Krematoriums-Angestellten ganz ergriffen zu uns, mit den Worten: „A so a scheans Halleluja hob i no nia g’heart.“ Jagdhornblasen war eben damals für weiteste Kreise etwas Neues.

Zur festlichen Premiere des Films „Der Förster vom Silberwald“ wurden wir Bläser auf der Bühne des Münchner „Filmtheaters am Karlstor“ aufgestellt. Am Rednerpult stand der damalige Landesjägermeister des Landes Salzburg, Baron Mayr-Mellnhof, in dessen Revieren der Film, der auch noch heute eine aktuelle Tendenz hat, gedreht wurde. Das Publikum bestand außer den zahlreichen Honoratioren aus ganz „normalen Leuten von der Straße“. Als uns der Baron nach langer, ausführlicher Rede das Zeichen zum Blasen gab, waren viele der „normalen Leute“ tief und sanft eingeschlummert. Doch bei den ersten Tönen des „Hohen Weckens“ schossen die Schläfer, wie vom wilden Affen gebissen, in die Höhe. Nur mit Mühe konnten wir unsere Fassung bewahren.

Zur Herbstzeit musste ich bald einen Terminkalender führen, denn die „grüne Welt“ brauchte nun für ihre wieder erlaubten Gesellschaftsjagden Bläser. Diese waren noch sehr rar. Es ging von Jagd zu Jagd, sodass meine schulischen Leistungen alle roten Warnlichter im Elternhaus aufblinken ließen. Der Abschluss des Gymnasiums war in „grüner“ Gefahr. Die Wanderjahre eines jungen Jägers mussten vorerst beendet werden.

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