Читать книгу All das ist Jagd - Gerd H Meyden - Страница 9
Der alte Drilling
ОглавлениеHoch in einer alten Weide habe ich mir einen kleinen, notdürftigen Sitz gebaut. Ganz stolz sitze ich hier, mit meinen sechzehn Jahren und mit einem druckfrischen Jugendjagdschein in der Tasche. Weit kann ich über die sommerlichen Wiesen schauen. Es ist Blattzeit, und die Augusthitze flimmert über dem Land. An vielen kleinen Stauden ringsumher hat ein Bock seinen Zorn ausgelassen und die Erlen- und Weidenbüsche haben es arg büßen müssen. Den würde ich mir allzu gerne mal anschauen. Vielleicht kann ich ihn heute mit dem Blatten betören. Drüben beim Nachbarn, beim Baron, sehe ich weit entfernt ein Reh wie suchend durch die Wiesen streifen. Das könnte doch ein Bock sein. Und tatsächlich, das Glas bestätigt meine Hoffnung. Doch er ist noch zu fern für meine verlockende Musik.
„Ach was, ich probier’s einfach!“
Und beherzt blase ich auf mein straff gespanntes Buchenblatt, was das Zeug hält.
„Hurra, er wirft auf!“
Und noch einmal ertönt überlautes Angstgeschrei einer bedrängten Rehgeiß. Da stürmt er schon heran, von wilder Eifersucht getrieben.
„Teufel, Teufel, was bin ich für ein toller Lock-Jäger!“
Doch kurz vor dem kleinen Bach, der die Reviergrenze bildet, stoppt er. Noch ist er beim Nachbarn. Innerlich flehe ich:
„So komm doch herüber!“
Ganz glatte, engstehende, hohe Spieße sind seine Wehr. Jetzt wendet er sich, er möchte wohl wieder zurück. Da wage ich ein zartes, flehendes Fiepen. Und mit einem Sprung setzt der Getäuschte über den Bach. Längst habe ich den Hahn meines Drillings aufgezogen. Wieder verhofft er, jetzt herüben in unserem Revier. Über Kimme und Korn nehme ich Maß, und der Schuss peitscht hinaus. Doch was ist das? Der Beschossene steht wie eine Scheibe. Schnell eine neue Patrone in den Lauf! Den Hahn aufgezogen und – peng! Keine Reaktion! „Herrschaftszeiten, da soll doch der schwarze Samiel dreinfahren!“
Langsam zieht der Bock ein paar Stechschritte weiter und steht wieder wie gemauert. Jetzt aber schnell! Ich fummle eine neue Patrone aus der Tasche, die leere Hülse fällt rasselnd durch die Äste in das Brennnesseldickicht am Boden. Ja, ist denn der taub? Nach dem dritten Schuss wird es ihm dann doch zu mulmig und mit weiten, hohen Fluchten springt er ab. „Sakradi!“ Doch nicht zurück, wo er hergekommen ist, sondern in unser Revier hinein. Jetzt bleibt er nochmals verhoffend stehen, äugt misstrauisch zu dem Donnerbaum zurück. Verzweifelt habe ich wieder nachgeladen. Eigentlich ist er schon viel zu weit, doch mir ist das jetzt ganz egal. Diopter hochstellen, etwas höher gehe ich ins Ziel, und auf den sorgfältig aufs Blatt gezielten Schuss haut es den Enggestellten wie vom Blitz erschlagen zusammen. Zuerst blicke ich erstaunt auf mein Feuerrohr, dann bricht Jubel aus mir heraus.
„Ich bin der Größte, ein wahrer Meisterschütze!“
Dass ich auf diese Entfernung noch treffen konnte! Ich könnte mir selbst auf die Schulter klopfen.
Jetzt hält mich nichts mehr auf meinem luftigen Sitz. Erst lasse ich an der Schnur, mit der ich ihn auch heraufgezogen habe, den Drilling zu Boden gleiten. Dann klettere ich durch’s Geäst hinab, schnappe mir meine Wunderwaffe und muss mich beherrschen, um nicht zu meiner Beute hinzurennen. Diesen Meisterschuss muss ich mir doch gleich anschauen, um meine Heldentat so recht genießen zu können. Doch wie ich dann den Erlegten auch drehe und wende, weder links noch rechts ist auf dem Blatt ein Schussmal zu finden. Da fällt mein Blick, als ich das Gwichtl anschauen will, auf einen winzigen, schweißigen Fleck unterhalb des Hauptes: Die Kugel hatte den Bock genau am ersten Halswirbel getroffen. „Na bravo!“ sage ich mir. Etwas ratlos kratze ich mir den Kopf: „Wie soll ich das nur jemandem erklären?“