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Am Wegesrand

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Ein stiller und warmer Sommerabend. Es ist eigentlich noch zu früh, um anwechselndes Wild zu erwarten. Doch ich sitze gern zeitig und lasse den Tag geruhsam ausklingen. Langsam wandern die Schatten den besonnten Berghang hinauf. Heut’ habe ich mir ein kleines Bodensitzerl am Wegesrand ausgesucht. Von hier aus kann ich einen weiten Bereich des vor mir liegenden Berges überschauen.

Ein paar Gamsjahrlinge tauchen bereits hin und wieder aus den deckenden Weißerlen, den Laublatschen auf. Heute habe ich keine „ernsten Absichten“. Vielleicht kann ich meinem Freund ein jagdbares Stück ausmachen. Die Kipplaufbüchse lehnt am Baum und mein Schweißhund sitzt aufmerksam an meiner Seite.

Plötzlich knurrt die Hündin leise und äugt nach rechts. Dort schlängelt sich der Weg bergwärts zu einer vielbesuchten Unterkunftshütte hinauf. Schon höre ich Stimmen, und um die Krümmung des Pfades tauchen zwei Wanderer auf. Bald sind sie nahe heran. Ein älterer Mann, aufrechter Haltung mit gepflegt gestutztem, weißem Vollbart. Seine Begleiterin, eine mütterlich wirkende Frau, es könnte die Seine sein. Kurz bevor sie mich erreicht haben, verhalten sie ein wenig erschreckt den Schritt. So gut gedeckt,wie ich hier sitze, bin ich erst im letzten Augenblick zu erkennen.

„Oh, Herr Jäger, haben wir Ihnen was verscheucht?“

Ich beruhige sie, es sei ja noch sehr früh am Abend. Und so kommen wir ins Gespräch.

Ich freue mich immer, wenn aufgeschlossene Menschen mit dem Jäger reden. So kann man vieles an den rechten Platz rücken. Die beiden sind voller Wissbegier, was es hier zu jagen gibt. Sie bedauern, wie eigentlich alle Spaziergänger, mit denen ich mich unterhalte, dass man kein Wild mehr sieht. Ein großes Thema. Dann erzählt mir das Paar, sie seien Vegetarier, da sie die unwürdige Behandlung des Schlachtviehs nicht unterstützen wollen. Als ich ihnen den Unterschied darlege, wie im Gegensatz dazu das Wild normalerweise „geerntet“ wird, horchen sie auf. Den Ausschlag gibt dann auch das Argument der gesunden Ernährung. Dass Wildbret das annähernd gleiche Maß an gesundheitsförderlichen Omega-3-Fettsäuren wie Fisch hat, ist ihnen neu. Und dann kommt die immer wiederkehrende Frage an den Jäger: „Warum machen Sie das?“

Schier unerschöpflich reden wir über Jagd und Natur. Die zwei sind gescheite Frager und Zuhörer, und manche ihrer Fragen machen mich nachdenklich.

Als sie sich nach gut einer Dreiviertelstunde als zukünftige Wildbretesser verabschieden, bin ich mit meinen Gedanken wieder allein.

Was hat mir das Jäger-Sein gegeben? Neben der Freude am Beutemachen die Beute selbst, wobei die Trophäe auch eine gewisse Rolle spielt. Wie viele Stunden genussvollen Erinnerns haben mir die, von Unwissenden oft verspotteten „Schädel“ gebracht. Bei jedem einzelnen Stück kommt doch die Stunde, der Tag, das Drum und Dran der Jagd wieder aus dem Schatz der Erinnerung zurück. Wie oft stehe oder sitze ich vor einer meiner Gamskrucken, Hirschgeweihe oder einem Rehgwichtl, und dann ist alles wieder da. Da ich das Erlegte immer als hochwertiges Nahrungsmittel betrachte, so ist auch das für mich ein wichtiger Gesichtspunkt. Bei mir geht das, „horribile dictu–schrecklich zu sagen“ so weit, dass ich mir im Zoo, neben dem Bewundern der schönen Tiere, oft überlege: „Ja, wie schmecken denn die?“ Doch das liegt sicher nur an meiner „Verfressenheit“.

Den größten Wert für mich als jagenden Menschen sehe ich in dem intensiven, mit jeder Faser wachen und wachsamen Leben in und mit der Natur. Niemand, auch nicht der größte Naturfreund, muss so aufmerksam sein. Es fordert ihn auch nicht in dem Maße. Als Jäger muss ich unzählige Dinge beachten: Wetter, Windrichtung, Tageszeit, Äsungsplätze, je nach Jahreszeit vermutete Einstände, Weiserpflanzen.

Ich muss die Gewohnheiten aller Tiere, auch der nicht jagdbaren, in jeder Altersstufe kennen: Wann und wo kann ich welches antreffen. Je mehr ich darüber weiß, umso farbiger, schöner und unendlich reicher wird das Erleben. Jede Pflanze sagt mir etwas. Immer wieder muss ich dafür in Büchern nachschlagen und lernen. Und dann, speziell bei der Bergjagd, ist es die körperliche Herausforderung. Hier, wie auch sonst bei der Jagd, heißt es: Der Weg ist das Ziel. Und der Weg ist das Köstlichste. Auch wenn man erst im Nachhinein, nach aller Plag und Mühe, dessen Wert erkennt. Der Schuss ist ja außer im Berg meistens der Schlusspunkt. Wie oft muss ich gerade hier erkennen, wo meine körperlichen Leistungsgrenzen sind. Sei es vor oder nach dem Schuss, wenn es ans Bergen der Beute gehen soll.

Und dann – wie oft hat mich das Jagen zur Selbstbeherrschung ermahnt, wie oft zur Geduld. Ein immer wiederkehrender, oft schmerzlicher erzieherischer Lernprozess.

Allein zu sein oder mit einem schweigsamen, gleichgesinnten Begleiter unter dem freien Himmel ungestört seinen Gedanken nachhängen zu können, ist eines der kostbarsten Geschenke, die das Jagen mit sich bringen kann.

Von einigen Stationen dieses jägerischen Weges will ich in den folgenden Blättern erzählen.

All das ist Jagd

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