Читать книгу Arthur und die Vergessenen Bücher - Gerd Ruebenstrunk - Страница 9

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Der merkwürdige Antiquar

Mit Mädchen zu verreisen, ist schrecklich. Ich weiß, wovon ich spreche, denn ich habe viele Jahre lang die Sommerferien mit meiner Cousine Christine verbringen müssen. Weil ihre Mutter nicht genug Geld für einen Sommerurlaub verdiente, hatten meine Eltern entschieden, dass Christine mit uns in Urlaub fahren konnte. "Da hat Arthur dann gleich jemanden zum Spielen", hatte meine Mutter erklärt. Hahaha.

Christine war ein Jahr älter als ich, und sie als zickig zu bezeichnen wäre noch harmlos. Sie war die Oberzicke. Und sie wurde von Jahr zu Jahr schlimmer. Ich erinnere mich noch an den letzten Sommer mit ihr. Sie war gerade zwölf Jahre alt geworden und betrachtete sich jetzt als erwachsen. Zumindest hatte sie offenbar das Gefühl, mir ständig Vorschriften machen zu müssen.

Den ganzen Tag ging es: "Arthur, das tut man nicht", "Arthur, lass doch das kindische Verhalten", "Arthur, du benimmst dich wirklich wie ein Kleinkind". Erschwerend kam hinzu, dass meine Eltern Christines Maßregelungen offenbar gar nicht übel fanden. Jedenfalls ergriffen sie kein einziges Mal für mich Partei. Im Gegenteil: "Nimm dir ein Beispiel an deiner Cousine" oder "Christine hat ganz recht" waren die Sprüche, die ich ständig zu hören bekam.

Danach entschloss ich mich, meine Sommerferien in Zukunft lieber beim Bücherwurm zu verbringen. Übrigens war das auch Christines letzter Urlaub mit meinen Eltern. Ihre Mutter hatte endlich einen neuen Mann gefunden und sie hatten jetzt genug Geld, um Christine in den Sommerferien mit einer Jugendgruppe nach Spanien zu schicken. Ich habe sie seitdem nicht mehr gesehen.

Man kann also vielleicht verstehen, warum ich nicht so scharf darauf war, mit einem Mädchen zu verreisen. Aber genau das war der Plan des Bücherwurms. Und das Mädchen war natürlich Larissa. Meine Proteste blieben erfolglos.

"Ich könnte dich oder Larissa nie allein reisen lassen", erklärte der Alte, während er den Buchladen abschloss. "Am liebsten würde ich keinen von euch losschicken, aber ich habe sonst niemandem, dem ich vertrauen kann. So könnt ihr wenigstens aufeinander aufpassen."

Er war noch etwas wackelig auf den Beinen. Auf dem Weg zu seinem Haus mussten wir alle paar Minuten anhalten, damit er seine Kräfte wieder sammeln konnte. Das gab mir die Gelegenheit, weiter nach seinem Plan zu fragen.

"Ich habe einen alten Freund in Amsterdam. Er heißt Karel van Wolfen und handelt, wie ich, mit alten Büchern. Er wird euch gewiss bei sich aufnehmen und bei euren Nachforschungen unterstützen. Sobald wir zu Hause sind, rufe ich ihn an. Ebenso wie deine Eltern."

Meine Eltern waren in Urlaub, irgendwo in der Karibik. Natürlich hatte ich ihre Handynummer, aber wohl war mir nicht bei dem Gedanken, sie anzurufen.

"Ich halte es für besser, wenn meine Eltern davon nichts erfahren", bemerkte ich in möglichst beiläufigem Ton.

Der Bücherwurm zog die Augenbrauen hoch. "Wieso das?"

"Weil ich bereits weiß, wie sie reagieren werden. Wenn wir ihnen die Wahrheit erzählen, werden sie mir die Reise mit Sicherheit verbieten. Verschweigen wir ihnen aber die wahren Hintergründe und erzählen ihnen etwas von einem kleinen Urlaub in Amsterdam, dann haben sie garantiert nichts dagegen."

Der Bücherwurm dachte einen Moment nach. "Nun gut", sagte er schließlich. "Es ist deine Entscheidung." Er lächelte mich verschwörerisch an. "Und ich muss zugeben, sie passt mir ganz gut in den Plan."

"Was sollen wir denn in Amsterdam machen?", wechselte ich das Thema.

"Das müsst ihr vor Ort entscheiden. Leider sind die Hinweise, die ich habe, sehr vage. Das Buch kann sich in Amsterdam befinden oder auch nicht. Unter Umständen handelt es sich sogar um eine falsche Fährte und es gibt gar keine Spur. Dann seid ihr wenigstens zu einem kleinen Urlaub gekommen."

Der Bücherwurm berichtete, der Hinweis auf das Buch sei von seinem Freund van Wolfen entdeckt worden. Der könne uns die Einzelheiten mitteilen. "Sein Geschäft befindet sich eigentlich in Leeuwarden. Vor einigen Monaten hat er allerdings ein Antiquariat in Amsterdam übernommen, das zum Glück noch nicht unter seinem Namen läuft und unseren Gegnern daher nicht bekannt sein dürfte. Ihr werdet bei ihm also einigermaßen sicher sein."

Zu Hause angekommen, informierten wir zuerst Larissa über unser Vorhaben. Sie hatte, im Gegensatz zu mir, überhaupt keine Bedenken. "Toll!", rief sie. "Das wird ein richtiges Abenteuer! Und nur wir beide, Arthur! Wir werden das Buch finden und in Sicherheit bringen."

Der Bücherwurm bemühte sich, den Ehrgeiz seiner Enkelin zu bremsen - vergeblich. Larissa malte sich bereits in allen Einzelheiten aus, wie wir durch dunkle Gassen schleichen und in verstaubten Kisten nach dem Buch suchen würden, um es dann in wilden Verfolgungsjagden dem Zugriff unserer Gegner zu entziehen.

Ich überließ sie ihren Fantasien und begab mich an meinen PC, um noch schnell einige Informationen über Amsterdam zu bekommen. Ich lud ein paar Seiten über die Geschichte der Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten herunter und schickte sie auf mein Smartphone.

Während der Bücherwurm mit van Wolfen telefonierte, packten wir unsere Sachen. Larissa bot mir einen ihrer kleinen Rollkoffer an, aber ich lehnte ab und entschied mich lieber für die große Sporttasche, die ich von zu Hause mitgebracht hatte. Damit konnte man sich besser bewegen. In dieser Beziehung dachten Mädchen einfach nicht praktisch genug.

Kaum hatte ich meine Tasche geschlossen, da tauchte auch schon der Bücherwurm in der Tür auf. "Wir müssen los", drängte er. "Euer Zug geht in einer Stunde."

Er sah deutlich erholter aus als auf dem Heimweg. Die Aktivität schien ihm gut zu tun. Ein paar Sekunden später stand ich unten im Flur, wo er und Larissa bereits auf mich warteten.

Ich hatte meine Jeans angelassen und lediglich ein Sweatshirt über mein T-Shirt gezogen. Larissa trug eine olivgrüne Cargohose, deren zahlreiche Seitentaschen offenbar alle befüllt waren. Darüber steckte sie in einem langärmeligen dunkelblauen Sweatshirt mit dem Spruch Albert didn't know shit und dem Kopf von Albert Einstein darunter. Zum ersten Mal fiel mir auf, dass sie eigentlich gar nicht so übel aussah. Ihre Haare waren vielleicht ein Stück zu kurz, aber sonst …

Wir luden unser Gepäck in den Kofferraum des zerbeulten Kleinwagens, der aussah, als sei er so alt wie sein Besitzer, und stiegen ein. Der Bücherwurm brauchte mehrere Versuche, bis er den Motor stotternd zum Laufen brachte.

"Hoffentlich reicht der Sprit noch", murmelte er, während er das Gaspedal ein paarmal durchdrückte und den Motor aufheulen ließ. Dann konnten wir endlich losfahren.

Ich saß auf der Rückbank und vertiefte mich in einen Reiseführer von Amsterdam, den ich in der Bibliothek des Bücherwurms aufgestöbert hatte. Er war zwar schon einige Jahre alt, enthielt aber immer noch eine Reihe von nützlichen Informationen. Larissa, die auf dem Beifahrersitz saß, löcherte den Bücherwurm mit Fragen zu den Vergessenen Büchern, die er aber nur ausweichend beantwortete. "Das kann euch van Wolfen alles erzählen", war sein Standardsatz.

Als wir am Bahnhof angekommen waren, zog er seine Brieftasche hervor und gab jedem von uns 300 Euro. "Als Reserve für unvorhergesehene Fälle", erklärte er.

"Was sollen denn das für Fälle sein?", fragte ich misstrauisch.

"Ich weiß nicht", erwiderte er. "Aber es kann nie schaden, etwas mehr Geld in der Tasche zu haben. Ihr müsst es ja nicht alles ausgeben."

Dann zog er eine Visitenkarte hervor und reichte sie mir. "Hier sind die Anschrift und die Telefonnummer von van Wolfen. Er kann euch leider nicht vom Bahnhof abholen, aber bis zu seinem Geschäft ist es nicht weit."

Wir gingen in den Bahnhof. Der Bücherwurm kaufte unsere Fahrkarten und brachte uns zum Gleis.

"Seid vorsichtig", sagte er. "Das Buch ist zwar wichtig, aber ihr seid mir viel wichtiger. Wenn ihr das Gefühl habt, die Sache wird zu gefährlich, dann zieht euch zurück."

Das war wieder eine dieser Bemerkungen, die mich stutzig machten. Welche Gefahr sollte das sein, die uns drohte? Gab es da etwas, das er uns verschwieg?

Larissa schien der Satz des Bücherwurms nicht aufgefallen zu sein. Sie umarmte ihren Großvater und drückte ihn. Ich schüttelte ihm die Hand. Dann lief auch schon der ICE in den Bahnhof ein. Wir hievten unsere Taschen durch die Tür und warteten im Gang zwischen den Waggons, bis der Zug sich in Bewegung setzte. Larissa winkte dem Bücherwurm, der einige Schritte neben dem Zug herging, eifrig zu, und auch ich hob im Hintergrund meine Hand für einen Gruß. Dann beschleunigte der Zug, und wenige Sekunden später hatten wir den Bahnhof hinter uns gelassen.

Wir machten uns auf, nach ein paar freien Plätzen zu suchen, denn wegen unserer kurzfristigen Abreise hatten wir keine Reservierungen mehr bekommen. Wie wir schnell feststellen mussten, war der Zug bis auf den letzten Platz gefüllt. Während Larissa mit ihrem Rollkoffer elegant durch den Gang manövrierte, blieb ich mehr als einmal mit meiner riesigen Sporttasche an einem Sitz hängen. So viel zum Thema Coolness.

Wir marschierten durch die langen ICE-Waggons, bis wir den Speisewagen erreichten. Jeder Tisch war besetzt. "So ein Pech", stöhnte ich und ließ entmutigt meine Tasche auf den Boden sacken.

Am Tisch direkt vor uns saß nur ein einziger Mann. Er war kahl und dick und trug ein in verschiedenen Brauntönen grob kariertes Sakko. Er blätterte in einem ledergebundenen Buch, dessen Alter ich spontan auf etwa zweihundertfünfzig bis dreihundert Jahre schätzte. Ich hatte beim Bücherwurm genügend alte Bücher gesehen, um viele davon auf den ersten Blick identifizieren zu können.

Der Mann musste uns wohl bemerkt haben, denn er blickte von seiner Lektüre auf.

"Diese Plätze sind noch frei", sagte er lächelnd und wies auf die unbesetzten Stühle an seinem Tisch.

Es war ein Lächeln, das mir nicht gefiel. Es erinnerte mich an meinen Mathematiklehrer im fünften Schuljahr, der immer dann sein jovialstes Gesicht aufsetzte, bevor er einen von uns an der Tafel vor der ganzen Klasse fertigmachte. Larissa schien meine Bedenken nicht zu teilen, denn sie nickte sofort freundlich.

"Prima", sagte sie. "Vielen Dank." Sofort schob sie ihren Reisekoffer hinter den Stuhl am Fenster, winkte mir auffordernd zu und setzte sich. Was blieb mir anderes übrig? Außerdem war es immer noch besser, als die ganze Reise bis Amsterdam zu stehen. Also folgte ich ihrem Beispiel und ließ mich in den Stuhl neben ihr fallen.

Der Mann klappte das Buch zu und wickelte es vorsichtig in ein Ledertuch ein. "Ein sehr wertvolles Stück", bemerkte er beiläufig.

"Frankreich, 18. Jahrhundert", fuhr es mir ganz spontan heraus.

Der Mann hielt mit dem Einwickeln inne und blickte mich an. Er zog erstaunt die Augenbrauen hoch.

"Ausgezeichnet, junger Mann. Du scheinst dich ja wirklich auszukennen."

Ich ärgerte mich über meine Voreiligkeit. "Das war mehr geraten als gewusst", versuchte ich den Eindruck zu korrigieren, den ich gemacht hatte, und fügte lahm hinzu: "Mein Vater hatte einige alte Bücher aus Frankreich."

Unser Gegenüber wickelte sein Buch zu Ende ein und verstaute es in einem Pilotenkoffer, der neben seinem Stuhl stand.

"Amsterdam ist ein Paradies für Sammler alter Bücher", sagte er. "Wer etwas sucht, wird es dort gewiss finden. Und wer etwas verkaufen will, findet mit Sicherheit einen Abnehmer."

"Sind Sie ein Büchersammler?", fragte Larissa.

"Seitdem ich denken kann." Der Mann winkte dem Kellner. "Und wie ich sehe, teilt zumindest dein Freund meine Leidenschaft."

Der Kellner, der an unseren Tisch trat, rettete mich davor, eine Antwort geben zu müssen. "Ich möchte noch einen Kaffee", sagte der Dicke. "Und für meine Begleiter hier …" Er blickte uns fragend an.

"Wir können für uns selber bezahlen", sagte ich schnell.

Der Mann hob abwehrend die Hände. "Das habe ich nicht bezweifelt. Trotzdem würde ich euch gerne einladen."

Der Kellner wurde langsam unruhig. Larissa bestellte einen Apfelsaft, ich nahm eine Cola. Als er weg war, lehnte sich der Dicke über den Tisch zu uns hin.

"Und was habt ihr in Amsterdam vor? Ihr seid ja noch ein wenig jung, um allein Urlaub zu machen. Da werdet ihr wohl jemanden besuchen?"

"Wir fahren zu einem Freund meines Großvaters", sagte Larissa.

"Aha." Das Lächeln auf dem Gesicht des Dicken war wie festgefroren. "Wo in Amsterdam wohnt der denn?"

Bevor Larissa etwas antworten konnte, trat ich ihr unauffällig gegen den Unterschenkel. Naja, mein Tritt war vielleicht unauffällig, ihre Reaktion darauf war es nicht.

"Aua!", rief sie. "Wieso trittst du mich?"

"Das war ein Versehen", entschuldigte ich mich. "Tut mir leid."

Sie war mit der Erklärung zufrieden, unser Gegenüber allerdings nicht. Er lächelte zwar noch immer, aber seine Augen schienen mich durchbohren zu wollen.

"Sie wollen also in Amsterdam Bücher kaufen und verkaufen?", fragte ich schnell.

Der Mann lehnte sich zurück. "So ist es. Mein Name ist Hammer. Hermann Hammer." Aus der Brusttasche seines Sakkos zog er eine Visitenkarte hervor und schob sie uns über den Tisch. Hermann Hammer, An- und Verkauf von alten Büchern stand darauf. Und eine Adresse in Frankfurt.

"Und wie heißt ihr?", fragte er.

"Larissa Lackmann", antwortete Larissa, noch bevor ich sie daran hindern konnte.

"Arthur Schneider", ergänzte ich resigniert.

"Ich kannte mal einen Lackmann", sagte der Dicke. "Er handelte auch mit antiquarischen Büchern. Ist er vielleicht verwandt mit dir?"

"Das ist mein Opa", strahlte Larissa. Ich sank innerlich in meinem Stuhl zusammen. Wir waren kaum eine halbe Stunde unterwegs, uns sie erzählte dem ersten Fremden gleich ihre gesamte Lebensgeschichte! Fehlte nur noch, dass sie ihm von unserem Auftrag berichtete.

Der Dicke schien meine Reaktion nicht zu bemerken. "Ja ja, der alte Lackmann", sinnierte er. "Er hatte damals einen ausgezeichneten Ruf."

"Was heißt hatte?", fragte Larissa.

"Ich weiß nicht, ob ich das erzählen soll", zierte sich Hammer. "Schließlich bist du seine Enkelin und könntest das falsch auffassen."

Ich durchschaute seine Taktik, aber Larissa fiel prompt darauf herein. "Ich bin kein Kleinkind mehr", protestierte sie.

"Na gut." Hammer räusperte sich. "Es gab damals eine Reihe von Gerüchten. Lackmann soll irgendwelche alten Bücher aus Holland herausgeschmuggelt haben, die eigentlich für ein Museum bestimmt waren. Seitdem kann er nicht mehr in die Niederlande reisen, weil man ihn dort sofort festnehmen würde."

"Das kann ich mir nicht vorstellen", widersprach Larissa. "So etwas würde mein Opa nie tun."


"Wie gesagt, es sind ja auch nur Gerüchte", beschwichtigte Hammer und fügte schmeichlerisch hinzu: "Ich habe das auch nie geglaubt. Allerdings muss ich zugeben, dass sich Lackmann ziemlich merkwürdig verhielt, als er von Kollegen bei einem Kongress darauf angesprochen wurde. Er erzählte etwas von einem Missverständnis und einem Irrtum der Justiz, was nicht sehr glaubhaft klang.“

Obwohl ich dem Mann nicht traute, fielen seine Worte bei mir auf fruchtbaren Boden. Schließlich war auch ich mir nicht sicher, ob die Geschäfte des Bücherwurms wirklich immer legal waren. Und woher konnte ich schon wissen, ob das, was er mir über diese Vergessenen Bücher erzählt hatte, auch wahr war? Die Geschichte konnte genauso gut frei erfunden sein. Aber würde er seine Enkelin wegen irgendwelcher krummen Geschäfte in Gefahr bringen? Das konnte ich mir nun auch wieder nicht vorstellen.

Larissa schien das ebenso zu sehen. "Wenn mein Opa das erzählt hat, dann wird es auch stimmen", sagte sie mit Bestimmtheit. "Und dass er nicht nach Holland einreisen darf, halte ich ebenfalls für frei erfunden."

"Und warum schickt er dann euch los?", wollte Hammer wissen.

"Weil er selber …", begann Larissa, bevor ich sie eilig unterbrach.

"Erstens hat Herr Lackmann uns nirgendwo hingeschickt", erklärte ich. "Wir fahren nach Amsterdam, um dort bei einem seiner Freunde Urlaub zu machen. Das ist alles. Und zweitens hätte er uns natürlich begleitet, wenn er nicht plötzlich krank geworden wäre. So war das ursprünglich auch geplant. An Ihren Vermutungen und Gerüchten ist also nichts dran."

"Hey!", Hammer hob abwehrend die Hände. "So habe ich das auch nicht gemeint. Ich habe doch nur wiederholt, was andere so erzählen."

"Dann wissen Sie ja jetzt, wie die Dinge wirklich stehen", sagte ich.

Wir wurden vom Kellner unterbrochen, der unsere Getränke brachte. Ich nutzte die Gelegenheit, um meinen Reiseführer hervorzuziehen. Der Zug hatte die Grenze nach Holland bereits überquert und lief soeben in den Bahnhof von Arnhem ein.

Hammer verstand meinen Hinweis. Er zog eine Rare Book Review aus seinem Pilotenkoffer, ein englisches Fachmagazin, das auch der Bücherwurm abonniert hatte, und vertiefte sich in den Inhalt. Larissa war über diese schnelle Änderung der Situation sichtlich überrascht. Ich kramte meine Internet-Ausdrucke aus dem Seitenfach meiner Sporttasche hervor und schob sie ihr hin. Sie wollte erst etwas sagen, überlegte es sich dann aber anders und begann ebenfalls zu lesen.

Ich war überzeugt davon, dass unser Gegenüber nicht zufällig in diesem Zug saß. Aber wie hatte er herausgefunden, dass wir nach Amsterdam fahren würden? Noch vor wenigen Stunden wussten wir selber ja noch nicht einmal davon. War mein Misstrauen vielleicht übertrieben?

Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, während ich versuchte, mich auf den Text des Reiseführers zu konzentrieren. Kurz bevor wir Utrecht erreichten, packte Hammer seine Zeitschrift weg und winkte dem Kellner.

"Ich muss euch jetzt leider verlassen", erklärte er, nachdem er den Kellner um die Rechnung gebeten hatte. "Wir sind jetzt gleich da, und mein Mantel hängt noch an meinem Platz im anderen Wagen. Vielleicht sehen wir uns ja in Amsterdam."

Trotz meiner Proteste bezahlte er auch unsere Getränke und erhob sich von seinem Platz. Er war erstaunlicherweise kleiner als ich. Ich konnte mühelos die Oberfläche seines blank polierten Schädels sehen.

Er streckte Larissa seine feiste Hand hin. "Viel Spaß in Amsterdam, Kleine. Und wenn du deinen Großvater siehst, dann grüß ihn von mir."

Nachdem er ihre Hand geschüttelt hatte, war ich an der Reihe. Ich verspürte einen Widerwillen, ihn zu berühren, nahm aber trotzdem kurz seine Hand. Wie ein Schraubstock schlossen sich seine Finger um meine. Er trat an mich heran, sodass sein Gesicht nur noch wenige Zentimeter von mir entfernt war.

"Du bist ein kluger Bursche, Kleiner", zischte er. "Aber denk daran: Zu viel Klugheit hat schon manchen in Schwierigkeiten gebracht. Und das willst du doch sicher nicht. Vor allem nicht für deine hübsche Begleiterin."

Ehe ich etwas erwidern konnte, ließ er meine Hand los und richtet sich auf. Jetzt war er wieder ganz der joviale Geschäftsmann von vorhin. "Gute Reise noch", rief er. Dann verschwand er im nächsten Wagen.

Ich rieb mir die schmerzende Hand. Da, wo er zugedrückt hatte, wies sie überall rote Flecken auf.

"Ein netter Mann", sagte Larissa, die von seinen Worten nichts mitbekommen hatte.

"Klar", erwiderte ich. "So nett wie die Schlange, bevor sie das Kaninchen verschluckt."

Darauf sagte sie ausnahmsweise mal nichts, und den Rest der Fahrt saßen wir beide schweigend über unserer Lektüre.


Arthur und die Vergessenen Bücher

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