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Musikalische Voraussetzungen

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Will man das Singen zu seinem Beruf machen, so ist das nur sinnvoll, wenn man auch über eine »schöne« Stimme, ein wohlklingendes Stimmmaterial verfügt. Mit einer geeigneten Stimme erschließt sich der Sänger die Musik, er lebt fortan beruflich in einer Welt der Musik. Um sich in dieser wunderbaren Welt auch angemessen bewegen zu können und ihre Räume, ihre Tiefe und ihre unermessliche Vielfalt auch erfahren und begreifen zu können, bedarf es der Musikalität. Darunter versteht man eine teils angeborene, teils erlernbare Fähigkeit, musikalische Zusammenhänge in ihren Erscheinungsformen erkennen, einordnen und wiedergeben zu können. Diese Zusammenhänge setzen sich hauptsächlich aus den drei Grundelementen der Musik zusammen: aus dem Rhythmus, der Melodie und der Harmonik. Da aber Musik aus zeitlichen Abfolgen und Abläufen besteht, gehört zur Musikalität auch die Gabe, diese zeitliche Dimension der Musik richtig aufzufassen. Darüber hinaus nicht nur Musik im Augenblick und während der Abläufe ihres Erklingens zu verstehen, sondern diese abstrakten musikalischen Gebilde auch im Gedächtnis speichern zu können, bedeutet ebenfalls einen wesentlichen Teil dessen, was man unter Musikalität versteht. Dazu zählt des Weiteren die Gabe, mit einem musikalischen Material umgehen zu können, z. B. im Rahmen der Improvisation. Die Fähigkeit, musikalisch improvisieren zu können, lässt sich geradezu als Gradmesser für Musikalität verstehen. Hier zeigt sich bei jungen Musikern manchmal ein überraschend spontanes, meist unbewusstes Vermögen, sich kreativ in musikalischen Rahmenbedingungen zu artikulieren – bewundernswert die diesbezüglichen Innovationen, die manchmal von jungen Rock- und Popformationen und Bands ausgehen! In den guten Gruppen dieses Genres kann sich Überzeugung beim Publikum und Erfolg ohnehin nur einstellen, wenn die Voraussetzung hoher Musikalität sowohl bei den einzelnen Musikern als auch in deren kollektivem Zusammenwirken gegeben ist.

Bei einem Opernsänger ist eine hochentwickelte Musikalität ebenso Voraussetzung für seine Durchsetzungsfähigkeit im Beruf. Ohne sie wird er auf der untersten Sprosse der Erfolgshierarchie stehen bleiben müssen, wenn er sich überhaupt in diesem Beruf halten kann. Gerade in der Oper habe ich manchmal Fälle erlebt, dass junge Menschen mit einer gottbegnadet schönen Naturstimme zum Vorsingen angetreten sind, dabei aber musikalisch mit größter Unbedarftheit geschlagen waren. So folgten dann meist quälend lange und frustrierende Versuche, die Musikalität zu wecken oder sie zu »erlernen« – überwiegend nicht von Erfolg, zumindest nicht von einem anhaltenden, gekrönt.

Der Sänger hat nicht, wie sonst alle anderen Musiker, ein »externes« Instrument, vielmehr ist seine Stimme das ihm zur Verfügung stehende Musikinstrument. Es kann nur einen jeweils einzelnen Ton sowie Tonfolgen hervorbringen. Die Stimme bringt keine harmonischen Zusammenklänge wie z. B. das Klavier hervor. Daher empfiehlt es sich für einen Opernsänger, ein Musikinstrument zu erlernen, das akkordliches Spiel ermöglicht, damit sich seine harmonische Vorstellungskraft weiterbilden kann und er die Funktionen der Harmonielehre im praktischen Umgang sich zu eigen machen kann. Das Klavier ist dafür das ideale Instrument. Bei einem Hochschulstudium im Gesang wird ohnehin das Klavierspiel gefordert und benotet. Aber es empfiehlt sich dringend, mit dem Klavier sich schon in jungen Jahren, parallel zur frühen Gesangs- und Stimmentwicklung, vertraut zu machen, um musikalische Zusammenhänge leichter erkennen zu können.

Es gibt in diesem Zusammenhang auch noch einen psychologischen, genauer gesagt einen »stimmpsychologischen« Aspekt, der bei Sängern eine nicht unbedeutende Rolle spielt: die geistige Vorstellung vom Ton, seiner Entstehung und seiner Verortung. Der gesungene Ton entsteht im Kehlkopf, also an unsichtbarer Stelle. Im Kehlkopf gibt es keine »Klaviatur« oder kein »Griffbrett«, auf dem man den Ton »dingfest« machen könnte. Man kann die sichtbare Taste auf dem Klavier immer wieder anschlagen, immer wieder wird sich zuverlässig der gleiche Ton einstellen und hörbar werden. Bei der Stimme »fühlt« man nur, wo der Ton entsteht, zuverlässig im Sinn einer physikalischen Repetition wie beim Klavier ist er nicht abrufbar. Er wird auch immer wieder einmal in verschiedenen Schattierungen und Farben erklingen, mal schöner, mal weniger gelungen, am Morgen meistens anders als am Abend. Die Entstehung des gesungenen Tons liegt in einem nur subjektiv »gefühlten« Raum. In ihm gibt es keine Garantien, ob und wie der Ton entsteht. Beim erfahrenen Sänger hat sich zwar im Laufe der Zeit durch jahrelange Wiederholungsvorgänge eine physiologische Sicherheit in Hinblick auf das Gefühl für seine Singstimme eingestellt, derart, dass er ohne große Probleme mit ihr auch umgehen und sich auf sie »verlassen« kann. Aber mehrfach habe ich erlebt, dass Opernsängern, obwohl sie eine Vorstellung noch ohne Anzeichen einer stimmlichen Beeinträchtigung begonnen hatten, plötzlich die Stimme »wegblieb«, sie konnten keinen Ton mehr hervorbringen, die Vorstellung musste abgebrochen oder durch einen anderen Kollegen in dramatischer Weise »gerettet« werden.

Der Produktion eines gesungenen Tons geht eine ungeheure Leistung des Gehirns voraus: Dort manifestiert sich zuerst einmal der Wille, einen Ton hervorzubringen. Die Physiologie des Kehlkopfs und der beteiligten Muskeln wird dann entsprechend disponiert. Dann bedarf es einer geistigen Vorstellung von dem Ton, den man nun singen will. Hier spielen sich komplexe und ans Unbegreifliche grenzende Vorgänge im Gehirn ab. Allein, dass unser Gehirn die geistige Vorstellung eines ganz bestimmten Tons oder gar Klanges hervorbringen kann, ist etwas Grandioses. Wie kann das Gehirn Töne und Klänge speichern? Wie können wir diese Speicherung wieder abrufen? Es ist außerordentlich spannend, sich über solche Themen in entsprechender Fachliteratur zu informieren.8

Die primäre Erzeugung eines Gesangtones unterscheidet sich also völlig von der Art und Weise, wie ein Klavierton rein physikalisch entsteht und hervorgebracht wird. Eine psychologische Verbindung in unserer Vorstellung aber zwischen einem Ton, den wir singen wollen, und einem Ton, der durch eine Tastatur hervorgebracht, damit sozusagen als örtlich und dinglich determiniert scheint, ist für die Praxis des Singens von nicht zu unterschätzendem Vorteil. Eine frühe Parallelentwicklung von Klavierspiel und Gesangsausbildung ist jedem, der diesen Beruf ergreifen will, anzuraten. Die geistige Vorstellung von der Verortung von Tönen sowie eine allgemeine Musikalität als unabdingbare Voraussetzungen für den Sängerberuf werden dadurch nur gefördert.

Traumberuf Opernsänger

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