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Physische Voraussetzungen

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Wir leben in einer Zeit, die in hohem Maß von Visualisierung geprägt ist. Bilder bestimmen unseren Alltag, unser Leben. Nie zuvor in der Geschichte wurden so viele Bilder produziert und mit ihnen Botschaften übermittelt wie in den letzten Jahrzehnten. Dabei sind die Botschaften der Werbe- und Konsummedien weniger informativer oder sachlicher Natur, sondern in erster Linie dienen sie einer emotionalen Sendung, und ihre Aufbereitung folgt konsequent den stets wechselnden ästhetischen Trends und Kanons. Die Bildpräsenz in allen Bereichen des öffentlichen Lebens, forciert durch eine sich ständig steigernde Verfügbarkeit zeitgleicher Informationen, prägt unsere Zivilisation, unsere Kultur und unser Leben mehr, als wir es wahrhaben wollen. Vor allem die Bildkultur, und hier natürlich in erster Linie die Omnipräsenz der Fotografie, hat auch unser Menschenbild verändert bzw. unsere Vorstellung davon. Das Bild vom Menschen orientiert sich heute weitgehend an Idealtypen, die durch die Bildindustrie geschaffen werden. Mode und Medien geben vor, was für den Rest der Welt als schön, was als »in oder out«, was ästhetisch als erstrebenswert zu gelten hat. Ganze Industrien entstanden, um dem Menschen zu verheißen, auf welche Weise er diesen bildlichen Vorgaben sich annähern oder diese gar erreichen könnte. Natürlich vollzieht sich der Abgleich zwischen den schon fast ins Irreale entschwebenden Ästhetikentwürfen der Schönheitsindustrie und den sogenannten »normalen« Menschen nicht zu Hause vor dem Badezimmerspiegel. Vorzugsweise die Prominenz in den bunten Blättern, sei sie aus Sport, Mode, Medien, Film oder Politik, wird williges und sich anbiederndes Opfer für den täglichen Testlauf des Vergleichens, wer als Typ, als Figur, als Person oder als Milieusymbol noch auf der Top-Ten-Liste der neuesten Lifestyle-Skala anzutreffen sei.

Auch vor der Künstlerprominenz im Musik- und Theaterbetrieb machte diese Entwicklung nicht halt. Auch hier bevölkern zunehmend die »Schönen« und »Attraktiven« die einschlägigen Publikationen und stehen im Fokus von Medienstrategien. Hatten in der Vergangenheit der Operngeschichte die Karikaturisten den »Operntenor« oder die »Operndiva« als sich durch eklatante Übergewichtigkeit und durch dürftige und klischeehafte Ausdrucksgestik auszeichnende Typen stilisiert, so hat sich in den letzten Jahrzehnten dieses Bild auf den Opernbühnen deutlich gewandelt. Auch hier orientiert sich der Besetzungstrend hin zum schönen, attraktiven und szenisch »glaubwürdigen« Sänger. Damit lassen sich manchmal auch Defizite des Gesangs kompensieren. Denn es ist eine bekannte Tatsache, dass der Mensch auch mit den Augen hört. Das beste Beispiel für die »schöne Sängerin« bietet in den letzten Jahren die großartige Sopranistin Anna Netrebko. Sie ist eine wunderbare Künstlerin und singt auch sehr schön. Aber dennoch gründet sich ihre Nachfrage mehr auf das einmalige Zusammenspiel ihrer körperlichen Schönheit mit ihrer Bereitschaft, sich aktiv medial vermarkten zu lassen, als ausschließlich auf ihre gesanglichen Leistungen.5 Denn es gab Vorstellungen mit ihr, in denen man sich fragte, woher die Irrationalität rühre, die Menschen in schiere Verzückung versetzt, obwohl sich auf der Bühne keineswegs exorbitante musikalische Ereignisse registrieren ließen. Den Inbegriff des Stars erfüllt Anna Netrebko auf ideale Weise, gerade weil die Bewunderung ihrer Person auch in ziemlich operfernen Kreisen – allerdings durch Marketingaktivitäten schon bis an die Grenze zur Peinlichkeit getrieben – sich eben nicht nur auf Kunst bezieht, sondern von einem zusätzlichen irrationalen, gleichwohl ästhetischen Aspekt körperlicher Schönheit getragen wird. Festzustellen bleibt, dass die auffallende Schönheit dieser Frau auf der Opernbühne zu einer Chiffre eines Paradigmenwechsels in der Opernästhetik geworden ist. Denn das visuelle Erscheinungsbild einer Opernsängerin bestimmte in den letzten zwanzig Jahren graduell mehr und mehr die Besetzungspraxis in den Opernhäusern mit und gewann an Bedeutung für eine allgemeine ästhetische Ausrichtung der Bühnenarbeit. Vor allem die konzeptionellen Intentionen der Regisseure haben wesentlich dazu beigetragen, den Typ der Opern-Heroine und die Karikatur des übergewichtigen Opernsängers früherer Zeiten zurückzudrängen.

Die Kulturhistorikerin und Buchautorin Eva Gesine Baur hat in einem sehr informativen und witzigen Beitrag über übergewichtige Opernsängerinnen die These vertreten, die Oper suche heute ihre Glaubwürdigkeit darin, die Idealfiguren der Opernlibretti mit Sängerschönheiten à la Netrebko zu besetzen, wobei damit aber gleichzeitig die der Oper eigene Magie und ihre grundsätzliche Illusionsstruktur verloren gehen würden.6 Diese Meinung ist journalistisch und sicher zu kurz gegriffen. Zweifellos haben in der Vergangenheit die Oper und ihre Glaubwürdigkeit nicht darunter gelitten, wenn stark beleibte Opernsängerinnen, die zum Teil ihr jugendliches Alter nur noch auf Fotografien legitimieren konnten, junge, verführerische Frauen darstellen sollten. Es hätte aber der Oper auch in keinem Fall geschadet, wenn statt dieser reiferen Damen schlanke und attraktive, junge Schönheiten auf der Bühne gestanden hätten. Es handelt sich hier weniger um eine Glaubwürdigkeitskrise der Oper als um einen Wandel unserer visuellen ästhetischen Rezeptionserwartungen. Diese werden eben von Bereichen außerhalb der Oper in den Alltagsbereichen der Mode, der Kosmetik und des Lifestyle aufgebaut und beeinflussen indirekt alle anderen ästhetischen Werturteile, die wir vornehmen. Wie Naturwissenschaftler festgestellt haben, stellen sich diese Bewertungen in Sekundenschnelle bei der visuellen Begegnung zwischen Menschen ein. Sympathie und Antipathie, Gleichgültigkeit und Interesse, Hochschätzung und Ablehnung als Grundlage für die Einschätzung fremder Menschen entstehen zum großen Teil dadurch, ob sich ein visuell-ästhetischer Eindruck, den wir bei der ersten Begegnung mit ihnen gewinnen, in unsere Bewertungsstrukturen, die wir in uns tragen, positiv, neutral oder negativ abgleicht.

So auch in der Oper. Diese hat uns in ihrer Geschichte stets eine visuelle Scheinwelt vorgestellt. Die Kraft und die Magie der Musik hat dann in dieser optischen Scheinwelt eine zweite Wirklichkeit, einen Kunstraum entstehen lassen, der seine eigenen Gesetze schuf und der theatrale Behauptungen aufstellte, die wir als Zuschauer uns zu akzeptieren auch bereitfanden und nach wie vor bereitfinden. Die visuelle Scheinwirklichkeit der Bühne ist, neben der musikalischen, ein konstitutives Element der Oper. Insofern liegt es nicht im Bereich des Nebensächlichen, auch den visuellen Erwartungshaltungen des Menschen von heute Aufmerksamkeit zu schenken. Das bedeutet für die Besetzungsbüros der Opernhäuser eben auch den Blick auf die körperliche Statur der Sänger. Das ist durchaus legitim – vor allem, wenn wir bedenken, dass beim Film alles andere undenkbar wäre.

Für junge Sänger heißt das aber, neben ihrer musikalischen und sängerischen Ausbildung auch ihr äußeres Erscheinungsbild stets kritisch zu beobachten. Eine »normale« Figur – was immer man darunter und mit welchen flexiblen Grenzen auch verstehen mag – wird in jedem Fall hilfreich für eine Sängerkarriere sein. Kommt man dann obendrein noch gewissen Idealvorstellungen von Schönheit entgegen, so kann man das nur als eine Gnade der Geburt betrachten und alles tun, so lange wie möglich aus diesem Kapital berufliche Zinsen zu ziehen. Dies gilt keineswegs nur für Sängerinnen. Auch bei den Herren gibt es Gestalttypen, die sich bühnenmäßig günstiger darstellen als andere. Eine aufrechte Körperhaltung, freier Blick, sicheres Auftreten, alerte Bewegungsfähigkeit und ein natürliches körpersprachliches Repertoire sollen jedem jungen Opernsänger als unverzichtbare Zielpunkte seiner Ausbildung gelten. Obendrein sind diese genannten Komponenten eines äußeren Erscheinungsbildes überwiegend erlernbar. »Far una bella figura«, sagt der Italiener, »eine gute Figur machen« – dies stellt sicher für die Lebensbewältigung als solche einen guten Rat dar. Aber eine gute Figur »haben« ist für Bühnenkünstler, egal ob Mann oder Frau, ebenso eine wichtige Voraussetzung für Akzeptanz und Erfolg auf dem Berufsweg. In der Oper die Qualität der Stimme gegen das äußere Erscheinungsbild eines Sängers oder einer Sängerin zu stellen, ist müßig und letztlich nur für Journalisten oder Musikkritiker noch ein Thema. Denn allemal finden überhaupt nur jene Sänger auf die Opernbühne, die eine akzeptable Stimme haben. Erfüllen sie dann noch wichtige äußere Kriterien ihres Auftretens, so ist das hilfreich und ein Geschenk für sie und das Publikum gleichermaßen. Und wenn sie wegen erkennbarer künstlerischer Qualitäten dann in die erste Liga des Sängermarktes aufsteigen können, so schadet es nicht, wenn sie dabei auch noch gut aussehen.

Traumberuf Opernsänger

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