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Eine Reise in die Vergangenheit

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Wer nach dem sonnigen Agadir fliegt, wird vom orientalischen Flair wenig erblicken. Die Stadt war im Jahre 1960 fast völlig durch ein Erdbeben zerstört worden.

Im trockenen Betonstil wieder erbaut, bietet sie heute den son- nenhungrigen Touristen Wärme, relativ sauberes Meer und in- zwischen teuer gewordenes Essen.

Bert und Zippi hatten sich wagemutig entschlossen, einen Blick in die Vergangenheit zu riskieren. Ein klappriger Fiat Uno brachte sie und ihren neuen Freund auf glühendem Asphalt, vorbei an staubigen Straßendörfern, in Richtung Ouarzazate. In lange Kleider gehüllte Menschen liefen geschäftig zwischen den Autos hindurch, ohne sich besonders der Gefahr bewusst zu sein.

Mit großartigen Landschaften kann das Flachland nicht auf- warten. Sie passierten endlose Agrargebiete der Küstenniede- rungen, sahen hungrige Ziegen auf Bäumen weiden und son- nenverbrannte Früchtehändler, die ihre verstaubte, aber frische Ware anpriesen.

Die erste und einzige größere Stadt, die sie erreichten, war Ta- roudant, die Provinzstadt im Sous-Tal, das einen großen Teil der für den Export bestimmten Zitrusfrüchte liefert. Auf Grund der knappen Zeit ließen die neuen Freunde die ganz in rost-rot- ocker gehüllte Stadt links liegen und bewegten sich zügig in Richtung Agouni, dem Heimatdorf Hamids. Langsam stieg die Straße an und sie sahen fasziniert die sandfarbenen Höhen des Anti-Atlas. Die Sonne stand bereits im Südwesten und lenkte

ihre Strahlen auf die Hügel, die im goldenen Licht leuchteten. Hamid bedeutete Bert, nun etwas das Tempo zu reduzieren. Gleich würden sie die Stelle erreichen, wo man das ermüdete Gefährt abstellen müsse. Von dort aus stapfte die gemischte Rei- segruppe bergan, über felsiges Gestein, das nur ein Esel einiger- maßen mühelos erklimmen hätte können.

Nach ungefähr 500 atemlosen Metern öffnete sich der Pfad zu einem steinigen, wilden Platz, der von einer Anzahl gelber Steinhäuser umgeben war. Gleich das erste, ruinenartige Ge- bäude stellte sich als Hamids Geburtshaus heraus. Da sich die erschöpften Besucher schon per Handy angekündigt hatten, stand die Großfamilie, aufgereiht wie Süßwasserperlen, vor der niedrigen blauen Eingangstür. Der Vater, klein mit Schnurrbart, und etwas unpassend in ein gelbes, antik anmutendes Sakko gekleidet, begrüßte sie.

„ Sobald du über die Schwelle meines Hauses schreitest, bist du der Hausherr und der Hausherr ist dein Gast, “ sagte der Mann pathetisch in Berbersprache. Hamid übersetzte in Kauder- welsch. Die Mutter hatte abgewartet, reichte jetzt aber doch den Gästen drei Finger ihrer gegerbten Hand. Gleich darauf zog sie sich unterwürfig zurück. Die unzählbaren Brüder und eine klei- ne, schüchterne Schwester waren alle in nachthemdartige Ge- wänder gekleidet, die Spuren von Ziegenstall und Straßenstaub aufwiesen. Alle lehnten lässig verschlafen an der rissigen Haus- wand und lächelten scheu. Ein großes Lebensmittelpaket und eine Handvoll Süßigkeiten ließen ihre Augen leuchten.

Alles Weibliche, außer Zippi, verschwand nun diskret in einen

dunklen, verkohlten Raum, den sie Küche nannten.

Die Herren der Schöpfung und die Gästin dagegen erklommen 24 viel zu hohe Felsstiegen, um in ein großes, rechteckiges Zim- mer zu gelangen, in dem außer einer großen Gruppe weißer, vergilbter Plastikstühle keine Möbel standen. Der Boden war mit handgewebten, bunten Berberteppichen belegt. In einer Ecke stapelten sich bunte Schlafdecken. Der kahle Raum, dem nur ein kleines Guckloch diffuses Licht spendete, wurde zusätz- lich mit einer verrosteten Petroleumlampe mangelhaft erhellt. Bald begann ein angeregtes Palaver in babylonischen Sprachen. Ein jeder von ihnen kramte ein Sammelsurium von Französisch, Englisch und Arabisch hervor. Trotzdem spürten die Gäste die tiefe Dankbarkeit der Menschen über das unverhoffte Glück ihres Sohnes. Bald zog ein verführerischer Duft von gebrate- nem Hühnerfleisch, Gemüse und orientalischen Gewürzen durch das Haus. Hamids Mutter und Schwester servierten in gebückter Haltung, blieben aber im Hintergrund und aßen dann in der Küche.

Nach dem köstlichen Mahl erkundeten Bert, seine Frau Zippi und die männlichen Mitglieder der Familie die nähere Umge- bung des Dorfes. Inzwischen war es dunkel geworden. Es ging steil bergan, wobei Sand und Geröll den Aufstieg erschwerten. Nach zwanzig langen Minuten bergan standen sie atemlos auf dem Kamm eines Hügels und genossen den fernen Sonnenunter- gang. Der orange-lila Ball versank in Sekundenschnelle im Meer. Plötzlich umgab die Gruppe eine schmerzvolle Stille.

Die Vögel hatten aufgehört, aufgeregt zwitschernd herumzuflat- tern, kein Esel klagte und kein Hund bellte.

Nach einer unruhigen Nacht in einem „ Schlafsaal“ mit sechs anderen Mitschläfern, die Gäste auf einem überdimensionierten Luftbett, entschloss sich die kleine Reisegruppe zum Aufbruch. Wieder standen alle in Reih‘ und Glied, um Bert, Zippi und Hamid zu verabschieden. Der Vater segnete alle und wischte sich eine verstohlene Träne aus dem rechten Augenwinkel. Ver- schämt zog er aus der verbeulten Jackentasche ein Döschen mit einer Portion braun-roter Fasern - kostbarem Safran. Ein klei- nes Vermögen für die Familie. Auch ein handgewebter Berber in Orangetönen wechselte den Besitzer.

Zur Überraschung der Reisenden schloss sich, wie aus dem Nichts, eine Kusine Hamids an. Ein hübsches Mädchen von schätzungsweise fünfzehn Jahren. Sie wollte zurück zu ihren Eltern nach Taroudante.

Die beiden jungen Leute drückten sich auf den hinteren Sitzen so eng aneinander, dass kein Feigenblatt mehr dazwischen ge- passt hätte. Sie flirteten offensichtlich, kicherten und parlierten auf Arabisch - denn sie sprach kein Berber - und schliefen ir- gendwann Händchen haltend ein.

Ein schönes Paar ! Die Verbindung zwischen Vettern und Basen ist gerade bei Berbern üblich und sogar erwünscht, um das biss- chen Vermögen zusammenzuhalten.

Aber der lebenshungrige Hamid hatte andere Pläne, die nicht in jene Welt passten.

Übrigens: Der Name dieses Mädchens ist Soumia. Sie sollten ihn sich merken!


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