Читать книгу Cat's Rest - Gerda M. Neumann - Страница 6
ОглавлениеKapitel 2
Der nächste Tag unterbrach mit englischem Landregen die Augusthitze. Olivia hatte die Terrassentür weit geöffnet. Auf den beiden Zweisitzern vor dem Kamin lagen Wangaris afrikanische Stoffe ausgebreitet, darauf die Wollknäule aus Cat’s Rest gruppiert. Am Boden saß sie selber im Schneidersitze und zeichnete. Gegen Mittag wand sie ihre Glieder auseinander, packte die ganze Pracht sorgfältig ein und fuhr zu Wangaris Afrika-Boutique. Sie lag in der High Street von St. John’s Wood und war so voller Farben, dass man atmosphärisch England verließ, wenn man durch die Tür trat. Die Wände leuchteten in Maisgelb, der Tresen mit der Kasse und anderen organisatorischen Notwendigkeiten in einem warmen Magentarot, dazu Kleiderständer, offene Regale und Sitzmöbel in allen Farben und die Kleider, Kissen und Vorhangstoffe waren ebenfalls bunt. Doch hinter all der Farbenpracht gab es einen stillen Winkel mit einem hellgelb gestreiften Vorhang, einem großen Spiegel und einem geflochtenen Sessel. Hier konnte man in Ruhe die Kleider anprobieren und sich auf sich selbst konzentrieren.
Wangari Aulton und Olivia hatten sich auf dem Neujahrsfest kennengelernt, dass Wangaris Vater, der Schriftsteller Keith Aulton, anlässlich seines Ritterschlages durch die Königin gegeben hatte. Da er am nächsten Tag tot in seinem Bett gelegen hatte, waren sich die beiden jungen Frauen im Laufe der Ermittlungen wiederbegegnet und Wangari hatte Olivias große Pullover entdeckt. Nachdem der Mord aufgeklärt worden war und der Schrecken ein klein wenig nachgelassen hatte, hatte Wangari vor Olivias Tür gestanden, in deren selbstgestrickten Pullovern, Jacken und Kleidern stöbern dürfen und am Ende den Vorschlag zur Zusammenarbeit gemacht. Seitdem entwarf Olivia Strickteile zu den Stoffen, die Wangari aus verschiedenen Ländern Schwarzafrikas mitbrachte und eine wachsende Zahl zumeist schwarzer Frauen in Harlesden und Willesden Green setzten sie in die Wirklichkeit um, dazu einige ältere Damen aus dem Kundenkreis von Cat’s Rest, die gern strickten, aber für die fertigen Sachen keine Verwendung mehr hatten. All diese Unikate verkauften sich hervorragend.
Wangaris Laden blieb heute so leer wie Cat’s Rest am Vortag. Die Londoner waren in Urlaub und Touristen verirrten sich nur sehr selten in diesen kleinen Stadtteil hinter dem Regent’s Park und schon gar nicht bei Regen. Für einige Entwürfe entschied Wangari sich sofort, über andere würde sie nachdenken. Sie fühlte wieder die Versuchung, einfach alles verwirklichen zu lassen, aber das war nun mal unvernünftig, schließlich musste sie das Geld für die Wolle und den Lohn für ihre Strickerinnen vorstrecken. Am Schluss regte Olivia sie an, über einfarbige Pullover zu den bunten Stoffen nachzudenken, vielleicht mit farbigen Bündchen, die die Lebendigkeit der afrikanischen Stoffe wieder aufnahmen.
»Was machst du heute noch?«
Olivia spürte hinter der Frage Wangaris Wunsch, sie aufzuhalten. Gar nicht selten fiel es ihr schwer, die Freundin gehen zu lassen, wenn sie gemeinsam viele Stunden über Stoffen und Wolle gebeugt gewesen waren. Olivia erging es manchmal ähnlich, doch heute hatte sie keine Zeit. »Ich muss noch einen Artikel für den Guardian übersetzen und später dann kommt vielleicht Richard vorbei.« Sie ließ den Türgriff wieder los. »Wangari, ich habe es dir gar nicht erzählt! Edith Munroe, du erinnerst dich an sie? Die ältere der beiden Schwestern im Wollladen, sie ist gestern gestorben. Ich habe sie gefunden.«
Wangari erschrak. Emotionen überwältigten sie schnell. »Wieso? Warum…«, stammelte sie, »wie traurig, wie furchtbar.«
»Liebe, ich wollte dich nicht erschrecken. Ursprünglich wollte ich es dir gar nicht erzählen, aber jetzt im Gehen hielt ich es dann doch für falsch. Schließlich seid ihr Geschäftspartner in gewisser Weise, auch wenn ich mehr mit ihnen zu tun habe.«
»Ja, natürlich muss ich es wissen! Außerdem brauchst du mich nicht zu schonen. Aber es ist furchtbar. Erzähl!«
»Gestern Nachmittag habe ich in Cat’s Rest die Wolle ausgesucht, die ich dir gerade gebracht habe. Das dauerte seine Zeit und die ganze Zeit hindurch war es vollkommen still im Laden. Als ich mit dem Aussuchen fertig war, bin ich dann doch auf die Suche nach Edith oder Helen in ihre privaten Räume gegangen, und fand Edith tot auf der Terrasse liegen.«
»Oh mein Gott! Und Helen?«
»Sie war nicht da. Als sie zurückkam, musste ich es ihr erzählen.«
»Wie traurig. Und wie hat sie es aufgenommen?«
»Der Schock war groß. Ich habe sie dann später am Abend in den Armen einer guten Freundin zurückgelassen. Es sah aus, als könnte die ihr wirklich helfen. Morgen werde ich nach ihr schauen, die Wolle hier gibt mir einen selbstverständlichen Grund, bei ihr aufzutauchen.« Olivia ging wieder zur Tür.
»Und Richard? Richard Bates? Was hat er damit zu tun?« Wangari bemühte sich, nicht zu zittern.
»Wir sind nicht sicher, ob sie einfach gestorben ist. Ich hoffe, ich erfahre heute Abend, wie es sich damit verhält. – Ich melde mich bei dir!«
»Ja, bitte, ich möchte das alles wissen. Und bitte bringe Helen mein Mitgefühl.«
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Einige Stunden später, draußen war es inzwischen finster und die Übersetzung für den Guardian abgeliefert, saßen Olivia, Richard und Leonard vor dem kalten Kamin. Schließlich war noch immer Hochsommer, auch wenn es unbeirrt regnete und der Abend nicht mehr wirklich warm war.
»Sie ist tatsächlich an Zyankali gestorben.« Verwundert sah Olivia die Freunde an. »Fast bin ich froh, denn ihr wäre nicht mehr zu helfen gewesen, auch wenn ich sofort zu ihr gegangen wäre. Aber vielleicht hätte sie dann nicht allein sterben müssen.«
»Der Tod durch Zyankali läuft so rasch ab, dass sich diese Frage im Grunde nicht stellt«, beruhigte sie Richard. »Du hast es selbst miterlebt, erinnerst du dich?« Olivia nickte.
»Übrigens wissen wir nicht, ob sie allein gestorben ist«, gab Richard zu bedenken. »Die medizinisch mögliche Todeszeit umfasst mehr als eine Stunde. Der Lunchgast, der so unauffällig verschwinden wollte, kann dabei zugesehen und doch vor deiner Ankunft den Laden verlassen haben. Schade, dass du nicht ein klein wenig früher da warst.«
»Ja, das Glück, das man haben muss«, kommentierte Leonard nachdenklich, und noch nachdenklicher: »…aus der Perspektive des möglichen Täters.«
»Richtig. Noch dürfen wir Selbstmord nicht ausschließen. Aber Mord ist mehr als wahrscheinlich. Leider hatte dieser Täter Glück, genau wie du sagst – bis jetzt!«
Olivia reagierte grimmig. »Richard, wir werden ihn oder sie finden! Was ist mit der Katze?«
»Sie wurde angefahren. Am Wahrscheinlichsten ist, dass das Fahrzeug sie gegen ein parkendes Auto schleuderte, an dem sie sich das Genick brach. Wann die Katze starb, wissen wir noch nicht genau, sie ist noch immer genauso steif wie gestern. Morgen werden wir schlauer, die Todesstarre dauert bei Katzen ungefähr achtundvierzig Stunden. Es hat sie jedenfalls bisher niemand öffentlich vermisst, kein Zettel hängt an den Laternenpfählen da unten in Chelsea. Ich hatte gehofft, sie würden uns die Suche nach dem Besitzer abnehmen, aber morgen ist ja auch noch ein Tag.«
»Vielleicht gibt es in dem einen oder anderen Laden oben in der High Street Anschlagbretter?«
Richard sah die Freundin an: »Ja, du hast recht, heute schienen sie mir zu weit weg zu sein für einen trauernden Katzenbesitzer in der Nähe von Cat’s Rest. Was für ein Name in diesem Kontext! Wir werden uns dort umschauen, in den Läden oben in der High Street.«
»Ich könnte mir denken, dass ihr lediglich auf besseres Wetter warten müsst«, überlegte Leonard. »Bei dem heutigen Regen wären Zettel aus normalem Papier vollkommen unnütz.«
»Auch das ist richtig, wir haben uns mit der Katze wohl noch nicht professionell genug befasst. Aber es gibt auch sonst viel Arbeit, wenn die Hälfte der Kollegen in Urlaub ist. Und die Bestätigung, dass Edith Munroe tatsächlich an Gift gestorben ist, kam erst am Nachmittag auf meinen Schreibtisch. Die Art des Zyankali gibt unseren Leuten noch die Frage nach der Pflanze auf, aus der es kommt, denn sie kennen sie nicht. Sie sind aber ganz sicher, dass Edith Munroe das Gift mit dem Essen zu sich genommen hat. Die Speisereste von den beiden Tischen haben sie analysiert, dort findet sich keine Spur.«
»Sollte sich auch nicht, oder? Ich denke, in dem Fall hättet ihr zwei Leichen gefunden«, bemerkte Leonard.
»Für den Fall hätten wir eine dritte Person haben müssen«, konterte Richard. »Irgendwer muss der Toten das Gift ins Essen geschmuggelt haben, in ihres, nicht in seins; spannend ist, dass er alle Spuren verwischen konnte, das Geschirr aber einwandfrei so aussieht, wie es das nach einer Mahlzeit tun sollte.
»Keine Spur… nirgendwo…« Olivia schauderte, sie erinnerte sich erneut daran, mit welcher Geschwindigkeit Zyankali wirken konnte. »Es ist doch seltsam«, grübelte sie laut, »Edith und ihr Gast haben gemeinsam den Lunch zusammengestellt und gemeinsam gegessen. Dann, gegen Ende der kleinen Mahlzeit, wenn ich von den Resten auf dem Gartentisch rückschließe, kam das Gift ins Spiel, von dem es keine Spur außerhalb von Ediths Körper gibt. Sie hat es ohne Gewaltanwendung zu sich genommen, die Spuren hätten sich bei der Obduktion gefunden, und ohne ihr Wissen, natürlich. Hast du mit Helen Campbell gesprochen, Richard? Selbstmord ist ausgeschlossen?«
»Ja, sie hält ihn für ausgeschlossen.«
»Wie hat sie die Nachricht aufgenommen?«
»Sehr ruhig und irgendwie zustimmend. Sie ist eine starke Frau. Heute auf dem Nachhauseweg habe ich ihr die Nachricht gebracht und gefragt, ob ihr Aspekte zu dem Tod ihrer Schwester eingefallen sind, die ich wissen sollte, was nicht der Fall war. Morgen früh werde ich mich in Ruhe mit ihr unterhalten.«