Читать книгу Cat's Rest - Gerda M. Neumann - Страница 9
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ОглавлениеDas Wetter blieb warm und blau und London ruhte im Hitzeschlaf. Olivia schrieb eine Reihe Londoner Skizzen auf Vorrat und sie las immer wieder mal eine Stelle in dem neuen Roman von Neville Seymour, die ihr gerade besonders im Kopf herumging. Bis zum Jahresende musste oder eigentlich durfte sie ihn ins Deutsche übersetzen. Es war die zweite Arbeit für Seymour und sie war beinahe aufgeregt, wenn sie an die Übersetzung dachte. Sein erster Roman, den er nach dreißig Jahren des Schweigens veröffentlicht hatte, war auch von ihr ins Deutsche übersetzt worden und ein voller Erfolg geworden. Darüber freute sie sich, wann immer sie daran dachte. Und die zweite Übersetzung sollte mindestens so gut werden, deswegen verschaffte sie sich Ruhe, indem sie für die Zeit der Übersetzung vorarbeitete, was möglich war.
Inzwischen war es kurz nach sechs Uhr am nächsten Donnerstag, eine knappe Woche nach Richards letztem Besuch. Draußen war es nicht mehr allzu heiß und die Londoner Straßen hoffentlich nicht gar zu voll, noch waren Schulferien. Sie machte sich auf in Richtung Turnham Green. Dort gab es einen Super-Supermarkt, in dem sie alle paar Wochen die lagerfähigen Vorräte einkaufte, das war mal wieder dran. Anschließend würde sie Harriet besuchen.
Harriet Bings war neben Amanda Cranfield Olivias beste Freundin. Sie arbeitete in der Forschungsabteilung von Kew Gardens, ihr Spezialgebiet waren die Pflanzen der Alpen. Und dort hatte Olivia sie während der Sommerferien kennengelernt. Sie selbst war mit ihrer Mutter in den Salzburger Bergen unterwegs gewesen, als sie auf die drei Engländerinnen trafen, die auf einer Almwiese saßen, kalte Milch tranken und sich an der Aussicht freuten. Olivia und ihre Mutter holten sich von der Sennerin ebenfalls Milch und man kam ins Gespräch. Harriet war ein Jahr älter als Olivia, deren Schwester vier Jahre. Die beiden Gleichaltrigen freundeten sich schnell an. Auch die Mütter verstanden sich auf Anhieb, so traf man sich noch mehrmals. Nach England zurückgekehrt schrieb Harriet und Olivia antwortete. Über den Briefen begann eine Freundschaft für ein Leben.
Harriet lebte in einer kleinen Wohnung im ersten Stock eines Reihenhauses in Turnham Green. Die Straße war ruhig und sehr schattig. Olivia hatte umstandslos einen Parkplatz gefunden, ein ›Hoch‹ auf die Urlaubszeit, und stand nun leicht erhitzt vor der Haustür. Wenig später saßen die beiden Freundinnen vor der offenen Tür zu Harriets kleinem Balkon, hatten die Füße hochgelegt, tranken wieder kalte Milch und plauderten. Es gab nichts, worüber sie nicht miteinander geredet hätten, wenn es einer von ihnen in den Sinn käme.
Harriet erzählte von ihrer Mutter, die gerade mit ihrer Enkelin in den Salzburger Bergen Ferien machte so wie seinerzeit mit ihr und ihrer Schwester.
»Ist deine Schwester nicht dabei?«
»Nein, ihr Urlaub wurde im letzten Moment wieder gestrichen. Es ist kein Vergnügen, Krankenhausärztin zu sein. Aber meine Mutter macht das Unternehmen allein mit Janet auch sehr viel Vergnügen. Morgen besuchen die zwei übrigens deine Mutter in Salzburg.« Das Gespräch lief entspannt weiter, beide erinnerten sich gern an die Berge. In wenigen Wochen würde Harriet wieder dort sein, als Botanikerin. Und die Botanikerin in ihr schüttelte wenig später den Kopf. »Es passieren kuriose Sachen, in unserem großen Palmenhaus zum Beispiel, vor zwei oder drei Wochen, so um den Dreh. Wir haben dort eine Bambusart, die auf Madagaskar beheimatet ist, weißt du. Vor zwei oder drei Wochen also hat ein Witzbold allen Ernstes drei Stämme abgeschnitten, in bequemer Höhe, etwa dreißig Zentimeter über dem Boden. Ich versteh‘s nicht, sie wachsen in der Form nirgendwo an und brauchen kann man sie höchstens, um Pflanzen daran aufzubinden, das kann man aber auch einfacher haben.«
»Und niemand hat sich gewundert, dass ein Besucher mit diesen Stangen durch die Gegend läuft? Sicher hatten sie auch Zweige, Blätter und so weiter.«
»Groß waren sie noch immer, das stimmt. Am Ende waren sie groß genug, dass niemand sich mehr wunderte, ich meine, dass niemand mehr auf die Idee kam, es könne mit ihnen etwas nicht stimmen. Die Nerven muss man haben. Und mit ihnen hinaus zu spazieren, ist schon ziemlich dreist. Warum tut man so etwas?« Für die stille Harriet grenzte ein solcher Wagemut ans Unglaubliche, zumal der Vorgang so gar keinen Sinn ergab.
»Wenn man genug Bier im Kopf hat, kann man eine Wette mit einer solchen Mutprobe eingehen«, schlug Olivia hilfreich vor, »oder das Futter für den Pandabären ist ausgegangen. Oder«, überlegte sie ernsthafter, »dieser Bambus hat etwas, was man nicht kaufen kann.« Sie griff nach einer Käsestange.
»Schon richtig. Man kann diese Bambusart hier nicht kaufen. Und im Garten wäre es ihr auch zu kalt. In jedem Fall aber müsste man einen Schössling ausgraben. Das ist mühsam und der einzige Weg. Bambus wurzelt nicht, wenn man ihn in Wasser stellt.«
»Vielleicht wusste euer Dieb das nicht.«
»Hmm«, Harriet klang nicht überzeugt. »Die meisten Menschen glauben, dass die Sache mit den Pflanzen einfach ist«, räumte sie ein. »Ich will gar nicht wissen, wie viele Menschen die unterschiedlichsten Samen aus Kew mitnehmen und dann enttäuscht sind, wenn nichts herauskommt.«
Olivia lächelte versonnen: »Ja, ich weiß… inzwischen klaube ich manchmal ein Stück Rinde aus dem Gras – für meinen Schreibtisch. Eukalyptus riecht noch lange Zeit sehr gut, wenn man daran reibt.«
Harriet lächelte ihrerseits, das konnte sie verstehen. »Oh!« fuhr sie wenig später auf, »ich habe dir doch von den Samen aus den Tiroler Felsen erzählt… vor drei Tagen sind die ersten grünen Spitzen zum Vorschein gekommen. Heute dachte ich, es könnte vielleicht eine Steinnelke sein. Stell dir vor, es wäre eine neue Unterart…« einen Moment lang schwieg sie nachdenklich, dann fuhr sie fort: »Weißt du, Steinnelken sind in Südeuropa bis nach Nordafrika zuhause, aber an einer Stelle in den Allgäuer Alpen hat man sie auch gefunden. Also klappt es für sie unter den richtigen Umständen in den Alpen, sie brauchen sonnige, steinige Hänge oder Felsspalten, davon gibt es überall genug. Ich habe sie im vorigen Jahr an einer Stelle in Tirol nahe dem Salzburgischen gefunden, inzwischen weiß ich, dass es dort neuere minimale Ablagerungen von Saharasand gibt. Der ist sehr mineralhaltig und ermöglicht Gebirgspflanzen, an Stellen zu siedeln, die für sie sonst zu nährstoffarm wären. Stell dir das vor: Tiroler Nelken in Saharasand! Ich muss im September unbedingt nachschauen, wie es dort jetzt aussieht. Davor treffe ich meine Mutter und wir wandern gemeinsam zwischen den Salzburgischen Almen herum. Klappt zeitlich gerade noch, wenn das Wetter mitspielt.« Sie lächelte schon wieder, dieses Mal verträumt, in Gedanken in den Alpen. »Schade, dass du nicht dabei bist…«
Das fand Olivia auch. »Wie viele Nelkenarten gibt es eigentlich?«
»Ein paar hundert, warum?«
»Mir ging nur durch den Kopf, welche aufwendigen Kletterpartien du unternimmst, um einsame Nelken zu finden. Schon in den alten Klostergärten zogen die Mönche Nelken, um daraus Heilmittel gegen Fieber herzustellen, glaube ich.«
»Das ist die Karthäusernelke, leuchtend Pink. Es gibt sie in Österreich. Die Nonnen und Mönche haben daraus eine Flüssigkeit hergestellt, die sie bei Rheuma und Muskelschmerzen aufgetragen haben. Sie soll aber auch bei Zahnschmerzen helfen und bei Schlangenbissen, was eher selten vorkommt, denke ich. Also vor allem gegen Entzündungen, warum dann nicht auch bei Fieber. Die Karthäusernelke ist übrigens auch eine Steinnelken-Art.«
Irgendwann erzählte Olivia dann auch von dem Mord in Cat’s Rest. Hier in diesem hellen Zimmer in Turnham Green kam ihr der Fall ziemlich unwirklich vor. Andererseits wusste sie, dass sie sich Helen morgen wieder gegenübersehen würde. Am Vormittag in aller Frühe wollte Wangari ihr die weiteren Muster bringen, also würde sie am frühen Abend nach Chelsea fahren, um Wolle zu kaufen.
Sie sah in das vertraute Gesicht der Freundin neben sich, es war lang und schmal, gerahmt von blonden glatten Haaren mit einem leichten Rotschimmer, heute wie meist im Nacken mit einem Band zusammengebunden. Die Augen leuchteten grün wie bei einer Wasserfrau und die Haut war klar und frisch wie Bergwasser. Nur wenn Harriet zu viel in der Alpensonne unterwegs war, zeigten sich vorwitzige Sommersprossen auf dem Nasenrücken.
»Es gibt zwei Punkte, die mich irritieren«, nahm Olivia den Faden nach einer Pause wieder auf. »Zum einen die Beobachtung, dass mich der Fall eigentlich nicht interessiert; und zum anderen diese grässliche Katze.« Harriet erfuhr, was es damit auf sich hatte. »Und? Fällt dir etwas Hilfreiches ein? Zum Beispiel zu der Katze?« wollte Olivia wissen.
»Vielleicht hat diese Edith Munroe die Katze getötet und wurde daraufhin von der Katzenbesitzerin vergiftet und das tote Tier liegt in der Truhe, um Anklage zu erheben.«
Olivia starrte Harriet sprachlos an. »Nun, immerhin hast du als erste einen Zusammenhang zwischen den beiden Todesfällen hergestellt. Das würde erklären, warum keine Vermisstenzettel aufgetaucht sind. Die Besitzerin der Katze, es kann auch ein Mann sein…«
»…kann es auch, aber meistens stecken Frauen hinter Gift. Keine Ahnung, warum das Männern so selten einfällt.« Harriet musste lachen. »Dein Gedanke zu der Vermisstenanzeige leuchtet ein, nicht wahr? Wenn der Zorn verraucht ist – und früher oder später geschieht das auch bei dem zornesmächtigsten Menschen – müsste klar werden, dass die Rache einen Freifahrtschein fürs Gefängnis nach sich ziehen würde.«
»Richtig. Jetzt muss ich doch mal in Ruhe überlegen: Leila Man ging um kurz nach drei. Wenig später stürmte diese Frau den Laden, mit der Katze in der Hand. Man sprach über den Fall, sie bot Edith schließlich irgendetwas vorgeblich Versöhnliches an, das Zyankali enthielt. Edith, die das nicht ahnen konnte, fasste höflich zu und starb. Die Katze wurde in die Truhe gesteckt und die Frau verschwand. Das dauerte nur wenige Minuten. Die Frau war lange weg, als ich in die stille Gasse einbog.«
»Zyankali wirkt aber schnell«, wandte Harriet ein. »Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass Edith Munroe noch die Tür hinter sich schloss und sich auf die Terrasse setzte. Sie müsste die Besucherin nach hinten gebeten haben, bevor sie deren Angebot annahm. Nur dann konnte sie so zu liegen kommen, wie du sie gefunden hast.«
»Ja, stimmt. Also müsste sie die Frau besser gekannt haben. Und dann wüsste Helen Campbell, wem die Katze gehört… nein, leider kann es so nicht gewesen sein. Außerdem starb die Katze durch Genickbruch, dazu gehört Kraft und Rohheit oder ein Auto; und es geschah in den frühen Morgenstunden, als Edith noch im Bett lag.«
»Du könntest dich natürlich dafür interessieren, ob sie Frühaufsteherin war.«
»Edith hat die Katze nicht getötet, das passt überhaupt nicht zu ihr. Auch zu Helen nicht. Es war ein Autounfall, da hilft alles nichts. Außerdem interessiert mich der Fall gar nicht«, bekräftigte Olivia.
»Das hatte ich vergessen.« Harriet stand auf, brachte einen Korb mit frischen Käsestangen und goss kalte Milch nach.