Читать книгу Schatten über Fehmarn - Gerda M. Neumann - Страница 8
Kapitel 3
ОглавлениеDer neue Morgen entwickelte sich nach nebelverhangenem Zögern zu einem strahlenden Blau. Olivia hatte sich mit der Landkarte besprochen, dabei eine weitere Steilküste und einen nahe daran gelegenen Parkplatz entdeckt. Dort am Meer unter diesem enorm blauen Himmel spazieren zu gehen, musste unbedingt ein Vergnügen sein, überzeugte sie Amanda schließlich. Und wieder rollten sie über das flache Land. Im Auto herrschte Schweigsamkeit. Olivia summte leise, aber auch der Regenbogen war mit einem Ende auf Fehmarns flachem Grün aufgekommen, Amanda schien sie nicht einmal zu hören. So versuchte Olivia, sich mit den Kopfweiden zu unterhalten. Die dicken Stämme mit ihren tiefgefurchten Rinden und den lichten Laubkugeln darüber gefielen ihr und sie stellte sich vor, welche bizarren oder drohenden Gestalten sie in der Dämmerung annehmen mochten. Die Bäume ihrerseits schienen kein Gespräch mit ihr zu wollen, sie standen in trauter Reihe nebeneinander und waren sich selbst genug. So kam es ihr jedenfalls gegen Ende der kurzen Fahrt vor.
Ruhig gingen sie am steinigen Strand entlang, zu ihrer linken ein dunkles blaues Meer, das mit nahezu lautlosem Plätschern an die Steine leckte, und zu ihrer Rechten eine weiße Steilküste, über deren oberen Rand Gras und Brombeerranken wuchsen, darüber ein Himmel in dem gleichen Blau wie die Fahne von Fehmarn.
»Was für ein unglaublich schöner Herbsttag!« Es roch nach Algen und nassem Sand. Olivia griff nach einem kleinen flachen Stein und versuchte, ihn über die glatte Wasserfläche springen zu lassen. Zu ihrer eigenen Überraschung gehorchte er dem Befehl ihrer Hand einmal, zweimal, dreimal, dann sank er hinunter. Sie drehte sich zu Amanda um. Deren lange, blonde Haare rührten sich leicht im Wind. Aufrecht stand sie vor der Weite der Ostsee und sah sehr schön aus. Doch schien sie sich ihrer selbst heute nicht bewusst zu sein. Immerhin reagierte sie auf Olivias Blick.
»Hoffentlich entwickelt der Tag sich weiter so strahlend… Entschuldige, ich weiß selbst nicht, was mit mir los ist. Ich hatte unbewusst fest mit einem Anruf von Alexander zum Frühstück gerechnet. Wohl weil er ausblieb, kam mir das weite flache Land heute kahl, leer und trostlos vor. Und ähnlich fühle ich mich… irgendwie… lächerlich, nicht?«
»Nein, durchaus nicht. Seinetwegen bist du hergekommen, und er ist nicht da. Das allein reicht schon, um einem die Stimmung zu verderben. Normalerweise wärest du jetzt ärgerlich, das wäre immerhin gesund. Stattdessen hat Felix Picard dich mit seiner Angst angesteckt.«
»Sie ist unbehaglich, das kann ich dir sagen!« Amandas Blick kehrte von der Wasseroberfläche zurück. »Vor der Sonne ist heute ein riesiger grauer Schirm aufgespannt. Selbst die Lichtflecken auf dem Wasser glitzern mich bösartig an… als wollten sie stechen.«
»Dann beachte sie nicht mehr. Komm, lass uns vorlaufen und schauen, was es hinter der Biegung zu sehen gibt.«
Entschlossen ausschreitend kamen sie bis zum Leuchtturm von Staberhuk, Amandas ausgestreckter Arm zeigte nach oben. Dort stand der schwere Turm hinter Weißdorngestrüpp gegen den Himmel, er ragte noch einmal so hoch auf wie die weiße Küste, auf der er stand. In Olivias Gesicht blitzte ein kurzfristiges Vergnügen auf: »Das deutsche ›huk‹ in seinem Namen meint Ecke,« legte sie dar, »die Niederländer haben dieses Wort auch, sie schreiben es bereits mit oe und hinter dem Kanal in England heißt es dann ›hook‹, wie Captain Hook in ›Peter Pan‹ mit seinem Haken statt der einen Hand. Es gibt viele Brücken, die man über Europa schlagen kann. Der Name der Skulptur, die wir heute zu sehen bekommen werden, gefällt mir sehr.« Sie drehte sich herum und streckte den Arm aus: »Und der Streifen dahinten am Horizont – Land?«
»Land. Wieder Mecklenburg. Die geographischen Realitäten sind ziemlich stabil, jedenfalls an der Länge eines Menschenlebens gemessen.« Auf Amandas Gesicht zeigte sich ein leichter Glanz, ähnlich dem auf dem gekräuselten Meerwasser. Immer noch ziemlich schweigsam, doch einträchtig machten sie sich auf den Rückweg.