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Wir gleiten sanft dahin. Das Meer ist ruhig, die Menschen an Bord sind ruhig, nicht aus Angst, sondern in freudiger Erwartung. Sie denken wohl, es werde die nächsten fünf, schlimmstenfalls sechs Tagen ebenso weitergehen. Treibstoff ist sogar für sieben Tage vorhanden, es gibt einen zweiten Motor, der bereitliegt, um den bisher klaglos und regelmäßig vor sich hin arbeitenden Außenbordmotor im Fall einer Panne zu ersetzen. Fünfhundert Liter Trinkwasser sind auf dem Boot vorhanden, in großen Behältern, eine Menge, die Abdoulaye für ausreichend erklärt hat. Reis, getrocknetes Gemüse, all das wird von Abdoulaye am Abend auf einem Kocher zubereitet werden. Zunächst hat er versucht, Coumba als einziger Frau an Bord diese Aufgabe zu übertragen. Sie lehnte jedoch ab, denn sie hat wohl Angst, von meiner Seite zu weichen. Heute Mittag gelang es den Lebous, mit Ködern an einer einfachen Schnur etliche Fische zu fangen, die Abdoulaye am Abend grillen will. Die Fischernetze seien zur Tarnung mitgenommen worden, man solle sie, so Abdoulaye, noch nicht direkt zum Fischen verwenden.

Nur der Fahrtwind erfrischt uns zurzeit, sonst herrscht Windstille. Badou steht auch jetzt unbeirrbar an der Lenkstange, die er nur selten an Abdoulaye abgibt, etwa, um die Lage des Boots mit seinem GPS-Gerät zu kontrollieren.

»Wir sind etwa zehn Kilometer von der Küste entfernt, abends sollten wir die mauretanischen Gewässer erreichen.«

Mauretanien. Ich erinnere mich, wie ich mit einem gebrechlichen und halb verrosteten Volkswagen – einem roten Passat – am Festland entlang der Passatwinde in die entgegengesetzte Richtung gefahren bin. Damals gab es schon eine asphaltierte Straße von Nord nach Süd, über den Strand wäre mein Fahrzeug wohl nicht weitergekommen.

Warum gerade ich dieses Auto nach Westafrika überstellen sollte – die Reise hätte bis Nigeria gehen sollen –, daran will ich mich gar nicht erinnern. Für derartige Fahrten suchten sich die Ankäufer von europäischen Schrottautos eher unternehmungslustige junge Leute aus, die Freude am Abenteuer haben und die den Heimweg dann mit einem bereits vorausbezahlten Flugticket antreten. Zahlreich waren die Polizeikontrollen auf der Straße zwischen der nordmauretanischen Stadt Nouadhibou und der Hauptstadt Nouakchott, einer staubigen Ansammlung meist eingeschossiger Häuser, die nicht viel mehr bietet als ein paar akzeptable Restaurants und Läden, um Proviant aufzunehmen, die aber doch groß genug ist, um auch auf diesem Außenposten Afrikas veritable Verkehrsstaus vorweisen zu können. Zur Erholung fuhr ich zum nahegelegenen Strand und sah dem regen Treiben der durchwegs dunkelhäutigen Menschen am Fischerhafen zu. Die buntbemalten Pirogen gefielen mir schon damals. Ich hätte aber nie daran gedacht, dass ich einmal in einem derartigen zum Seelenverkäufer verwandelten Fischerboot als einziger Weißer inmitten von Schwarzen die Heimreise nach Europa antreten würde.

Ich war erleichtert, nur noch drei Stunden Fahrt bis zur Grenze des Senegals vor mir zu haben, zu sehr beunruhigten mich die Warnungen, die westliche Botschaftskanzleien an ihre Staatsangehörigen wegen des Risikos der Entführung durch Terroristen richteten.

Öfter fiel mir damals während meiner einsamen Fahrt Antoine de Saint-Exupéry ein, der zwischen den Weltkriegen mit der zu befördernden Post von Frankreich nach dessen westafrikanischen Kolonien dieselbe Route genommen haben musste, in einem anderen Element als ich damals auf der Erde bzw. jetzt auf dem Wasser. Waren es die sternenklaren Nächte am Rand der Sahara, dass er sich eben diesen Sternen nahe fühlte und sie mit seinen eigenen Geschöpfen bevölkerte? Ich selbst wagte es nicht, neben der Straße im Freien zu übernachten, die Angst vor jenen Wüstenbewohnern, die vorzugsweise Europäer zu fangen versuchen, um sie dann an irgendwelche Katibas zwecks Lösegelderpressung oder Freilassung von inhaftierten Terroristen weiterzuverkaufen, die Angst, selbst Sklave zu werden – ein später Treppenwitz der Geschichte, zweihundert Jahre nach Abschaffung des Sklavenhandels und der Sklaverei in Europa –, diese Angst hat während der ganze Zeit Besitz von mir ergriffen. Die knallrote Farbe meines Autos hat ja dabei noch zusätzlich für Auffälligkeit gesorgt. Erst als ich den Senegalfluss überquerte, inmitten von überladenen Lastwagen, Viehherden und zahlreichen Einheimischen, deren Kleider die Pirogen an Buntheit weit übertrafen, fühlte ich mich geborgen. Daran änderte auch der stundenlange Ausfall des Motors der Fähre inmitten des Flusses nichts. Ich war wirklich am schwarzen Kontinent angekommen.

Der junge Mann neben mir ist jetzt wach geworden. Seit Besteigen des Boots ist er unter der Decke gelegen und hat sich kaum bewegt. Er reibt sich die Augen und sieht sich um, verwundert, wie es mir scheint, weniger über meine Hautfarbe als darüber, sich plötzlich in einem Boot auf dem Ozean wiederzufinden. Sehr höflich erkundigt er sich bei mir, wo wir jetzt seien. Er erweckt den Eindruck, als könne er sich gar nicht erinnern, warum er überhaupt an Bord gekommen ist, dabei verfügt er auch über einen Sack mit seinem Gepäck. Ein wenig fahrig sucht er etwas darin und zieht schließlich ein recht modernes Mobiltelefon hervor. Er steht auf und macht einige Fotos vom Boot. Als er eine Nummer eintippt und sich wundert, keine Verbindung zu haben, lachen etliche.

»Hier gibt’s keine Sendemasten, du musst dich gedulden. Vielleicht kannst du Radio hören.«

Etwas verwirrt sucht der Junge nach seinen Kopfhörern und dann nach einem Sender. Er dürfte erfolgreich sein, auf einmal entspannt sich sein Gesicht und er wiegt sich im Rhythmus irgendwelcher von irgendwoher aufgefangenen Musik. Nach zwei Stunden wird er das Ganze enttäuscht wegstecken, wenn der Akku fast leer ist und ihm die prekäre Situation voll zu Bewusstsein gekommen sein wird. Abgesehen von der Djembe, die zu schlagen aber Badou fürs Erste verboten hat, bleibt nur das kleine Zupfinstrument, das einer der Serer bereits am Vormittag hat erklingen lassen, das aber kaum gegen das Motorengeräusch ankommt und bei stärkerem Wind wohl gänzlich im Streit der Elemente gegen den Yamaha-Motor, auf den sich all unsere Hoffnung richtet, untergehen wird. Tritt totale Stille an Bord ein, ist es um uns geschehen. Ich befühle erneut die Konturen meines Seesacks und spüre die Umrisse des kleinen Pakets, das mir Bill Hooper mitgegeben hat. Heute Nacht, wenn außer Badou alle anderen schlafen, werde ich davon Gebrauch machen, und wie einst Saint-Exupéry werde ich mit etwas da oben zwischen den Sternen verbunden sein.

Rückkehr nach Europa

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