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Die Wellen ergießen sich in gleichmäßigem Rhythmus auf den flachen Strand, doch ist für den, der heimlich lauscht, ein leises, bedrohlich anmutendes Rauschen zu vernehmen, als würde eine riesige Spülung alles unter sich begraben wollen, ein Malstrom vergänglicher Fäkalien … auch wenn wir noch nicht so weit sind.

Und jetzt ein anderer, vielschichtiger Rhythmus, jener der Djemben, der aus dem Rauschen des Meeres emporzusteigen scheint, der aber vom Land kommt. Ein Dorf verabschiedet seine Jugend. Und sind es auch nur acht, wie ich von Badou weiß, sie fahren für alle, und alle haben für die Überfahrt beigesteuert, in der Hoffnung, dass ihnen ein Vielfaches vergolten wird, dann, wenn die Anweisungen eintreffen und die Erträge aus Europa zur Verteilung gelangen.

Die Trommeln in der Nacht verklären die trägen Tage, an denen sich im Dorf wenig bewegt. Mühsal und Plage werden sie gewesen sein, für alle jene, denen der Sinn nach mehr als den Jahreszyklen der Landwirtschaft steht. Mehr als der Perspektive, den Lebensabend unter dem großen Palaverbaum vor der Hütte des Dorfältesten zu verbringen und auf ein erstarrtes Leben zurückzublicken.

Im Dunklen kann ich den Horizont nur erahnen. Doch sehe ich die Silhouette der Ada Bintou, die draußen auf den Wellen schaukelt und am Anker zerrt. Ich soll hier warten, hat mir Badou bedeutet, hier inmitten der Büsche, die das letzte Grün darstellen, bevor der Strand beginnt. Über mir prangen die Sterne in einer Pracht, wie ich sie noch nie gesehen habe, und wie viele Nächte habe ich unter offenem Himmel geschlafen! In Dakar gab es immer Licht, auch wenn der Strom in letzter Zeit wieder häufig ausfiel, doch dann sprangen Hunderte Generatoren an. Und die Solarleuchten verhalfen der Corniche ohnehin zu ständiger Beleuchtung. Hier im Dorf kann man nur vor der Moschee und dem Haus des Dorfältesten die Sonne Afrikas auch in der Nacht scheinen lassen.

Da draußen auf dem Ozean werden uns die Sterne noch viel heller strahlen. Um wie viel leiser wird auch das Schlagen der Wellen gegen den Bootsrand sein als jenes fast wütende Aufklatschen des Wassers auf den Strand, wenn sich festes Land seiner ewig erscheinenden Bewegung entgegenstellt. Aber draußen wird es dann vor allem das Motorengeräusch sein, das nicht nachlassen darf, denn darauf gründet sich unser aller Hoffnung.

Coumba gleitet lautlos aus den Büschen und setzt sich dicht neben mich. Die letzten Tage haben wir wenig miteinander gesprochen, seit sie den Entschluss gefasst hat, die Reise gemeinsam mit mir anzutreten. Wäre ich ohne sie gefahren? Ein sinnloses Unterfangen wäre es gewesen.

Sie zittert leicht, die beginnende Nacht ist kühl. Der Rhythmus der Djemben wird gleichförmig, ruhiger und wird wohl bald zum Verstummen kommen. Der Aufbruch soll noch vor Mitternacht erfolgen, dann, wenn der Mond wieder untergegangen sein wird und die Ebbe einsetzt. Die erste Strecke müssen wir mit geringer Kraft fahren, das volle Motorengeräusch könnte die Aufmerksamkeit der patrouillierenden Küstenwache wecken, denn nur die Schlepperboote, nicht jene der Fischer, fahren um diese Zeit mit voller Kraft.

Badou hatte wegen der Küstenwache keine großen Bedenken. Auch wenn Spanier dabei sind, um Afrikaner noch vor deren eigener Küste abzufangen, ihre Aufmerksamkeit dürfte abgenommen haben, da in den letzten Jahren ohnehin kaum mehr jemand den weiten atlantischen Seeweg wagt, sondern sich lieber den Karawanen nach Algerien und dessen mediterranen Nachbarn anvertraut. Man habe auch genügend Netze zur Tarnung mit, bei Kontrollen sollten sich die Passagiere damit im Rumpf des Bootes bedeckt und versteckt halten. Mir fiel das Gleichnis des Menschenfischers ein; wieso kamen jetzt Erinnerungen aus der Kindheit auf, als mir Religion noch etwas bedeutete? Überhaupt nehme ich eine Wandlung an mir wahr, seit ich erkannt habe, dass ich nur die Wahl zwischen einem langsamen Verkommen in Afrika habe oder diesem einzigen Weg, mit Coumba gemeinsam nach Europa zu gelangen, als sei ich aus einem langen Dämmerschlaf erwacht.

Einzelne Gestalten tauchen aus der Dunkelheit auf. Im schwachen Schein des abnehmenden und untergehenden Mondes besteigen sie eine kleine Piroge. Ich erkenne, dass sie ausgelassen sind, sich auf Europa freuen. Selbst wenn sie flüstern, ist ihre Fröhlichkeit zu erkennen. Was zieht sie weg aus einem Erdteil, wo selbst die Armut von Fröhlichkeit überlagert zu sein scheint? Es sind offenbar nicht die acht Jugendlichen aus dem Dorf, sondern Angehörige einer anderen Ethnie, besonders groß gewachsene Männer, noch größer als die Lebous aus dieser Gegend.

Nach und nach treffen weitere Gruppen ein und lassen sich zur Ada Bintou übersetzen. Ich sehe nur die Umrisse unserer künftigen Schicksalsgenossen. Coumba und ich werden als Letzte an Bord gehen. Badou hat es so angeordnet. Badou ordnet alles an, er ist unser Kapitän und hat das Sagen, auch schon vor der Abfahrt. Er hat auch die Verantwortung, uns heil über das Meer zu bringen, nach Norden hin.

Coumba ist nicht eingeschlafen. Ihr Kopf ruht auf meiner Schulter, ich höre ihr gleichmäßiges Atmen, manchmal durchfährt ein leises Zittern ihren Körper. Dann presse ich sie noch enger an mich und beruhige damit auch mich. Gemeinsam sind wir stärker und gemeinsam werden wir dem, was auf uns zukommt, gelassen entgegentreten, auch wenn wir Außenseiter sind, die auf dem Boot eigentlich nichts verloren hätten.

Abdoulaye steht plötzlich vor uns und brüllt uns an, senkt jedoch gleich wieder die Stimme. Wo wir steckten, man warte nur noch auf uns. Badous Steuermann ist auch sein bedingungsloser Gehilfe. Er liebt es offenbar, herumzukommandieren und sich wichtigzumachen, anders als Badou, der zwar bestimmt auftritt, aber nie lauter spricht als nötig. Ich befühle meinen Seesack von außen und spüre die Umrisse des Pakets. Ich helfe Coumba auf und trage auch ihren Sack zum Boot. Gemeinsam mit Abdoulaye werden wir zur Ada Bintou übergesetzt und klettern an Bord. Die Dunkelheit breitet gnädig einen Mantel über uns aus.

Im Heck haben sich Badou und Abdoulaye einen größeren Platz ausbedungen, nicht nur um von dort aus das Schiff zu lenken und die Bootsinsassen im Blick zu haben, sondern auch um sich abwechselnd ausruhen zu können. Mittschiffs sind die begehrtesten Plätze, die auch schon alle belegt zu sein scheinen, zumindest streiten sich etliche darum. Acht aus Guinea, die der Ethnie der Peul angehören dürften, haben sich dort bereits niedergelassen, da sie als erste das Schiff bestiegen haben, dann kamen aber die acht Lebous aus dem Dorf und wollten ihnen die Plätze streitig machen. Sie hätten diese schon früher bei Abdoulaye reserviert. Die nachfolgenden Passagiere versuchten erst gar nicht, auch dort Platz zu bekommen, so heftig ist der Streit entbrannt, einer hat sogar das Messer gezogen. Derart abgelenkt haben die Passagiere unsere Ankunft mit Abdoulaye gar nicht mitbekommen. Dieser verweist uns mit einer kurzen Handbewegung in den Bug, wo wir uns vor dem halb überdeckten Bereich einigermaßen einrichten können. Neben Coumba befindet sich ein großer Wasserbehälter, auf der anderen Seite ist sie durch mich geschützt. Sie ist die einzige Frau an Bord. Mein Nachbar auf der anderen Seite, ein junger Mann, schläft trotz des Lärms bereits tief und fest. Abdoulaye versucht den Streit zu schlichten – offenbar hat er für etwas kassiert, das er nun nicht erfüllen kann –, aber erst Badous Einschreiten und die Angst, der Lärm könnte zu viel Aufmerksamkeit erwecken, bringen wieder Ruhe.

Badou wirft den Motor an. Nur sehr langsam kommen wir gegen die Flut voran. Ich höre, wie Coumba, die sich halb hinter mir versteckt hat, leise vor sich hin spricht, wohl eine Sure aus dem Koran. Bei all ihrer Weltoffenheit ist die Religion stets ein fester Bestandteil ihres Lebens gewesen, nie lässt sie ein Gebet ausfallen. Jetzt ist es offenbar aber die Angst, sie befindet sich schließlich überhaupt das erste Mal auf dem Meer, und das Auf und Ab des Bootes macht sich besonders im Bug bemerkbar. Hoch in die Luft und wieder hinunter wie auf der Hochschaubahn, jeder Aufprall im Wellental lässt das Boot erzittern. Die meisten anderen sind mit dem Element offensichtlich vertraut und rufen einander durch das Rauschen der Brandung Aufmunterungen und Scherzworte zu. Einige haben begonnen, aus ihrem Gepäck Proviant herauszuholen und verzehren mit Genuss wohl zum letzten Mal für längere Zeit frische mit Fischaufstrich gefüllte Weißbrote. Langsam wird es auch ruhiger. Der Mond ist untergegangen, und das Boot befindet sich mittlerweile schon weit von der Küste entfernt. Die Wellen werden kleiner und das Auf und Ab im Bug wird sanfter. Coumba ist eingeschlafen. Ich lege sie sacht neben mich und wickle sie in unsere gemeinsame Decke. Wir haben nur Platz für eine Decke, Coumba und ich müssen einander wärmen. In meiner Tasche finde ich einen geräucherten Fisch, verzehre ihn mit großem Appetit und fühle mich danach angenehm schläfrig. Ich krieche zu Coumba unter die Decke und suche den Schlaf. Auch die anderen sind zumeist schon eingeschlafen und träumen wohl davon, bereits auf Fuerteventura, beim großen Glück, angekommen zu sein. To sleep, to die … ab morgen kann alles anders sein.

Rückkehr nach Europa

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