Читать книгу Verfluchte Glückskekse - Gerhard Gröner - Страница 4

1.Kapitel

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Einige Stunden hektischer Vorbereitung lagen hinter dem Ehepaar Gruber. Man wollte alles, was man besitzt, nicht angeberisch jedoch apart und gepflegt vorzeigen. Gerade, wenn wieder „beste Freunde“ die Einladung zum Spieleabend angenommen haben.

Der Abend sollte allen Mitspielern Spaß bereiten und niemand anderntags darüber lästern können, dass auch nur ein Staubkrumen auf dem Tisch lag. Und, auch das war wichtig, Evelyn Stanicki hatte bereits am Vormittag die selbstgebackenen Glückskekse vorbeigebracht.

„Alles gut. Nun können sie kommen und glotzen.“ Zufrieden lehnten sich Verena und Georg Gruber zurück in die Couch im Wohnzimmer. Der übermäßige Anspruch erwartungsvoller Augen wird mit großer Sicherheit gestillt werden. Frisch poliert funkelten verschieden geformte Trinkgläser um die ausladende Schale mit den Glückskeksen. „Will nur noch kurz in den Spiegel schauen“, sagte Verena Gruber, „danach kann der Samstagabend endlich starten.“ Georg Gruber schaute ungeduldig auf die Uhr.

Was niemand der Teilnehmer des Spieleabends ahnte, es waren die letzten Stunden ihres Lebens, in denen sie als Gruppe gemeinsam spielen konnten. Wie eine explodierende Sprenggranate zerstieb nur wenige Stunden später der Mord und ein kurioses, tödliches Unglück die langjährigen Ehen und Freundschaften.

„Ich rechne nicht damit, dass Evelyn ihren Göttergatten zu unserem 'Spieleabend mit Sushi an Asiadips' mitbringt. Die haben sich auseinandergelebt und der großartige Herr gibt sich in unserem Kreis immer borniert. Er bemüht sich nicht mal. Wenn er wider Erwarten mitkommt, darf er keinesfalls zu politischen Themen angesprochen werden“, Verena Gruber hob zu diesen Sätzen den Zeigefinger, lächelte aber ironisch zu ihrem Mann hinüber.

„Oh Mann, der soll sich nicht so wichtigtuerisch anstellen. Wir haben doch zugesagt, keine Parteipolitik aufs Trapez zu bringen. Wir werden nicht über Regionalpolitik und auch nicht über Berlin diskutieren“, antwortete Georg Gruber, „auch nicht über den Ausgang der letzten Wahlen.“

„Jedenfalls Georg, eines freut mich. Unabhängig aller familiären Streitigkeiten hält Evelyn Stanicki an der Tradition fest, Glückskekse zu backen. Und diesmal sollen nicht, wie üblich, Glücksnummern oder Glücksmotive, sondern selbst erdachte Sinnsprüche auf den eingebackenen Papierstreifen stehen“, ergänzte Verena Gruber.

Diesmal waren die Grubers an der Reihe, den in regelmäßigen Abständen stattfindenden Spieleabend, mit immer denselben Freunden auszurichten. Tradition, die in die Jahre gekommen und dennoch liebgewonnen war.

Lustig erdachte Themen „Harakiri und Mikado“, darunter „Spieleabend mit Sushi an Asiadips“, sowie, „Herzlich willkommen“ hatte Georg Gruber mit dickem Filzstift auf eine Holzplatte gemalt. „Will zur Abwechslung etwas Anderes bieten“, sagte er mit stolzgeschwellter Brust und hing die Tafel außen an die Haustür.

Kleine Schlemmereien sollten den Abend wohltuend begleiten. Selbstverständlich leckere Alkoholika, verschiedene Spiele und das intensive Aufarbeiten aktueller Klatschthemen.

Zehn Minuten später stand Evelyn Stanicki, völlig unerwartet, mit ihrem Mann Waldemar vor der Haustür. Wie immer und überall trug er das gleiche Outfit. Einheitslook, der ihn auch an seiner Dienstelle, der IHK in Neuwied kennzeichnete: Anthrazitfarbene Hose, dunkelblauer Blazer, dezent hellblaues, nichtssagendes Hemd und eine blaugrüne, schräg gestreifte Krawatte.

„Hallo Waldi, wie schön, dass du wiedermal zu unserem Spieleabend mitkommst,“ schmeichelte die Gastgeberin nicht ganz ehrlich und fast etwas zu laut, „das ist ja eine tolle Überraschung.“

Dann fügte sie noch an: „Du hast sicher beste Laune mitgebracht!?“

„Und ob. Ich bleibe aber nur, wenn nicht politisiert wird. Ich habe genug im Kreistag und mit meinem aufregenden Engagement beim Basketball zu verdauen. Politisch stehen momentan neue Projekte an. Zwischen Nordrhein-Westfalen, weiter unten und Rheinland-Pfalz, hier oben an der Sieg. Wichtig sag ich euch, wichtig! Da brauche ich in meiner Freizeit keinesfalls sogenannte 'hilfreiche Tipps'. Doch zunächst, besten Danke für die Einladung. Ich freue mich auf deine Sushis an Asiadips.“

Waldemar Stanicki legte nach diesem Statement sein Gesicht zwischen bräsig und oberwichtig in tiefe Falten, so als dürften das Leben, seine Frau und die Freunde von ihm kein freundliches Lächeln erwarten.

Seine Frau Evelyn, aus ihren blond gefärbten Haaren blitzte eine neckische, blaue Locke, strahlte neben ihrem Mann wie ein Glückskäfer. „Hättet ihr nicht erwartet, dass Waldi die Zeit findet. Jawohl, er spielt heute mit!“

Die Gastgeberin, Verena Gruber, lächelte gekonnt und dachte, die schlitzohrige Stanicki spielt ihre Rolle wieder perfekt.

Im Flur musterte Evelyn Stanicki die Gastgeberin von oben bis unten: „Wie immer elegant in dunkelblauer Bluse und Perlen über Perlen, an Kette Brosche und Fingerring. Ist die Halskette neu oder die Bluse?“

„Beide, meine Liebe, beide sind neu. Hab die Muschelkernperlen erst gestern beim Juwelier erstanden.“

Während sie sich gegenseitig bewunderten traf auch das Ehepaar Fischer ein.

„Wunderbar, dass ihr alle pünktlich seid. Tretet ein. Ihr beiden Paare hättet euch fast vor dem Haus über die Füße stolpern können.“ Verena Gruber freute sich offensichtlich auf die Besucher und einen langen Abend.

Seit Jahren waren Vornamen in der Spielerunde üblich. Die einzige Ausnahme bildete Sabine Fischer. Sie wurde, weshalb wusste nach vielen Jahren niemand mehr, nur als „die Fischerin“ betitelt. Oder, in Abwesenheit, zu vorgerückter Stunde, die „steile Fischerin“.

In der Garderobe flüsterte die Hausherrin der Evelyn Stanicki noch ins Ohr: „Die Fischerin ist wieder mächtig aufgedonnert. Glitzert wie ein Ganzjahres-Weihnachtsbaum. Vielleicht bekommt dein Waldi durch ihren Glimmer bessere Laune.“

Beide Damen lächelten zufrieden mit sich und Verena Gruber erläuterte in die Runde: „Wir eröffnen den Abend mit einem Gläschen Prosecco. Zum japanischen Pflaumenwein gibt es dann die berühmten Glückskekse von Evelyn. Ich gehe davon aus, dass dies Texte darin jedem Einzelnen von uns lebenslanges Glück bringen werden. Bereits ab dem heutigen Abend.“

Verena Gruber trug den Blumenstrauß der Stanickis in die Küche und stellte ihn in eine Vase. Dann füllte sie im Wohnzimmer gekonnt die Gläser. „Na, wie schmeckt er Euch unser Prosecco?“

„Lecker, echt trocken und feinperlig“, lobten als zustimmendes Feedback die Gäste. „Dieser aufmunternde Begrüßungsschluck lässt uns den Alltag vergessen und begleitet uns beschwingt in den Abend.“

Nachdem alle sechs Prosecco Gläser eilig geleert und zur Seite gestellt waren, reichte die Hausherrin die nächste Runde. In zierlichen Likörgläsern kredenzte sie dunkelroten Pflaumenlikör.

Parallel dazu stellte sie, stilgerecht in einer chinesischen Porzellanschale, die Glückskekse in die Tischmitte.

„Auf das Wohl unserer Gastgeber. Nette Idee mit japanischem Pflaumenlikör zu Glückskeksen. Danke dafür. Ich wünsche, dass die guten Sprüche auf jeden von uns zutreffen“, Evelyn Stanicki brachte einen kleinen Toast auf Verena Gruber aus. Dann griffen alle mit schnellen Fingern nach den Glückskeksen. „Mal sehen“, schob Evelyn Stanicki nach, „ob es sich für meinen Waldemar lohnt, endlich mal wieder dabei zu sein und ein glücksbringender Spruch auf seine stressige Arbeit abfärbt.“

Die vor lauter Vorfreude nur leicht angenippten Likörgläser wurden hastig auf einem Tablett abgestellt und die ersten Glückskekse geknackt.

„Die Hausherrin muss, nein, es steht ihr unbedingt zu, als allererste ihren Text aus dem Glückskeks in unserer Runde vorzulesen.“

„Na dann“, Verena Gruber knackte den Keks und schmunzelte zufrieden. „Mein Sinnspruch trifft hundertprozentig zu: ‚Freue dich darauf, andern eine Freude zu bereiten‘. Das hast du treffend getextet Evelyn, danke.“

Ihr Mann Georg war nun als Hausherr an der Reihe vorzulesen: „Gestalte deine Partnerschaft und sie wird zu purem Gold.“

Georg Gruber schaute in die Runde und kommentierte seinen Text: „Ich halte mich an einen weithin bekannten Silvestersketch, in dem gesagt wird. Well, I'll do my very best.“

Alle Blicke richteten sich nun auf das Ehepaar Fischer. Sabine Fischer klapperte mit ihren glitzernden Armreifen und langen, künstlichen Wimpern. Sie begann mit einem motivierenden Spruch: „Sich selbst besiegen heißt gewinnen.“

„Ja, Ja, Ja!“ Sabine Fischer lachte schrill und reckte beide Arme nach oben.

Ihr Mann, Thomas Fischer, war der nächste in der Runde. Zu seinen breiten Gewichtheberschultern und Händen, mit denen man fünf aufeinander gestapelte Ziegelsteine hätte spalten können, passte der Keks mit romantischen Inhalt nicht im Geringsten: „Gebe bereitwillig Liebe und du bekommst tausendfache Liebe zurück.“

Dennoch klatschten alle laut Beifall. Dann war Ehepaar Stanicki an der Reihe. Evelyn griff als erste zu: „Dein drängendstes Problem heute, bietet dir schon morgen allergrößte Chance.“

„Auch prima,“ kommentierte sie zurückhaltend ihren selbst verfassten Spruch. „Vielleicht hilft diese Weissagung uns beiden. Und nun du Waldemar“, sie schaute erwartungsvoll auf Ihren Ehemann.

Umständlich nahm der ehrenamtliche Kommunalpolitiker einen Keks aus der Schale, zerbrach ihn linkisch zwischen zwei Fingern und las: „Wer heute keine echten Freundschaften pflegt, wird morgen sehr einsam sein.“

Zunächst lachten alle, merkten dann bereits in der ersten Sekunde, dass diese Zukunftsdeutung genau den Mann traf, der ausschließlich berufliche oder höchstens politische Seilschaften pflegte. Betroffenes Schweigen machte sich in der zuvor lustig aufgedrehten Gesellschaft breit.

Sabine Fischer nutzte die sprachlose Pause: „Tschuldigung, muss mal soeben ein Nikotinchen zu mir nehmen.“ Mit sicherem Griff angelte sie eine Packung Zigaretten und ein goldfarbenes Damenfeuerzeug aus der neonfarbenen Handtasche.

„Habe ich nicht anders erwartet“, sagte die Hausherrin lächelnd. „Auf der Terrasse steht dir bereits ein Aschenbecher zu Verfügung.“

„Dann könntest du in der Zwischenzeit etwas Luft aus unseren Gläsern rauslassen“, regte Evelyn Stanicki gut gelaunt an. Am langen Arm hielt sie ihr leeres Proseccoglas über den Tisch.

Verena Gruber, die Gastgeberin, fasste sich nach einer unerwartet langen Unterbrechung als erste. „Sabine verschlingt wohl zwei Rauchstengel. Lasst uns noch einen leckeren Schluck japanischen Pflaumenwein nehmen. Oder möchte noch jemand ein Gläschen Prosecco?“

Niemand antwortete. Sie warteten alle auf die nächste Runde verheißungsvoller Glückskekse.

Vor sich hin hüstelnd trat alsbald die Fischerin wieder in den Raum.

„Nun ihr Lieben. Der nächste Umlauf mit treffenden oder nichtzutreffenden Sinnsprüchen ist eröffnet. Bei diesem wird es dann Waldemar hoffentlich nicht mehr so hart erwischen.“ Die Hausherrin verteilte ungefragt den Rest Pflaumenwein auf die sechs Gläser.

Verena Gruber griff wieder als Erste in die Schale. „Steht mir, wie ihr alle vorher angeregt habt, als Ausrichterin des Abends zu“, lächelte sie. Schnell überflog sie den Papierstreifen aus dem Glückskeks, um ihn dann zufrieden lächelnd, laut vorzulesen: „Auf dass alle deine Träume in Erfüllung gehen werden.“ Begeistert schob gleich nach: „Ja, ja, ja!“

„Dieser Glücksspruch passt am heutigen Tag wunderbar auf die Gastgeberin“, sagten alle unisono und klatschen laut Beifall. Verena Gruber nickte wieder dankend Evelyn Stanicki zu.

Georg Gruber las danach vor: „Glücklich wird, wer den Kopf nicht in den Sand steckt.“

„Stimmt, ist haargenau auf dich zugeschnitten“, sagte Sabine Fischer und las nun: „Glaube an dich und du musst die Zukunft nicht fürchten.“

Ihr Mann Thomas legte nach: „Mit Lächeln vertreibst du jeden Feind.“ Auch dieser Spruch passte nur bedingt zu seinen riesigen Fäusten.

Evelyn Stanicki war nun wieder an der Reihe: „Lache viel und du bleibst gesund“, gab ihr der kleine, selbst verfasste Zettel aus dem Glückskeks mit, in diesen mit einem schlimmen Ende aufwartenden Abend.

Ihr Mann Waldemar, dessen eigenhändig gezogener Text ihn beim ersten Durchgang sehr negativ berührt hatte, nahm den nächsten Glückskeks mit spitzen Fingern aus der Schale. Während er vorlas, erschrak er: „Wer viel lacht, bleibt viele Jahre jung. Wer wenig lacht, wird schneller dem Ende entgegensehen.“

Mächtig angesäuert, leerte der stets ernst in die Welt schauende Mann, in einem Zug, sein Likörglas.

„Ups“, überspielte die Hausherrin die aufkommende Nachdenklichkeit, „sollte ja nur ein lustiger Auftakt zu unseren Spielen sein. Nichts mit tiefer Bedeutung. Eben nur ein netter Spaß. Lasst uns nun auf einen Appetithappen in die Küche gehen. Ich habe eine breite Palette typisch asiatische Dips vorbereitet:

Alles spicy, mit verschiedenen Chilipasten, süße Ananas, Sojasoße und scharfem Wasabi. Dazu Garnelen und Streifen von der Hühnerbrust und Karotten, Fenchel und Selleriestangen. Und selbstverständlich eine Lage klassischer Sushis. Für dazwischen kredenzen wir ein passendes Getränk: Reiswein.

Kommt bitte an die Küchentheke, die Spiele im Wohnzimmer warten noch ein paar Minuten.“

Kaum saßen alle dicht gedrängt um die Theke, da läutete das Smartphone von Waldemar Stanicki. „Nun aber! Ausschalten oder in die Garderobe wegsperren“, grummelte die Hausherrin.

Doch Waldemar Stanicki stand hektisch auf, trat zwei Schritte zurück und lauschte mit wichtigem Mienenspiel. Er drehte sich um, stellt sich in die Ecke neben die Spülmaschine, mit dem Rücken zu den anderen Spieleteilnehmern. Eine volle Minute drückte er das Smartphone ans Ohr. Kein Wort, keine Silbe kam über seine Lippen. Zum Schluss nur: „Ja. Ja. Ich sehe ebenso die Dringlichkeit. Ich eile. Wie besprochen, bis gleich!“

Plötzlich, ohne weitere Erklärung, verabschiedete er sich ungelenk.

„Tut mir leid. Ich muss schnellstens weg. Wünsch euch einen Abend mit höchstmöglichem Glück bei diesen komischen Keksen. Tschüss.“

Oberflächlich, mit zwei Fingern, streichelte er im Vorbeigehen seiner Frau über die Schulter und stapfte mit großen Schritten aus dem Raum.

Neben der Garderobe drehte er sich ruckartig um und rief den verdutzt hinterher schauenden Zurückgebliebenen zu:

„Wer mir, das garantiere ich euch, dieses 'schnelle Ende' in meinem verfluchten Glückskeks untergeschoben hat, er oder sie werden es noch bitter bereuen! Hoffentlich bleiben die Sushis mit scharfem Dip nicht jemand im Hals stecken. Und noch einen Satz, sagt bitte zukünftig Waldemar zu mir, ich bin doch nicht euer Dackel mit dem Namen Waldi!“

Laut knallte die Haustür hinter ihm zu.

Alle schwiegen betreten. Nur seine Ehefrau Evelyn wirkte befreit. Sie hielt ihr Glas in Richtung Hausherrin: „Tu mir bitte auf diesen Schreck noch einen ordentlichen Schluck Prosecco rein.“

Verena Gruber, die Gastgeberin, schüttelte verständnislos den Kopf.

Noch ahnten die Mitspieler nicht, dass die unglücksverheißenden Worte im Glückskeks, „wird schneller dem Ende entgegensehen“, von der bitteren Realität weit übertroffen werden. Und dies unmittelbar innerhalb der nächsten Zehn Stunden.

Doch auf eine solch mysteriöse Weise die Welt verlassen zu müssen, das wünschte Waldemar Stanicki, außer sogenannten „politischen Freunden“, niemand.

Verfluchte Glückskekse

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