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Drei Seemeilen nördlich von Spiekeroog machten zwei Aale Jagd auf einen Hering. Er war auf einem Auge blind, seit er in der Nacht zuvor mit einer Makrele gekämpft hatte, und seine Chancen standen schlecht. Auf dem Meeresboden hätte er sich vielleicht in einem gesunkenen Krabbenkutter oder hinter dem versteinerten Backenzahn eines Mammuts verstecken können, aber nicht hier oben, nur ein paar Meter unter der Wasseroberfläche, ohne jeden Schutz durch seinen Schwarm, den er nach dem Zusammenstoß mit der Makrele nicht mehr wiedergefunden hatte.

Er geriet in Konfusion, so wie die meisten Heringe außerhalb ihres Schwarms, und suchte sein Heil in der Flucht. Aber die Aale waren kräftiger und schneller. Mit dem heilen Auge erhaschte der Hering, als er sich umsah, einen Blick auf die spitzen Kieferzähne des einen Aals, der ihn verfolgte, während der andere aus dem toten Winkel auf ihn zuschoß.

Es gab drei Augenzeugen dieser Attacke – einen Petersfisch, einen Heilbutt und einen Froschdorsch –, doch sie gingen auf Distanz. Sie hatten ihre eigenen Erfahrungen mit räuberischen Aalen gesammelt, und es lag ihnen nichts am Leben eines Herings. Wenn er den Appetit seiner Jäger stillte, umso besser.

Auch von der Ohrenqualle, die dort herumschwabbelte, konnte sich der Hering keine Hilfe erhoffen. Quallen und Heringe hatten nie gelernt, einander beizustehen.

Die Rettung kam von oben. Kurz bevor die beiden Aale zuschnappen konnten, fiel aus einem Boot etwas Großes und Blutiges auf sie herab: die enthauptete Leiche von Hobbe Hubertus Schepker, der die Inselkrimis »Mord auf Spiekeroog«, »Selbstjustiz auf Baltrum«, »Totschlag auf Sylt«, »Exitus auf Pellworm« und »Amoklauf auf Amrum« verfaßt hatte.

Dem einäugigen Hering war es gleichgültig, um wen es sich dabei handelte. Er wollte einfach nur heim. Die Aale aber witterten eine fettere Beute und disponierten augenblicklich um. Und bissen zu.

Ein Dornhai und zwei Zitterrochen, die auch etwas von dem Happen abhaben wollten, verjagten die Aale und fraßen sich am Bauchspeck satt. Das restliche Fleisch reichte in den folgenden Stunden sogar noch für dreihundert andere hungrige Mäuler, denn an seinem Todestag hatte Schepkers Körper zweihundertfünfzig Pfund gewogen. Ohne den Kopf.

Am Hafen von Neuharlingersiel roch es nach Seetang und Meersalz, aber das nahm Fritjof Haferland kaum noch wahr, denn danach roch er selbst, und mit seinem Geruchssinn war es nicht mehr weit her, seit er hoch in den Siebzigern stand. Auch sein Gehör hatte gelitten, doch die Augen und die Beine waren noch intakt.

Nach fast sechzig Arbeitsjahren als Fischer versah er zweimal in der Woche vormittags seinen Dienst als Wärter des Buddelschiffmuseums in Neuharlingersiel. Dank einiger Fernsehbeiträge hatte es überregionale Bekanntheit erlangt, und er wies die Besucher immer wieder gern auf die schönsten Modelle hin: Thor Heyerdahls Floß Kon-Tiki, ein Nilschiff mit Zweibeinmast, eine chinesische Dschunke, die sinkende Titanic und ein Atom-U-Boot.

An diesem etwas windigen und regnerischen Vormittag war nicht mit vielen Leuten zu rechnen. Haferland nahm auf einem Stuhl neben der Eingangstür Platz und holte aus seiner Aktentasche eine Zeitschrift heraus, die den Titel Rätsel mit Pfiff trug. Ein Geschenk seiner Großnichte Paula aus Ziallerns.

Südwind am Gardasee mit drei Buchstaben? Besser anderswo ansetzen, sagte sich Haferland. Zugmaschine am Verschiebebahnhof mit zehn Buchstaben? Woher sollte er das wissen? Er suchte sich ein anderes Kreuzworträtsel aus. Erkrankung am Pferdefuß mit fünf Buchstaben? Ja, waren die denn gaga, diese Rätselmacher?

Den Polizeibeamten sagte Haferland später, daß er das Heft nach einer Viertelstunde weggelegt und einen Rundgang durch das kleine Museum unternommen habe, um nachzusehen, ob irgendwo Staub gewischt werden müsse. Und dann habe er die Flasche mit dem Schädel von Hobbe Hubertus Schepker erblickt. An der Stelle, wo sonst die chinesische Dschunke gestanden habe. »Un ick dach’, mi draapt de Slag! Daar stunn ick tomaal de Mann tegenöver! Of beter geseggt, sien Kopp! Oog in Oog!«

»Ja … ja … ja … verstehe … was? Das kann doch wohl nicht sein! … Aha … ja … ja … und wie soll das funktioniert haben? … Verstehe … gut … ja … tun Sie das … nein, wir stochern hier noch im Nebel … ja … danke …«

Kommissar Gerold legte auf, glotzte Löcher in die Luft und ließ die Unterlippe hängen.

»Bad news?« fragte Kommissarin Fischer.

Er sah sie an. »Das können Sie laut sagen. Unser Mann hat wieder zugeschlagen. Falls es wirklich unser Mann ist.«

»Und wo?«

»In einem Kaff an der Nordseeküste. Hat einem Krimischreiber aus Jever den Kopf abgehackt und ihn in einem Buddelschiffmuseum ausgestellt. In einer Glasflasche. Und die Kollegen fragen sich, wie er den Schädel da reingekriegt hat.«

»Und?«

»Zur Stunde ist die einzige Erklärung die, daß er ein Glasbläser ist und das Flaschenglas um den Schädel herumgeblasen hat.«

»Schwachsinn«, sagte Kommissarin Fischer. »Wie soll denn das gehen?«

Zum erstenmal fiel ihr jetzt auf, daß sich unter Gerolds Augen Tränensäcke bildeten. Die Vorboten des Alters. Noch recht unscheinbar, denn er war ja erst Anfang vierzig, aber hey, noch fünfzehn oder zwanzig Jahre, und sie hätten das Format von Adidas-Umhängetaschen. Doch im Embryonalstadium standen sie ihm gar nicht so schlecht.

»Das ist alles noch unklar«, sagte Gerold. »Die Flasche und der Schädel werden jetzt von der KTU untersucht. Wenn hier tatsächlich ein Serienmörder am Werk ist, dann hat er mehr drauf als Jack the Ripper, Fantomas und David Copperfield zusammen. Was aber nicht heißt, daß wir ihn nicht drankriegen können …«

SoKo Heidefieber

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