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Es war das schäbigste Büro, das Dr. phil. Severin Dibelius jemals gesehen hatte. Ein heiserer Deckenventilator, ein unaufgeräumter, ramponierter und fleckenübersäter Schreibtisch, nikotingedüngte Tapetenbahnen mit Rissen und Löchern, ein anscheinend vom Sperrmüll stammender Garderobenständer mit einer verschlissenen Anzugjacke, aus deren Falten allen Ernstes eine Motte hervorkroch, ein schiefes Blechregal mit einer bunten Mischung aus Leergut, Papierhaufen, Pizzakartons und zerfledderten Herrenmagazinen, ein Rubbelglasfenster, das an vier oder fünf Stellen gesprungen war, an der Wand ein zwanzig Jahre alter Pirelli-Kalender, und hinter dem Schreibtisch fläzte sich ein Mann mit dem Charisma einer Wanze und der Visage einer Kröte: der Frankfurter Detektiv Manfred Jockel. Seine Beine lagen übereinandergeschlagen auf dem Tisch, so daß Dibelius freie Sicht auf das Loch in der einen Schuhsohle hatte.

»Nehmen Sie Platz«, sagte Jockel und wies auf einen Klappstuhl. An dessen Rückenlehne prangte ein Aufkleber mit der Aufschrift: »Die Arbeit ruft, aber ich kann ja nicht alles hören!«

Dibelius fragte sich, ob er nicht besser umkehren solle. Doch er setzte sich, denn für seinen Etat waren die seriöseren Detekteien nun einmal zu teuer, und auf einen Versuch konnte man es ja ankommen lassen.

»Herr, äh …«

»Jockel«, sagte Jockel. »Sie können auch Freddy zu mir sagen. Liegt ganz bei Ihnen. Wollen Sie ’n Drink?«

»Nein danke.«

»Ich aber schon. Alles ist vergänglich, nur der Durst bleibt lebenslänglich!« Er goß sich ein großes Glas Springer Urvater ein, trank daraus, steckte sich einen Zigarillo an, legte den Kopf in den Nacken, blies den Qualm durch die behaarten Nasenlöcher aus und nahm den neuen Klienten ins Visier. »Telefonisch hatten Sie ja schon angedeutet, daß es um Tod oder Leben geht. Dann kommen Sie doch mal zur Sache.«

»Könnten Sie vielleicht das Fenster öffnen?« fragte Dibelius. »Ich bin Nichtraucher.«

»Können könnte ich das schon«, erwiderte Jockel, »aber das würde uns beiden leidtun, denn im Parterre werden Schweine geschlachtet, und ich versichere Ihnen, daß der Rauch in diesem Raum deliziöser ist als der Blutgeruch aus dem Hof. Und nun schießen Sie mal los, mein Männeken. Raus mit der Sprache. Ich bin gespannt!«

Dibelius sah Jockel mißvergnügt dabei zu, wie er sich einen weiteren Schluck Springer Urvater einverleibte. Konnte dieser Trunkenbold der Aufgabe gewachsen sein, einen Serienmörder dingfest zu machen?

»Herr Jockel«, sagte Dibelius, »Sie haben doch sicher von den vier Morden an Schriftstellern gehört …«

»Ja, logisch.«

»Ich bin der stellvertretende Vorsitzende des Vereins der deutschsprachigen Kriminalromanautoren, und wir möchten Sie damit beauftragen, den Mörder zu finden. Weil die Polizei schläft.«

»Ach? Und wieso hab ich hier nur den Stellvertreter vor mir? Und nicht den Obermacker Ihres Vereins?«

»Der Vereinsvorsitzende, Herr Echternhagen, befindet sich derzeit zur Kur in Bad Orb.«

»In Bad Orb? Da sollte er sich aber in acht nehmen«, sagte Jokkel. »Bad Orb ist das deutsche Sinaloa. Seit letztem Jahr genau aufgeteilt zwischen den Günzelmann-Brüdern und dem Borngässer-Drogensyndikat. Nein, war nur Spaß! Reden Sie weiter …«

Dibelius sammelte sich. Selbst über die Strecke von drei Metern hinweg registrierte er Jockels fauligen Mundgeruch. Was mochte dieser Unhold zuletzt gegessen haben? Eine Wanderratte? Oder Menschenfleisch?

»Es ist uns ernst mit diesem Auftrag, Herr Jockel. Finden Sie den Mörder! Wir werden Sie auch gut bezahlen!«

»Meine Grundpauschale beträgt fünftausend Euro«, sagte Jockel. »Zahlbar sofort. Und für jede Arbeitsstunde berechne ich dreißig Euro. Auslagen gehen extra. Erlauben Sie mir die Frage, wie Sie auf mich gekommen sind?«

»Sie sind uns von einem unserer Mitglieder empfohlen worden. Waldemar König. Er sagt, Sie hätten ihm einmal außerordentlich gute Dienste geleistet.«

Jockel schmunzelte. An diesen Job erinnerte er sich gut. König war von einem vorwitzigen Steuerfahnder belästigt worden, und Jockel hatte den Mann mit Hilfe einer Strapsmaus von der Reeperbahn in eine Sexfalle gelockt und ihn dadurch so gefügig gemacht wie einen Zirkusfloh. Über das stattliche Erfolgshonorar hinaus hatte Jockel dieser Coup eine Dauerüberweisung in Höhe von monatlich eintausend Euro aus dem Säckel des düpierten Steuerfahnders eingetragen.

Und von diesem feixenden Proleten erwarten wir die Lösung unserer Probleme, dachte Dibelius zweiflerisch, als er die Anzahlung auf den Tisch blätterte und Jockel fragte, wo er denn anzusetzen gedenke.

»Das überlassen Sie mal mir«, sagte Jockel. Er prüfte die Geldscheine im Licht seiner trüben Schreibtischfunzel. »Ich habe Kontakte.«

»In die Unterwelt?« fragte Dibelius. Er hatte selbst einmal einen Krimi geschrieben – »Die Eispickelmörder« –, der aber gefloppt war, und er wollte gern mehr über das kriminelle Milieu erfahren. Aus erster Hand.

»Nein«, blaffte Jockel. »Ins Müttergenesungswerk! Und nun huschen Sie zurück in Ihr Körbchen. Ihr Auftrag ist angenommen. Sie hören dann von mir.«

Die Schautafeln mit den blutigen Tatortfotos hatten es in sich, aber den Magen drehte es Ute Fischer erst um, als Erwin Zapp ihr eine Schachtel Pralinen unter die Nase hielt. Confiserie-Trüffel von Sprengel. »Eine kleine Aufmerksamkeit. Zur Einstimmung auf unser Teamwork. Ich habe eben mit Kommissar Riesenbusch gesprochen, und er hat uns derselben Arbeitsgruppe zugeteilt. Die ich übrigens leiten werde. Wir sollen uns zielführende Maßnahmen überlegen, die abseits der Routine liegen. Stichwort Brainstorming. Dürfte Koryphäen wie uns ja nicht schwerfallen …«

Een fule Ei verdarft dat ganze Nüst, dachte Ute. »Und wer ist sonst noch mit im Boot?«

»Außer uns zwei Hübschen? Kommissar Gerold, den Sie ja schon kennen, der liebe Herr Wiesling, die Kommissarinnen Schubert und Farian, die an dem Hachenburger Saunamord dran sind, und last but not least der Analyst Sven Haberfeld. Guter Mann. Hat voriges Jahr den Erpresser des Kaufhauskönigs Riedl überführt. Ist aber irgendwie schräg drauf. Nimmt nur Hülsenfrüchte zu sich, war mal Großmeister im Schach, spielt Querflöte und fährt jedes Jahr zu den Salzburger Festspielen. Typisches Tukkenverhalten. Aber sagen Sie’s nicht weiter!«

Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu, und in der Sitzung lief er zu einer noch größeren Form auf. »Mesdames et Messieurs«, sagte er, »Sie wissen, weshalb wir uns hier versammelt haben. Es geht ein Mörder um in Deutschland, und nur wir können ihn stoppen. Ich habe gestern abend noch sehr lange fernmündlich mit meinem alten Kollegen Ray Berry von der Behavioral Analysis Unit im National Center for Analysis of Violent Crime in Quantico in Virginia gesprochen, und wir sind beide der Meinung, daß der Täter schizophren ist. Als FBI-Agent hat Ray Erfahrung mit solchen Mißgeburten, und er hat mir dazu geraten, eine Rundmail an alle deutschen Psychiater zu schicken. Mit einem auf den Täter zugeschnittenen Fragebogen. Den könnten Kommissarin Fischer und ich dann gemeinsam erarbeiten …«

Kommissar Gerold sah Ute Fischer erschauern und tischte eine andere Idee auf. Er habe sich kundig gemacht, was diese Krimis angehe, sagte er. Ganz oben auf allen Bestsellerlisten stehe jetzt der Regionalkrimi »Mittelrheinfieber« von Bennatz Neuß aus der Verbandsgemeinde Bad Breisig am Rhein. »Da fährt der Mörder mit einem Transporter auf die Festung Ehrenbreitstein und läßt hinten aus dem Wagen einen scharfgemachten Rottweiler raus, damit er aus einem Drogendealer Hackfleisch macht. Das ist der einzige Mord in diesem Krimi, und es ist gut möglich, daß der Täter ihn gelesen hat. Vielleicht können wir Bennatz Neuß als Lockvogel einsetzen. Sofern er Lust dazu haben sollte, auf der Festung Ehrenbreitstein spazierenzugehen …«

Es wurden noch einige weitere Gedankenspiele erörtert: Wiesling schlug vor, die Namen der Opfer von einem Kryptologen checken zu lassen, weil da ja vielleicht ein verborgener Zusammenhang existiere; Haberfeld äußerte die Mutmaßung, daß die Tatorte Bad Bevensen, Hachenburg, Neuharlingersiel und Kißlegg ein geographisches Rebus darstellten, aus dem sich möglicherweise der nächste Tatort ergebe; Kommissarin Farian warf die Frage auf, ob das Vorleben der Opfer nicht noch intensiver als bisher auf Querverbindungen zwischen ihnen untersucht werden müsse, und Kommissarin Fischer regte an, die bestehende Arbeitsgruppe alle drei Stunden personell völlig neu zu besetzen. »Natürlich unter Ihrer bewährten Leitung, Herr Zapp. Auf diese Weise wäre der ständige Zustrom neuer Gedanken sichergestellt. Wer ist alles dafür?«

Zapp war der einzige, der nicht die Hand hob. Damit hatte Ute sich selbst und den anderen zu einem eleganten Abgang verholfen. Beim Hinausgehen hörte sie allerdings noch, wie Zapp die Kommissarin Schubert ansprach: »Auch wenn ich kein Forensiker wäre, würde mir auffallen, daß Sie hungrig aussehen! Darf ich Sie zum Essen einladen? Ich kenne ein italienisches Restaurant, das Sie lieben werden …«

Kommissar Riesenbusch zeigte sich dann recht angetan von dem Plan, Bennatz Neuß als Köder auf der Festung Ehrenbreitstein zu plazieren. »Am besten machen Sie beide gleich für morgen einen Termin mit ihm aus«, sagte er zu Gerold Gerold und Ute Fischer. »Machen Sie ihm klar, daß er nichts zu befürchten hat. Wir werden das Ganze so perfekt absichern, als wäre er der Dalai Lama persönlich!«

Frank Schulz war nur mal eben eingeduselt, auf dem Sofa in seiner Osnabrücker Dichterklause – ein Vorkommnis, dem keine große Bedeutung innewohnte. Aber als er nach einem Stündchen wieder zu sich kam, hatte sein Leben sich von Grund auf geändert. Er wußte das bloß noch nicht.

Nachdem er Teewasser aufgesetzt, die Post hereingeholt, einen Himbeerjoghurt gegessen und die Spülmaschine ausgeräumt hatte, öffnete er seinen E-Mail-Account und rieb sich die Augen. Konnte dort wirklich »2648 neue Nachrichten« stehen? Er sah noch einmal hin. Jetzt stand dort »2653 neue Nachrichten«.

Der Teekessel pfiff. »Halt’s Maul!« rief Schulz und starrte auf die vierstellige Zahl, die sich fortlaufend veränderte: 2657 … 2661 … 2668 …

Er klickte die neueste Nachricht an:

Schweine wie du gehören selber abgeknallt du Ratte!!! Wir krigen dich!!!

Und die darunter:

Wie können Sie es wagen, derart menschenverachtende Äußerungen von sich zu geben?! Sie sollten sich schämen!!

Und eine weitere:

Für Abschaum wie Sie ist das Gefägniß noch viel zu wenig! Man mus Sie ausser Landes abschieben in ein Staat mit Folter!!!!!!!!!!!!!!!!

»Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt«, sagte Schulz. »Haben die euch zu heiß gewindelt oder was?« Er lief in die Küche, brachte den Kessel zum Schweigen und schaltete sein Smartphone ein.

Das gleiche in Grün: eine Sintflut von Nachrichten. Und schon klingelte es.

»Schulz hier«, sagte Schulz voll banger Erwartung. Seine Stimme klang hohl.

»Ah, Herr Schulz! Wie schön, daß ich Sie erreiche! Mike Thiele hier von Radio N-Joy! Was sagen Sie zu der Debatte, die Sie losgetreten haben?«

»Welche Debatte? Ich versteh nur Bahnhof!«

»Na, hören Sie mal! Sie haben die deutschen Kriminalromanautoren als Mafia bezeichnet und die Morde an ihnen als ›angewandte Literaturkritik‹ bewitzelt! Und da wundern Sie sich noch, daß die Empörung hochkocht?«

Nun klingelte es auch an der Wohnungstür. Schulz beendete das Gespräch und sah durchs Küchenfenster nach unten. Auf der Straße stand ein Ü-Wagen vom NDR. Und gerade kam ein zweiter von RTL angebraust.

Aus der Küche hastete Schulz zu seinem Rechner zurück und googelte Mafia + Schulz + »angewandte Literaturkritik«.

37404 Ergebnisse! An erster Stelle stand ein Bericht von Bild.de, der vor dreizehn Minuten erschienen war:

Für den Schriftsteller Frank Schulz (62) gehören alle Krimi-Autoren einer »Mafia« an. Aber die Morde, denen vier von ihnen zum Opfer gefallen sind, sieht er ganz locker: Das sei eben »angewandte Literaturkritik«. Und nichts weiter.

Das hat Schulz gestern in Wiesbaden vor einer Sonderkommission der Polizei erklärt, die die bestialischen Morde an den Krimi-Autoren Armin Breddeloh, Frieder Lindenthal, Hobbe Hubertus Schepker und Justus Weindl untersucht.

Jetzt kriegt er die Quittung! Auf Twitter posten bereits Zehntausende unter dem Hashtag #SchulzAmPranger ihre Meinung. Der Krimi-Autor Waldemar König (48) gegenüber BILD: »Dafür wird Herr Schulz sich verantworten müssen. Ich habe Strafanzeige erstattet.«

Severin Dibelius, der stellvertretende Vorsitzende des Vereins der deutschsprachigen Kriminalromanautoren (VDDK), geht noch weiter: Er verlangt eine öffentliche Entschuldigung des BKA-Präsidenten und des Bundesinnenministers und die Offenlegung des Honorars, das Schulz für seinen Vortrag bezogen hat. »Das wird er auf Heller und Pfennig zurückzahlen müssen. Wie kommt das BKA überhaupt dazu, irgendeinen dahergelaufenen Kleinschriftsteller einzuladen, der auf Steuerzahlerkosten Spott und Häme über vier Mordopfer ausgießt? Und uns als Mafia denunziert? Sieht so die Arbeit der Sonderkommission aus? Wenn das so weitergeht, wird sich der Mörder ins Fäustchen lachen!«

An der Tür läutete es Sturm, das Smartphone bimmelte ohne Unterlaß, die Reportermeute auf der Straße wuchs, und Schulz atmete durch.

Was tun? Er genehmigte sich einen doppelstöckigen Brandy. Dann zertrümmerte er mit einem Handkantenschlag die Türklingel und rief seinen Verlagsagenten Thomas Hübner an.

»Hallo, Frank«, sagte Hübner. »Hast du deine Mailbox schon abgehört?«

»Nein, verflucht! Hab nur ’n Nickerchen gemacht und bin währenddessen offensichtlich tief in die Scheiße geritten worden!«

»Stimmt das denn, daß du diesen Vortrag gehalten hast? Im BKA?«

»Ja! Aber das ist auch alles! Das mit der Mafia war nur so dahingesagt, als Späßchen, und das mit der ›angewandten Literaturkritik‹ ist aus dem Zusammenhang gerissen worden! Ich hatte gesagt, daß es zynisch wäre, diese Morde so zu interpretieren! Und dann muß irgendwer aus dieser Sonderkommission das verkürzte Zitat mitsamt meiner E-Mail-Adresse an die Presse weitergegeben haben! Oder an Twitter oder Facebook oder weiß der Deibel! Und jetzt rennen die Journalisten mir hier die Bude ein!«

»Am meisten scheinen die Leute sich darüber aufzuregen, daß du für deinen Vortrag Geld bekommen hast …«

»Ich bitte dich! Das waren hundertfünfzig Piepen! Und die Erstattung meiner Spesen! Kaum der Rede wert!«

Schulz sah wieder zum Küchenfenster hinaus. Drei neue Ü-Wagen waren angerollt. Von n-tv, Sat.1 und CNN. Ihr seid doch alle vom wilden Affen gebissen, dachte er und kehrte zu der Flasche Brandy El Maestro Sierra Gran Reserva zurück, die sein Ex-Verleger Gerd Haffmans ihm zum Sechzigsten geschenkt hatte. In einer Welt von Feinden war sie ein verläßlicher Freund.

»Du machst jetzt Folgendes«, sagte Hübner. »Du twitterst dein Bedauern und entschuldigst dich bei allen, die sich verletzt fühlen, und heute abend stehst du im Fernsehen Rede und Antwort. Ich stiele das ein. Und du putzt dich raus. In einer Stunde wirst du abgeholt.«

Zum Kochen fühlten Gerold Gerold und Ute Fischer sich viel zu müde. Gerold rief einen Pizza-Bringdienst an, und danach beantragte Ute einen Cinzano. »Falls deine Schwester sowas Abartiges im Haus hat und wir uns bedienen dürfen …«

Sie streifte ihre Schuhe ab, ließ sich auf die Couch fallen und nahm die Programmzeitung vom Tisch. »Hey, Gerold, willst du nicht auch mal wieder was anderes sehen als immer nur Blutspuren und die Goldzähne von Erwin Zapp? Vielleicht ’n Tierfilm? Oder einen Schmachtfetzen aus Hollywood?«

»Such uns was Schönes aus«, rief Gerold aus der Küche zurück, wo er Eiswürfel in einem Handtuch zerstieß. »Aber erinnere mich heute bitte nicht mehr an Zapps Freßleiste!«

Zu ihrem Entzücken stellte Ute fest, daß im Ersten nach der Tagesschau »Schlaflos in Seattle« lief. Einer ihrer großen Favoriten. Sie hatte den Film schon dreimal gesehen und sich jedesmal in Tom Hanks verliebt. Nur in »Cast Away« sah er noch prickelnder aus.

Gerold verteilte das Eis auf zwei Gläser, goß etwas Canadian Club, Cinzano Rosso und frischgepreßten Orangensaft darüber, fügte jeweils einen Fingerhut Angostura hinzu und schritt mit dem Serviertablett ins Wohnzimmer. Dort wollte er die Fischerin mit der Frage betören: »Vous désirez un apéritif, Mademoiselle?« Dafür reichte sein Schulfranzösisch noch aus, und so polyglott wie Erwin Zapp war er allemal.

Doch es kam anders. Der Spielfilm »Schlaflos in Seattle« wurde durch einen ARD-Brennpunkt ersetzt, in dem es um die Morde an Breddeloh, Schepker, Lindenthal und Weindl gehen sollte, und bevor Gerold eine Silbe sagen konnte, schrie die Fischerin auf: »Ihr Flitzpiepen! Ich hab Feierabend!«

Den Cocktail nahm sie umso dankbarer entgegen.

»Cin Cin«, sagte Gerold, als er sich neben ihr niedergelassen hatte, und Ute ergänzte den alten Trinkspruch: »Cinzano!«

Dann hörten sie sich an, was die öffentlich-rechtlichen Journalisten und ihre Interviewpartner zu der Mordserie zu sagen hatten: Blabla, blabla … Betroffenheit … Entsetzen … Mitgefühl …

Ein Kommentator behauptete, daß sich »ganz Deutschland im Schockzustand« befinde. Die Fischerin wollte schon umschalten, weil sie das Gequatsche nicht mehr aushielt, doch dann sagte der Anchorman: »Zugeschaltet wird uns jetzt live aus Hannover der Schriftsteller Frank Schulz, der vor einer Sonderkommission der Polizei gesagt haben soll, daß die Autoren deutscher Kriminalromane einer Mafia angehörten und daß die Morde an einigen von ihnen nichts weiter seien als eine Art angewandter Literaturkritik. Guten Abend, Herr Schulz.«

Auf dem Bildschirm erschien der Kopf von Frank Schulz, der in eine falsche Richtung blickte.

»Herr Schulz, was werfen Sie den Verfassern deutschsprachiger Regionalkrimis denn eigentlich vor? Ganz konkret?«

»Rein gar nichts!« sagte Schulz. Jetzt hatte er die richtige Kamera im Auge. »Das ist alles nur ein albernes Mißverständnis! Gegenüber der Polizei hab ich gesagt, daß es zynisch wäre, diese Morde als ›angewandte Literaturkritik‹ zu bezeichnen. Deswegen ist es ja auch geradezu lächerlich, mich als jemanden hinzustellen, der hier irgendwas verharmlost! Ich verachte den Mörder, der das getan hat, und ich hoffe, daß er geschnappt und streng bestraft wird!«

»Und inwiefern bilden die Autoren deutscher Regionalkrimis für Sie eine Mafia?«

»Herrgott, das hab ich doch nicht ernst gemeint! Sonst müßt ich doch ’ne Schacke haben. Die sind alle schwer in Ordnung! Meine Absicht war einzig und allein die, der Polizei einen kleinen Dienst zu erweisen. Auf deren Bitte hin, wohlgemerkt! Aber da meine Äußerungen falsch verstanden worden sind, möchte ich mich hier gern in aller Form entschuldigen …«

»Und wie hoch ist das Honorar, das Sie für Ihre Schmährede kassiert haben?«

»Wie oft soll ich’s denn noch sagen? Das war keine Schmährede!«

»Sie weichen aus. Wie hoch war Ihr Honorar?«

»Hundertfünfzig Euro. Und die hab ich gespendet. Und zwar an die Hilfsorganisation Weißer Ring, einen gemeinnützigen Verein zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern. Hier ist die Spendenquittung!« Er hielt sie in die Höhe.

»Sie haben sich Ihre Spende also quittieren lassen, damit Sie das Geld von der Steuer absetzen können?«

Darauf fiel Schulz so schnell keine Antwort ein, aber sein gequälter Gesichtsausdruck sprach Bände.

»Soll ich die Frage wiederholen?«

»Das müssen Sie nicht«, sagte Schulz. »Sie können mir glauben, daß ich das Geld nicht gespendet habe, um mich zu bereichern. Das kann ich sogar beweisen. Hier, sehen Sie?« Er riß die Quittung entzwei und warf die beiden Hälften fort. Eine nach links und eine nach rechts. »Jetzt zufrieden?«

»Was soll dieser symbolische Akt bezwecken, Herr Schulz? Wollen Sie damit den Kriminalitätsopfern Ihre Verachtung zeigen?«

Gerold stöhnte auf und rief: »Können die den armen Kerl nicht endlich in Ruhe lassen?«

»Zum letzten Mal«, sagte Schulz. »Ich versichere hiermit hoch und heilig, daß ich niemanden verächtlich machen oder beleidigen oder verletzen will. Wenn ich das trotzdem getan haben sollte, tut es mir von ganzem Herzen leid. Auf Wiedersehen.«

»Wir hätten aber noch ein paar Fragen mehr!«

Er habe »alles gesagt«, murmelte Schulz, stand auf und ging aus dem Bild.

Der Anchorman zog die Brauen hoch und wandte sich wieder den Zuschauern zu. »Ja, meine Damen und Herren, Sie haben selbst gesehen, daß der Schriftsteller Frank Schulz zu impulsiven Handlungen neigt. Dafür ist unser nächster Gast aber jemand, der das Licht der Öffentlichkeit nicht zu scheuen braucht. Ich begrüße hier bei uns im Studio den Schriftsteller Waldemar König!«

»Madonna mia cara!« entfuhr es der Fischerin. »Nicht schon wieder diese Krücke!« Sie stellte den Fernseher aus. »Laß uns lieber Musik hören. Irgendwas Stimmungsvolles …«

»Meine Schwester besitzt sogar noch Vinylplatten«, sagte Gerold. »Vielleicht ist ja was Passendes dabei. Was verstehst du denn unter stimmungsvoll? Richard Wagner? Oder eher Dixieland?«

»Um Gottes willen! Nein, ich meine was Dezentes …«

Während Gerold eine Platte von Leon Redbone auflegte und die Gläser wieder auffüllte, massierte Ute sich die Füße und gähnte, bis ihr die Ohren knackten. Was für ein Tag!

Sie hatte nicht vor, Gerold zu verführen oder sich von ihm verführen zu lassen, aber als er neben ihr auf das Couchpolster sank, legte sie probehalber den Kopf an seine Schulter. Und Leon Redbone sang dazu mit seiner einschmeichelnden Kettenraucherstimme.

I like lazy weather, I like lazy days,

Can’t be blamed for having lazy ways …

»Wenn du keine plausiblen Einwände dagegen erhebst, werde ich dann mal den Arm um dich legen«, sagte Gerold.

»Ich bitte darum«, sagte Ute und schmiegte sich enger an ihn.

»Vorher müßte ich mich nur noch einmal kurz vorbeugen, um aus meinem Glas zu trinken. Wenn du erlaubst.«

»Tu das.«

Er tat es. Dann legte er den Arm um sie, und Leon Redbone croonte:

Up a lazy river, how happy you could be

Up a lazy river with me …

Der Bote vom Pizza-Service mußte zehnmal schellen, bis in der Villa in Bad Soden endlich jemand an die Tür kam. Ein halbnackter Mann mit zerstrubbelter Frisur, der ihm einen Hunderter zusteckte und sagte: »Stimmt so. Keine Zeit zum Wechseln! Danke!«

Erwin Zapp rieb sich die Hände. Den Schönling Frank Schulz hatte er nur allzu gern ans Messer geliefert und ein angemessenes Informationshonorar dafür eingestrichen. Diese SoKo war der reinste Goldesel. Und wenn die Kommissarinnen Fischer und Schubert sich nicht bald etwas gefälliger zeigten, würde er auch die eine oder andere interne Äußerung von ihnen durchsickern lassen und sie in klingende Münze verwandeln. Diese Weiber würden ihn noch darum anwinseln, daß er Gnade vor Recht ergehen ließ!

SoKo Heidefieber

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