Читать книгу Grundbegriffe der Ethik - Gerhard Schweppenhäuser - Страница 13

[61]3. Praktische Vernunft

Оглавление

Im Folgenden werden ›Ethik‹ und ›Moralphilosophie‹ synonym gebraucht; beide Begriffe stehen, wie gesagt, für einen Reflexionszusammenhang, der sich – verstehend, erklärend und oft auch vorschreibend – auf die Gesamtheit dessen bezieht, was in der europäischen Philosophie seit der Neuzeit so schön als »praktische Vernunft« bezeichnet worden ist. Damit ist all das gemeint, was im engen und weiten Sinne mit der Frage zu tun hat, wie Menschen ihr Leben so gestalten, dass individuelles Handeln und gemeinsame Praxis vernünftiger Rechtfertigung standhalten – dass also das Handeln von vernünftiger Reflexion und dadurch gewonnenen Grundsätzen angeleitet wird.

Diese vernünftige Rechtfertigung wird in der Philosophie der Neuzeit immer als allgemein verbindliche Rechtfertigung gedacht. Das ist hier ganz buchstäblich zu verstehen: Praktische Vernunft muss allgemein und verbindlich sein. Ist von praktischer Vernunft die Rede, hat das eine doppelte Bedeutung: zum einen, dass versucht wird, konsistent über Praxis nachzudenken, und zum andern, dass Vernunft praktisch werde – dass also vernünftige Gründe und Maximen bestimmen, was geschieht, sei es in individuellen Lebensfragen oder in kollektiver Praxis. Beide Male zielen entsprechende philosophische Überlegungen auf einen allgemeingültigen Zusammenhang.

Das war in der Antike anders. Hier war praktische Vernunft, etwa bei Aristoteles, das Vermögen, zu erkennen, was für die Einzelne und den Einzelnen sowie für die Polis gut ist, und die eingeübte Fähigkeit, das individuelle Handeln darauf einzustellen. Dem lag kein deduzierbares, [62]rationales Moralprinzip zugrunde, sondern eine solide Vertrautheit mit den Sitten und Gebräuchen des jeweiligen Gemeinwesens. Was in Athen gut und gerecht war, das musste es an einem anderen Ort nicht unbedingt ebenfalls sein. Moral war dabei stets auch sozial differenziert (»Quod licet iovi, non licet bovi«, wie es im alten Rom hieß: Das, was den Göttern erlaubt ist, ist noch lange nicht dem Ochsen erlaubt).

Grundbegriffe der Ethik

Подняться наверх