Читать книгу Chancenmanagement in der Krise - Gerhard Seidel - Страница 14
2. Wissen um Krisen
ОглавлениеDer erste Engpass, den es zu lösen gilt, ist eine gute Vorbereitung auf die möglichen Auswirkungen des Crashs. Es ergibt wenig Sinn (es bewirkt nichts) wenn wir uns um den falschen limitierenden Faktor kümmern, ein Hindernis beiseite räumen, welches einen anderen Weg versperrt, den wir im Moment nicht gehen wollen. Kümmern wir uns zunächst um die Probleme (die dicken Brocken) der nahen Zukunft, das heißt, erst lösen wir die Aufgaben von heute, dann die von morgen – danach die von übermorgen.
Die wichtigste Aufgabe, die momentan für das Management ansteht, ist die der Informationsbeschaffung. Welche Erklärungen und Kommentare gibt es über die Wirkkräfte und die möglicher Entwicklungen der nahen Zukunft? Was sind Krisen, was sind Chancen, was sind Bedrohungen? Warum reagieren wir oft so spät? Gibt es ähnliche Situationen, die uns helfen können, das Phänomen „Weltwirtschaftskrise“ zu begreifen?
Worum man sich kümmern muss, ist, mögliche Ursachen und die Bedeutung von Krisen einschätzen zu können, um so zu den notwendigen Erkenntnissen und danach zu den wirksamen Gegenmaßnahmen zu gelangen. Praktizierte Ehrlichkeit zu sich selbst, aber vor allem auch gegenüber den sich abzeichnenden Entwicklungen. Diese Offenheit – auch wenn sie manchmal schwerfällt – ist eine der wichtigsten Charaktereigenschaften der Managements, die es jetzt braucht.
Wir werden später noch erläutern, warum sich die Menschen schwertun, erkennbare Entwicklungen oder vorhandene Realitäten zu akzeptieren. Doch ehrlich währt am längsten, das gilt sich selbst und anderen gegenüber und auch gegenüber unangenehmen Zuständen und Entwicklungen. Mit „ehrlich“ sind nicht nur Fairness, Redlichkeit und Zuverlässigkeit gemeint, sondern vor allem geht es um Charakterfestigkeit. Dazu eine kleine Geschichte:
Ein erfolgreicher Unternehmer war alt und müde geworden und überlegte, wie er im Kreise seiner Mitarbeiter einen Nachfolger für sein Geschäft finden könnte. Dieser sollte die Firma so lange führen, bis sein Sohn alt genug war, um die Leitung des Unternehmens zu übernehmen. Doch das würde noch einige Jahre dauern.
Deshalb versammelte er alle seine Mitarbeiter um sich und sagte: „Ich will einen von euch auswählen, der mein Nachfolger wird, bis mein Sohn alt genug ist, in meine Fußstapfen zu treten.“
Der Chef gab allen Mitarbeitern ein Saatkorn und sagte: „Pflanzt dieses Korn ein, und wer mir in einem Jahr die größte und schönste Blume bringt, der soll mein Nachfolger sein.“
Nach einem Jahr versammelten sich wieder alle, um dem Chef ihre Blumen zu zeigen. Die größte hatte der Werbeleiter. Vier Arbeiter konnten nur mühsam den schweren Kübel tragen. Doch auch die Blumen der anderen Manager waren stattlich. Diejenigen der anderen Mitarbeiter waren kleiner, manche fast mickrig, aber alle hatten eine Blume – bis auf die Leiterin des Rechnungswesens. Ihr war es trotz großer Mühe nicht gelungen, eine Pflanze großzuziehen. Und deshalb schämte sie sich so sehr, dass sie mit ihrem leeren Kübel in der zweiten Reihe stand, ganz hinten.
Der Unternehmer schaute sich alle Blumen an, und als er anschließend verkündete, dass die Leiterin des Rechnungswesens seine Nachfolgerin werden solle, waren alle anderen entrüstet. „Warum“, so fragten sie, „gerade diese? Die hat ja überhaupt keine Blume ihrem Topf.“
Da lächelte der Chef und sagte: „Die Saatkörner, die ich euch gegeben habe, waren unfruchtbar. Daraus konnten keine Blumen wachsen. Sie war die Einzige, die das ehrlich zugegeben hat. Als mein Nachfolger braucht man viele Eigenschaften, manche auch nicht, weil ihr, die Manager, über diese Fähigkeiten verfügt. Aber was keiner ersetzen kann und worauf ich nicht verzichten möchte, ist Ehrlichkeit!“
Wer zuverlässig ist und ehrlich zu sich selbst und gegenüber anderen, wird auf Dauer immer gewinnen. Auch wenn manchmal alles dagegen spricht. Und es heißt auch, dass man bei der Beurteilung der derzeitigen wirtschaftlichen Situation ehrlich gegenüber sich selbst, seinen Mitarbeitern und Geschäftspartnern sein sollte. Das möglichst objektive Einschätzen möglicher zukünftiger Entwicklungen ist kein Zeichen von Pessimismus, sondern im Gegenteil, es zeigt Mut, die sich abzeichnenden Tatsachen zu akzeptieren und die richtigen Konsequenzen daraus zu ziehen.