Читать книгу Medienerziehung und Medienbildung in der Grundschule - Gerhard Tulodziecki - Страница 11
1.3 Merkmale der Medienlandschaft
ОглавлениеAls Merkmale der Medienlandschaft lassen sich – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – nennen: Vielzahl medialer Möglichkeiten und Medienkonvergenz, umfangreiche Inhaltspalette, vielfältige Gestaltungsoptionen, ökonomische Orientierung, Digitalisierung und digitale Infrastruktur. Diese Merkmale werden nachstehend in aller Kürze erläutert. Selbst wenn Kinder einzelne Merkmale kaum oder anders, vielleicht auch noch gar nicht direkt wahrnehmen, ist es doch wichtig, den »Raum« im Blick zu behalten, in dem sich erzieherische oder bildungsbezogene Maßnahmen letztlich bewähren müssen.
Vielzahl medialer Möglichkeiten und Medienkonvergenz: Die Medienlandschaft umfasst eine Fülle verschiedener Medienarten. Diese reichen von Printmedien (z. B. Comic und Buch) über auditive Medien (z. B. Telefon und Radio), visuelle Medien (z. B. Fotografie oder Overhead-Folie), audiovisuelle Medien (z. B. Video und Fernsehen) und interaktive Medien (z. B. Computerspiele und Internet) bis zu dreidimensionalen virtuellen Räumen. Die einzelnen Medienarten können über unterschiedliche Präsentationsmöglichkeiten oder Mediengeräte zugänglich sein, z. B. über bedrucktes Papier, Overhead-Projektor, Dokumentenkamera, CD- oder DVD-Player, Radiogerät, Fernsehgerät, Tablet, Laptop, Computer, Beamer, Spielkonsole, Smartphone oder 3D-Einrichtungen. Abgesehen von spezifischen Geräten für die Schule sowie Beamern und 3D-Einrichtungen befinden sich solche Mediengeräte in der Regel in Haushalten mit Kindern und manche auch in Kinderzimmern (vgl. mpfs 2019, S. 8–10). Die leichte Zugänglichkeit zu Medieninhalten oder medialen »Werkzeugen« wird außerdem durch das Zusammenwachsen verschiedener Medienarten begünstigt. So hat die Verknüpfung von Radio-, Fernseh- und Computertechnologie dazu geführt, dass unterschiedliche Zeichensysteme, z. B. Sprache und Bilder, sowie verschiedene Sinnesmodalitäten, z. B. akustische und optische Darbietungsformen, von einer Plattform aus bearbeitet und präsentiert werden können. Diese Entwicklung wird auch als Medienkonvergenz bezeichnet. Dabei lassen sich beispielsweise schriftliche Texte, Hörbeiträge, Bilder, Filme und Spiele in vielfältiger Weise nebeneinanderstellen oder kombinieren, wie es u. a. im Internet der Fall ist. Verbunden mit der Miniaturisierung der Hardware, hat die Medienkonvergenz dazu geführt, dass heute verschiedene Medienarten praktisch an jedem Ort und zu jeder Zeit zur Verfügung stehen. So kann man z. B. mit dem Smartphone u. a. telefonieren, chatten, recherchieren, fotografieren, Hörbeiträge empfangen, Videos anschauen oder Spiele nutzen. In der Regel ergeben sich so schon für Kinder vielfältige Zugänge zu medialen Möglichkeiten – wobei von den Eltern oder anderen erwachsenen Bezugspersonen allerdings Begrenzungen durch technische Filter oder Verbote bzw. Absprachen vorgenommen werden können (vgl. mpfs 2019, S. 71 f.).
Umfangreiche Inhaltspalette der medialen Möglichkeiten: Die Vielzahl medialer Möglichkeiten korrespondiert mit einer Fülle inhaltlicher Medienbotschaften. So lassen sich z. B. im Internet zu nahezu jedem Thema Beiträge finden, ob es nun um Alltag oder Glamour, um Arbeit oder Freizeit, um Ernährung oder Erziehung, um Umwelt oder Wirtschaft, um Kriege oder Katastrophen, um Kultur oder Politik geht. Sind die Themen bei den herkömmlichen Massenmedien nach wie vor insbesondere auf Information und Unterhaltung sowie auf Beratung und Bildung gerichtet, so hat sich durch die digitalen Entwicklungen zum einen die Inhaltspalette in diesen Nutzungsbereichen erweitert, zum anderen kommen Inhalte hinzu, die mit Bezug auf digitale Spiele, auf kommunikativen Austausch, auf Simulationen, auf die Abwicklung von Dienstleistungen oder auf mediale Steuerung und Kontrolle in den Blick geraten. Hinsichtlich des Aufgreifens von Themen können verschiedene Akteure tätig werden, beispielsweise etablierte Institutionen (z. B. Rundfunkanstalten oder politische Parteien), bestimmte Gruppierungen (z. B. extremistische oder sektiererische Verbünde), bekannte Personen (z. B. einzelne Politiker, Wissenschaftler oder Künstler), bisher unbekannte Leute (grundsätzlich jeder Einzelne) oder soziale Roboter (z. B. als virtuelle Chatpartner oder als Multiplikatoren für tendenziöse Botschaften). Die Vielzahl potenzieller Produzenten ist mit einer Vielfalt von Interessen und Inhalten verbunden. Diese können von einem ehrlichen Bemühen um faktengerechte Berichterstattung oder Aufklärung bis zu bewussten Manipulationen für eigene Zwecke und von prosozialen Darstellungen bis zu Gewalt- und Horrorszenarien reichen. Grundsätzlich ist das damit gegebene Inhaltsspektrum für alle Mediennutzer, d. h. sowohl für Kinder als auch für Jugendliche und Erwachsene zugänglich. Wenn es auch spezielle Angebote für Kinder gibt, z. B. Kinderbücher oder das Kinderprogramm im Fernsehen sowie bestimmte Suchmaschinen und Webseiten für Kinder, zeigen empirische Studien doch, dass Kinder nicht nur für sie gedachte Beiträge nutzen, sondern auch mediale Produkte aus dem allgemeinen Angebot, wobei sie unter Umständen mit problematischen Botschaften konfrontiert werden (vgl. mpfs 2019, S. 39–46 und S. 60–63).
Vielfältige Gestaltungsoptionen: Die Medienlandschaft stellt nicht nur ein umfangreiches inhaltliches Medienangebot bereit, sondern auch eine Vielfalt an Gestaltungen. So finden sich im Medienangebot aktuelle Berichte (z. B. Nachrichten), dokumentarische Beiträge (z. B. Dokumentarfilme oder Reisejournale), lexikalische Informationen (z. B. in Buchform oder in Wikipedia), fiktionale Darstellungen (z. B. Spielfilme oder Computerspiele), kommentierende Präsentationen (z. B. Zeitungskommentare oder Beiträge in einem Weblog), Werbung (z. B. Werbespots oder Produktplatzierungen) und Simulationen (z. B. zur Wetterlage, zur Entwicklung von Pandemien oder zu einem Flug in einem virtuellen Raum). Dabei können sich die verschiedenen Möglichkeiten der Gestaltung überschneiden, z. B. wenn in einem Beitrag bei Youtube eine Influencerin die Kommentierung von einzelnen Produkten mit Werbung vermischt, wenn Simulationen in fiktionalen Computerspielen zur Geltung kommen oder wenn in Filmen über bedeutsame Ereignisse dokumentarische und fiktionale Darstellungen ineinander übergehen. Hinzu kommt, dass optische Darstellungen unter Umständen nicht mehr auf fotografischen Abbildungen beruhen, sondern (nur noch) auf computergenerierten Figuren und Ereignissen. Angesichts des breiten Medienangebots spielt der »Kampf um Aufmerksamkeit« eine immer größere Rolle. Dies führt nicht zuletzt dazu, dass die Ausgestaltung einzelner medialer Formen unter Umständen durch starke Sinnesreizung akustischer oder visueller Art gekennzeichnet ist und zum Teil mit spektakulären Inhalten verbunden wird, z. B. mit Sensationen, Skandalen, Erotik, Gewalt und/oder Action. Entsprechende aufmerksamkeitserregende Effekte können mittlerweile durch dreidimensionale virtuelle Umgebungen (als virtual reality) noch verstärkt werden. Dabei führen die Vielzahl der Gestaltungsmöglichkeiten und ihre Vermischung dazu, dass notwendige Unterscheidungen immer schwieriger werden, z. B. zwischen faktengerechter Information und »fake news«, zwischen gut recherchierten Nachrichten und bloßer interessengebundener Verlautbarung, zwischen Aufklärung und Manipulation, zwischen Dokumentation und Inszenierung, zwischen Unterhaltung und Werbung, zwischen Wirklichkeit und Simulation, zwischen Realität und Fiktion.
Ökonomische Orientierung: Das, was im Rahmen der Medienlandschaft angeboten wird, zielt – sofern die Finanzierung nicht aus anderen Motiven geschieht – auf ökonomischen Gewinn. Dieser kann zum einen direkt erzielt werden, z. B. durch den Einzelverkauf medialer Produkte, durch Abonnements, durch Lizenzvergaben oder durch Gebühren für die Nutzung bestimmter Angebote, etwa des Bezahlfernsehens. Zum anderen kann sich der Gewinn in indirekter Weise ergeben, z. B. wenn mediale Angebote hohe Einschaltquoten erreichen und dadurch die Einnahmen der im Umfeld platzierten Werbung steigen oder wenn anfallende Daten gesammelt und verkauft werden. Eine gewisse Ausnahme bildet die Finanzierung öffentlich-rechtlicher Institutionen, z. B. der Rundfunkanstalten, deren finanzielle Grundlage durch Rundfunkgebühren gesichert ist. Aber auch dort spielen ökonomische Kriterien eine nicht zu unterschätzende Rolle, z. B. wenn mit Vorabendserien oder Sportübertragungen hohe Einschaltquoten angestrebt werden, um im Rahmen der erlaubten Werbezeiten möglichst viel Geld zu erwirtschaften, oder wenn erreichte oder angestrebte Einschaltquoten ins Verhältnis zum finanziellen Produktionsaufwand gesetzt werden. Insofern unterliegen auch öffentlich-rechtliche Produktionen Kosten-Nutzen-Erwägungen. Die wirtschaftliche Orientierung bei der Medienproduktion spiegelt sich auch auf der Ebene der Inhalte und Gestaltungsformen von Medien wider. So unterscheiden sich z. B. die Inhalte und die Gestaltung einer Kaufzeitung oder Boulevardzeitung deutlich von denen einer Abo-Zeitung, ebenso wie die Inhaltsauswahl und Machart von Programmen des Pay-TV im Vergleich zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Wirtschaftliche Interessen sind außerdem bei vorhandenen Konzentrations- und Monopolisierungstendenzen im Medienbereich und dabei entstehenden Verflechtungen im Spiel, z. B. zwischen Printmedien, Fernsehen und Internet. Entsprechende Tendenzen gehen weit über den nationalen Rahmen hinaus und führen u. a. zu global agierenden Medienkonzernen. Dabei entsteht angesichts der zunehmenden Datafizierung und ihrer Nutzung, z. B. für Werbung, Produktentwicklung, Kontrolle, Wahlbeeinflussung und öffentliche Meinungsbildung, ein sogenannter »Datenkapitalismus« (vgl. Mayer-Schönberger u. Ramge 2017). Diese Entwicklung verweist zugleich auf ein weiteres Merkmal der Medienlandschaft: die Digitalisierung und digitale Infrastruktur.
Digitalisierung und digitale Infrastruktur: Gegenwärtige und zukünftige Entwicklungen im Medienbereich hängen wesentlich mit der Digitalisierung zusammen. Diese hat mittlerweile dazu geführt, dass das Mediensystem auf einer digitalen Infrastruktur basiert. Ursprünglich ist mit Digitalisierung ein technischer Prozess gemeint. Dieser ist zunächst dadurch gekennzeichnet, dass die in einer Nachricht oder Botschaft enthaltene Bedeutung bzw. Information in bedeutungsfreie Daten umgewandelt wird, z. B. mithilfe der binären Ziffern 0 und 1. So lässt sich beispielsweise das Wort »heute« als Folge von binären Ziffern darstellen, wenn jeder Buchstabe des Alphabets durch binäre Ziffern verschlüsselt wird. Dabei haben binäre Ziffern den Vorteil, dass sie physikalisch leicht darstellbar sind: 1 und 0 z. B. als zwei unterschiedliche elektrische Zustände (vgl. Knaus 2016, S. 101). Aufgrund ihrer physikalischen Darstellbarkeit lassen sich die Daten technisch verarbeiten und im Ergebnis wieder so als Zeichenmuster präsentieren, z. B. als schriftlicher Text oder als Bild, dass Nutzende ihnen wieder eine Bedeutung zumessen können. Aufgrund der Verarbeitung von Daten und durch begleitende Hardware- und Software-Entwicklungen hat die zunächst technische Digitalisierung eine große Bedeutung erlangt und zu Wandlungsprozessen in vielen gesellschaftlichen Bereichen, z. B. in Beruf und Wirtschaft, geführt. Dabei ist der Begriff der Digitalisierung auf alle gesellschaftlichen Wandlungsprozesse erweitert worden, die auf der Digitaltechnik beruhen – in diesem Zusammenhang auch auf Wandlungen der Medienlandschaft bzw. des Mediensystems (vgl. Knaus 2016, S. 103). Dort hat die Digitalisierung zu einem neuen Mediatisierungsschub geführt (vgl. Krotz 2016, S. 27). In diesem Kontext sind für das Mediensystem zugleich Vernetzung, Sensorisierung, Datafizierung und Algorithmisierung wichtig geworden (vgl. Gapski 2016, S. 22; Schelhowe 2007, S. 39–74; Tulodziecki, Herzig u. Grafe 2021, S. 19). Mit der Zeit gewinnt zusätzlich das maschinelle Lernen bzw. die Künstliche Intelligenz an Bedeutung (vgl. Knaus 2017, S. 44; Tulodziecki 2020a, S. 36–42).
Vernetzung bedeutet, dass Computer bzw. Informatiksysteme zunehmend weltweit verknüpft sind und so jederzeit auf global verfügbare Daten bzw. Wissensbestände und Unterhaltungsangebote sowie weitere mediale Möglichkeiten zugegriffen werden kann. Dies ist u. a. mit der Chance verbunden, eigene Positionen und mediale Beiträge global zu verbreiten. Sensorisierung meint, dass eine wachsende Zahl elektronischer Messgeräte über Sensoren immer größere Mengen von Daten aufnehmen, z. B. im Haushalt, im Verkehr, in der sonstigen Umwelt oder am menschlichen Körper. Diese lassen sich dann zur Speicherung sowie zur Verarbeitung und Auswertung an onlinebasierte Speicher- und Serverdienste bzw. Rechnernetzwerke senden und nach der Verarbeitung medial präsentieren (vgl. Bader 2016). Dabei entsteht ein »Internet der Dinge«, in dem technische Einrichtungen, z. B. Haushaltsgeräte oder Maschinen in einer Fabrik, untereinander oder mit Menschen kommunizieren. Datafizierung bezieht sich darauf, dass immer mehr Zustände oder Lebenssituationen verschiedener Art in quantitativer Form als Daten erfasst werden und für eine Verarbeitung durch Informatiksysteme zur Verfügung stehen. Algorithmisierung beschreibt den Prozess der Strukturierung von Vorgehensweisen zur Lösung von Problemen oder Aufgaben in kleine Teilschritte, sodass sie in programmierter Form maschinell bearbeitet werden können (vgl. Gapski 2016). Im Zusammenhang der Vernetzung, Sensorisierung, Datafizierung und Algorithmisierung können zum einen Menschen mit Computern über eine medial zu gestaltende Mensch-Computer-Schnittstelle interagieren (vgl. Knaus 2017, S. 27). Zum anderen ist es möglich, dass auch Informatiksysteme ohne menschliche Eingriffe untereinander kommunizieren. Maschinelles Lernen führt zusätzlich dazu, dass Informatiksysteme nicht nur vorhandene Daten nach vorgegebenen Algorithmen verarbeiten, sondern dass Lernalgorithmen entworfen und umgesetzt werden, die – in Analogie zu menschlichem Lernen – sich selbst weiterentwickeln und damit Fähigkeiten simulieren, die sonst nur dem Menschen vorbehalten waren, und z. B. lernen, Schach zu spielen, Gegenstände oder Personen zu erkennen oder Sprache zu verstehen und zu produzieren. Dabei ist es ein Ziel von Forschungen zur Künstlichen Intelligenz (KI), möglichst bessere Leistungen zu erzielen als der Mensch – was auch in einzelnen Bereichen schon gelungen ist, z. B. beim Schachspiel oder im medizinischen Bereich bei der Erkennung von Krebszellen. Zugleich bemüht sich die KI-Forschung, immer weitere Funktionen maschinell auszuführen und immer mehr intelligente Denk- und Handlungsvollzüge zu simulieren. In Medienzusammenhängen ist besonders wichtig, dass sich mithilfe Künstlicher Intelligenz Medienbeiträge maschinell erzeugen lassen, ohne dass dies für Nutzende erkennbar ist.
All dies legt es nahe, dass schon bei der Medienerziehung und Medienbildung in der Grundschule sowohl die inhaltliche und gestalterische Vielfalt medialer Möglichkeiten als auch ökonomische Interessen und die digitale Infrastruktur der Medienlandschaft zu thematisieren sind – wobei dies in altersgerechter Form geschehen muss. Bezüglich digitaler Grundlagen kann in diesem Band allerdings auf weitergehende Darstellungen verzichtet werden, weil diese im Rahmen der vorliegenden Reihe in einem eigenen Band zur informatischen Bildung zur Sprache kommen.