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Donnerklitchen, Teil zwei

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Frisch geduscht und von den Strapazen des Tages halbwegs erholt, liefen wir am Abend im »Bierstüble« ein. Unsere Fassung hatten wir mittlerweile zurückerobert. Aber das unglaubliche Intermezzo vom Nachmittag bedurfte noch eines wirtshäuslichen Kolloquiums.

»Fünf Pils, bitte – vier für uns und eins für Ronny!«

Die Bedienung schaute anfangs etwas skeptisch, gewöhnte sich aber schnell an das Prozedere. Es war eine Frage der Ehre, als Henry Maske Rocky die Gelegenheit zur Revanche bot. Genauso war es für uns vier Ehrensache, dass wir unserem verhinderten Freund bei jeder neuen Runde ein Bierchen mitbestellten. Das galt selbstverständlich auch für die Kurzen. Wie es sich unter Kameraden gehört, haben wir an Ronnys Statt abwechselnd dessen Pflicht verrichtet. Selbst beim Pinkeln. Ein Habitus zur Wahrung von Anstand und Ehre, den ein profanes Weibsbild niemals verstehen wird.

»Prost, Ronny!«

»Prost, Saardéros!«

»Auf Schneeweißchen und den King!«

»Was die Fee mit ihrem Gedicht wohl bezwecken wollte?«

»Das hat sie doch gesagt, Bodo: ›Damit nach der nächsten Dingsvergleiche, die Schwellung wieder von uns weiche!‹«

»Dingsvergleiche … Schwellung weiche … lustig, oder? Der Spruch könnte auch von dir stammen, Finger.«

»Lustig? Mannomann, Hoss, das war ganz schön starker Tobak! Als ob ausgerechnet wir es nötig hätten, unsre Dingse zu vergleichen. Der spinnt doch, der Schneekönig! Wir wissen auch so, dass wir die Größten sind. Stimmts oder hab ich recht, Saardéros?«

»Du hast wie immer recht, Finger. Aber gibts heut auch noch ein anderes Thema? Ihr nervt!«

»Klappe, Heiner! Du bist schließlich an allem schuld. Als ob du nicht genau wüsstest, dass man bei einem Gewitter nicht durchs Wasser tappt. Wo sind denn die Flittchen, vor denen du uns gewarnt hast? Und überhaupt, nach was gelüstet uns, was wir nicht wagen sollen? Wir, heuer nur vier, dürsten nach Bier und sonst gar nichts! Das wird auf einer Männertour ja wohl noch ›recht erlaubt‹ sein, King Arthur! Nach Flittchen, zum Donnerlittchen, schmachten wir nicht … Komm, Heiner, guck nicht so … ist doch nur Spaß! Hat jemand von euch einen Plan, was das heute Nachmittag sollte?«

Kopfschütteln war das Einzige, was ich auf meine Frage erntete. Im Falle Heins wohl mehr ein Ausdruck der Verständnislosigkeit als der Verneinung. Keiner konnte sich einen Reim auf Donnerklitchens Reime machen. Warum auch? Wir waren Männer mit Prinzipien. Die Wahrung von Anstand und Moral gehörte zu unseren obersten Pflichten. Gerade auf unseren Streifzügen. Das musste der Schneekönig doch wissen. Zucht und Ordnung brauchte man uns nicht mehr beizubringen. Mannskerlen, die sich grundlegenden Richtschnüren der Sittsamkeit in der Präambel ihres Wandertourdekrets feierlich verpflichtet hatten. Bei Fassbier und Hackschnittchen hatten wir uns geschworen, das sechste und zehnte Gebot stets zu achten. Wo der gewöhnliche Kegelclubbruder schmählich versagte, sich als Spielball von Unzucht und sittlichem Verfall entpuppte, konterten wir auch die raffiniertesten Offerten der durchtriebensten Luder gnadenlos aus. Mit dem Schutzschild der Tugendhaftigkeit gerüstet, gingen wir mit gutem Beispiel voran. Wir waren standhaft. Wie Leuchttürme in schwerer See. An uns konnte sich der Nachwuchs in rechter Weise orientieren. Wir bewiesen jedes Jahr aufs Neue, dass es auch ohne geht. Ohne die Begehr nach seines Nächsten Weib, ohne den Ehebruch. Ein derart verwerfliches Tun war uns nicht vorzuwerfen. Das Frevelschutzprogramm »Herrnhut-Antisünd« funktionierte einwandfrei. Ein Team, dessen Spielführer täglich mit den Losungen der Herrnhuter Gemeine konfrontiert war, hatte seinen Vorwärtsdrang im Griff. »Bis hierher und nicht weiter, Baby! Wir hatten Spaß miteinander, aber an meinen Lenden hört der auf!« In diesem Ton hatte schon so manches Sündenkind eines Saardéro Klartext vernehmen müssen. Da bedurfte es keiner Moralpredigt mehr! Oder etwa doch? Hatte einer von uns Fleischliches im Sinn? Hoss vielleicht, aber hoffentlich kein Schweinefleisch, oder? Wer überhaupt war der Schneekönig? Und wieso hieß die Fee Donnerklitchen und nicht Donnerlittchen oder wenigstens Donnerwittchen? Fragen über Fragen für die wir keine Erklärung fanden.

Mit zwei, drei Bierchen zu einem halben Goggelar mit Fritten kamen wir zügig auf Betriebstemperatur. Die Waden wohltemperiert und den ärgsten Hunger gestillt, gab es zur Feier des Tages jetzt auch Hochprozentiges. Die Stimmung in der Bude stieg von Minute zu Minute. Am Nachbartisch gab sich eine Gruppe aus dem Irakkrieg zurückgekehrter Schotten voll die Kanne. Die jugendlich wirkenden Soldaten sollten im Allgäu ihr seelisches Gleichgewicht wiederfinden. Saddam war besiegt und die riesige Statue auf Bagdads Firdos-Platz unter dem Befehl von Lieutenant Colonel Bryan McCoy vom 3rd Battalion 4th Marines vom Sockel gerissen. Unter Freudengeschrei fiel, was ein Jahr zuvor zum fünfundsechzigsten Geburtstag des Diktators aufgestellt wurde. Zwölf Jahre nach Desert Storm ersäuften junge Warriors ihre schrecklichen Erlebnisse im beschaulichen Wertach.

»Slàinte mhath!«

Zu jeder neuen Runde wurde dieser wohlklingende Trinkspruch ausgebracht.

»Slàinte mhath!«

Es war schier unglaublich, was diese sympathischen Kerle in sich hineinkippten. Die flotte Bedienung servierte ihnen eine Runde nach der andern. Und mit der gleichen Schlagzahl wie beim Bier ziemlich alle Spirituosen im Angebot. Da Saardéros und Bravehearts auf Anhieb miteinander konnten, tranken sie die ein oder andere Lage zusammen. Meist auf Ronny. Die Vokabeln »Prost« und »Ronny« hatten die Kampftrinker von der Insel schnell drauf. Vermutlich waren sie an jenem Abend dem Tode näher, als zuvor in ihren Kriegseinsätzen. Den Verzehr einer ihrer alkoholgeschwängerten Lebern hätte auch Dr. Lecter kaum überlebt.

»Es gibt Reis, Baby!« In dem allgemeinen Tohuwabohu flüsterte Bodo dem DJ freundlich was ins Ohr. Der hatte ein Herz für Helge-Fans und servierte wunschgemäß:

Hey Baby komm zu mir und schüttel dein Haar für mich …

Während das tapfere Schneiderlein seine Verfügungen unverwechselbar anmutig vortrug, eiferten wir den ausgelassenen Weibsbildern im Gastraum nach. Das ließ mich ganz doll im Kopf werden. Die Manier, in welcher auch wir uns einen schüttelten, muss mächtig Eindruck gemacht haben. Nach der anschließenden Polonäse Blankenese (Hoss schritt begeistert voran – wie peinlich!) leisteten uns ein paar nassforsche Exemplare unaufgefordert Gesellschaft.

»Ihr seids mol a paar fesche Buan, wo kommtsn ihr her?«

»Oskar die Fontäne, ein Urururururenkel Napoleons, schickt uns. Im Hinblick auf die geplanten Änderungen im Länderfinanzausgleich sollen wir mit eurem Edmund stoibern.«

»A, so a gschwollanes Gschwätz.«

»Stimmt genau, ihr Schwabenbräute, gleich wird Gschwollanes verglichen!«

»Wenn des stimmt, dann friss i an Beasa.«

»Friss, Baby!«

»Wia dr Herr so's Gscherr!«

»De Esel kennt ma an de Ohre, de Ronny an seim Dings.«

»An a scheane Kuha ghert ou a schene Glocke.«

»Stahlglocke, was?«

Es war wie so oft. Der Alkohol hatte seine enthemmende Wirkung gehörig entfaltet, der Weingeist in den Köpfen Einzug gehalten. Während die Ereignisse des Nachmittags in den Hintergrund rückten, wurden die Inhalte unseres verbalen Gedankenaustauschs zunehmend spitzbübischer. Längst besiegt geglaubte Instinkte meinten die Lage nutzen und einen Vorstoß wagen zu können. Bis ich, zornig wie das Rotköpfchen, vom Klo zurückkam.

»Ob die werte Frauenschaft denn annimmt, die Oberstuben der feschen Buben seien spärlich möbliert?«, wollte ich, mich der Warnung des Schneekönigs erinnernd, auf der Stelle wissen. Mein Tonfall verriet Ärger. Ich hatte beim Pipi machen entdeckt, dass die von Melanie spendierten »Eselstreiber« kein gewöhnlicher Obstbrand, sondern regelrechtes Teufelszeug waren. Eine laminierte Getränkekarte klebte strategisch günstig über dem Pissbecken. Mit Klose in der Hand erfuhr ich, dass dieser wenig edle Tropfen sture Esel gefügig und müde munter machen sollte. Kraulen würde die Wirkung verstärken. Was Hoss, der mit der dicken Emma schon reichlich poussierte, hinterher auch bestätigte. Aber eine kombinierte Anlasser-Zündkerzen-Vergaserfunktion (wie früher mit Okasa-Brutal) wusste ich bei diesem Elixier zu verhindern.

»Keine Frau macht uns gefügig, MELA - NIE!!!«, explodierte ich und bestellte für die Schlampen eine Runde »Zickentöter«. Dann zeigte ich denen meine Linke, wie Effenberg in Dallas den deutschen Fans seine Rechte. Melanie konterte:

Man nennt uns Donnerflittchen,

wir saßen lang im Kittchen.

Wir kommen wie der Blitz

und sind schon ganz schön spitz.

Uns ist gelegen euch zu sagen,

was euch gelüstet, sollt ihr wagen!

Damit nach unsrer Dingsvergleiche

die Schwellung nie mehr von euch weiche!

»Ne touchez pas, Madame!«, keifte ich, als Melanies gleichgesinnte Cousine Vicky ihre schmutzigen Finger so verwegen auf Bodos Oberschenkel platzierte, dass jetzt eindeutig Gefahr im Verzuge war. Diese Schafsnasen glaubten wohl, vier Muskeltiere von der Saar ließen sich von drei mannstollen Schwabenschwalben um den Finger wickeln.

»SCHLUCKEN, PUPPEN!«

Meinem zackig herausgeschmetterten Paarreim wurde auf der Stelle Folge geleistet. Ruckzuck übte der Zickentöter seine zungenlähmende Wirkung aus. Schachmatt dem Ehebruch! Der Schneekönig reagierte postwendend. Noch immer voll auf Effe, mutierte ich vor den Augen der sprachlosen Bräute zur Doppelspitze.

Poldi war nach links gerückt!

Doppelspitze

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