Читать книгу Ich bin dann mal nicht weg - Gernot Zimmermann - Страница 13

Tag 7
Montag, 13. April 2020

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Wir haben das Projekt dreieinhalb Wochen lang unterbrechen müssen. Am Corona-Virus sind mittlerweile fast 400 Menschen in Österreich gestorben, auch in Tirol gab es Tote und viele liegen noch auf den Intensivstationen. Allerdings sind in den letzten zehn Tagen die Zahlen der täglich Neuinfizierten stark gefallen, vor allem das Ausgangsverbot dürfte der Grund dafür sein. Wir haben uns strikt an die Regeln gehalten und sind kaum vor die Tür gegangen. Vorgestern haben wir uns alle vier im Hof von Nadjas Wohnanlage zusammengesetzt, an einen riesigen Tisch und mit gut 2,5 Metern Abstand zueinander. Wir hatten gerade die kleinen Geschenke für das morgige Osterfest übergeben, da ist schon die Polizei gekommen. Ein Nachbar hatte uns angezeigt, die Blockwarte haben gerade Hochsaison. Die Beamten grüßten uns freundlich und mit den Worten „Wir sehen schon von Weitem, dass Sie den Sicherheitsabstand einhalten“. Keine Minute später waren sie schon wieder weg und haben uns ein „Schönen Nachmittag noch“ dagelassen. Aber lassen wir das Thema Corona, es soll nicht mehr Platz kriegen, als unbedingt sein muss.

Nach Aufhebung der Quarantäne trauen auch wir uns wieder auf die Straße und setzen meine „Erstbegehung von Innsbruck“ fort. Spazieren gehen darf man ja.

Wobei, ein Spaziergang ist die erste Straße nicht, wahrlich nicht. Wir wollen heute Amras fertig machen, doch die Aldranser Straße (führt nach Aldrans) macht beinahe mich fertig. Die Gemeindegrenze von Innsbruck reicht nämlich blöderweise bis zum Ortsschild von Aldrans. Schau – dann muss also das unvergessliche Schwimmbad „Schönruh“, bei dem ich schon kurz nach dem Losgehen vorbeikomme, zu Innsbruck gehört haben. Das wusste ich gar nicht.

Die Aldranser Straße geht wenigstens schön abwärts, das kann ich gut gebrauchen, denn schon nach 300 Metern zieht es warnend in meiner linken Wade. Die dreieinhalb Wochen auf der Couch haben mir nicht besonders gutgetan, jetzt muss ich mir meine Gehmuskulatur wieder von vorne aufbauen. Nützt nix. Also hatsche ich weiter und denke an den 30. September 2018 zurück, an die Rad-Weltmeisterschaft. An diesem Finaltag war die Aldranser Straße von zehntausenden Fans belagert, insgesamt säumten an diesem denkwürdigen Tag 275.000 Menschen die Straßen Tirols, die allermeisten davon in Innsbruck und Umgebung. Wir sind an diesem Tag einen Teil der sogenannten „Olympia-Runde“ mit dem Auto abgefahren, da waren die Profis in Kufstein bereits gestartet. Schon zu dem Zeitpunkt standen tausende Menschen entlang der Strecke, die Wiesen oberhalb von Schloss Ambras waren bis auf den letzten Stehplatz gefüllt und die teilweise verrückt kostümierten Radsportfans feierten in der Folge eine stundenlange Party. Und an den Fernsehapparaten feierten weltweit 150 Millionen Menschen mit.

Die Aldranser Straße endet beim Schloss Ambras, ab da gehe ich die Schloßstraße (nomen est omen) an. Die hat es in sich, endet sie doch erst beim Kreisverkehr Innsbruck-Mitte, das wird wohl deutlich mehr als ein Kilometer sein. Und bis dahin gibt es keinen einzigen Brösel Gehsteig. Das ist aber nicht weiter tragisch, man sieht mich auf der gesamten Strecke schon von Weitem kommen, ich geh eh brav auf der linken Seite, zur Not könnte ich in den danebenliegenden, schmalen Grasstreifen ausweichen. Muss ich aber gar nicht, denn während meines gesamten Marsches, der gute 20 Minuten lang dauert, sind mir nur fünf Autos entgegengekommen.


Übrigens finde ich doch tatsächlich eine Original-Trinkflasche von der Rad-WM. Die liegt seit eineinhalb Jahren da, ist dementsprechend angegammelt, also lasse ich sie weiter da liegen. Mittlerweile lässt mir meine linke Wade im Sekundentakt hochinteressante Schmerzbotschaften zukommen, ich übersetze sie mit „Stopp, du Trottel“. Beleidigen lasse ich mich ungern, also gehe ich weiter. Ich bin sehr, sehr froh, als ich dann schon aus 300 Metern Entfernung Ilse warten sehe. Aber 300 Meter sind grobgerechnet 400 Schritte, jeder einzelne davon quält mich. Doch mit jedem Schritt komme ich der Erholung im Auto näher und schließlich lasse ich mich ziemlich geplättet auf den Beifahrersitz fallen. Dass mich das Gehen heute so mitnimmt …

Ilse bringt mich nach einer kleinen Pause wieder hinauf zum Schloss Ambras, denn bis zum großen Haupteingang reicht der Tummelplatzweg (Tummelplatz der Reitpferde von Schloss Ambras) herauf – ich gehe ihn selbstverständlich abwärts, hinauf bräuchte ich vier Tage. Am Tummelplatzweg herrscht strenges Fahrverbot, Ilse wird dann unten am Ende der Amraser Straße auf mich warten.

Ich muss den Tummelplatzweg eigentlich gar nicht selber gehen, er ist derart steil, dass ich die Schwerkraft für mich arbeiten lasse. Ich muss mich eigentlich nur leicht vornüberbeugen und dann andauernd bremsen. Da kommt mir doch tatsächlich eine junge Frau entgegen, im flotten Lauftempo und wie sie mir ein „Griaß di“ zuruft, höre ich, dass sie noch nicht mal außer Atem ist. „Du bisch aber gut beinand“, lobe ich sie und kriege noch ein „Dank dir schön“ zurück. Manche haben eine Kondition, unglaublich … Dazu gehöre ich nicht, die Leserin und der Leser werden es schon erraten haben. Auch wenn ich durch die Steilheit des Weges nicht einmal rasten muss, bin ich doch happy, wieder im Auto zu sitzen.

Ilse bringt mich anschließend zum dritten Mal hintereinander zum Schloss Ambras und ich gehe den Tummelplatzweg erneut hinunter. Nicht weil ich süchtig nach ihm geworden bin, sondern weil nach 200 Metern rechts der Bichlweg (Flurname) abzweigt. Diese Abzweigung – von einer steilen Straße rechts in eine noch steilere Straße hinein – wollte ich einmal mit dem Taxi nehmen, das wäre eine fesche Abkürzung gewesen. Es wurde aber eine fesche Verlängerung, denn ich bin mit dem Audi 80 derart aufgesessen, dass beide Vorderräder in der Luft waren. Und das ist bei einem Auto mit Frontantrieb leider suboptimal. Ein Kollege hat mich aus meiner misslichen Lage rausgeschleppt und ich war echt froh, dass sich die Karre danach noch ganz normal fahren hat lassen.

Der Bichlweg war einmal eine Straße, in der ich nicht einmal dann gewohnt hätte, wenn man mir dafür 500 Euro im Monat bezahlt hätte. Denn an einigen Häusern führt derart dicht die Autobahn vorbei, dass man sich besser nicht zu weit aus dem Fenster lehnt. Gelehnt hat, muss es heißen. Denn die Autobahn ist zwar keinen Zentimeter weiter weggerückt, aber sie ist vollkommen eingehaust. Und jetzt haben die Bewohner der ehemaligen Lärmhölle grüne Wiese, Bäumchen und einen schönen Spielplatz vor den Fenstern. Das haben sie sich redlich verdient, hoffentlich wohnen noch die gleichen Leute hier.

Ich bin mit dem Bichlweg noch gar nicht fertig, da klingen kurz vor 9 Uhr die Kirchenglocken von Amras zu mir herauf. Es ist Ostermontag und das Geläute zeigt so richtig, was es kann. Es begleitet mich bis zum Ende des Bichlwegs, an dem das Gasthaus „Bierwirt“ steht. Es ist immer noch geschlossen und wird auch in den nächsten Wochen nicht aufsperren dürfen. Diesen wirtschaftlichen Totalausfall musst du auch erst wegstecken …

Natürlich hat Ilse schon beim „Bierwirt“ auf mich gewartet und bringt mich zur letzten Straße, die mir in Ampass noch fehlt – zum Pfaffensteig (diesen Weg benutzten die Ampasser Pfarrer, wenn sie in Amras eine Messe zu lesen hatten). Der würde von der Luigenstraße bis Ampass hinaufführen, ich lass mich von Ilse bis zu den letzten Häusern bringen, beim Fahrverbot stoppen wir. Den steil ansteigenden Waldweg erspar ich mir, der hat mit einer Innsbrucker Straße nichts mehr zu tun, ich bin ja nicht Luis Trenker. Da gehe ich lieber den Pfaffensteig hinunter, er führt zwischen netten Häusern hindurch, oft bin ich hier noch nicht gewesen. An der Kreuzung mit der Luigenstraße werde ich schon erwartet – das Kapitel Amras ist damit erledigt und ich kann nach Pradl den zweiten Stadtteil Innsbrucks aus meiner Liste streichen.

Reim des Tages:

Während der Pfarrer die Messe predigt,

hab ich den Stadtteil Amras erledigt.

Ich bin dann mal nicht weg

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