Читать книгу Ich bin dann mal nicht weg - Gernot Zimmermann - Страница 8

Tag 2
Donnerstag, 12. März 2020

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Erstaunlicherweise spüre ich kaum Nachwirkungen des gestrigen Wandertages, nur in meiner linken Wade macht sich ein ganz leichter Muskelkater bemerkbar. Es zieht nämlich ein bisschen.

Die Corona-Lage wird immer undurchsichtiger und dramatischer, in den unter Quarantäne stehenden Gebieten Italiens darf man nur noch dann spazieren gehen, wenn man einen Hund hat! Sonst muss man zu Hause bleiben, das Militär patrouilliert in Städten und Ortschaften. Bei uns in Österreich steigt die Zahl der Infizierten ebenfalls an, auch hierzulande werden weitere Maßnahmen erwogen. Mal schauen, wo das noch hinführt.

Wir starten heute direkt von daheim aus und als Erstes begeben wir uns ans Ende der Josef-Pöll-Straße (Komponist, 1874–1940), an der Ecke zur Siegmairstraße. Wir spazieren die Josef-Pöll-Straße stadteinwärts, also in Richtung Westen. Viel gibt sie nicht her, kein Geschäft, kein Lokal – beinahe würde ich meinen, die einzige Attraktion sind die Parkautomaten, weil sie im Dunkeln so schön grün leuchten. Aber die Josef-Pöll-Straße ist eine angenehme Wohngegend, hier fährt nur durch, wer hier auch was zu erledigen hat, also herrscht kaum Verkehr. Die Straße geht dann an der Kreuzung mit der Grenzstraße in die Petzoldstraße (Arbeiterdichter, 1882–1923) über und wenn es nach dem „Räumlichen Bezugssystem“ der Gemeinde Innsbruck geht, dann ist das hier die Grenze zwischen Amras und Pradl. Ist es aber nie und nimmer, für welchen Innsbrucker liegt die Siegmair-Schule bitteschön in Amras? Für mich liegt die Grenze zwischen Pradl und Amras in der Mitte der Amraser-See-Straße, aber ich habe ja schon eingangs erwähnt, dass es über die exakten Grenzen der einzelnen Stadtteile Innsbrucks immer schon rege Diskussionen gegeben hat. Die Stadt selber teilt in ihrem „Räumlichen Bezugssystem“ die Gemeinde in Katastralgemeinde, Statistischer Stadtteil und in Statistischer Bezirk ein. Jeweils mit unterschiedlichen Grenzverläufen. Um es noch einfacher zu machen, gibt es auch so etwas wie postalische Einteilungen und dann kommen noch die diversen Sprengel-Regelungen dazu und …

Genug jetzt damit, zurück in die Petzoldstraße. Die ersten Wohnblocks links und rechts brüllen geradezu nach einer Sanierung, hier ist seit der Errichtung im Jahre Schnee (vermutlich Ende der 1950er-Jahre) nie etwas renoviert worden. Zeit wird’s. Die kurze Petzoldstraße ist schnell abgehakt, wir gehen nach links und sind schon nach wenigen Schritten in der Kernstockstraße (Verfasser des „Hakenkreuzliedes“, 1848–1928). In meiner Sturm-und-Drang-Periode habe ich mich den Protesten gegen diese Straßenbezeichnung angeschlossen, die Stadt ist aber unnachgiebig geblieben. Schließlich habe ich, gemeinsam mit einem Freund, das Schild der Kernstockstraße gefunden, bevor es die Stadt überhaupt verloren hat. Es ist jetzt an einem besseren Ort. Natürlich wurden die verloren gegangenen Schilder immer wieder erneuert und seit 2011 ist zumindest ein zusätzlicher Info-Text über Kernstock angefügt. Trotzdem ärgert mich die Sturheit der Stadt in dieser Sache immer noch, denn in fast allen anderen Orten Österreichs sind die Kernstockstraßen umbenannt worden. Hakenkreuz hin oder her, ich kann mich der Kernstockstraße natürlich nicht verweigern und gehe in die vermeintliche Sackgasse hinein. Und siehe da, das ist ja gar keine Sackgasse mehr, denn „die Unaussprechliche“ führt hinüber bis zur Seebergasse. Das habe ich nicht gewusst und dabei ist das keine 400 Meter von mir daheim entfernt …

Die Seebergasse (Priester und Germanist, 1856–1919) ist nur unwesentlich länger als die Gasse davor und wir gehen sie bis zur Amraser Straße. Dann links hinauf die paar Schweine-Meter bis zum Blindenheim und dort scharf nach links in die Grenzstraße (ehemalige Grenze zwischen den Dörfern Amras und Pradl). Wir sind hier öfters auf einem Spaziergang unterwegs und genießen auch heute den Blick auf die gewaltige Nordkette. Das Wetter ist zum Wandern optimal und mit jeder Stunde wird es wärmer. Die Grenzstraße setzt sich dann als Koflerstraße (Tiroler Politiker, 1855–1943) fort und endet erst an der Gumppstraße. Über die Koflerstraße gibt es wenig zu sagen, eine reine Wohngegend mit netten Einfamilien- und Mehrparteienhäusern. Einziger Mangel ist die Infrastruktur, es gibt im Umkreis von 500 Metern kein Lebensmittelgeschäft, aber das ist in ganz Ost-Pradl so.

Wir gehen danach die Gumppstraße ein Stück stadtauswärts bis zur Kreuzung mit der Türingstraße (Erbauer des Goldenen Dachls, gest. 1517), das ist unsere nächste Adresse. Diese Gegend habe ich immer schon gerne gemocht, die einstöckigen Wohnhäuser der sogenannten „Südtiroler-Siedlung“ strahlten für mich immer große Gemütlichkeit aus. Damit ist es jetzt vorbei, seit einiger Zeit wird in der Türingstraße alles abgerissen, was nur ein Stockwerk hat. Eines der Südtiroler-Häuser in dieser Straße steht noch, aber auch sein Schicksal ist längst besiegelt. An der Kreuzung mit der Amthorstraße drehen wir am Absatz um, weil von der Türingstraße noch zwei Querstraßen abgehen. Als Erstes nehmen wir uns Am Rain (Flurname) vor, auch hier stehen noch einige ältere Häuserblocks der Südtirol-Umsiedler und auch die werden wohl nicht mehr lange stehen bleiben. Gleich parallel dazu verläuft Am Roßsprung, die Geschichte dazu habe ich eh gestern schon erzählt. Auch hier dominieren noch die alten Häuser, aber es ist schon erstaunlich, wie rasch sich dieser Teil Innsbrucks in den letzten Jahren verändert hat. Aber durchaus nicht zum Schlechten.

Wir spazieren danach erneut die Türingstraße Richtung Norden runter und kommen wieder zur Amthorstraße (Verleger alpiner Reiseliteratur, 1820–1884). Der folgen wir jetzt stadteinwärts, sie wird uns immerhin bis vor zur Pradler Straße bringen. Wir starten beim Dotterbichl, früher war hier die ganze rechte Straßenseite von Baracken gesäumt. Bis vor zum ehemaligen Kiosk an der Ecke zur Pestalozzistraße. In meinem Taxi-Buch „Eine Million Kilometer durch Innsbruck“ habe ich mich eh ausführlicher mit dieser Sauf-Bude auseinandergesetzt. Genau gegenüber hat sich einer der ersten illegalen Nachtclubs Innsbrucks befunden, im Keller eines ganz normalen Mehrparteienhauses. Die Mieter werden auch einiges mitgemacht haben …

Gehen wir anschließend über die Langstraße, dann kommen wir linksseitig an der ehemaligen Backstube der ebenfalls ehemaligen „Konditorei Schiessling“ vorbei. Ich weiß das deshalb, weil mein Bruder Robert hier eine Lehre begonnen hat und ich ihn ein paar Mal an seinem süßen Arbeitsplatz besucht habe. Auf der gleichen Straßenseite, keine 100 Meter weiter, habe ich einmal ein Erlebnis der besonderen Art gehabt. Ich war zu der Zeit als Fahrer bei der „Spenglerei Auer“ beschäftigt, aber weil ich mich nicht ganz ungeschickt gezeigt habe, durfte ich bald auch kleinere Montagearbeiten durchführen. Und so habe ich, gemeinsam mit einem erfahrenen Kollegen, an einem fünfstöckigen Haus Ablaufrohre angebracht. Das dürfte im Juli 1984 gewesen sein. Jedenfalls hing ich gerade an der Strickleiter in gut 15 Metern Höhe und bohrte mit der schweren Hilti-Maschine Löcher in die Außenmauer. Plötzlich setzte ohne Vorwarnung das heftigste Gewitter ein, das ich je erlebt habe. Sofort nach dem ersten Windstoß prasselte Starkregen auf mich ein, der bald darauf in Hagel überging, die Schloße waren zum Teil so groß wie Tischtennisbälle. Es blitzte und donnerte minutenlang ununterbrochen, mein mich sichernder Kollege war sogleich in den Dachboden geflüchtet und hatte zur Vorsicht die Luke geschlossen. Ich hing also buchstäblich in der Luft, krallte mich an den Sprossen der Strickleiter fest und wurde eine gute Viertelstunde lang von Sturm, Regen und Hagel ordentlich bearbeitet. So etwas vergisst man auch nicht mehr. Übrigens, am nächsten Tag zeigten alle Medien die teils spektakulären Auswirkungen des Unwetters – im Hofgarten etwa war keine einzige Blume heil geblieben und statt der Blütenpracht steckten lediglich nüchterne Hinweisschilder auf das Hagelunwetter in den Beeten.

Die Verlängerung der Amthorstraße ist die Gaswerkstraße (nach dem ehemaligen Innsbrucker Gaswerk), sie wird uns zum Rapoldipark bringen. Die kurze Straße stellt für mich natürlich keine große Herausforderung dar, überhaupt geht es mir körperlich besser als gestern. Klar, den Muskelkater aus der linken Wade werde ich so schnell nicht loswerden, aber sonst ist alles bestens. Trotzdem nützen wir den wunderschönen Stadtpark Rapoldi (Innsbrucker Politiker, 1880–1926) für eine ausführliche Rast, eh die erste heute. Wir pausieren am kleinen See, schauen den Enten beim Schwimmen zu und freuen uns, dass es in der Sonne schon richtig angenehm warm wird.

Um danach zu unserer nächsten Straße zu gelangen, müssen wir ein paar hundert Schweine-Meter machen. Zuerst durch den Rapoldipark durch, dann über den Leipziger Platz und schließlich noch die Hunoldstraße ein Stück rauf. Aber dann befinden wir uns endlich in der Hörmannstraße (nach einem Ehepaar, sie Lyrikerin, 1843–1921, er Volkskundler, 1837–1924), die von hier links abzweigt. Wenn man die schmale Straße entlanggeht, dann kann man sich nicht vorstellen, dass das ein Teil der Rad-WM-Strecke von 2018 gewesen ist und die Profis hier mit einem lockeren 50er durchgeprescht sind. Heute ist weit weniger los, beim Sonnpark drehen wir um und gehen die Hälfte der Hörmannstraße wieder zurück, um zur Knollerstraße (Tiroler Maler, 1725–1804) zu gelangen. Die Knollerstraße hat sich zeit meines Lebens nicht verändert, ich kenne sie nur so. Zu tun hatte ich hier allerdings nie etwas, eigentlich ist die Knollerstraße eine reine Wohnstraße. Sie findet ihr Ende an der Anzengruberstraße, die gehen wir ein paar Meter nach rechts, um danach links in die Purtschellerstraße (Tiroler Alpinist, 1849–1900) einzubiegen. Auch hier habe ich dereinst ein Straßenschild gefunden, schon bevor es die Stadt vermisst hat. Ich habe es meinem Freund Wolfgang geschenkt, er war damals gerade nach Wien übersiedelt und das Schild mit seinem Namen sollte ihn an Innsbruck erinnern. Ganz davon abgesehen, dass es sich bei Ludwig Purtscheller um seinen Großonkel handelte.

Ich liebe diese kleine Straße wirklich, denn hier bin ich immer mit besonderer Vorfreude durchmarschiert. Zum einen hat mich diese Straße zum Haupteingang des Tivoli-Schwimmbads gebracht und zum anderen zur Nordtribüne des alten Tivoli-Fußballstadions. Und von hier aus – und nur von hier aus – haben die Innsbrucker Fans das Stadion betreten, der Südeingang war für die „Zugereisten“ vorgesehen. Ein paar Erinnerungen an die zahlreichen Wacker-Partien möchte ich noch loswerden, als lebenslanger und unheilbarer Fan sei mir das gestattet. Ich war dabei, als Buffy Ettmayer einen Volleyhammer über das Stadiondach bis in den Vergnügungspark hinüber geschossen hat. Ich war beim ersten FC-Wacker-Innsbruck-Match von Bruno Pezzey im Stadion und kann mich noch an den Kommentar eines „Wacker-Fans“ erinnern: „Was meggsch denn mit an Gsiberger?“ Ich habe der ewigen FC-Wacker-Innsbruck-Torwartlegende Friedl Koncilia einen Kaugummi reichen dürfen, ich habe von Kurt Jara ein Autogramm „Für Gernold“ bekommen und als ich einmal Hans Rebele blitzschnell einen ins Out gegangenen Ball zugeworfen habe, sagte er zu mir „Dangeschön, mein Junge“. Ab da wusste ich wenigstens, dass er Deutscher war.

Ich könnte noch seitenlang zum Thema Wacker Innsbruck weiterschreiben, von gleich mehreren Meisterfeiern hintereinander schwärmen, von bitteren Niederlagen ebenso wie von unfassbaren Höhenflügen. So zum Beispiel das Erreichen des Halbfinales im UEFA-Cup durch das 2:1 gegen Torino Calcio. Ich war an diesem denkwürdigen 18. März 1987 einer der 17.000 Zuschauer im ausverkauften Tivoli, Hansi Müller und Peter Pacult schossen die Tore. Beim Torjubel zum 2:0 stürzten vor lauter Euphorie hunderte Menschen die Stufen der Nordtribüne hinunter, meine Mutter, mein Bruder Robert und ich mittendrin. Passiert ist niemanden etwas, man hat sich halt aus dem Menschenknäuel herausgeschält, sich aufgerappelt und ungefähr wieder dort hingestellt, wo man vor Pacults Treffer gestanden ist. Einmal war ich mit meinem kleinen Bruder Helmut bei einem Europacup-Match gegen Ipswich Town, das war 1978. Wir hatten die Tickets im Vorverkauf erstanden, gingen erst knapp vor dem Anpfiff ins Stadion und schafften es tatsächlich nicht mehr auf die Publikumsränge. Zwar waren wir auf dem Stadiongelände, aber die Zuschauer standen im völlig überfüllten Tivoli derart eng beieinander, dass es für uns kein Durchkommen gab. So oft und heftig wir es auch versuchten. Und so haben wir uns das Match durch die Scheiben des ORF-Übertragungswagens angeschaut, wegen der Zeitverzögerung wussten wir anhand der Publikumsreaktionen immer schon vorher, wann im Fernsehen was Interessantes gezeigt wird. Mal eine andere Art, sich ein Fußballspiel anzuschauen …

Ach, der Wacker. Momentan tümpelt der Verein ja in der zweiten Liga vor sich hin, auch heuer hat es wieder nicht für den Aufstieg gereicht. Stört mich aber nicht besonders, ich bin Fan vom Verein und nicht Gloryhunter einer aktuellen Mannschaft.

Gut, lassen wir das mit dem Fußball, nebenan im Tivoli-Schwimmbad ist es ja auch sehr lässig. Als Kinder waren wir sehr oft im „Tivox“, die Eintrittskarten verdienten wir uns mit Müllsammeln. Zwei volle Wagen mit Abfällen ergab ein Ticket im Wert von sechs Schilling. Unvergessen auch das unwiderstehliche Angebot meines Onkel Wolfgangs: „Wer vom Zehner springt, der kriegt ein Cornetto!“ Natürlich haben sich Robert und ich geradezu ein Wettrennen auf den Sprungturm geliefert und sind ohne Zögern runtergesprungen, beide zum ersten Mal.


Aber jetzt verlassen wir endgültig das Tivoli-Areal und setzen unseren Fußmarsch durch Innsbruck fort. Wir gehen die Purtschellerstraße wieder retour, anschließend links ein paar Meter bis zu den Gebäuden der Innsbrucker Berufsfeuerwehr hinauf und starten dort die Begehung der Anzengruberstraße (Schriftsteller, 1839-1889). Die führt an ihrer rechten Seite an der Außenmauer des Schwimmbads vorbei, links ist noch einer der letzten Äcker von Pradl übriggeblieben. Etwas weiter vorne hat einst mein schon erwähnter Onkel Wolfgang gewohnt, der Neubau war damals der modernste, den ich von innen kannte. Noch dazu hat Onkel Wolfi bereits Ende der 1960er-Jahre einen Farbfernseher besessen, seinen Angaben nach eines der ersten Geräte in Innsbruck überhaupt. Der hat damals, so lautet die Familienlegende, 26.000 Schilling gekostet, ich erinnere mich an diese Zahl bis heute. Das werden schon so an die fünf, sechs durchschnittliche Monatsgehälter gewesen sein. Die Anzengruberstraße mündet in die Roseggerstraße (Heimatdichter, 1843–1918), die wir als Nächstes angehen. Dazu müssen wir zuerst an ihren Anfang, aber das sind keine 50 Schweine-Meter. Danach spazieren wir die Straße gemütlich entlang, nach einem kleinen Rechts-links-Knick bei der Pacherstraße zieht sie sich bis zur Burgenlandstraße hinauf.

Nach einer Straße ist für uns vor einer Straße, also marschieren wir die Roseggerstraße ein paar Meter weit retour, um in die Cranachstraße (Maler des berühmten Gnadenbilds Mariahilf, 1472–1533) zu gelangen. Die ist keine 150 Meter lang, eine reine Wohnstraße. Die nächste Straße müssen wir dann zu einem Teil wieder doppelt gehen, denn die Pacherstraße (Maler und Bildschnitzer, 1435–1498) beginnen wir an der Kreuzung mit der Amraser Straße. Also müssen wir danach wieder retour bis zur Kreuzung mit der Dr.-Glatz-Straße latschen, aber dann geht’s eh recht flott dahin. Ziemlich am Ende der Pacherstraße habe ich vor einigen Jahren mitten am Gehsteig einen großen Skorpion liegen gesehen. Im Bereich des letzten Wohnblocks um 5 Uhr früh, ich war auf dem Heimweg von einer Nachtschicht. Natürlich habe ich das gelblich-braune Ding zuerst für ein Plastikspielzeug gehalten, aber es hat irgendwie so echt gewirkt, dass ich genauer nachgeschaut habe. Tatsächlich – ein echter Skorpion, sicher über 20 Zentimeter lang, höchstwahrscheinlich tot. Aber was weiß man schon. Als verantwortungsbewusster Staatsbürger habe ich natürlich sofort 133 gewählt und die Polizei angerufen. Die wollten mir erwartungsgemäß nicht glauben – „Ein Skorpion in Innsbruck? Sind’s vielleicht a bisserl angesoffen? Tun Sie uns nicht pflanzen, der Spaß könnte teuer werden“ –, sind dann aber doch mit einem Streifenwagen angerückt. Nach dem erstaunten „Der ist ja wirklich echt“ eines Beamten habe ich die Bergung des Tiers der Staatsgewalt überantwortet und bin schlafen gegangen.

Die Pacherstraße endet an der Resselstraße – glaubte ich zumindest. Doch zum Glück erkannte ich ein Straßenschild an der Kreuzung mit der Anton-Eder-Straße, bin die 100 Meter vorgegangen und tatsächlich stand am Schild „Pacherstraße“. Das wäre ja was gewesen, wenn ich aus Versehen einen Teil einer Straße ausgelassen hätte. Da müssen wir echt mehr aufpassen. Und ein bisserl mehr aufpassen sollten wir auch bei unserer Routenplanung, denn um zur nächsten Straße zu gelangen, dürfen wir die gesamte Pacherstraße gleich noch einmal durchmarschieren. Das sind viele, viele Extra-Meter, aber sie bringen uns immerhin – nachdem wir die Amraser Straße überquert haben – in die Rudolf-Greinz-Straße (Pradler Schriftsteller, 1866-1942). Das relativ kurze Sträßchen kenne ich schon seit meiner Kindheit, denn es war Teil meines Schulwegs. Und gleich am Anfang der Straße gibt es bis heute ein Geschäft für Modellautos und Spielzeug-Eisenbahnen, da habe ich mir an den Schaufenstern nicht nur einmal die Nase plattgedrückt.

Mit wenigen Schritten haben wir die Rudolf-Greinz-Straße hinter uns gebracht und biegen links in die Kranewitterstraße ein. Die werden wir gleich angehen, vorher kommt aber noch der Eichhof (nach einem ehemaligen Bauernhof) dran. Normalerweise geht man einfach durch eines der Tore in den Innenhof dieser Wohnanlage hinein, momentan wird aber in der Umgebung heftig gebaut, also ist nichts normal. Wir müssen doch glatt über eine massive Holzabsperrung klettern, um in den Hof zu kommen, das artet ja noch in eine Expedition aus. So schlimm war es natürlich nicht und danach stärken wir uns mit einer Jause in der nahegelegenen Metzgerei „Hörtnagl“ in der Amraser Straße.

Mit warmem Fleischkäse und reichlich Cola im Bauch setzen wir bald darauf unsere Wanderung fort, rasch noch einmal die Amraser Straße überquert und schon sind wir in der Kranewitterstraße (Tiroler Dramatiker, 1860–1938). Die ist einige hundert Meter lang und wird uns wieder zurück in unser Wohnviertel bringen. Meine leicht angeschlagene Wade spüre ich kaum mehr, ich dürfte mir den Muskelkater also schon herausgewandert haben.

Auf der Höhe des „Cafe Bambi“ verlässt mich Ilse und biegt zu unserer Wohnung ab, ich werde dann eh gleich nachkommen. Aber vorher mache ich noch die Kranewitterstraße fertig. Dann spaziere ich via Geyrstraße und Lönsstraße zum Domanigweg (Numismatiker und Schriftsteller, 1851–1913) rüber, wo sich die Gebäude der „Lebenshilfe“ befinden. Der Weg endet kurz vor der Amraser-See-Straße als Sackgasse und ich muss ihn gleich wieder retour gehen, denn nur so komme ich zur Mößlgasse (Pfarrer von Hötting, 1863–1942), die sich gleich daneben befindet. Die kleine, aber sehr hübsche Gasse beginnt an der Lönsstraße und führt in einem Halbkreis wieder zu ihr zurück. Hier lässt es sich sehr schön wohnen, ein durchaus privilegiertes Stückchen Pradl und ich genieße jeden Meter dieser Gasse. Danach habe ich fürs Erste genug und gehe die paar Meter nach Hause. Jetzt brauche ich nur mehr einen Kaffee und die Couch.

Nach einer langen und gepflegten Pause habe ich mich dann noch einmal aufgemacht, ein paar Straßen möchte ich heute schon noch absolvieren. Zuerst gehe ich zur Lönsstraße (Deutschnationaler Schriftsteller 1866–1914) und bald schon komme ich an der Tabak Trafik vorbei, wo mich Besitzer Manni seit Jahren mit Grundnahrungsmitteln versorgt. Übrigens, ich habe dem Manni noch jedes meiner Bücher geschenkt, natürlich mit launigen Widmungen versehen. Erst kürzlich hat er mir lachend gestanden, dass er noch keines davon gelesen hat. Wurscht, ich werde ihm selbstverständlich auch dieses Buch wieder signieren und vorbeibringen, vielleicht kommt er ja in der Pension dazu, sie auch zu lesen.

Am Ende der Lönsstraße meldet sich dann unvermittelt meine Wade und will schnellstens nach Hause. Ich habe aber noch was vor, also höre ich nicht so genau hin und gehe stattdessen zum zweiten Mal heute durch die Seebergasse, danach rechts via Amraser Straße rüber zur Köldererstraße (Hofmaler bei Maximilian I., 1465/70–1540). Diese kurze Straße kennt jeder junge Bursche, von Tirol bis in den letzten Winkel Vorarlbergs hinaus, denn hier hat die Stellungskommission des Bundesheeres ihren Sitz. Zu gewissen Zeiten ist die Köldererstraße geradezu übervölkert von jungen Männern, die mit grotesken Hüten am Kopf und mit viel Alkohol im Kopf ihre Musterung abfeiern, bevor sie dann laut grölend in die Innenstadtlokale weiterziehen. Wie heute in den Nachrichten zu hören war, wird die Stellungskommission ab morgen ihren Betrieb vorerst einstellen, die Ansteckungsgefahr mit dem Corona-Virus ist zu groß geworden. Gestern wurde hier noch Fußballstar David Alaba den üblichen militärischen Eignungstests unterzogen, morgen wird hier dicht gemacht. So schnell geht’s, dieses unnötige Virus werden wir so bald nicht wieder loswerden, fürchte ich.

Mittlerweile sendet meine Wade im Minutentakt heftige Schmerzimpulse, allzu lange geht’s heute nimmer, aber nach Hause muss ich sowieso noch. Die Köldererstraße ist zwar nicht besonders lang und führt nur zum Südring hinauf, ich muss sie aber doppelt gehen. Sonst komme ich schlecht in die Bruder-Willram-Straße (Deutschnationaler Kriegslyriker, 1870–1939), meiner für heute letzten Adresse. Auch die Benennung dieser Straße ist umstritten, denn Bruder Willram (eigentlich Anton Müller) war für seine den Kampf verherrlichende Kriegslyrik und die Propagierung deutsch-nationalen Gedankenguts bekannt. Auch hier ist seit 2011 am Straßenschild ein erklärender Text angebracht und es ist wohl kein Zufall, dass sich ausgerechnet die Kernstockstraße und die Bruder-Willram-Straße kreuzen. Aber das passt schon – Hausmaus zu Hausmaus, Feldmaus zu Feldmaus, dem Nazi-Propagandisten Löns seine Straße ist ja auch nur um die Ecke.

Beim ehemaligen Gasthaus Laterne – ich werde nicht der Einzige sein, der den feinen Gastgarten vermisst – biege ich rechts in die Kranewitterstraße ein, ein paar hundert Schritte später bin ich dann endgültig daheim. Das war’s für heute, immerhin sind weitere 27 Straßen erledigt, um fünf mehr als gestern. Passt.

Reim des Tages:

Im Tivoli-Stadion sah ich viele

gute und auch schlechte Spiele.

Ich bin dann mal nicht weg

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