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VORWORT: KRISE DER ÖKUMENE ODER ÖKUMENE DER PROFILE?

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Es ist merkwürdig still geworden um das, was noch bis vor kurzem ein mitunter emsiger Motor kirchlichen und religiösen Lebens vor Ort war – die vielfältigen und fleißigen ökumenischen Basisgruppen. Es brummte und summte in den Gesprächskreisen konfessionsverschiedener Ehepaare, in gemeinsamen Lektürekreisen, bei liturgischen Feiern und Wallfahrten. Vom Friedensgebet bis zum gemeinsamen Kochen – in der Ökumene vor Ort pulsierte das kirchengemeindliche Leben. Jedenfalls galt dies für die Ökumene zwischen den beiden großen Konfessionskirchen, der katholischen und der evangelischen. Um sie soll es in dem vorliegenden Band gehen, der sich als ein Traktat versteht und zwar im unmittelbaren Sinn des Wortes als „religiöse Flugschrift“, die als „Streitschrift“ verfasst ist.

In nicht wenigen Fällen hatten die ökumenischen Arbeitskreise vor Ort gar die Funktion von kirchlichen Aufsichtsräten. Alles gemeindliche Leben – hier wie dort – stand mit ihnen in Verbindung. Sie koordinierten und organisierten, sie hoben manches besonders hervor und sorgten auch dafür, dass anderes eher im Hintergrund blieb. Vor allem galt es, das Geschehen zu zertifizieren: Nur das sollte realisiert werden, was ökumenisch veranstaltet werden, was mit dem ökumenischen Geist in Einklang gebracht werden konnte. Die Ökumene vor Ort war das Maß aller Dinge.

In einigen Fällen sind diese ökumenischen Organisationszentralen krachend implodiert. Es kam zu Zerwürfnissen auf beiden Seiten. Im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts war es katholischerseits mancherorts zu Aufweichungen bei der Praxis der Eucharistiefeier gekommen. Vor allem auf Drängen konfessionsverschiedener Ehepaare wurde hier und da die Teilnahme des konfessionellen Partners der „anderen Seite“ stillschweigend geduldet. Doch dann kam von römischer Seite die harsche Erinnerung an kirchenrechtlich zementierte Ausschlussformeln. Gelegentlich führte diese Entwicklung auch zu einem geräuschlosen Traditionsabbruch – Ökumene und keinen interessiert’s. Enttäuscht wandten sich die Menschen, die gerade über die gemeinsame Feier des Mahles Hoffnung geschöpft hatten, wieder von der Kirche, von den Kirchen ab.

Wo es vor noch nicht allzu langer Zeit schnurrte und tickte, da sind die Menschen heute ziemlich schnell vor allem eines: genervt. Was soll das mit diesem Hickhack, das ohnehin – wenn überhaupt – nur ausgesuchte Spezialisten verstehen? Otto Normalverbraucher kann mit diesen Debatten schon längst nichts mehr anfangen. Und so oder so haben wir heute doch ganz andere Probleme als diese Diskussionen über Ewiggestriges, und dann auch noch in puncto Religion, womit man heute niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlockt.

Immer wieder wird in unseren Tagen auch darauf verwiesen, dass sich religiöses Wissen im freien Fall befinde. Erschreckend sind die Ergebnisse der Umfragen, was denn Pfingsten oder gar der Buß- und Bettag bedeuten. Selbst Weihnachten und Ostern sind in Gefahr geraten. So hörte ich unlängst auf einem Weihnachtsmarkt, wie einer eine andere fragte, warum der Adventskranz eigentlich nicht sechs Kerzen haben könne. Das Wissen in Sachen Religion erodiert dramatisch. Trotzdem schätzen wir uns im Vergleich etwa mit dem laizistischen Frankreich noch glücklich. Muss man nicht dankbar sein für das Wenige, das bei uns noch in einer gewissen Selbstverständlichkeit vorhanden ist? Ist angesichts dieser Misere eine kritische Rückfrage nach dem, was die beiden Großkonfessionen voneinander unterscheidet, nicht Frevel?

Unlängst war ich bei der Verabschiedung eines katholischen Kollegen in den Ruhestand. Ohne jemandem zu nahe zu treten: Es war eine ziemlich bombastische Inszenierung. Mehrere Dutzend Ministranten, zahlreiche Ortsvereine (u.a. Feuerwehr, Schützen, Kaninchenzüchter) mit ihren stattlichen Fahnen, der Gemeinderat, die Kirchenverwaltung, die Pfarrer, auch die evangelischen, und was weiß ich noch alles zogen in einem schier endlos scheinenden Tross in weihrauchgeschwängerter Luft in die Kirche ein – eine für die, die so etwas mögen, gewaltige Inszenierung.

„Endlich habe ich einmal Kirche erlebt, wie sie sein soll!“, meinte eine Bekannte nach dem Spektakel zu mir. Endlich war Kirche einmal richtig zeitgemäß, so diese Einschätzung. Nichts war mehr zu sehen von diesen völlig überflüssigen konfessionellen Unterschieden – eine große Inszenierung, die allen gleichermaßen ans Herz ging. Die konfessionellen Spezifika, die das Salz in der Suppe sind, wurden einem konturlosen Einheitsgetue geopfert. Als das Lied „Großer Gott, wir loben Dich“ – mit Pauken unterlegt – gesungen wurde, habe ich gestandene Mannsbilder weinen sehen. „Grad schee war’s!“ Der Kabarettist Christian Springer hat unlängst gesagt, dass man in Bayern katholisch sei, „weil’s grad schee is“.

Mir persönlich war ehrlich gesagt ziemlich unwohl – eine große Inszenierung, am katholischen Ritus orientiert. Aber durch die Anwesenheit zweier evangelischer Pfarrer und durch mehr oder weniger frei formulierte liturgische Texte war es dann doch nicht so wirklich katholisch, sondern irgendwie von beidem etwas und damit nicht das eine und letztlich auch nicht das andere. Mir war nicht wohl bei der Sache.

Ich glaube, es gibt einen Trend: Was soll das noch mit den Konfessionen? Bereits vor Jahren forderte der damalige bayerische Landesbischof Johannes Friedrich (evangelisch), dass sich die evangelische Kirche mit der katholischen zusammentun und den Papst als Sprecher der gesamten Christenheit akzeptieren solle. Männer wie Roman Herzog und Herbert Riehl-Heyse stimmten mit ein. Ich erinnere mich dunkel, dass später auch ein so bezeichnetes „Ökumenepapier“ lanciert wurde, das selbst der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert – und ich glaube sogar Richard von Weizäcker – unterschrieben haben sollen.

Heinrich Bedford-Strohm und Reinhard Marx auf Kuschelkurs am Tempelberg: Übertreiben wir es nicht mit der „GroKo“, mit der großen Koalition in Sachen Religion und Kirche? Die Stimmen mehren sich, hier wie dort: Können wir angesichts nach wie vor vorhandener Grundunterschiede so tun, als könnte zusammenwachsen, was zusammengehört? Und umgekehrt: Gehört tatsächlich zusammen, was zusammenwachsen soll? Können wir Evangelischen etwa von Luthers Entdeckung des Priestertums aller Gläubigen einfach so absehen und uns einem hierarchischen Kirchenverständnis anschließen, in dem der Priester Mittler zwischen der Sphäre des Heiligen und der des Profanen ist?

Die Lage wird auch dadurch nicht einfacher, dass – ebenfalls hier wie dort – nicht wenige Religionsprofessionelle der Großkonfessionen geradezu neidisch auf „die Anderen“ schielen. Kirchenleitende Funktionäre werden ganz blass, wie widerstandslos bei der konfessionellen Schwesterkirche Anweisungen durchzusetzen sind, weil die straffe Hierarchie keine problematisierenden und vor allem ermüdenden Diskussionsschleifen vorsieht. Und allzu gerne würde sich manche evangelische Kollegin, mancher evangelischer Kollege mit einer Aura priesterlicher Würde umgeben. Stola und Albe sollen dabei mithelfen. Und umgekehrt lässt der lockere, plurale und erfahrungsoffene Umgang mit den ehrwürdigen Beständen einer eindrucksvollen zweitausendjährigen Religion durchaus Neid aufkommen.

Anders gefragt: Ist uns das Profil, dass der Protestantismus in pointierter Weise die Religion der Freiheit ist, gleichgültig geworden? Können wir auf die These von der unsichtbaren Kirche als wahrer Kirche und damit auf die Einsicht eines Christentums außerhalb der Kirche verzichten? Wie ist das mit der Entdeckung, dass jeder seinem Gewissen verantwortlich ist? Vieles mehr ließe sich hier anführen, selbstverständlich auch für die Schwesterkirche.

Oder sehen wir das Christentum so sehr in die Defensive geraten, dass wir von Unterschieden nichts mehr wissen wollen? Veranlasst uns das Minderheitenbewusstsein dazu, die Grenze zwischen den Konfessionen beflissentlich zu übersehen, um sie umso dramatischer zwischen Christen und Atheisten zu verifizieren? Und geraten uns bei diesem Schubladendenken nicht diejenigen aus dem Blick, die ihr Christentum in einer gewissen Distanz zur verfassten Kirche leben, sich aber sehr wohl als evangelisch oder katholisch verstehen? Werden sie nicht unter Generalverdacht gestellt, so richtig jedenfalls nicht dazuzugehören? Verengen wir die Perspektive nicht Zug um Zug auf das, was man Kerngemeinde nennt? Doch nicht die Kerngemeinde, sondern ganz bestimmte Grundeinsichten sind es, die die jeweiligen Konfessionen prägen und unverwechselbar sein lassen.

Wenn überhaupt, dann scheint gegenwärtig eine Ökumene der Profile Sinn zu machen. Das Wissen um die Profile der jeweiligen Konfessionen nenne ich Hintergrundwissen. Es weiß etwa um die Unterschiede beim Verständnis des Abendmahles. Es weiß um die Entwicklung, die zur Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes führte. Es weiß um die Unterschiede, die Gegensätze und auch das Verbindende.

Wer Hintergrundwissen für bedeutungslos erklärt, der verwischt das Profil, und wer Profile unkenntlich macht, der egalisiert, der vergleichgültigt, der rührt eine fade Einheitssoße zurecht, die niemandem Nahrung bietet. Doch wir brauchen dieses Hintergrundwissen, um zu verstehen, warum etwas ist, wie es ist, und warum etwas geworden ist, wie es ist.

Um Heil und Segen in Anspruch zu nehmen, brauche ich dieses Hintergrundwissen nicht. Das ist wie mit der Technik: Um Strom zu nutzen, muss ich nicht um die unterschiedlichsten Weisen der Stromerzeugung wissen. Der Strom kommt aus der Steckdose. Um Auto fahren zu können, muss mir der Unterschied zwischen Diesel und Benziner nicht bis in die letzten Details klar sein. Aber wenn ich verstehen will, kann ich nicht sagen: Hauptsache Autofahren.

Menschen mit Hintergrundwissen sind Menschen, die eher keinen Mehrheiten angehören. Es sind die Minderheiten, die über Hintergrundwissen verfügen. Das kann auch als unangenehm empfunden werden, denn in der Regel wollen wir zu den Mehrheiten gehören. Und so kann es geschehen, dass wir meinen, mit denen auftreten zu müssen, die Hintergrundwissen für unwichtig halten.

Wir können das über Konfessionsgrenzen hinaus ausweiten. Wenn wir die These aufnehmen, dass es den Religionen im Wesentlichen darum geht, das Heil für die Menschen zu befördern und so Humanität realisieren, wahren und sichern zu wollen, dann kann vor allem hinsichtlich der Verantwortung für das Humane ein religionsübergreifender Konsens festgehalten werden. Leider werden Religionen aber auch immer wieder missbraucht, vorzugsweise von politischen Ideologien, wie der Islam etwa vom sogenannten Islamischen Staat. Wer verstehen will, wer Hintergrundwissen haben will, der muss also in die Tiefe gehen, differenzieren und analysieren, und darf nicht bei ideologischen Verkürzungen stehenbleiben.

Viele, viele Menschen sind müde geworden an der Komplexität unserer Wirklichkeit. Sie sind es leid, sich immer und immer wieder neu an der Unübersichtlichkeit unserer Lebenswirklichkeiten abarbeiten zu müssen. Sie wollen, dass die Wirklichkeit einfach und überschaubar ist. Am Rande bemerkt: Daher wählen sie dann auch Parteien, die behaupten, es sei eigentlich alles ganz einfach. Komplexität soll reduziert werden. In Sachen Religion heißt das dann: Die Unterschiede zwischen den Konfessionen und auch zwischen den Religionen sind bedeutungslos.

Komplexitätsreduzierung ist eine Sehnsucht aktueller gesellschaftlicher Wirklichkeit. Sie ist ein Trend, und nicht wenige – wieder: hier wie dort – finden auch das bedenklich, dass nämlich ihre Kirchen sich vielen der Strömungen oder Trends, die unsere Gegenwart bestimmen, regelrecht anbiedern. Man will ja mit der Zeit gehen, will „in“ sein. Auch Fusionen sind „in“. So verwundert es nicht, dass vor allem aus Wirtschaft und Politik Unverständnis für konfessionelle Differenzen kundgetan wird. „Da sieht man mal wieder, wie unprofessionell die Kirchen sind. Hätten wir das Sagen, wären die längst fusioniert.“ Die Reduktion kirchlicher Angebote auf eine hippe Eventkultur, die Forderung der Wiedereinführung der lateinischen Messe als Verlängerung einer larmoyanten Modernitätskritik und eine völlig überzogene Genderpolitik, wie sie in der „Bibel in gerechter Sprache“ ihren Niederschlag findet und die dort zu sinnentstellenden Texten führt, wären weitere Beispiele für eine solche Anbiederung.

Vor solcher Anbiederung bewahrt in erster Linie differenziertes Hintergrundwissen. Wer die Hintergründe kennt, aus denen heraus plausibel wird, warum zentrale Inhalte der großen Konfessionen so geworden sind, wie sie sind, dem erschließen sich diese Inhalte in ihrer je eigenen Bedeutung. Selbstverständlich sichtet solches Verstehen diese Inhalte auch kritisch. Und damit ist natürlich ebenfalls klar, dass solches Verstehen Wesentliches von Unwesentlichem unterscheidet. Nicht nur das: Solches Verstehen ermöglicht auch die Ausscheidung von Inhalten, die für eine gegenwärtige Religionspraxis irrelevant geworden sind. Der Streit, der in den letzten Jahrzehnten etwa um das Verständnis des Todes Jesu geführt worden ist, ist eine Auseinandersetzung, die zwischen Menschen mit Hintergrundwissen geführt wurde. Um sich an solchen Debatten beteiligen zu können, muss man schon über Wissen, über Hintergrundwissen, verfügen.

Träger von Hintergrundwissen sind Religionsprofessionelle, also Menschen, die zur Ausübung ihres Berufes professionell ausgebildet werden. Das sind zunächst Pfarrerinnen, Pfarrer und Priester. Mit Sorge sind in diesem Zusammenhang jüngste Entwicklungen zu beobachten, die den Stand des Berufes der Pfarrerin bzw. des Pfarrers untergraben. Das hat vor allem nach der Einführung des sogenannten Bologna-Prozesses im Theologiestudium begonnen. Was auf eine europaweite Harmonisierung von Studiengängen und -abschlüssen abzielte und so die internationale Mobilität der Studierenden und die Schaffung eines einheitlichen Europäischen Hochschulraumes befördern sollte, bewirkte vor allem eine Verschulung geisteswissenschaftlicher Studiengänge, die letztlich mit einem beträchtlichen Niveauverlust einherging. Den Studierenden ist ein eigenständiger Erwerb geistiger Bildung erschwert worden. An dessen Stelle tritt die schulische Aneignung von Kompendienwissen.

Schon während des Studiums, vor allem aber im Anschluss daran melden die Kirchen ihre Interessen an. Eine von ihnen verordnete „geistliche Begleitung“ droht den freien Bildungsprozess kirchlicher Reglementierung zu unterwerfen. Doch die Studierenden müssen in Ruhe gelassen werden. Es geht darum, die Möglichkeitsbedingungen zur Ausformung eines freien gebildeten Berufsstandes bereitzustellen, der in seiner Bildung zu eigenständigen begründeten Positionen fähig ist, die sich gleichwohl im kommunikativen Austausch bewähren können. Auch hier gilt die Struktur pluraler Vielfalt.

Mit dem Problem einer Verkirchlichung stoßen wir innerhalb dieser Lageskizze möglicherweise an die Hauptbedrohung gegenwärtiger Religionspraxis. Hier wie dort bedrohen institutionelle Hegemonieansprüche die freie Lebendigkeit pulsierenden religiösen Lebens, indem sie diesem das Korsett kirchlicher Vorstellungen von Religion aufzwängen. So erlahmt und versiegt religiöses Leben in den letzten Jahren immer wieder, und in solchem Erlahmen religiösen Lebens kann selbst wohl wieder ein Grund für das Absterben ökumenischer Interessen ausgemacht werden. Denn das konfessionell geprägte religiöse Leben findet ja keineswegs zwangsläufig innerhalb der vorgegebenen kirchlichen Rahmenbedingungen statt. Beim Katholizismus noch eher als im Protestantismus. Daher dürfte der Blick in die religiösen Profile der Konfessionen lohnen. Er öffnet die Augen für konfessionelle religiöse Lebendigkeit. Evangelischerseits wird solches Leben etwa durch den religiösen Gleichheitsgedanken, die unsichtbare Kirche, die Bedeutung der einzelnen religiösen Individualität und deren Gewissenserfahrung befeuert. Von katholischer Seite wird u.a. die Bedeutung der Kirche und ihrer Ordnung für religiöses Leben entscheidende Impulse freisetzen.

Ökumene um jeden Preis?

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