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Kirche der Pluralität, Kirche der Meinungsvielfalt

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Dass Kurzbeiträge zu den jeweiligen gesellschaftlichen Debatten durchaus hilfreich sein können, zeigen etwa die Weihnachtsansprachen des Bundespräsidenten oder das Wort der Bundeskanzlerin zum Neuen Jahr. Beiden gelingt es weit überwiegend über Partei- und Personengrenzen hinaus die Gefahren von Komplexitätsreduzierung und Populismus zu umgehen. Was in diesen Beiträgen zum gesamtgesellschaftlichen Diskurs anderen Akteuren zum Vorbild gereichen könnte, ist, dass sie es vermögen, gewissermaßen „mehrheitsfähig“ zu formulieren. Wohltuend ist hier die Vermeidung simplifizierender Direktiven und populistischer Vereinfachungen.

Gerade für die evangelische Kirche – in welcher der über das Modell des Priestertums aller Gläubigen gewonnene religiöse Gleichheitsgedanke gilt – ist eine Positionierung, die keine Einzelmeinung repräsentieren soll, natürlich besonders schwierig. Kein Bischof, kein Oberkirchenrat oder wer auch immer hat das Recht, „protestantische Positionen“ aufgrund seiner Stellung qua Amt zu legitimieren. Aufgrund des religiösen Gleichheitsgedankens gilt zudem, dass eine Position immer nur eine Position neben anderen – ebenso legitimen – Positionen ist. Was zählt, ist der sachliche Gehalt, nicht der hierarchische Ort, von dem aus ein Votum ergeht.

Damit gilt zumindest für den Protestantismus Pluralität als Grundmuster kirchlicher Wirklichkeit. Und damit ist – wie sich leicht zeigen lässt – natürlich ein Grundproblem hinsichtlich des Auftritts von Kirche in der Gesellschaft verbunden. Bezüglich eines strittigen Sachverhaltes kann es kirchlicherseits niemals nur ein Votum geben. Es gibt immer ein Bündel von sachlich hinreichend begründeten Standpunkten, die sich mitunter durchaus widersprechen können.

Darin ist denn auch das Problem enthalten, dass mit einer eindeutigen Verlautbarung von kirchenleitender Seite stets legitime, inhaltlich anderslautende Standpunkte verunglimpft werden. Diese gelten dann interessanterweise plötzlich als einzelne „Privatmeinungen“. Aufgabe kirchenleitenden Handelns wäre es also, auf diesen „Chor“ an Überzeugungen hinzuweisen bzw. ihn zum Klingen zu bringen. Der Vorzug solchen Handelns bestünde auch darin, deutlich werden zu lassen, dass die Meinungsvielfalt innerhalb des Protestantismus die Meinungsvielfalt der gesamtgesellschaftlichen Wirklichkeit spiegelt.

Nebenbei bemerkt liegt außerdem auf der Hand, dass gerade bei evangelischen kirchenleitenden Vertreterinnen und Vertretern in diesem Zusammenhang aus dem Unterschied zur katholischen Schwesterkirche, die den religiösen Gleichheitsgedanken so nicht kennt, Neidgefühle erwachsen können. Wir sind darauf bereits zu sprechen gekommen. Natürlich ist die Durchsetzungsfähigkeit in einem strikt hierarchischen System – um nicht zu sagen: in einem strikt autoritär verfassten System – um vieles größer als in einer Institution, deren Grundstruktur Pluralität ist.

Ökumene um jeden Preis?

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