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Kapitel 1 Gott, der treue Schöpfer: 1. Mose 1–2 Am Anfang schuf Gott
ОглавлениеSo fängt die ganze Geschichte an, die Weltgeschichte und die biblische Geschichte. Davor gab es nur Gott, ganz alleine. Wenn wir berücksichtigen, was wir später von Jesus lernen, reden wir besser von »Gott als drei«. Gott als drei, und dennoch alleine Gott. Aber Gott wollte nicht allein bleiben. Und so schuf Gott das, was nicht Gott ist. Aber warum?
Dafür gäbe es absolut keine Erklärung, falls Gott wirklich so wäre, wie es manchmal behauptet wird. Philosophen, Theologen und andere Denker versuchten immer wieder das Wesen Gottes zu erfassen und zu beschreiben. Zu den biblischen Begriffen wie »allmächtig«, »allwissend« und »allgegenwärtig« kommen weitere Beschreibungen hinzu. Manche reden dann von einem Gott, der in sich selbst komplett und restlos zufrieden sei, unveränderlich und leidenschaftslos, in perfekter Harmonie, sich selbst genug.
Aber dies ist ganz und gar kein biblisches Bild. Der lebendige Gott setzt seine schöpferische Kreativität ein und bringt zustande, was zuvor nicht war. Gott sehnte sich nach Beziehungen mit anderen, die nicht Gott waren. Gott hatte Pläne und Wünsche. Und so schuf Gott. Gott schuf das, was anders ist als Gott – das Weltall, die Natur, die Erde, die Sonne und den Mond, die Sterne, Lebewesen aller Art und die Menschheit. Und Gott sah alles an, was er geschaffen hatte, und sah: Es war alles sehr gut (1. Mose 1,31).
1. Mose 1 und 2 erzählen davon, dass Gott ein schöpferischer Gott ist, und sie listen auf, was Gott alles erschuf. Diese Kapitel erzählen vom Beginn allen Lebens, von der Erschaffung von Himmel und Erde. Hier möchte ich unmissverständlich und klar sagen: Die Bibel sagt von Anfang bis Ende, dass Gott alles erschaffen hat. Das Weltall entstand aus nichts als seinem Schöpfungswort, und auch nicht zufällig. Gott wollte eine Schöpfung und erschuf sie. Gott erschuf alles außerhalb sich selbst. Über das »Wie« erfahren wir nur: »und Gott sprach«. Über das »Warum« und »Wozu« können wir viel erfahren, wenn wir diese Kapitel im richtigen Zusammenhang lesen.
Im Verlauf der Jahrhunderte gab es mehrere Theorien darüber, inwieweit 1. Mose 1 und 2 genau festhalten, in welcher Reihenfolge alles erschaffen wurde und auch in welchem Zeitraum. Sind die sechs Schöpfungstage wortwörtlich als sechs Tage zu verstehen? Oder sollen wir die sechs Tage eher als sechs Epochen unterschiedlicher Dauer verstehen, oder gar als sechs Aspekte der Schöpfung Gottes? Oder geht es vielleicht nur um die literarische Form einer Erzählung?
Wenn Gott die Erde und das Weltall in einem kurzen Zeitraum erschaffen wollte, dann war das nicht unmöglich für ihn. Es ist also im Prinzip kein Problem, zu behaupten: Gott sprach, und es geschah – einfach so, aus dem Effeff, wie aus dem Ärmel geschüttelt, entstand alles in sechs mal 24 Stunden. Manche Ausleger meinen jedoch Ungereimtheiten im Text zu erkennen und werten sie als Hinweise darauf, dass diese Kapitel nicht wortwörtlich verstanden werden sollten. Sie fragen sich beispielsweise, warum es schon vor der Erschaffung von Sonne, Mond und Sternen Licht gab oder warum schon zwischen Tag und Nacht unterschieden wurde, ehe es eine Sonne gab.
Die unterschiedlichen Ansätze, den Schöpfungsbericht auszulegen, führten leider oft zu verhärteten Fronten, die es unmöglich machten, die viel wichtigeren Aussagen des Textes zu hören. Wenn wir alle unsere Kräfte in Diskussionen über die Wissenschaftlichkeit des Schöpfungsberichtes investieren, dann besteht die Gefahr, dass wir andere wichtige Gesichtspunkte aus den Augen verlieren. Unseres Erachtens ist die wichtigste Aussage des Textes die, dass wir das Entstehen des Weltalls nicht dem Zufall, sondern einem erschaffenden Gott zu verdanken haben. Es ist wichtig, dass wir Gott nicht als jemanden sehen, der irgendwo unbeteiligt im Hintergrund bleibt, sondern als jemanden, der direkt eingreift, um seinen Willen zu verwirklichen.
Es ist wichtig, dass wir berücksichtigen, in welchem geschichtlichen Kontext diese ersten Kapitel der Bibel geschrieben wurden und wie sie als Wort Gottes zum alttestamentlichen Gottesvolk sprachen. Die theologischen Gegner der damaligen Lehrer, Propheten und Autoren waren keine von Charles Darwin in die Irre geführten atheistischen Wissenschaftler. Es waren auch keine Wissenschaftler, die glaubten, das Weltall sei in Milliarden Jahren entstanden, und deren Zeitvorstellungen deshalb korrigiert werden müssten. Die Gegner des alten Israels waren die Vertreter heidnischer Religionen, die ihre eigenen Entstehungsgeschichten verbreiteten. Die Geschichten dieser Religionen unterschieden sich zutiefst vom biblischen Schöpfungsbericht: Sie sprachen von Göttern und Göttinnen und behaupteten, diese Götter hätten durch Morde und Kriege in der himmlischen Welt den Grundstein für eine ebenso gewalttätige irdische Welt gelegt.
Mose und seine Nachfolger bekämpften solche Vorstellungen und erklärten, dass es ganz anders war: Gott hatte am Anfang der Zeiten keine Gegner. Deshalb sind Mord und Krieg auch kein wesentlicher Bestandteil des Weltalls. Die Schöpfung ist gut. Sie entstand nicht dadurch, dass – wie andere behaupteten – ein Riesentier geschlachtet wurde. Selbst die Biester sind Teil der guten Schöpfung Gottes. Das Leben auf dieser Erde entstand auch nicht – wie wieder andere behaupteten – durch den magischen Einfluss der Sterne. Nein, es ist Gott, der alles erschaffen hat: Erde, Mond und Sonne ... und auch die Sterne, die in 1. Mose 1 fast nebenbei erwähnt werden. Und Gott schuf dies alles durch sein schöpferisches Wort, nicht durch Magie und nicht durch die kriegerische Macht eines Schwertes.
1. Mose 1 und 2 sind nicht als naturwissenschaftliche Abhandlungen zu verstehen. Aber sie stellen dennoch die Grundlage aller Naturwissenschaften dar. Wir erfahren dort, dass die Natur von Gott gewollt und geplant war, von Gott erschaffen und mit der Menschheit geteilt wurde. Gott beauftragte die Menschen, seinen Geschöpfen Namen zu geben. Und er gebot ihnen, den Garten zu pflegen, das heißt, verantwortlich damit umzugehen.
1. Mose 1 und 2 sind aber auch keine bloßen historischen Abhandlungen. Und dennoch stellen diese Kapitel die Grundlage der ganzen Weltgeschichte dar. Wir erfahren, wo alles begann und wozu alles dienen soll. Wir können diesen Kapiteln entnehmen, dass Gott, der Schöpfer, letztendlich für die ganze Geschichte zuständig ist. Er erschuf die Menschen zu seinem Bilde und berief sie zu seinen Mitarbeitern.
Wenn wir diesen Kapiteln gerecht werden wollen, müssen wir neben ihren Beiträgen zu Wissenschaft und Geschichte auch ihre literarische Schönheit entdecken. Dieser Text ist zugleich poetisch und wahr, kunstvoll geschrieben und doch aussagekräftig. Die Entstehungsgeschichte wird in zwei Teilen erzählt. Zuerst werden die sechs Tage aufgezählt, in denen Gott den Himmel und die Erde, die Himmelskörper, das Land und das Meer, die Lebewesen und die Menschen erschuf. Gleich darauf wird berichtet, dass Gott alles für »sehr gut« erklärte und selbst einen Ruhetag hielt. Im zweiten Teil des Textes werden dann Einzelheiten noch einmal besonders aufgegriffen und die Erschaffung von Eva als Adams Gegenüber und Partnerin betont. 1. Mose 1 beschreibt die Menschheit als den krönenden Abschluss der Schöpfung Gottes und betont Gottes Souveränität über und Zufriedenheit mit seiner Schöpfung. 1. Mose 2 betont die Rolle der Menschheit in Gottes guter Welt und vor allem die Notwendigkeit eines Lebens in menschlicher Gemeinschaft als den Kontext eines erfüllten Lebens als Treuhänder Gottes.
Was antworten wir nun Wissenschaftlern, die behaupten, unsere Welt sei Milliarden Jahre alt? Sind Christen verpflichtet, die Behauptung abzulehnen, dass die Galaxien durch einen Urknall in das Weltall hinausgeschleudert wurden? Müssen wir, um bibeltreu zu sein, die Behauptungen von Wissenschaftlern abstreiten, der Mensch stamme von den Primaten ab?
Unseres Erachtens befanden sich Theologen und Wissenschaftler wegen solcher Fragen viel zu lange im Kriegszustand. Tatsache ist, dass Wissenschaftler – Christen wie Atheisten – sich weder einig noch sicher sind, dass sie mit einer einzigen Theorie alles erklären können. Tatsache ist auch, dass sich Theologen unter sich noch weniger einig sind. Einige bekennen sich zu einer wörtlichen Interpretation der biblischen Weltentstehungslehre. Andere meinen, 1. Mose erkläre die Reihenfolge, nicht aber die Zeiträume, in denen Gott schuf. Wieder andere meinen, es gehe hier gar nicht um das Wie und Wann, sondern nur um das Warum und Von-Wem.
Wir möchten gerne die Gefahren beider Extreme dieses Spektrums aufzeigen. Auf der einen Seite ist es wichtig, dass wir als Bibelausleger uns auf das Auslegen der Bibel konzentrieren und nicht versuchen, den Naturwissenschaften hinterherzulaufen, um unsere Überzeugungen den neuesten Theorien anzupassen. Es besteht sonst die Gefahr, dass wir unsere Überzeugungen genauso oft revidieren müssen, wie die Naturwissenschaften es tun. Gott kann schließlich auch mit scheinbarem Alter geschaffen haben. Die noch größere Gefahr ist, dass wir allmählich unsicher werden, ob es überhaupt notwendig ist, an einen Schöpfergott zu glauben, um die Entstehung des Weltalls zu erklären. Wer braucht noch Gott, wenn ein Urknall alles erklärt?
Auf der anderen Seite sehen wir die Gefahr, Angst davor zu haben, Neues zu lernen und unsere Auslegungen zu überdenken. Es besteht die Gefahr, dass wir starr an Theorien festhalten, die dem widersprechen, was die meisten denkenden Menschen aus guten Gründen für sinnvoll halten. Es ist wichtig, die »Galileo-Lektion« zu bedenken. Die Kirche verfolgte damals Wissenschaftler wie Galileo Galilei (1564–1642), die glaubten, beweisen zu können, dass die Erde sich um die Sonne drehe und nicht umgekehrt. Die Kirche bestand darauf, dass die Bibel unmissverständlich ein »geozentrisches« Weltall – dass nämlich die Sonne sich um die Erde drehe – und nicht ein »heliozentrisches« unterstütze, wo die Erde um die Sonne kreist. Mit der Zeit musste die Kirche ihren Fehler einsehen – bis dahin hatten viele Wissenschaftler die damaligen Ausleger längst für unglaubwürdig erklärt.
Auch wenn wir die Ausleger respektieren, die behaupten, die Erde sei erst etwa 6 000 Jahre alt (und auch sie haben durchaus gute Argumente), so meinen wir doch, dass sie in der Gefahr stehen, den gleichen Fehler zu begehen. Wenn wir durch unser Teleskop schauen und Sternensysteme beobachten, die Millionen von Lichtjahren entfernt liegen, dann scheint es uns, als hätte Gott dies alles tatsächlich in großen Zeiträumen erschaffen und nicht erst vor ein paar tausend Jahren. Aus unserer Sicht widerspricht das nicht den Aussagen der Bibel.
Aber wo ist dann das Ende dieser Logik? Wir wissen, dass die Geologen behaupten, dass geologische Aufzeichnungen und Dinosaurierknochen Ähnliches zeigen. Entweder gibt es schon seit Urzeiten Tierleben auf der Erde oder Gott hat sich viel Mühe gegeben, diesen Eindruck zu erwecken.
Das geht natürlich vielen Christen zu weit, und so versuchen sie, die wissenschaftlichen Befunde anders zu erklären. Viele Gläubige halten die »Junge-Erde-Theorie« für zutreffend (wenn auch die Erde ihrer Ansicht nach nicht unbedingt exakt höchstens 6 000 Jahre alt ist); sie werden häufig »Kreationisten« genannt. Andere bekennen sich zu der Vorstellung, dass Gott als »intelligentes Wesen« die Entwicklung des Weltalls aktiv gelenkt und bis ins kleinste Detail vorausbestimmt habe (»Intelligent Design« wird die Theorie genannt, der zufolge bestimmte Merkmale des Universums und Lebens am besten durch eine intelligente Ursache bzw. Absicht erklärt werden können). Wieder andere glauben, Gott habe alles in einem langen Prozess der Entwicklung erschaffen – ohne sich festlegen zu wollen, wie genau dies geschah.
All diese Überzeugungen gehen davon aus, dass Gott der Schöpfer ist. Die Art und Weise, wie Gott die Welt erschuf, wird von den Auslegern unterschiedlich verstanden.
Das letzte Wort dieser Diskussion ist noch nicht gefallen. Aber ein erstes Wort wurde bereits gesprochen: Am Anfang schuf Gott. Gott hatte Pläne und Wünsche. Er wurde kreativ. Gott erschuf eine wunderbare Welt und als Höhepunkt die Menschheit. Diesen Menschen verlieh Gott Kreativität und Freiheit und machte sie so zu seinen »Mitschöpfern«. Menschen wurden zu Mitgestaltern der Geschichte. Obwohl Gott immer noch ein Ziel für die Geschichte hat, obwohl wir wissen können, dass Gott diese Welt nie im Stich lassen wird und sie in seiner großen erfinderischen Treue auch zu diesem Ziel bringen wird, sind wir Menschen doch Mitgestalter dieser Geschichte. In diesem Sinn teilt Gott seine Macht mit der Menschheit. Und er verhindert es meistens nicht, wenn Menschen diese Macht missbrauchen. (Auf diesen Aspekt der Geschichte kommen wir später noch zurück).