Читать книгу Glanz und Untergang der Familie Napoleons - Gertrude Aretz - Страница 5
II.
ОглавлениеAls Napoleon zum Ersten Konsul ernannt worden war, wollte er, daß Letizia einen der Mutter des Staatsoberhauptes würdigen Haushalt führe. Er bot ihr die Tuilerien zum Aufenthalt an. Dieses große, weite Königsschloß aber flößte der einfachen Frau, die bisher nicht in Überfluß und Prunk gelebt hatte, Furcht und Grauen ein. Sie zog es daher vor, noch eine Zeitlang bei Joseph zu wohnen, bis Napoleon ihr das Palais Montfermeil in der Rue du Mont-Blanc einrichtete. Hier lebte Letizia, wie sie es gewöhnt war, einfach und ohne Luxus. Aber gerade von seiner Mutter hätte Napoleon gern gesehen, daß sie ihr Einkommen, 120.000 Franken jährlich, reichlich verausgabte. Er hatte damit kein Glück bei ihr. Das Geldausgeben machte ihr nicht die geringste Freude. Sogar die Reparaturen in ihrem Haus ließ sie von ihrem Sohne Napoleon bezahlen. Später noch, als sie als Kaisermutter ein Jahrgeld von einer Million bezog, beschränkte sie ihre Hofhaltung auf das Nötigste. Auf Napoleons Einwände pflegte sie gewöhnlich zu erwidern: »Wenn Sie doch wieder einmal zu Unglück kommen sollten, so werden Sie mir Dank wissen, daß ich so sparsam gewesen bin.«
Es ist jedoch weniger anzunehmen, daß diese Voraussetzungen Letizias Scharfblick entsprangen, weil sie dem so schnell aufgebauten Glücksgebäude wenig traute. Ihr Mutterherz hatte ganz einfach die Zeiten nicht vergessen, da es ihr und ihren Kindern an allem gebrach. Sie wußte aus Erfahrung, daß Schicksalsschläge über Nacht kommen konnten. So blieb sie lieber bei ihren bescheidenen Gewohnheiten, selbst auf die Gefahr hin, unter all den glänzenden Frauengestalten, die ihren Sohn und seinen Hof umgaben, in ihrer einfachen ernsten Kleidung wunderlich zu erscheinen.
Letizia brauchte übrigens weder Luxus noch Pracht, um schön und anziehend zu wirken. Ihre ganze Erscheinung war vornehm, edel und königlich. Sie sprach wenig, einesteils weil sie in der neuen Gesellschaft dazu gezwungen war, denn sie beherrschte die Sprache nicht und besaß kein Wissen, andernteils schwieg sie aus Stolz. Ihre Manieren hatten, obgleich sie sich in Gesellschaft unbequem fühlte, eine angeborene Würde und Hoheit, die jedermann Achtung gebot. Selbst die Streitigkeiten unter ihren Kindern verstummten, sobald sie zugegen war. Ihre Anwesenheit genügte, um allen eine gewisse Zurückhaltung aufzuerlegen. Sie erteilte ihnen immer die weisesten Ratschläge und ermahnte sie zum Guten. Immer und immer wieder erinnerte sie ihre Söhne und Töchter, die sich oft gegen den Willen Napoleons auflehnten, daran, was sie ihm schuldig waren und daß er es gewesen war, der sie zu Ansehen gebracht hatte. Um so weher tat es ihr, den unversöhnlichen Zwist zwischen Napoleon und Lucien mit ansehen zu müssen, ohne daß sie durch ihren Einfluß etwas zu erreichen vermochte. Das einzige, was Letizia tun konnte, war, Lucien in seinem Unglück nicht zu verlassen. Sie schlug ihm vor, er solle sie nach Italien begleiten, wo sie ihrer Gesundheit wegen im Jahre 1804 einige Zeit verbringen wollte. Vielleicht diente ihr diese Reise aber auch nur als Vorwand. Sie wollte gewiß nicht Zeuge des Triumphes ihrer Schwiegertochter sein, deren Krönung bevorstand.
Dem Ersten Konsul mißfiel der Vorschlag seiner Mutter. Er warf ihr vor, daß sie Lucien mehr liebe als ihre andern Kinder. Darauf antwortete Letizia einfach: »Wenn Sie in seiner Lage wären, würde ich Sie in Schutz nehmen.« Ihre Zuneigung und Fürsorge gehörte immer dem nach ihrer Meinung unglücklichsten Kinde. So war ihr Grundsatz, und so hat sie ihr ganzes Leben lang gehandelt. Und hatte sie wirklich für Lucien eine Vorliebe, so geschah es, weil sie ihm ewig dankbar dafür war, daß er ihr im Jahre 1802 eine Rente von 24.000 Franken aussetzte, damit sie den Armen mehr zu Hilfe kommen konnte. Diese Feinsinnigkeit hat sie nie vergessen.
Ehe Lucien Paris verließ, verschaffte Letizia ihm einen Empfehlungsbrief des Ersten Konsuls an den Papst, damit Pius gestatte, daß ihr Sohn in Rom leben könne. Dann zog sie am 13. März 1804, kurz ehe das Kaiserreich seine Pforten öffnete, selbst nach der ewigen Stadt. Dort wurde ihr von Pius VII. ein Empfang bereitet, wie er nur gekrönten Häuptern zukam. In einer Audienz hielt sie der Papst so lange zurück, daß sie es selbst für passend fand, sich von dem Heiligen Vater zu verabschieden. Wenige Tage danach schrieb Pius an Napoleon einen Brief, in dem er sich sehr schmeichelhaft über Letizia aussprach und von ihr sagte: »Wir haben sie würdig gefunden, Ihre Mutter zusein!«
Mit ihrem Sohne Napoleon lebte Letizia, abgesehen von der Meinungsverschiedenheit wegen der Angelegenheit Luciens, in bestem Einvernehmen und größter Vertraulichkeit. Sehr selten war sie, selbst als Kaisermutter, gezwungen, seiner hohen Stellung Rechnung zu tragen. Sie ließ sich nie ihre Würde als Oberhaupt der Familie nehmen. Er hingegen nannte sie nie du, nicht einmal im engsten Familienkreise. Aber er sprach mit ihr Italienisch, weil ihr diese Sprache geläufiger war. Die Briefe an sie schrieb er indes Französisch, ebenfalls sie die ihrigen an ihn, die sie ihrer Vorleserin Italienisch diktierte. Napoleon verdankte seiner Mutter vor allem seinen Sinn für Ordnung und gedachte noch in Sankt-Helena daran. »Ihr verdanke ich mein Vermögen und alles, was ich Gutes getan habe«, sagte er. Auch den Stolz hatte er von der Mutter. Mit großer Genugtuung wiederholte Letizia oft die Worte, die ihr Sohn ausgesprochen hatte, als er der Schwiegersohn des Kaisers von Österreich, Franz II., wurde, und dieser Nachforschungen über Napoleons Abstammung machen ließ: »Mein Adel datiert von Millesimo und Montenotte her!« hatte er da gesagt, und die Mutter hatte vor Stolz gestrahlt. Sie wußte auch ihm, trotzdem er Kaiser war, zu imponieren. Als er einmal in Gegenwart Maria Luises seiner Mutter die Hand zum Kusse darbot, stieß Letizia ihn mit einer entrüsteten Gebärde zurück und hielt dafür dem Sohn ihre eigene Hand hin, damit er sie küsse. Beschämt unterzog er sich dieser Pflicht. Marie Luise verstand das Benehmen ihrer Schwiegermutter in diesem Falle nicht und sagte, sie habe in Wien ihrem Vater, dem Kaiser von Österreich, zum Zeichen der Ehrerbietung vor dem Herrscher oft die Hand geküßt. »Ja«, erwiderte Letizia, »der Kaiser von Österreich ist Ihr Vater, der Kaiser der Franzosen aber ist mein Sohn!«
Übrigens brachten ihr alle ihre Kinder herzliche Liebe und Hochachtung entgegen, wie sie auch ihnen die größte Fürsorge und Zuneigung bewies. Beständig war sie um das Leben des Ersten Konsuls besorgt. Das Attentat der Höllenmaschine vom 24. Dezember 1800 versetzte sie in die größte Aufregung. Nur mit Josephine und Hortense stand sie auf gespanntem Fuße. Sie gehörten zur Gegenpartei. Nie fühlte Letizia sich von dem geselligen Leben in Malmaison angezogen, weil dort die Beauharnais eine Rolle spielten. Ebensowenig liebte sie Mortefontaine; die Gesellschaft, die bei ihrem Sohne Joseph verkehrte, paßte ihr nicht; sie war ihr zu gelehrt. Am liebsten war sie mit ihrem Bruder Fesch zusammen. Mit diesem konnte sie von Korsika, von alten Bekannten und Verwandten sprechen, alte Erinnerungen ausgraben, und das gefiel ihr.
Die Thronbesteigung ihres Sohnes Napoleon erfuhr Letizia in Rom durch die Zeitungen. Dort lebte sie mit Lucien und Pauline unter dem Schutze des Papstes. Pius schätzte sie ganz besonders darum, weil er wußte, mit welcher Freude die strenge Katholikin das Konkordat begrüßt hatte, das Napoleon im Jahre 1801 mit Rom schloß. Letizia galt diese Handlung ihres Sohnes viel mehr als alle seine Siege, als all sein Ruhm. Aber zur Krönung des Kaisers erschien sie nicht. Der Platz, den ihr der Maler David auf seinem wundervollen Krönungsgemälde zuweist, blieb leer.
Zu jener Zeit hielt sie sich in den Bädern von Lucca auf, wo auch ihre Tochter Paulette weilte. Erst 17 Tage später, am 19. Dezember 1804, kehrte Frau Bonaparte nach Paris zurück und nahm in dem einst von Lucien bewohnten Hotel de Brienne Wohnung. Es ist offenbar, daß sie nicht Zeuge der Einsegnung des Kaiserreiches sein wollte, dessen Errichtung die noch von republikanischen Grundsätzen erfüllte Korsin nicht billigen konnte. Auch war sie tief in ihrem Mutterstolze verletzt, daß Napoleon sie nicht durch einen besonderen Boten von seiner Thronbesteigung in Kenntnis gesetzt hatte. Dies geht aus einem Brief des Onkels Fesch, vom 9. Juli 1804, klar hervor. Er schreibt an Napoleon: »Ihre Mutter ist nach den Bädern von Lucca abgereist. Ihre Gesundheit ist weit mehr durch seelische als durch körperliche Leiden untergraben ... Sie war untröstlich, als sie durch die Zeitungen die Thronbesteigung Eurer Majestät erfuhr. Es hat sie schmerzlich berührt, daß sie während ihres dreimonatigen Aufenthaltes keinen außerordentlichen Kurier von Ihnen erhalten hat. Sie meint, Eure Majestät ziehe ihr alle andern Mitglieder der Familie vor...«
Durch derartige Vernachlässigungen fühlte sich Letizia immer tief gekränkt. Und so traf sie absichtlich erst später, als alles vorüber war, in Paris ein. Der nunmehrige Kaiser empfing seine Mutter mit einfacher Herzlichkeit. Frau Letizia ergriff von neuem die Gelegenheit, ihn mit Lucien auszusöhnen. Aber es blieb beim alten.
Jetzt galt es, der Mutter des Herrschers von Frankreich die gebührende Rolle zuzuweisen. Welchen Rang sollte Letizia einnehmen? Welche Würde sollte ihr zukommen? Nach den alten römischen Annalen stand immer die Mutter der Cäsaren, hieß sie nun Agrippina oder Poppeia, an erster Stelle. Und so wollte es auch Napoleon.
Letizia empfing diese Auszeichnung ohne große Erregung, ohne Eitelkeit. Sie ließ sich nicht blenden von all dem Glanze, den man um sie verbreitete. Nur zu dem Genie ihres Sohnes hatte sie Vertrauen. Alles andere schien ihr nur Scheinglück. Sie war der Ansicht, Napoleon würde sich einen größeren Namen in der Geschichte erworben haben, wenn er sich nicht zum Kaiser gemacht hätte. Sein Emporsteigen machte sie nicht blind. Alle Größe um sie her vermochte keinerlei Einfluß auf sie auszuüben, wenn sie auch stolz war, daß ihrer Familie so großes Glück widerfuhr.
Der Kaiser aber wünschte, daß auch seiner Mutter alle Auszeichnungen, alle Ehren zuteil würden, wie den Müttern der römischen Imperatoren. Frau Letizia erhielt daher, wie ihre Söhne und Töchter, den Titel »Kaiserliche Hoheit« und wurde offiziell »Madame« genannt. Um Verwechslungen zu vermeiden, wenn der Kaiser Töchter bekäme, die nach der Sitte der alten Königsgeschlechter ebenfalls den Titel »Madame« führen sollten, fügte man für Letizia hinzu »mère de l'empereur«. Bald aber hieß sie nur noch Madame Mère. Welcher Name hätte für diese Frau, für diese Mutter besser gepaßt?
Letizias Rente, die noch unter dem Konsulat von 120.000 auf 300.000 Franken erhöht worden war, belief sich als Kaisermutter auf eine Million. Sie brauchte sie nicht, denn ihre Hofhaltung war einfach. Im Jahre 1806 war ihr Hofstaat vollständig und setzte sich aus folgenden Personen zusammen:
1 Almosenier: Monseigneur de Canaviry,
2 Kapitäne: Abbé Dandelarre und Abbé Lecoq,
1 Leibarzt: Baron Corvisart,
3 Unterärzte: Bourdier, Héreau und Bacher,
1 Ehrendame: Baronin de Fontanges,
10 Gesellschaftsdamen: Davout, Soult, Saint-Pern, de Fleuriot, Junot, de Laborde-Mériville, de Bressieux, d'Esterno, de Saint-Sauveur, de Rochefort-d'Ailly.,
1 Vorleserin: Fräulein de Launay,
1 Erster Kammerherr: Graf Cossé-Brissac,
2 Kammerherrn: de La Ville und d'Esterno,
1 Erster Stallmeister: Graf Beaumont,
2 Stallmeister: de Quelen und d'Arlincourt,
1 Sekretär: Decaces,
1 Intendant: de Robier,
1 Notar: Tarbé.
Bei dieser Auswahl hatte der Kaiser besonders darauf gesehen, die großen Namen des alten und neuen Regimes auszusuchen.
Obgleich Letizia sich sehr der Armen und Kranken annahm, legte sie doch von ihrem Einkommen jährlich die Hälfte zurück. Als Schutzherrin aller Wohltätigkeitseinrichtungen Frankreichs, zu der sie Napoleon im Jahre 1805 ernannte, mußte sie besonders viel geben. Aber sie war sparsam, nicht geizig. Niemals verlor sie den Blick in die Zukunft.
Für ihre eigene Person brauchte sie wenig. Am Hofe ihres Sohnes verkehrte sie selten und ersparte sich dadurch viele Ausgaben. Einesteils vermied sie es, wo es ging, mit Josephine zusammenzutreffen, und andernteils verabscheute sie alles Förmliche und die damit verbundenen Oberflächlichkeiten. Obgleich sie äußerlich mit ihrer antiken Matronengestalt, den feinen strengen Zügen, den langsamen, vornehmen Bewegungen sehr gut repräsentierte, scheute sie die Öffentlichkeit. Sie fühlte sich verletzt, daß sie der Schwiegertochter den Vortritt bei Hofe lassen mußte. Beugen konnte sich diese Korsin nicht.
Seit dem Jahre 1805 wohnte Letizia teils in Paris, im Schlosse Luciens, das sie von ihm für 600.000 Franken gekauft hatte, teils im Schlosse Pont-sur-Seine, im Departement Aube. Dieses Palais hatte ihr der Kaiser geschenkt.
War Napoleon abwesend, so wünschte er, daß seine Mutter, wenn sie in Paris weilte, jeden Sonntag bei Josephine speiste. Aber Letizia suchte sich dessen so viel wie möglich zu entziehen. Der Kaiser war deshalb oft gezwungen, seine Mutter wie ein Kind zu tadeln. Dann schmollte sie und zog sich nach Pont zurück. So schrieb er ihr einmal aus Finckenstein: »Madame, ich billige sehr, daß Sie sich auf Ihre Besitzung zurückziehen, aber solange Sie sich in Paris aufhalten, gehört es sich, daß Sie jeden Sonntag bei der Kaiserin speisen, wo das Familiendiner stattfindet. Meine Familie ist eine politische Familie. Bin ich abwesend, so ist die Kaiserin stets das Oberhaupt, übrigens erweise ich dadurch meiner Familie eine Ehre.« Letizia selbst empfing bei sich nur wenige wirkliche Freunde, deren Ansichten und Gewohnheiten mit den ihrigen übereinstimmten. Die Minister und Würdenträger, außer dem Erzkanzler Cambacérès, beachteten die Mutter des Kaisers wenig und verkehrten selten bei ihr. Das verletzte die stolze Frau, aber sie brachte es nicht über sich, deren Huldigungen von Napoleon zu fordern. Am liebsten sah sie die Freunde Feschs bei sich, meist geistreiche, unterhaltende und liebenswürdige Geistliche, die mit ihr eine Partie Reversie, ihr Lieblingsspiel, spielten.
Es lebte sich übrigens sehr angenehm mit ihr. Alle die zu ihrer Umgebung gehörten, waren von dieser wahrhaften Kaisermutter des Lobes voll. Sie war mit allem zufrieden und fand sich in alles. Am liebsten hörte sie, wenn man ihre Kinder lobte. Es lag ihr besonders daran, daß man gut von ihnen sprach. Dann belebte sich das in der Regel kalte Gesicht, und ihre nicht großen, aber dunklen Augen leuchteten vor Stolz und Glück. Bis ins hohe Alter hat sie Reste ihrer Schönheit bewahrt. Besonders waren ihre Füße und Hände wahrhaft künstlerisch schön. Ihre Gestalt, obwohl voller als in der Jugend, hatte stets etwas Edles. Sie kleidete sich mit Sorgfalt, ihrer Stellung und ihrem Alter angemessen. Als Letizia 59 Jahre alt war, schuf Canova nach ihrem Ebenbilde die wundervolle Statue der Agrippina, ein vollendetes Meisterwerk, in dem die strenge Schönheit und die Seelengröße dieser Korsin zur vollen Geltung kommen.
Wenn Napoleon im Felde war, lebte Madame Mère noch stiller und zurückgezogener als gewöhnlich. Trotz ihres Vertrauens in sein Genie und in seinen Stern erfüllte die Mutter doch fortwährend die Angst, es könne ihm etwas zustoßen. Dann suchte sie ihren Trost im Gebet und in dem Briefwechsel mit ihren übrigen Kindern, besonders mit Lucien. Aber nur selten ließ sie ein Wort der Besorgnis fallen. Meist sprach sie in ihren Briefen über Familienangelegenheiten. Am liebsten erzählte sie dem, an den der Brief gerichtet war, von den Ihrigen. Dann schloß sie gewöhnlich mit den einfachen Worten: Ich bin Eure Mutter, oder: ich küsse Euch zärtlich. Ihr großer Charakter zeigte sich darin, daß sie allen Kummer in ihrem starken Herzen verschloß und die Mitglieder ihrer Familie nicht unnütz beunruhigte. Aber in ihren Memoirenfragmenten hat Letizia gestanden, was sie in dieser Hinsicht gelitten. »Alle Menschen nennen mich die glücklichste Mutter auf der Welt«, heißt es dort; »und doch war mein Leben eine ununterbrochene Sorge, eine Qual. Bei jeder eintreffenden Nachricht fürchtete ich, daß sie mir die Unglücksbotschaft bringen werde: der Kaiser liegt tot auf dem Schlachtfelde!«
Nicht immer war Frau Letizia mit den Handlungen ihres Sohnes einverstanden. Am meisten schmerzte sie es, daß er alle Rücksichten außer acht ließ, wenn seine Politik auf dem Spiele stand. Da halfen selbst die stärksten Familiengefühle nichts. Daß er im Jahre 1802 die Heirat seines Bruders Louis mit Hortense begünstigt hatte, und zwar auf Veranlassung Josephines, mißfiel ihr und betrübte sie zugleich. Sie sah darin »den Sieg einer fremden Familie über die ihrige«. So drückte sich wenigstens Lucien aus.
Am tiefsten jedoch betrübte sie die Hinrichtung des Herzogs von Enghien. Sie sprach bei dieser Gelegenheit die prophetischen Worte zu Napoleon: »Du wirst der erste sein, der in den Abgrund versinkt, den du jetzt unter den Füßen deiner Familie gräbst.« Weder die Tränen seiner Mutter, noch Josephines und Hortenses Flehen konnten ihn von dem Schritt abhalten, den seine Politik ihm vorschrieb. Interessant ist zu wissen, daß Madame Mère dem unglücklichen Herzog von Enghien kurz vor seinem Tode noch einen Dienst erwies. Er hatte den Wunsch ausgedrückt, daß sein Lieblingshund und einige Gegenstände, die ihm teuer waren, einer Dame übergeben würden, deren Adresse er nannte. Man fragte Frau Letizia, wer wohl diese heikle Mission erfüllen solle. Da sich niemand fand, nahm sie es selbst auf sich, der betreffenden Dame die letzten Grüße und Erinnerungen des Prinzen zukommen zu lassen.
Da sie eine strenge Katholikin war und in dem Oberhaupt der Kirche eine unantastbare, unfehlbare Persönlichkeit sah, litt sie im Jahre 1809 ebenfalls sehr darunter, daß der Kaiser den Heiligen Vater hatte verhaften und nach Frankreich bringen lassen. Eine solche Maßnahme schien ihr ungeheuer, kaum faßbar. Sie vermochte nichts daran zu ändern, denn sie hatte keinen Einfluß auf die politischen Angelegenheiten ihres Sohnes.
Wenn Letizia sich im allgemeinen nicht in die Staatsgeschäfte mischte, so hat sie doch im besonderen dem Kaiser hin und wieder mit ihrem Rate, nicht nur in Familiensachen, beigestanden. Man sagt sogar, sie habe immer mit Napoleon, wenn er nicht in Frankreich weilte, einen geheimen Briefwechsel unterhalten. So war sie es, die den Kaiser im Jahre 1808, als er sich in Spanien aufhielt, zuerst von der Verschwörung benachrichtigte, die Fouché und Talleyrand gegen ihn schmiedeten. Napoleon reiste darauf sofort nach Paris zurück.
Auch Ämter und Würden hat Madame Mère, besonders ihren Verwandten und Landsleuten, verschafft. Nie wandte sich ein Korse vergebens an sie. Nur mußte der Bittsteller einer von den »Ihrigen« sein, denn sie unterschied auch als Kaisermutter noch die Korsen von Ajaccio und die von Bastia. Vor allem erhielt die ganze Sippe der nahen und fernen Verwandtschaft durch Letizia Anstellungen und Titel. Im großen und ganzen aber stand die Mutter Napoleons den Ereignissen, die durch die Handlungen ihres Sohnes hervorgerufen wurden, fern. Sie hatte genug in ihrer Familie zu schaffen und zu schlichten.
Da sie schließlich einsehen mußte, daß alle ihre Bemühungen, die feindlichen Brüder Napoleon und Lucien zu versöhnen, erfolglos blieben, gab sie sich damit zufrieden, wenigstens das Glück der Kinder Luciens zu begründen. Sie meinte das am besten dadurch zu können, daß sie Luciens älteste Tochter aus erster Ehe, Charlotte Marie, im stillen zur Frau des Kaisers bestimmte und erzog. Denn Letizia war von der Notwendigkeit einer Scheidung ihres Sohnes von der kinderlosen Josephine vollkommen überzeugt. Da es Lucien, dem einzigen ihrer Söhne, nicht beschieden war, auf einem Throne zu sitzen, so sollte dieses Glück wenigstens seinem Kinde nicht entgehen. So dachte die Mutter und Großmutter. Ihr Plan scheiterte jedoch an den politischen Absichten ihres Sohnes Napoleon.
Dennoch hieß Letizia die Scheidung des Kaisers willkommen und wohnte jenem dramatischen Familienrate der Bonaparte von 1809 bei, in dem Josephines Urteil gesprochen wurde. Letizia hatte die Schwiegertochter nie geliebt, später noch weniger, als ehe sie sie persönlich kannte. Ja, sie haßte sie aus tiefstem Grunde Ihres Herzens, und dieser Haß übertrug sich sogar auf ihre andere Schwiegertochter, die sanfte Hortense und deren Kinder. Jetzt trennte sich Letizia ohne Bedauern von Josephine.
Letizia Bonaparte. Lithographie von Villain, Zeichnung von Devéria nach einem Gemälde von Gérard. Porträtsammlung der Nationalbibliothek, Wien
Größere Sorge bereitete ihr das plötzliche Verschwinden Louis' aus Holland. Sie war erst dann einigermaßen beruhigt, als Napoleon, sobald er selbst etwas Näheres über diese Flucht wußte, ihr sagte, daß sich der ehemalige König von Holland in Teplitz befinde und es ihm gut gehe. »Da Sie über Louis' Befinden sehr besorgt sein müssen«, schrieb der Kaiser an seine Mutter, »so verliere ich keinen Augenblick, Ihnen dies mitzuteilen.« Man sieht, der erste Gedanke Napoleons war, daß Letizia sich um eins ihrer Kinder sorgen könne. Er kannte seine Mutter. Ihre Fürsprache für Louis hatte jedoch ebensowenig Nutzen wie einst ihre Bemühungen um Lucien.
Napoleons Heirat mit Marie Luise befriedigte Letizia fast ebenso wie den Kaiser selbst, nur in anderm Sinne. Nicht, weil die neue Schwiegertochter ein Kaiserkind war, sondern weil sie jung war und ihr die Hoffnung ließ, Enkel zu bekommen. Sympathisch war ihr auch Marie Luise nicht. Als sie später ihrem Napoleon nicht in die Verbannung folgte, verachtete Madame Mère sie sogar.
Napoleon I., als Kaiser. Nach einem Gemälde von Vernet
Vorläufig jedoch teilte auch sie das Glück des Sohnes, besonders als der so sehnlichst erwartete Thronfolger geboren wurde. Welche Gefühle mögen an diesem Tage Letizias Herz erfüllt haben? Was mag sie empfunden haben, als sie dieses Kind über die Taufe hielt und es dann dem vor Freude strahlenden Vater übergab, damit er es der jubelnden Menge zeige! Dachte die Korsin zurück an ihre eigenen Kinder, die sie mit Schmerzen geboren hatte in Sorgen und Not? Und dieses Kind, dieser kleine König, den Glanz, Reichtum und Ruhm bei seiner Geburt umgaben, an dessen Wiege ein Kaiser und Könige und Fürsten standen, dieses Kind war ihr Enkel! Die vierte Dynastie war begründet!
Noch ein anderes Glück war Madame Mère im Jahre zuvor beschieden gewesen. Auf einer Reise nach Westfalen zu ihrem jüngsten Sohn Jérôme lernte sie den edlen Charakter der Königin Katharina kennen und schätzen. Von allen ihren Schwiegertöchtern war sie ihr die liebste. Als beide Frauen sich wieder voneinander trennen mußten, fühlten sie, was sie sich gegenseitig gewesen waren. Besonders spürte die mutterlose Katharina die Leere in ihrem Herzen, als Letizia nicht mehr bei ihr war. Nur der Briefaustausch mit Madame Mère vermochte ihr einigermaßen das Verlorene zu ersetzen. Bis an Letizias Lebensende ist Katharina ihr eine treue, ergebene und liebende Tochter geblieben.
Mit dem Jahre 1812 begann auch für die Mutter Napoleons die sorgenvolle, unruhige Zeit. Der schreckliche Krieg in Rußland und die Nachrichten, die über das Heer ihres Sohnes zu ihr gelangten, versetzten sie in die furchtbarste Angst und Besorgnis. Sie wußte, daß Napoleon auf seinem Rückzug aus den russischen Eissteppen den größten Gefahren ausgesetzt gewesen war, und daß er die Reise von Wilna bis Dresden ohne Aufenthalt fortgesetzt hatte, um der Rache seiner Feinde zu entgehen. Als er endlich, wenn auch geschlagen und von den Elementen besiegt, am 18. Dezember 1812 wieder in den Tuilerien eintraf, da war die Mutter überglücklich. Ihre Freude war größer als die der Gattin. Sie bot dem Sohne sofort alle ihre Ersparnisse an, damit er das Geld zur Bildung einer neuen Armee verwende. Napoleon aber brauchte die Schätze Letizias diesmal noch nicht. Noch standen ihm andere Hilfsquellen zur Verfügung. Es sollten schlimmere Tage kommen, an denen er gezwungen war, die Hilfe seiner Mutter in Anspruch zu nehmen.
Und sie waren nicht mehr fern, die Tage des großen Unglücks. Zwar begann das Jahr 1813 unter den günstigsten Voraussetzungen, besonders für die gläubige Letizia. Ihr sehnlichster Wunsch, die Vereinigung von Kirche und Staat, ward von neuem durch ein Konkordat befestigt. Voller Freude darüber schrieb sie ihrer Tochter Elisa: »Das ist eine der besten Nachrichten, deren wir uns erfreuen können.« Aber das Ende dieses Jahres brachte wiederum Kummer und Sorgen. Die Korsin bot dem Unglück die starke Stirn. Im Zusammenhalt der Familie allein sah sie ihr Heil. Aus jedem ihrer Worte sprach die Hoffnung auf ihren großen Sohn, auf sein Genie, auf seine unerschütterliche Tatkraft. Als sie ihn nach dem Feldzuge von Leipzig wiedergesehen hatte, schrieb sie an Pauline: »Weit entfernt, ihn niedergeschlagen zu finden, war er voll Vertrauen in seine Angelegenheiten ... Die Dinge liegen nicht so verzweifelt, wie wir es zuerst angenommen haben ... Der Kaiser hat seine Armee in Sicherheit vor den Beschimpfungen des Feindes zurückgelassen. Er beschäftigt sich mit gewohnter Tätigkeit und allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln damit, sich von neuem seinen Feinden furchtbar zu zeigen, wenn sie nicht in einen ehrenvollen Frieden einwilligen wollen.«
Es war indes vorbei mit dem Kriegsglück des Sohnes. Viele seiner Getreuen hatten kein Vertrauen mehr zu ihm; selbst Murat, sein Schwager, fiel von ihm ab. Das betrübte die Mutter tief. Nur noch einmal empfand ihr Herz Freude, wenn auch nur für kurze Zeit. Louis hatte sich wieder Frankreich genähert. Schon glaubte Letizia, die Versöhnung ihrer beiden Söhne sei nahe. »Ich bin entzückt«, schrieb sie an ihren Bruder Fesch, »zu hören, daß sich Louis bei Ihnen befindet. Der Kaiser hat mich gefragt, warum er nicht sogleich nach Paris gekommen ist. Sagen Sie ihm, daß ich ihn bei mir erwarte.« Und dann fügte sie als echte Kaisermutter hinzu: »Es ist jetzt nicht mehr am Platze, sich an die Hofsitte zu halten. Die Bourbonen sind zugrunde gegangen, weil sie nicht verstanden haben, mit den Waffen in der Hand zu sterben!« – Welche Frau!
Sie konnte die Katastrophe nicht aufhalten. Das Kaiserreich fiel in Trümmer, aller Glanz, alle Pracht, aller Ruhm und aller Ehrgeiz versanken in ein Nichts! Da bewies sich Letizia als wahrhaft bewunderungswürdiger großer Mensch. Im alltäglichen Leben hatte sie sich bisweilen kleinlich gezeigt, jetzt war sie groß. Die Ereignisse vermochten sie nicht zu beugen. Wie ein starker Baum breitet sie die Arme über ihre vom Unglück heimgesuchte Familie aus und dünkt sich kräftig genug, alle die Ihrigen zu schützen. Jetzt ist der Augenblick gekommen, wo sie ihre Rolle spielen kann, die Rolle als Helferin mit dem ersparten Gelde.
Marie Luise hatte ihr bei ihrer Abreise aus Paris angeboten, sich mit ihr nach Österreich zu begeben. Welche Zumutung für diese Mutter! Schlicht hatte Letizia der Schwiegertochter geantwortet, daß sie sich nie von ihren Kindern trennen werde. Darin lag gleichzeitig eine Zurechtweisung für Marie Luise, die sich, ohne Widerstand zu leisten, nach Wien führen ließ, die Napoleons Sohn mit sich nahm und ihn dann zu einem Herzog von Reichstadt umtaufen ließ. Davon erhielt übrigens nicht einmal die Großmutter Nachricht. Als Letizia es später erfuhr, rief sie triumphierend aus: »Nun, da sind wir ja genügend an dem Hause Österreich gerächt! Ich hätte niemals geglaubt, daß man Marie Luise, als man sie meinem Sohne gab, nicht zu seiner Frau, sondern zu seiner Maitresse machen wollte!«
Am meisten aber betrübte es sie, daß die Frau ihres Sohnes in Rambouillet die fremden verbündeten Fürsten, die Feinde Napoleons, empfangen hatte. Sie konnte nicht begreifen, daß ihre Schwiegertochter so wenig Stolz zeigte und dem Zaren gestattete, den kleinen König von Rom, das Kind desjenigen, den er soeben vom Throne gestürzt und somit auch den Sohn seines Eigentums beraubt hatte, herzte und küßte! Die stolze Korsin konnte eine solche Handlungsweise nicht verstehen. In Letizias Herzen lebte noch die alte Blutrache ihrer Väter, die Vendetta fort. Wäre sie Marie Luise gewesen, sie hätte die Feinde ihres Mannes mit flammenden, haßerfüllten Augen von ihrer Schwelle gewiesen!
Am gleichen Tage, am 9. April, als die Kaiserin Blois verließ, um sich nach Wien zu begeben, trat auch Letizia ihre Reise nach Rom an. Beim Abschied hatte Marie Luise ihr noch gesagt: »Ich hoffe, Madame, Sie bewahren mir das Wohlwollen, das Sie mir bisher geschenkt haben!« – »Madame«, hatte die Mutter des entthronten Kaisers kalt erwidert, »das hängt von Ihnen und Ihrem künftigen Verhalten ab.«
Ihre Söhne Joseph und Jérôme begleiteten Letizia ein Stück. Der Kardinal Fesch, der aus seinem Schloß Pradines vor den Österreichern fliehen mußte, war seiner Schwester auf Umwegen unter den größten Schwierigkeiten entgegengereist, um sie über den Mont Cenis sicher und ungefährdet nach der Ewigen Stadt zu geleiten. Niemals war es den beiden Geschwistern so zum Bewußtsein gekommen, was sie sich gegenseitig waren. Letizias Charakter zeigte sich jetzt in antiker Größe. Sie hatte in ihrem Leben zuviel Veränderungen und Schicksalsschläge erlebt, als daß ihr dieser härteste von allen überraschend gekommen wäre, überdies hatte sie zehn Jahre lang in der Unbehaglichkeit eines Hofes zugebracht, dessen Etikette und Steifheit ihr nicht zusagen konnten. Jetzt war sie einesteils glücklich, ihre Ruhe und Einfachheit im stillen Privatleben zu finden. Nur die traurige Erinnerung an ihre Flucht aus Korsika schmerzte sie. Denn wie einst in Frankreich mußten die Flüchtlinge jetzt in Italien eine Zufluchtsstätte suchen. Wie einst in Ajaccio mußte Letizia auch jetzt ein brennendes Haus zurücklassen, denn als sie Paris verlassen hatte, erfuhr sie, daß ihr schönes Schloß Pont in Flammen stand. Es war den Plünderern zum Opfer gefallen.
In der Nacht vom 14. Mai traf sie mit Fesch in Rom ein. Der erst vor kurzem aus der Gefangenschaft des Kaisers freigelassene Papst Pius VII. empfing die Mutter Napoleons wie immer mit Auszeichnung. Bereits in Cesena, wo er einige Zeit vor der Ankunft Letizias eingetroffen war, hatte er sie mit den schlichten, schönen Worten begrüßt: »Seien Sie hier ebenso willkommen wie in Rom, das immer die Heimat der großen Verbannten gewesen ist.«
In Rom bewohnte Madame Mère mit ihrem Bruder den Palazzo Falconieri. Kaum aber war sie dort angelangt, so wünschte sie sehnlichst, die Verbannung ihres Sohnes Napoleon zu teilen. Früher hatte sie stets Lucien als das unglücklichste und hilfsbedürftigste ihrer Kinder angesehen. Jetzt, da er der einzige war, der nicht von einem Throne gestoßen wurde, erschien er ihr als das glücklichste von allen. Napoleon hatte das Unglück am schwersten getroffen. Ihm galt nun ihre ganze Fürsorge und Liebe. Nur eine Mutter konnte so handeln wie Letizia. Sie stellte ihm alle Schätze zur Verfügung, die sie in den Jahren des Glücks und Glanzes angehäuft hatte. Mit Recht durfte der Sohn von ihr sagen, daß sie gern trockenes Brot gegessen haben würde, wenn sie dadurch sein Mißgeschick hätte mildern können. Und damit verdiente sich diese Frau am meisten den schönen Titel Madame Mère!
Im Juli endlich durfte sie zu dem verbannten Sohn. Vorher hatte sie noch das Glück gehabt, ihren geliebten Lucien ans Herz zu drücken, den sie seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. Dann machte sich die 65 jährige am 26. zur Reise nach Elba auf. Sie mußte jedoch drei Tage in Livorno verweilen und kam erst am 2. August, von Sir Neil Campbell geleitet, mit der Brigg »The Grasshopper« in Porto Ferraio an. Letizia war unter dem Namen einer Frau Dupont gereist. In ihrer Gesellschaft befanden sich die alte Dienerin Saveria, die sie seit der Flucht aus Korsika nie verlassen hatte, ferner eine Frau Blachier, geborene Gräfin Fachinelli, bei der Letizia früher in Rom eine Zuflucht gefunden hatte. Außerdem hatte sie ihren ehemaligen Ehrenkavalier, den Grafen Colonna, und die Gräfin de Blou de Chadenac bei sich.
Bei ihrer Landung im Hafen von Porto Ferraio fühlte sich Letizia ein wenig enttäuscht und in ihrer Mutterehre gekränkt, als sie Napoleon nicht zu ihrer Bewillkommnung am Ufer sah. Er hatte indes am 1. August den ganzen Tag vergebens auf seine Mutter gewartet und gemeint, sie käme überhaupt nicht. Am folgenden Tag hatte er daher einen Ausflug in die Berge unternommen, während Letizia landete. Schließlich aber kamen Bertrand und Drouot, sowie alle Offiziere vom Dienst noch rechtzeitig herbeigeeilt, um die Mutter ihres Kaisers würdig zu empfangen.
Im Ventinischen Hause, dem schönsten in Porto Ferraio, das eigentlich für Pauline bestimmt war, hatte Napoleon für Letizia ein Heim einrichten lassen. Es war nicht weit von seiner eigenen Behausung gelegen, und so konnte er seine Mutter täglich besuchen.
Die freiwillige Verbannung lastete nicht schwer auf Letizia. Auf Elba führte sie ein ihrem einfachen Wesen weit mehr zusagendes Leben als in den Tuilerien. Auch war sie dem Sohne näher als in Paris, wo ihn die Staatsgeschäfte, Empfänge und Feste von ihr entfernten. Sie sah ihn täglich. Es verging nie ein Tag, an dem Napoleon sich nicht persönlich nach dem Befinden seiner Mutter erkundigt hätte. Oft besuchte auch sie ihn oder fuhr mit ihm spazieren. Anfangs, als ihre Wohnung noch nicht vollkommen eingerichtet war, speiste sie sogar mit dem Kaiser. Kurz, Napoleon sorgte bis ins kleinste dafür, daß seiner Mutter der Aufenthalt so angenehm wie möglich gemacht wurde.
So verbrachte Letizia ihre Tage in ruhiger Abgeschiedenheit auf Elba. Die Sorge um die Armen, Handarbeiten und Lektüre füllten sie aus. Besonders ließ sie sich gern über die großen Taten ihres ruhmreichen Sohnes berichten. Vor ihr auf dem Tisch, an dem sie gewöhnlich saß, stand ein Bild Napoleons, umgeben von den Bildnissen ihrer andern Söhne, Töchter, Enkel und Enkelinnen. So befand sich die Mutter, obgleich fern von den meisten ihrer Familie, doch im Kreise der Ihrigen.
Erst als die Prinzessin Pauline in Porto Ferraio eingetroffen war, öffnete auch Madame Mère ihre Salons den Elbanern, die sie sehr verehrten. Merkwürdigerweise zeigte sie, die in Paris alle Öffentlichkeit gescheut hatte, sich jetzt öfter in Gesellschaft. Konnte sie doch hier in ihrer geliebten Muttersprache reden, ohne befürchten zu müssen, belächelt zu werden.
Napoleon vergalt ihr die Fürsorge, die sie ihm angedeihen ließ, in reichem Maße. Er erkannte, welche Opfer ihm seine Mutter gebracht hatte und noch bringen würde, wenn es sein müßte. Sie war die einzige von der ganzen Familie, die fühlte, was sie ihrem Sohne verdankte. Als sie später von dem Übergang Murats zu den Verbündeten erfuhr, schrieb sie in höchster Entrüstung an ihre Tochter Karoline: »Wenn Du Deinem Gatten nicht befehlen konntest, so mußtest Du ihn bekämpfen! Welche Kämpfe aber hast Du geliefert! Nur über Deinen Leib hinweg durfte Dein Gatte Deinen Bruder, Deinen Wohltäter, Deinen Gebieter töten!« Das war die Korsin.
Aber auch in Elba blieben der Mutter die Sorgen um den Sohn nicht erspart. Es kamen ihr Gerüchte zu Ohren, daß man auf dem Wiener Kongreß, besonders aber im englischen Kabinett, die Absicht hege, Napoleon auf eine entfernte Weltmeerinsel zu verbannen, wo er für immer für Europa unschädlich sein würde. Ferner bezahlte man ihm die festgesetzte Rente nicht aus, und weder Letizia noch Pauline erhielten etwas von den Unterhaltungsgeldern, die ihnen die französische Regierung zugesprochen hatte. Bis auf ein Wertpapier von 500.000 Piastern hatte Madame Mère alle ihre Wertsachen dem Sohne zur Bestreitung seiner Ausgaben gegeben. In ihrem Innern zitterte sie vor der Zukunft. Nicht vor der pekuniären Not bangte ihr, sondern vor der Schmach, daß ihr großer Napoleon in der Verbannung einen unehrenhaften, ruhmlosen Tod erleiden sollte. Das beunruhigte Letizias Seele, ohne daß sie jedoch ihren starken Mut und ihre Zuversicht verlor.
Währenddessen reiften in des Kaisers Kopfe kühne Pläne. Seine Lage auf Elba wurde immer bedenklicher. Nur rasches Handeln, ein Gewaltstreich, wie er noch nie erlebt worden war, konnte ihn retten! Er beschloß, nach Frankreich zurückzukehren.
Es wird behauptet, Letizia und auch Pauline hätten von diesem Unternehmen lange vorher gewußt. Die Schwester soll sogar mehrere Reisen zu seiner Vorbereitung nach Italien unternommen haben. Für Letizias Anteilnahme an dem Plane sind jedoch nicht die geringsten Beweise vorhanden. Sie selbst erzählt in ihren leider unvollendeten Erinnerungen: »Eines Abends schien mir der Kaiser heiterer als gewöhnlich. Er forderte mich und Pauline zu einer Partie Karten auf, aber schon einen Augenblick später verließ er uns und ging in sein Arbeitszimmer. Da er nicht wieder zurückkam, lief ich zu ihm, um ihn zu rufen. Der Kammerherr sagte mir, er sei in den Garten gegangen. Ich erinnere mich, es war ein wunderschöner, lauer Frühlingsabend. Der Mond schien durch die Bäume. Mit eiligen Schritten ging der Kaiser ganz allein auf den Wegen auf und ab. Plötzlich hielt er in seiner Wanderung inne, lehnte den Kopf an einen Feigenbaum und seufzte: »Ich muß es aber doch meiner Mutter sagen!« – Als er dies sprach, näherte ich mich ihm und rief erregt aus: »Was haben Sie heute abend? Ich sehe, Sie sind nachdenklicher als sonst.«
Die Hand gegen die Stirn gepreßt antwortete mir der Kaiser nach einigem Zögern: »Ja, ich muß es Ihnen sagen. Aber ich verbiete Ihnen, das Geheimnis, das ich Ihnen anvertraue, irgendwem zu erzählen. Sie dürfen es nicht einmal Pauline verraten.« Darauf lächelte er, küßte mich und fuhr fort: »Heute Nacht reise ich ab!« – »Wohin?« – »Nach Paris. Vorher aber bitte ich um Ihren Rat.« – »Ach! lassen Sie mich einen Augenblick vergessen, daß ich Ihre Mutter bin!« – Ich dachte eine Weile nach und fügte hinzu: »Der Himmel wird es nicht zugeben, daß Sie durch Gift oder in einer, Ihrer unwürdigen Abgeschiedenheit sterben, sondern nur mit dem Degen in der Hand! Und so reisen Sie, mein Sohn, und folgen Sie Ihrer Bestimmung.«
Am 26. Februar 1815 verließ Napoleon die Insel, Mutter und Schwester der Obhut der Elbaner überlassend. Letizia wollte so lange in Porto Ferraio bleiben, bis sie Nachricht hatte, daß ihr Sohn in Lyon angelangt sei. Nur Pauline, die es eilig hatte, wieder ins Leben zu kommen, ließ sie nach Rom abreisen. Ende März endlich verließ auch Madame Mère in Begleitung Frau Bertrands und Frau Blachiers nicht ohne Bedauern die stille Insel. Hatte sie doch dort in einer gewissen Zufriedenheit gelebt. Jetzt sollte sie von neuem ein Leben voll Äußerlichkeiten beginnen.
Zuerst begab sich Letizia nach Neapel zu ihrer Tochter Karoline. Von dort aus trat sie am 20. April mit dem Kardinal Fesch ihre letzte Reise nach Frankreich an. Die Überfahrt war stürmisch und nicht ohne Gefahr für die alte Dame. Das Meer war voll englischer Schiffe, so daß die Geschwister gezwungen waren, sich eine Zeitlang in der sichern Feste Gaeta aufzuhalten. Endlich, am 13. Mai, konnten sie ihre Reise fortsetzen. Ihr Schiff segelte die korsische Küste entlang, und so hatte Letizia noch einmal die Freude, die geliebten Heimatfelsen zu sehen. In Bastia hielt sie sich einige Stunden auf und landete endlich nach elftägiger Fahrt im Hafen von Juan.
Über Lyon begab sich die Kaisermutter nach Paris, wo ihr Sohn sich zum zweitenmal den Thron erobert hatte. Dort kam sie am Abend des 1. Juni an. An diesem Tage hatte das Fest auf dem Maifelde stattgefunden, bei welcher Gelegenheit der Eid auf die Verfassung geleistet wurde. Der Kaiser hatte ihn auf einem Throne sitzend feierlich seinen Untertanen abgenommen. Die ganze Familie war um ihn versammelt, nur die Mutter fehlte, trotz der gegenteiligen Behauptung mancher ihrer Biographen.
Der so leicht wiedergewonnene Thron des Sohnes aber stand auf schwankenden Füßen. Das französische Volk hatte Napoleon den Treueid nur mit den Lippen geleistet, nicht mit dem Herzen. Die erste Niederlage, die er erlitt, stürzte ihn von neuem in den Abgrund, und diesmal war er rettungslos verloren. Vergebens hatte er bei Waterloo auf dem Schlachtfelde mit dem Degen in der Hand den Tod gesucht, wie es seine Mutter wünschte. Ihm, dem großen Staatenlenker und Feldherrn sollte eine qualvolle Verbannung auf einer rauhen Insel des Weltmeeres, ein ruhmloses Hinsterben in Abgeschiedenheit und Vergessenheit beschieden sein!
Noch aber wußte Frau Letizia nicht das ganze, schmachvolle Unglück. Noch wußte sie nicht, daß ihr Sohn zum zweitenmal seinen Thron aufgegeben hatte! Erst in Malmaison, wohin sich der Kaiser die letzten Tage zurückgezogen hatte, mußte sich die Mutter überzeugen, daß alles Wahrheit war, was man ihr nach und nach über das Geschick ihres Sohnes hinterbracht hatte. Napoleon war seelisch und physisch gebrochen. Er hatte die Absicht, nach Amerika zu gehen, um dort ein neues Leben zu beginnen. Seine Mutter, Joseph und Lucien, der im Unglück zu ihm geeilt war, wollten seine Verbannung teilen. Letizia hatte nur einen Wunsch: ihre letzten Lebensjahre mit ihrem unglücklichen Sohne zu verbringen, ihm, so gut sie konnte, Trost zu spenden und daran an seiner Seite zu sterben.
Der Tag kam heran, an dem sie von ihrem Napoleon Abschied nehmen mußte. Aber noch hatte sie ja die Hoffnung, ihm bald zu folgen! Auch jetzt zeigte Letizia sich als Heldin. Weder ihr Gesicht noch ihre Stimme verrieten die Bewegung ihrer Seele, als sie dem Kaiser zum letzten Male die Hand zum Lebewohl reichte. Erst als sie ihn küßte, liefen ihr zwei große Tränen aus den traurigen Augen über die Wangen; im bittern Schmerz preßten sich die schmalen Lippen fest aufeinander.