Читать книгу Glanz und Untergang der Familie Napoleons - Gertrude Aretz - Страница 9
I.
ОглавлениеVerleumder haben Napoleon der Unmenschlichkeit gegen seine Brüder und der verbrecherischen Beziehungen zu seinen Schwestern beschuldigt. Das eine wie das andere ist haltlos. Die letzte Behauptung ist nichts als skandalöse Verleumdung, deren Quelle in den Schmähschriften des Engländers Goldsmith und in den Memoiren der Rémusat zu suchen ist. Goldsmith schrieb nur zu dem Zwecke, den Kaiser der Franzosen zu beschmutzen, und Frau von Rémusat hat nicht einen gültigen Beweis für ihre Behauptungen. Andere Pamphlete während der Restauration trugen dazu bei, diese Gerüchte zu verdichten.
Napoleon war bisweilen streng und unerbittlich gegen seine Geschwister, aber das hatten sie sich selbst zuzuschreiben. Es herrschte nicht allein die größte Uneinigkeit unter ihnen, sondern jeder wollte tun, was ihm beliebte. Alle hielten sich für geborene Könige, die keines Lehrmeisters bedurften. Alle glaubten durch sich selbst, durch ihr eigenes Genie etwas geworden zu sein. Keins von den Geschwistern Napoleons, Pauline vielleicht ausgenommen, wußte dem Bruder später Dank für die Wohltaten, die er sie hatte genießen lassen. Bisweilen waren diese Wohltaten allerdings mit Wermutstropfen vermischt, aber Napoleon konnte nur durch energische Mittel zu jener Größe gelangen, die er erreicht hat. Ehe er jedoch gezwungen war, der Staatspolitik gewisse Familienrücksichten zu opfern, zeigte er sich stets als sorgender, hilfsbereiter Bruder. Immer lag ihm das Wohl der Familie am meisten am Herzen. Später hatte er mehr Not, »seine Familie zu regieren als sein ganzes Reich«.
Übrigens zeigte Napoleon gerade gegen seine Brüder bisweilen eine Schwäche, eine Nachsicht, die kaum begreiflich scheinen. Man kann sie nur durch den bei ihm stark ausgeprägten korsischen Familiensinn begründen. Als er infolge seiner Stellung und seines Ansehens das Haupt der Familie wurde, wollte er auch seine Brüder zu der Höhe erheben, auf der er selbst stand. Er verschaffte ihnen Ämter, Titel und Einfluß. Sein Genie trug ihn bis zum höchsten Gipfel des Ruhmes und der Macht. Da zertrümmerte er alte, auf den Überlieferungen der Geschlechter aufgebaute Throne und setzte seine Brüder als Herrscher ein. Sie hatten das weder durch ihre Fähigkeiten noch durch Taten verdient. Das wußte ein Mann wie Napoleon wohl. Er erkannte, wie unfähig zum Herrschen alle seine Brüder waren. Aber sie waren seine Brüder! Als solche hielt er sie gleichberechtigt mit sich selbst. Als solche durften sie nicht in irgendeinem weniger glänzenden Amte verdunkeln! Er glaubte jedoch keineswegs, ihnen Ruheposten verschaffen zu müssen. Im Gegenteil, er verlangte, daß sie etwas leisteten, wenn es auch nur vor den Augen der Welt war. Daher seine Strenge, die oft an Tyrannei grenzte. Seine große Erfahrung in allen politischen, diplomatischen und militärischen Angelegenheiten, sein Scharfblick und sein Genie hätten ihnen zur Richtschnur dienen müssen; aber seine Ratschläge wurden fast nie oder schlecht befolgt.
Alle Geschwister Napoleons, ohne Ausnahme, sorgten dafür, daß er sich über sie zu beklagen hatte. Nur mit Gewalt vermochte er auf sie zu wirken und seine Macht aufrecht zu erhalten. Wieviel Gutes hat er ihnen dennoch getan! Wie hat er für sie gesorgt, ohne einen egoistischen Zweck dabei zu verfolgen! Denn man kann einen jungen Leutnant, der von seinem Sold einen seiner Brüder erzieht, schließlich nicht der Selbstsucht bezichtigen! Ebensowenig kann man den Bruder herzlos nennen, der in seinen Jugendbriefen mit so großer Fürsorge und Zuneigung für Joseph und Lucien eintritt. Und später ist Napoleons Leben mit seiner Familie ein glänzender Beweis, daß er unaufhörlich bemüht war, die Einigkeit und Zufriedenheit unter den Seinen aufrecht zu erhalten. Aber er stieß fortwährend auf Widerstand, Neid, Habsucht und Selbstüberhebung. Und je höher er seine Geschwister erhob, desto anspruchsvoller, desto gehässiger, uneiniger und undankbarer wurden sie, desto mehr stellten sie ihn bloß. Viele Zeitgenossen Napoleons, wie Miot de Mélito, Girardin, Caulaincourt, Rapp, Bourrienne, Stendhal, Roederer, die Avrillon und andere, sind sich darüber einig, daß es für den Kaiser besser gewesen wäre, er hätte keine Familie gehabt.
Für die Familienmitglieder selbst erschien sein ungeheures Genie, dem allein sie ihren Glanz und ihr Emporkommen verdankten, eine Last und ein Hemmnis. Und wahrlich, ihr »Ich« mußte an der Seite eines solchen Übermenschen, der alles an sich riß, der nur seine Kraft, seine Macht und seine Größe gelten ließ, verschwinden! Wären sie aber etwas geworden, wenn Napoleon nicht gewesen wäre? Vielleicht hätte sich aus diesem Familienkreise nur Lucien hervorgehoben; die andern wären alle in Mittelmäßigkeit versunken.
Napoleon wurde von seinen Geschwistern jederzeit nur als Mittel zum Zweck betrachtet. War dieser erreicht, dann wuchsen ihnen die Schwingen. Keines von ihnen ist jemals mit seinem Los zufrieden gewesen. Joseph beklagt sich, König sein zu müssen. Er würde sich aber auch beschwert haben, wenn Napoleon ihn übergangen hätte. Louis spielt sich als Märtyrer auf, weil Napoleon seine Regierungsweise nicht billigt. Lucien jammert, daß er keine königliche Rolle spielt, steckt aber bei jeder Gelegenheit den Republikaner heraus und will sich durchaus nicht den Wünschen des mächtigen Bruders fügen. Jérôme mault über eine zu geringe Apanage; wäre sie jedoch auch zehnmal größer gewesen, sie hätte doch niemals seiner Verschwendungssucht genügt. Elisa ist ihr Herzogtum zu beschränkt; sie hält sich ihrem Bruder an Genie für ebenbürtig und fähig, ein großes Reich zu regieren. Karoline war das Königreich Neapel ebenfalls zu klein. Pauline endlich entrüstete sich, daß Napoleon ihr wegen ihrer genußsüchtigen und exzentrischen Lebensweise Vorstellungen machte.
Alle diese Bonaparte aber besaßen außerordentlichen Ehrgeiz, großes Selbstbewußtsein, oder besser, große Einbildungskraft. Nichts setzte sie in Erstaunen, nichts imponierte ihnen. Alle hielten sich berechtigt, die höchsten Ämter und Würden zu bekleiden. War eine Sprosse auf der Leiter des Ruhmes erreicht, so strebten sie bereits nach der nächsten. Keiner aber wollte anerkennen, daß er seine Macht und sein Ansehen nur Napoleon verdankte! Weder Joseph noch Louis noch Lucien gedenken in ihren Erinnerungen auch nur ein einziges Mal der Gunst des Bruders, die sie emporhob zu jener Größe, zu der sie gelangten. Im Gegenteil: Napoleon steht in ihren Augen weit tiefer als sie, die alles können und alle Fähigkeiten vereinen. Er ist weder ein guter Redner noch ein guter Schriftsteller noch ein Philosoph; er ist nur ein guter Soldat! Nach ihrer Ansicht ist das herzlich wenig.
Napoleon hingegen erhebt seine Brüder über ihre Verdienste; er beweist ihnen Nachsicht und Geduld. Weder gegen seine Schwäger noch gegen Eugen Beauharnais noch gegen seine Marschälle war er so blind wie gegen seine Brüder. Alle anderen mußten sich ihre Stellungen durch Fähigkeiten, Taten und Verdienste erwerben; seine Brüder erhielten sie, ohne daß sie etwas geleistet hatten! Sie konnten nur ihr außerordentliches Selbstbewußtsein in die Waagschale werfen. Das aber kam ihnen vortrefflich zustatten. Es setzte sie mit Leichtigkeit über alle Schwierigkeiten ihrer Stellungen hinweg. Es ließ sie sich in alle Lebenslagen mit schlangenartiger Geschmeidigkeit finden. In ihren Bedürfnissen, in ihrer Überzeugung, daß alles, was ihnen zufloß, von Natur aus und von Rechts wegen ihnen gebührte, waren sie wahrhafte Fürsten!
Den Typus der Brüder Napoleons hat Marmont mit der Beschreibung von Josephs Charakter vortrefflich getroffen. »Ich fand in ihm«, schreibt der Marschall, »stets dieselben Gefühle, dieselbe Liebenswürdigkeit. Aber man macht sich keinen Begriff, bis zu welchem Grade er seine Sorglosigkeit, die Schlaffheit seiner Sitten trieb. Die Sinnlichkeit beherrschte ihn vollkommen. Er vergaß ganz und gar seine Abkunft und fühlte nicht im geringsten das Bedürfnis, die Gunst, mit der ihn Fortuna auszeichnete, zu rechtfertigen. Er schien auf dem Throne geboren zu sein und war ganz damit beschäftigt, die Freuden, die eine solche Stellung mit sich bringt, auszukosten. Man hätte ihn für den schwachen Sprößling einer verbrauchten Dynastie halten können. Er, der noch vor einigen Jahren das Anerbieten der Königswürde als eine Erniedrigung betrachtete, hatte Fortschritte gemacht!
Joseph, der doch kein dummer Mann war, gab sich einem derartigen Wahne hin, daß er sich für einen sehr bedeutenden Feldherrn hielt. Er, der weder Neigung noch Verständnis für den Soldatenberuf hatte! Er, der nicht einmal die elementarsten Kenntnisse besaß, der nicht die einfachsten Anwendungen der Kriegskunst verstand! Er sprach oft von seinen militärischen Fähigkeiten und wagte zu behaupten, der Kaiser habe ihm nur das Kommando in Spanien entzogen, weil er neidisch auf ihn gewesen sei! Solche Behauptungen entschlüpften ihm mehr als einmal ... Joseph beklagte sich oft über seinen Bruder, kritisierte dessen Politik, dessen Widerspruch, sowie die Zuchtlosigkeit, die Napoleon in den spanischen Heeren herrschen lasse. Darin hatte Joseph ja recht. Aber es war zu komisch, ihn, der nur im Schatten der französischen Fahne ruhig schlafen konnte, sagen zu hören: »In der Armee werde ich auch ohne meinen Bruder König von Spanien sein, und das ganze Reich wird mich als solchen anerkennen!« – So waren sie alle, die Brüder Napoleons! Beginnen wir mit eben diesem Bruder, der in der Geschichte des französischen Kaiserreichs berufen war, eine Rolle zu spielen.
Joseph wurde am 7. Januar 1768 in Corte auf Korsika geboren, war also nur anderthalb Jahre älter als sein Bruder Napoleon. Lange Zeit war er dem Jüngeren der einzige Gespiele, der große Bruder, der überlegenere, der die Püffe und Kniffe des Kleinen nicht erwiderte. Ihm konnte Napoleon alle seine kindlichen Geheimnisse und Streiche anvertrauen, wenn er es nicht vorzog, sie mit ihm gemeinsam auszuführen. Bei den andern Geschwistern hingegen vertrat bereits der Knabe Napoleon Vaterstelle.
Mit Napoleon teilte Joseph auch seine ersten Unterrichtsstunden in Frankreich. Carlo Bonaparte hatte für beide in der Schule von Autun eine Freistelle erworben und führte die Söhne in den ersten Tagen des Januar 1779 persönlich dort ein.
Man konnte sich jedoch keinen größeren Gegensatz denken als die Charaktere dieser beiden Brüder. So herrschsüchtig und gewalttätig der junge Napoleon war, so sanft und liebenswürdig zeigte sich Joseph. Es lag in seinem gutmütigen Wesen, diejenigen seiner Kameraden zu beschützen, die angegriffen und geschmäht wurden. Neckte man ihn wegen seiner korsischen Abkunft, so nahm er es mit Gleichmut hin. Napoleon hingegen wurde bei der geringsten Anspielung zornig und böse. Da wirkte das sanfte Wesen des Älteren wie ein Blitzableiter auf das leidenschaftliche, unbändige Temperament des Jüngeren.
Joseph setzte seine Studien in Autun bis zum Jahre 1784 fort, während Napoleon nur drei Monate dort blieb, um dann nach Brienne zu übersiedeln. Man hatte die Absicht, den ältesten Sohn für die geistliche Laufbahn vorzubereiten. Zu diesem Beruf schien sich sein sanfter, ein wenig schüchterner Charakter am besten zu eignen. Er war auch durchaus kein mittelmäßiger Schüler. Er besaß vielmehr eine außerordentlich leichte Auffassungsgabe und interessierte sich besonders für Sprachen und Literatur. Obgleich er bei seinem Eintritt in die Schule kein Wort Französisch verstand, lernte er diese Sprache sowie die Grundzüge des Lateinischen so schnell, daß er einer der ersten Schüler der Klasse wurde und einen Preis erhielt. Nur hätte er etwas fleißiger sein sollen. Arbeiten und Lernen schien ihm wenig Freude zu machen.
Als er fünfzehn Jahre alt war, sollte er aus Unterprima ins Seminar von Aix versetzt werden, doch er hatte plötzlich ganz andere Zukunftspläne. Zum großen Erstaunen und freilich auch zur großen Betrübnis der Familie zeigte der sanfte, stille Jüngling sehr kriegerische Absichten. Mit einem Male sah man die schöne Laufbahn des Ältesten, die der Bischof von Autun so glatt zu ebnen versprochen hatte, in ein Nichts versinken! Joseph wollte also wie sein Bruder Napoleon Soldat werden. Der sonst so ergebene, sich in alles fügende Knabe entwickelte jetzt eine ganz ungewohnte Willenskraft, einen ganz unbegreiflichen Ehrgeiz und Egoismus. Er erklärte, Artillerie- oder Genieoffizier werden zu wollen, weil man bei diesen beiden Regimentern am meisten arbeiten müsse. Alle Einwände des Vaters und des Onkels Archidiakon Luciano sowie auch des jungen Napoleon halfen nichts. Joseph blieb bei seinem Entschluß. Nur eins setzte der Vater durch: daß der Sohn mit ihm im Jahre 1784, als Carlo seinen zweiten Sohn im Brienne besucht hatte, nach Korsika zurückkehrte. Joseph sollte in Ajaccio seine Ferien verbringen und erst später in die Militärschule von Metz eintreten. Er nahm es daher als eine besonders günstige Fügung des Geschicks auf, als er schon Ende desselben Jahres wieder mit dem Vater nach Frankreich reisen durfte.
Carlo Bonaparte sollte die Heimatinsel nicht wiedersehen. Das langjährige Magenübel, das er in Frankreich durch den Leibarzt der Königin Marie Antoinette, den Doktor de la Sonde, in Paris heilen zu lassen gedachte, raffte ihn vorzeitig dahin. Und so kniete Joseph am 24. Februar 1785 in Montpellier vor dem Sterbelager des Vaters. Carlo segnete den Sohn und legte ihm als dem Ältesten die Sorge um die Mutter und die jungen Geschwister ans Herz. Auch mußte Joseph dem Vater versprechen, auf den militärischen Beruf verzichten und ein Rechtsgelehrter werden zu wollen. So ward der Siebzehnjährige bereits dem Ernst des Lebens gegenübergestellt; seine soldatischen Zukunftspläne waren für diesmal vernichtet!
Nach kurzem Aufenthalte bei den Permons, den Eltern der späteren Frau Junot, Herzogin von Abrantes, sowie bei andern Freunden und Bekannten in Montpellier und Aix kehrte Joseph nach Ajaccio zurück, um den letzten Wunsch des Vaters, soweit es in seinen jungen Kräften stand, zu erfüllen. Viele Jahre später, 1826, schrieb er an seinen Onkel Fesch: »Wir haben unsere gute Mutter in den ersten Tagen ihrer Witwenschaft mit Rat und Tat unterstützt.« So war er, bis zu dem Augenblick, wo das Glück und das Genie Napoleons alles änderte, wenigstens der Form nach, das Oberhaupt der Familie.
Obgleich Joseph nur fünf Jahre zur Schule gegangen war, hatte er sich manches Wissen angeeignet. Er sprach und schrieb das Französische ebenso richtig wie später das Italienische, und da er von Natur aus intelligent war, zeigte er besondere Vorliebe für Literatur und Wissenschaften. Sein Geist war nicht gerade sprühend, aber das, was er sagte, war verständig und klug. Er überlegte jeden Satz, den er aussprach, und bemühte sich, stets einen reinen Stil zu schreiben. Seine Witze und Scherze waren mitunter schwerfällig, aber er wußte sie geschickt und im geeigneten Augenblick anzubringen. Joseph versuchte sich auch als Schriftsteller und machte anakreontische Verse.
Von neuem versuchte man, den so begabten Jüngling auf die Bahn des geistlichen Berufs zu bringen. Marbeuf, der Freund und Gönner der Familie Bonaparte, und auch sein Bruder, der Bischof Marbeuf, versprachen ihm ihre Hilfe zu einem schnellen Emporkommen. Aber Joseph zeigte keine Neigung, Priester zu werden. Er machte sich jetzt vor allem mit der Sprache und der Literatur seiner Heimat vertraut. Daneben stand er der verwitweten Mutter zur Seite, kümmerte sich um die Verwaltung der väterlichen Güter, auf denen die Landwirtschaft ziemlich vernachlässigt worden war. Er und die Tante Gertruda Paravicini unternahmen täglich weite Ritte nach den entlegenen Pachtungen. Und so erwarb sich Joseph durch sein Streben, der Mutter die Sorgen so viel wie möglich zu erleichtern, bald viele Freunde in der Heimat. Vor allem schloß er sich eng an den jungen Rechtsgelehrten Pozzo di Borgo, den späteren Todfeind Napoleons, an. Nicht im geringsten dachte er noch daran, des Königs Rock anzuziehen.
Zu jener Zeit unterhielt Joseph mit seinem Bruder Napoleon einen lebhaften Briefwechsel, der nicht ohne Einfluß auf das Sichnäherkommen dieser beiden so grundverschiedenen Charaktere blieb. Joseph wenigstens verdankte diesen Jugendjahren manche Einwirkungen Napoleons. Damals waren sie nicht nur Brüder, sondern auch Freunde. Erst in späteren Jahren lockerte sich dieses Freundschaftsband von Seiten des Älteren. Napoleon aber hat dem Bruder stets die gleichen Gefühle bewahrt. Wie er besonders in jenen Jugendtagen an ihm hing, geht aus dem Briefe hervor, den er ihm einige Jahre später, als Joseph sich nach Genua begab, schrieb. Es heißt darin: »Du weißt wohl, mein Freund, daß Du keinen besseren Freund, dem Du teurer bist, und der aufrichtig Dein Glück wünscht, haben kannst als mich ... Wenn Du weggehst und glaubst, es sei auf längere Zeit, dann schicke mir Dein Bild. Wir haben so viele Jahre in engster Gemeinschaft miteinander gelebt, so daß unsere Herzen eins geworden sind. Du weißt besser als irgend jemand, daß das meinige ganz Dir gehört. Während ich diese Zeilen schreibe, bin ich so bewegt, wie ich es nie in meinem Leben gewesen bin. Ich fühle, daß wir uns so bald nicht wiedersehen werden ... Ich kann nicht weiterschreiben ...!« Und sobald Napoleon in der Lage war, seinem Bruder von Nutzen zu sein, hat er es getan.
Joseph hatte sich endlich doch für die juristische Laufbahn entschieden. Auf den Rat des alten Onkels Luciano hin ging er nach Pisa, um die Rechte zu studieren und, wie er selbst schreibt, um sich im Italienischen weiterzubilden. Als korsischer Patriot knüpfte er dort viele Bekanntschaften mit Leuten an, die wie er für die Befreiung seiner Landsleute vom französischen Joche entflammt waren. Clemente Paoli, Savelli, Saliceti, Pietri und andere junge Patrioten bildeten Josephs Freundeskreis. Mit großem Eifer verfolgte der junge Student auch die Vorlesungen des berühmten Lampredi über die Volksherrschaft, wodurch sein Republikanertum zu immer größerer Begeisterung angefacht wurde. So entstand schließlich in Pisa die von wahrer Freiheitsliebe durchglühte Flugschrift »Briefe Pasquale Paolis an seine Landsleute«, die Joseph zum Verfasser hatte. Er widmete dieses Werkchen dem Generalsekretär der korsischen Stände Giubega, einem Freunde seines Vaters. Der erste Brief behandelte die Zustände in Korsika und die durch die Lage der Insel hervorgerufenen Nachteile. Der zweite wies auf die Mittel hin, womit Korsikas Wiedergeburt erlangt werden könne.
Nicht lange darauf, im Jahre 1788, promovierte Joseph zum Doktor »in utroque jure« des kanonischen und bürgerlichen Rechts. Dieser Titel und seine vaterländische Schrift genügten, um ihm bald eine Anstellung in der Heimat zu verschaffen. Er ward Advokat am Obergerichtshof in Bastia. Seine glänzende Verteidigung – übrigens die einzige, die er jemals hielt – eines als Mörder angeklagten Mannes, der aus Notwehr gehandelt hatte, verschaffte dem jungen Rechtsgelehrten mit einem Schlage Ansehen und Würden. Es wurden ihm daraufhin verschiedene Ehrenämter angetragen. Man wählte ihn in den Gemeinderat, machte ihn zum Präsidenten des Distrikts von Ajaccio und schickte ihn im Jahre 1791 mit einer Abordnung nach Lyon, um Paoli nach Ajaccio zurückzurufen. Paoli aber begab sich zuerst nach Bastia, nachdem er Joseph, den Sohn seines alten Freundes Carlo Bonaparte, aufs herzlichste begrüßt hatte. Einige Tage zuvor hatte er ihm sogar sein Bild, das Josephs Vater einst, im Jahre 1766, auf eine Spielkarte gezeichnet hatte, zum Geschenk gesandt, als Beweis, wie sehr er ihn schätzte. Joseph fühlte sich außerordentlich geschmeichelt, von dem vielgefeierten Helden so ausgezeichnet zu werden, und kehrte mit einem erhabenen Gefühl von Stolz nach Korsika zurück.
In Ajaccio fand er seinen Bruder Napoleon vor, der seinen Urlaub in der Heimat verbrachte. Mit ihm und dem jungen Lucien unternahm Joseph des Abends lange und weite Spaziergänge nach den Salinen der Umgebung. Auf diesen Wanderungen wurde viel geredet, viel gestritten. Die Politik bildete natürlich den Hauptstoff der Unterhaltungen der jungen Feuerköpfe. Napoleon schätzte besonders die politischen Ansichten seines älteren Bruders und trieb ihn fortwährend an, eine führende Rolle zu spielen. »Laß Dich nicht verblüffen«, schrieb er ihm eines Tages, »Du mußt bei der nächsten Gesetzgebenden Versammlung dabei sein, oder Du bist nur ein Tropf ... Bestehe darauf, Abgeordneter zu werden, oder Du wirst in Korsika immer nur eine alberne Rolle spielen.« Ein andermal aber empfahl er ihm, sich vor allem bei seinen Landsleuten sehr volkstümlich zu machen und sich Paolis Gunst zu erhalten.
Was für Zukunftspläne Joseph selbst schmiedete und welche Ansichten er über die damaligen politischen Ereignisse hegte, geht deutlich aus einem Briefe hervor, den er von Ajaccio aus an seinen Freund, den Kaufmann James in Frankreich, schrieb. Unter anderem hieß es darin: »Mir ist es ein leichtes, die Dinge mit der Kaltblütigkeit des Philosophen zu betrachten.« (Er meinte damit die französische Revolution.) »Ich bin durch das Meer von dem Schauplatz der Ereignisse getrennt; wir selbst haben hier Zusammenbrüche erlebt, die man nicht mit den Euren vergleichen kann ...
Du sprichst zu mir so offen über die Lage Deiner Familie, daß ich ebenfalls nicht länger zu schweigen brauche ... Seit wir in Korsika sind, haben wir uns mit den ersten Familien der Insel verbunden, als da sind die Ornano, die Colonna usw. Seit unserer Unterwerfung unter die französische Herrschaft war mein Vater Abgeordneter des korsischen Adels. Das war der Glanzpunkt in dem Zustand der Erniedrigung, in dem sich Korsika befand. Aber trotz all dieses Weihrauches muß ich Dir gestehen, daß ich eifriger Anhänger der Revolution und der Veränderung der Dinge bin. Wir sind sehr viele Kinder. Drei von ihnen kennst Du, und eine ist in Paris (Elisa). Mein Bruder, der Offizier, nimmt einen andern Bruder (Louis) mit sich, der auch Artillerist werden soll. Was nun mein Vermögen betrifft, so gibt es gerade keine Reichtümer in Korsika. Die reichsten Bürger haben kaum 20.000 Franken Rente im Jahr. Da jedoch alles relativ ist, so ist mein Vermögen eins der bedeutendsten der Stadt ... Du weißt, wie alt ich bin; ich bin jünger als Du (22 Jahre). Dennoch war ich Wähler in der letzten Versammlung von Orezza. Ich hätte Mitglied der Departementsverwaltung werden können; ich habe das meinen Freunden überlassen und mich mit der Distriktsverwaltung begnügt, in der ich zum Präsidenten ernannt worden bin ... Binnen kurzem werde ich Dir sagen können, ob ich mich um die Abgeordnetenstelle in der Nationalversammlung bewerbe ...«
Es fehlte den Bonapartes während der Revolution allerdings nicht an Eifer und Tätigkeit für die nationale Sache. Joseph hatte als Präsident des Distrikts nicht weniger Einfluß auf die Einwohner Ajaccios wie sein Onkel Fesch als Geistlicher und Napoleon als Befehlshaber der Nationalgarde.
Das Jahr 1792 brachte Joseph neue Ehren. Mit Mario Peraldi, Philippo Ponte, Tartaroli, Colonna und Rossi ward er Deputierter von Ajaccio in der Konsulta Paolis in Orezza, die am 9. September eröffnet wurde. Napoleon und Fesch begleiteten ihn. In Pontenuovo hatten sie das Glück, mit Paoli selbst zusammenzutreffen und setzten nun ihre Reise an der Seite des von ihnen hochverehrten Helden fort.
Als Deputierter beschwor Joseph in Orezza die französische Verfassung von 1791 und ergriff dreimal das Wort. Aber die Rückkehr der Brüder nach Ajaccio war vonnöten. Besonders bedurfte es der Anwesenheit Napoleons, denn es waren in Ajaccio Unruhen ausgebrochen. Mehr wie je arbeitete er jetzt darauf hin, Josephs Einfluß zu erhöhen. Zu seinem großen Bedauern wurde der Bruder aber nicht, wie er gehofft, hatte, zum Abgeordneten für die Nationalversammlung gewählt; ja, es wurde nicht einmal über ihn abgestimmt. Die Korsen entschieden sich für den Priester Multedo, einen Freund Josephs. Joseph wurde jedoch bald darauf mit mehreren seiner Landsleute Mitglied des Direktoriums von Corte und etwas später Richter von Ajaccio. Das söhnte Napoleon einigermaßen mit dem Mißgeschick des Bruders aus. Nun hatte doch Joseph wenigstens eine einflußreiche Stellung in der Heimat. Und Napoleon verfehlte nicht, ihn von Ajaccio aus mit guten Ratschlägen zu versehen. Joseph war sehr stolz auf alle diese Auszeichnungen. Als echter Korse bildete er sich viel darauf ein, nicht allein das Oberhaupt einer großen Familie zu sein, sondern auch in den politischen Angelegenheiten des Landes ein Wort mitreden zu dürfen, einer von der »Autorität« zu sein!
Paolis Verbindung mit den Engländern entfernte jedoch die Brüder Bonaparte immer mehr von der nationalen Sache, für die sie so sehr geglüht hatten. Auch der eifrige Patriot Joseph, der Verfasser jener vaterländischen Flugschrift, stellte sich auf die Seite der Franzosen. Bald brannte zwischen ihm und den Paolisten die Flamme der bittersten Feindschaft lichterloh. Selbst sein vertrauter Freund Pozzo di Borgo wandte sich von ihm ab. Als Ersatz knüpfte Joseph enge Freundschaft mit dem französischen Volksvertreter Saliceti und begab sich im geheimen zu ihm nach Bastia. Währenddessen unterhielt er einen eifrigen Briefwechsel mit Napoleon und unterrichtete ihn von allem, was vorging. Aber Josephs französisch-revolutionäre Ideen streiften sozusagen nur den Verstandesmenschen in ihm. Im tiefsten Innern seines Herzens blieb er Korse, obwohl er fest überzeugt war, daß die Theorien, die er zu jener Zeit kundgab, die eines Frankreich aufrichtig ergebenen Republikaners seien. Sein korsischer Patriotismus war indes weniger begeistert als der seines Bruders Napoleon. Joseph war an und für sich ein ruhiger, fast phlegmatischer Charakter, der die Ereignisse nicht aufsuchte, sondern an sich herantreten ließ.
Von den wütenden Patrioten, die sich an den Abtrünnigen rächen wollten, hartnäckig verfolgt, war Joseph im Frühjahr 1793 gezwungen, sich mit den Volksvertretern auf französischen Schiffen nach Ajaccio zu begeben, um gemeinsam mit Napoleon der in großer Gefahr schwebenden Familie zu Hilfe zu eilen. Lucien hatte bereits glücklich Marseille erreicht. Unter mancherlei Gefahren gelang es schließlich den beiden Brüdern, Letizia und die jüngeren Geschwister nach Frankreich zu bringen. Darauf eilte Joseph mit seinem Landsmann und Freund Meuron nach Paris und überreichte dem ausübenden Rat am 9. Juli eine Denkschrift, die im allgemeinen dem Memoir Napoleons vom 1. Juni glich.
Die französische Regierung empfing Joseph Bonaparte aufs freundlichste und versprach, seinem dringenden Ansuchen, Korsika wieder unter französische Herrschaft zu bringen, Folge zu leisten. Als echter Bonaparte vergaß er natürlich neben der Politik auch die Interessen der Familie nicht. Auf sein eifriges Bemühen hin stimmte der Konvent für eine Unterstützung von 600.000 Franken der eingewanderten korsischen Familien, worunter die Bonaparte sich als erste befanden.
Inzwischen war auch Josephs Freund Saliceti nach Frankreich zurückgekehrt und hatte den Einfluß der Paolisten in Paris vollständig untergraben. Paoli wurde als Verräter und für »vogelfrei« erklärt, und Saliceti erhielt den Auftrag, den korsischen Seestädten mit 4000 Mann zu Hilfe zu eilen. Er nahm Joseph mit in sein Gefolge.
Währenddessen gestalteten sich die Ereignisse in Toulon immer ernster. Jeder Plan hinsichtlich Korsikas mußte vorläufig aufgegeben werden. Auf Umwegen und nicht ohne Gefahr, denn Lyon stand in hellem Aufstand, gelangten Joseph und Saliceti nach Toulon. Dort nahm Joseph als Bataillonschef und Mitglied des Generalstabes Carteaux' wenigstens als Augenzeuge an der Belagerung teil und wurde während des Angriffs auf das Cap Brun leicht verwundet. Da er bei Carteaux Adjutantendienste verrichtete, war er oft genötigt, sich zu den Volksvertretern nach Marseille zu begeben, wo sich seine Mutter und die Geschwister aufhielten. Seine am 4. September 1793 erfolgte Ernennung zum Kriegskommissar erster Klasse hatte er allein den Volksvertretern Escudier, Albitte, Gasparin und Saliceti zu danken. Sie setzte ihn endlich in die Lage, seine Familie zu unterstützen, deren Unterhalt bis dahin fast allein auf Napoleon gelastet hatte. Joseph wurde dem Zahlungsanweiser Chauvet beigeordnet und bezog ein Jahrgehalt von 6000 Franken, außerdem erhielt er freie Wohnung, Beköstigung und eine Bureauentschädigung. So stand er sich zu jener Zeit weit besser als sein Bruder Napoleon.
In Marseille sollte ihm noch größeres Glück beschieden sein. Er machte dort die Bekanntschaft einer angesehenen Kaufmannsfamilie, deren Oberhaupt, Francois Clary, sich als Seidenhändler ein bedeutendes Vermögen erworben hatte. Wie sich die Beziehungen der armen Bonaparte zu den reichen Clary angeknüpft haben, ist auf die verschiedenste Weise dargelegt worden. Die einen behaupten, Napoleon sei, als die Konventsoldaten in Marseille einzogen, bei den Clary einquartiert gewesen. Das ist jedoch unwahrscheinlich. Andere sagen, Marianna und Paoletta seien beide in der Familie Clary Erzieherinnen (!) gewesen. Das ist aber noch viel unwahrscheinlicher. Die jungen Damen hätten sich nicht allein sehr wenig zu einer solchen Stellung geeignet, sondern sie befanden sich auch zu jener Zeit mit ihrer Mutter in Antibes. Außerdem wäre Pauline, die damals 14 Jahre alt war, eine recht junge Erzieherin gewesen. Sie mußte selbst noch erzogen werden. Es wird vielmehr der Zufall eine Rolle gespielt haben, den die Clary nicht unbenutzt vorübergehen ließen, um sich in jener bewegten revolutionären Zeit Joseph und Napoleon Bonaparte, die doch immerhin einflußreiche Posten bekleideten, zu Beschützern zu gewinnen. Waren doch gerade in Marseille eine Menge Leute hingerichtet worden, die dem reichen Kaufmannsstande, ja zum Teil der Familie Clary angehörten. Außerdem war Frau Clarys Bruder, ein Genieoffizier, wegen seiner Beteiligung an dem föderalistischen Aufstand emigriert. Ein Sohn der Familie war neapolitanischer Konsul in Marseille und durch das Verhalten der Neapolitaner in Toulon der französischen Regierung gleichfalls verdächtig; nicht weniger waren es die Töchter infolge ihrer Ehen mit adligen Männern. Gründe genug, daß sich die Clary besonders mit dem Kriegskommissar Joseph Bonaparte befreundeten. Er war ja auch der Intimus des allmächtigen Saliceti, der Bruder des Generals Bonaparte, der Freund des jüngeren Robespierre! Ein Mitglied der Familie Clary, Etienne Clary, der auf Befehl des Revolutionsgerichts verhaftet worden war, hatte seine Freiheit nur dem Eingreifen Josephs zu danken.
Der Preis für alle diese Gefälligkeiten war die ältere Tochter Julie. Sie stand in ihrem 23. Lebensjahre und war weder schön noch anziehend. Die kleine, unentwickelte Gestalt, das viel zu kurze Gesicht mit der lederartigen ungesunden Haut gaben ihr den Anschein einer kränklichen Person. Dazu hatte sie eine sehr unförmige Nase und große runde Augen, die ungewöhnlich hervortraten. Äußerlich also war Julie kein anziehendes Geschöpf. Wenn man sie aber näher kennen lernte, so entdeckte man in ihr viele gute Eigenschaften, die sie liebenswert machten. Sie war sanft, wohltätig und fromm und konnte, wenn sie wollte, sehr lebhaft und geistreich sein.
Julie
Das ganze Gegenteil im Äußern war der sechsundzwanzigjährige Joseph. Er war groß, schlank und wohlgebaut, hatte ein regelmäßiges vornehmes Gesicht und überragte seinen Bruder Napoleon weit an Schönheit. Freilich trug Josephs äußere Erscheinung nicht die Merkmale des Genies und der Tatkraft, aber er sah seinem Bruder, besonders in späteren Jahren, sehr ähnlich.
Josephs patriarchalische Abstammung und seine Erziehung verhinderten, daß man in ihm etwas vom Sanskülottismus bemerkte, obwohl gerade er ein eifriger Republikaner war und sich nach dem Beispiele seines Bruders Lucien den römischen Beinamen »Scaevola« zugelegt hatte. Er sah doch immer aus wie ein Aristokrat. Und dieser Umstand trug viel dazu bei, daß Frau Clary – der Vater war am 20. Januar 1794 gestorben – ihre Einwilligung zur Verbindung ihrer Tochter mit Joseph Bonaparte gab. Die Hochzeit fand am 14. Thermidor des Jahres II. (1. August 1794) in der Nähe von Marseille, in Cuge, statt, wo die Clary einen Landsitz hatten.2 Einer der Trauzeugen des zukünftigen Königs von Spanien unterzeichnete die Urkunde als: Joseph Roux, Perückenmacher! Einige Tage später, am 16. August, wurde diese Verbindung ganz im geheimen durch die Kirche gesegnet, und zwar vollzog der Abbé Reimonet die Handlung ebenfalls in einem Landhaus bei Marseille, in Saint-Jean-du-Désert. Joseph war der Religion niemals entgegen und erfüllte daher nicht ungern diesen Wunsch seiner Braut. Aber er wagte viel mit dieser Handlung. Wäre sie an die Öffentlichkeit gekommen, so hätte er nicht allein seine Stellung und seinen Einfluß verloren, sondern er hätte seine Nachgiebigkeit mit dem Leben bezahlen müssen.
Im großen und ganzen war die Heirat für Joseph ein Glückswurf. Julie Clary brachte ihm eine Mitgift von ungefähr 150.000 Franken in die Ehe, ein Vermögen, das für korsische Verhältnisse ungeheuer war. Außerdem kam er durch diese Verbindung mit den reichsten und vornehmsten Familien der Marseiller Geldaristokratie in Berührung und gehörte mit einem Schlage zu ihrer Kaste. Napoleon bemerkte: »Dieser Kerl von Joseph ist ein Glückspilz!« Letizia besonders begrüßte die Ehe ihres Sohnes mit der sanften, reichen Julie mit Freuden. Sie hätte es gern gesehen, daß ihr Napoleon deren jüngere Schwester Désirée heiratete, die ebenso hübsch als Julie häßlich war. Ihr sollte jedoch eine andere Krone bestimmt sein.
Inzwischen war Toulon genommen worden. Die von Joseph langersehnte Expedition nach Korsika bereitete sich nur langsam vor. Am 11. Ventôse (2. März 1795) endlich ging Joseph, der sich inzwischen mit dem vom Direktorium nach Korsika gesandten Kommissar Miot de Mélito eng befreundet hatte, mit dem Kontreadmiral Martin unter Segel. Der Plan scheiterte jedoch diesmal an der Unerfahrenheit und an der geringen Mannszucht der Besatzung des Geschwaders.
Joseph begab sich daher mit Frau und Schwägerin Désirée nach Genua. Von da aus gedachte er Familienangelegenheiten zu regeln und die wenigen Habseligkeiten, die den Bonaparte in Korsika noch geblieben waren, zu retten. Außerdem wollte er den Aufstand in der Heimat zugunsten Frankreichs schüren, denn er hoffte bestimmt, die Insel unter französische Gewalt zu bringen. »Ich war überzeugt«, sagte er bei dieser Gelegenheit, »daß Korsika, sobald es der Trikolore ansichtig würde, sich in den Schoß der Republik begäbe!«
Um jene Zeit entspann sich zwischen den Brüdern Napoleon und Joseph wiederum ein interessanter Briefwechsel. Josephs Fortkommen lag Napoleon unleugbar am Herzen. Wo er konnte, stand er ihm mit seinem Rate zur Seite, auch die vorteilhafte Anlage des erheirateten Vermögens beschäftigte ihn. Am 25. Mai 1795 schrieb er dem Bruder von Semur aus: »Ich war gestern auf dem Gute Ragny, das Herrn von Montigny gehört. Wenn Du ein tüchtiger Geschäftsmann wärst, kauftest Du diese Besitzung mit acht Millionen Assignaten.3. Du könntest darauf 60.000 Franken von der Mitgift Deiner Frau anlegen. Dies wünsche und rate ich Dir ... Man findet Frankreich nicht in fremden Ländern. Von Stufe zu Stufe emporzuklimmen, ähnelt ein wenig dem Abenteurer und dem Manne, der sein Glück zu machen sucht.« Napoleon sprach aus Erfahrung. Er selbst hatte keine Anstellung und suchte einige Wochen später bei der Regierung darum nach, sich nach der Türkei begeben zu können, um die Artillerie des Sultans zu organisieren. Bald aber sollten sich die Dinge zu seinen Gunsten wenden! Bald sollte er wieder zu Ansehen und Einfluß gelangen! Dann tat er aber auch alles, um Joseph die Schritte in Genua zu erleichtern. Empfehlungsbriefe, Pässe, alles, was der Bruder verlangte und was ihm von Nutzen sein konnte, verschaffte ihm Napoleon. Joseph hätte damals fürs Leben gern eine Stelle als Konsul angenommen. Sofort war Napoleon bereit, ihm eine solche zu versprechen; vielleicht sogar in einer der Hafenstädte Italiens. Als er im September gesonnen war, nach der Türkei zu gehen, wollte er Joseph als Konsul auf die Insel Chio mitnehmen. Der Bruder mochte aber von einer Insel nichts wissen. Er hoffte auf etwas Besseres in Italien.
Und richtig, es fand sich bald etwas Besseres! Napoleon war am 2. März 1796 zum Oberbefehlshaber der Armee in Italien ernannt worden und hatte sich am 11. zum Heere begeben. Als Joseph in Genua erfuhr, daß sein Bruder in Italien angekommen sei, eilte er im April ins Hauptquartier nach Albenga und begleitete den General auf seinen ersten Siegeszügen. Er sollte es nicht bereuen, sich dem Bruder angeschlossen zu haben. Der einflußreiche General benutzte sein immer mehr wachsendes Ansehen, um auch Joseph seinen Teil davon abzugeben. Er war außerordentlich glücklich, den Lieblingsbruder bei sich zu sehen, der erst vor kurzem Vater geworden war.4 Stand doch Napoleon selbst noch ganz im Zauberbanne seines jungen Eheglücks! »Mein Bruder ist hier«, schrieb er in seiner Freude an Josephine. »Er hat mit Freuden meine Heirat erfahren und brennt darauf, Dich kennen zu lernen ... Seine Frau ist von einer Tochter entbunden worden.«
Joseph war natürlich weit entfernt, über seine neue Schwägerin entzückt zu sein. Nicht allein, daß er viel Nachteiliges über Josephine de Beauharnais erfahren hatte, sondern er hatte ja auch in Napoleon bestimmt einen Gatten für Désirée Clary erblickt. Aber er machte gute Miene zum bösen Spiel, denn er wußte nur zu gut, daß es nur sein Vorteil war, wenn er mit seinem Bruder in gutem Einvernehmen blieb. Und er tat recht. Nicht lange darauf, am 25. April 1796, wurde Joseph eine große Auszeichnung in Paris zuteil. Er war mit Napoleons Adjutanten Junot dahin gesandt worden, um dem Direktorium die dem Feinde abgenommenen Trophäen und einen Bericht über die letzten Siege zu überreichen. In der Hauptstadt wurden sie sowohl vom Volke als auch von den Mitgliedern des Direktoriums mit unbeschreiblichem Jubel und großen Ehren empfangen. Während eines Diners bei Carnot, an dem Joseph teilnahm, riß der Direktor seine Weste auf und zeigte den zwanzig Gästen das Bild des Generals Bonaparte, das er auf dem Herzen trug. »Sagen Sie Ihrem Bruder«, wandte er sich an Joseph, »daß er sich an meinem Herzen befindet. Ich erblicke in ihm den Retter Frankreichs; er soll es wissen, daß er im Direktorium nur Bewunderer und Freunde hat.« Der Waffenstillstand wurde bewilligt, und Joseph war der Gegenstand allgemeiner Auszeichnung.
Währenddessen stand der General Bonaparte trotz aller Siege und Ehrungen in Italien die furchtbarsten Qualen der Eifersucht aus. Josephine war ihm untreu und zog vor, in Paris zu bleiben, anstatt zu ihrem Gatten zu eilen und ihm die Mühen des Feldzugs zu versüßen. Und da war es wieder Joseph, zu dem Napoleon seine Zuflucht nahm, bei dem er Trost und Gewißheit über die entsetzlichen Zweifel suchte. Ihn erkor er zum Beschützer seiner Frau. »Ich bin in Verzweiflung«, schrieb er ihm aus Tortona am 15. Juni; ... »ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Schreckliche Ahnungen beunruhigen mein Herz. Ich beschwöre Dich, ihr alle Deine Fürsorge zu widmen. Nächst meiner Josephine bist Du ja der einzige, der mir noch einiges Interesse einflößt. Beruhige mich, sprich offen zu mir ... Wenn Josephine wohl ist und die Reise unternehmen kann, wünsche ich sehnlichst, daß sie käme; ich muß sie sehen, sie an mein Herz pressen. Ich liebe sie bis zur Raserei und kann nicht ohne sie leben.« Wenige Tage später, am 24. Juni, traten die beiden Friedensboten in Begleitung der so sehnlichst Erwarteten die Rückreise nach Italien an. Und während sich Josephine zum Ersatz, daß sie das schöne Paris verlassen mußte, die Reise mit dem lustigen Adjutanten Hippolyte Charles verkürzte, und der kecke Junot dem hübschen Kammermädchen der Frau Generalin die Kur schnitt, vertrieb sich Joseph die Zeit mit der Abfassung seiner Novelle »Moïna, ou la Villageoise du Mont Cenis«. Am 21. Messidor (9. Juli) kamen sie in Mailand im Hauptquartier des Generals Bonaparte an.
Dank des Einflusses Napoleons, der seine Absichten auf Korsika nicht aufgegeben hatte, wurde Joseph zwei Monate später, im Oktober, von Modena aus mit Truppen nach der Insel geschickt, um sie der englischen Gewalt zu entreißen. In Bastia und auch in Ajaccio begrüßten ihn seine Landsleute mit Freuden und ließen ihm besondere Ehren zuteil werden. Überall wehte bereits die dreifarbige Fahne. Paoli war gezwungen, zum zweitenmal eine Zuflucht bei den Engländern zu suchen. Korsika war nun endgültig französisch!
Drei Monate hielt Joseph sich in der Heimat auf. Er ließ das arg beschädigte Elternhaus wieder ausbessern und bekümmerte sich um die übrigen Familienangelegenheiten. Als echter Bonaparte setzte er in die Ämter der neuen Verwaltung Korsikas alle seine Verwandten, alle seine Freunde, kurz die ganze Sippe ein. Sich selbst ließ er später zum Abgeordneten im Rate der Fünfhundert ernennen. Die Wahl erfolgte mit einer Stimmenmehrheit von 103 gegen 1 Stimme. Darauf kehrte er ins Hauptquartier des Bruders zurück, wo er gerade während des Abschlusses des Vorfriedens, am 17. April 1796, in Leoben eintraf. Hierauf begab er sich nach Mombello. Dort fand er die ganze Familie um den Sieger versammelt, der wie ein Herrscher Hof hielt.
Bereits im Oktober 1796 hatte Napoleon ihn dem Direktorium zum bevollmächtigten Minister am Hofe von Parma vorgeschlagen, und am 27. März 1797 erfolgte Josephs Ernennung zu diesem Posten. Er hat ihn jedoch niemals angetreten. Napoleon hatte höhere Pläne in bezug auf seinen ältesten Bruder. Josephs Fähigkeiten schienen ihm zu bedeutend, um nur einen so geringen diplomatischen Posten auszufüllen. So traf am 15. Mai, noch ehe Joseph daran dachte, sich nach Parma zu begeben, ein neuer Beschluß des Direktoriums ein, das ihn, anstatt zum bevollmächtigten Minister in Parma, zum Gesandten in Rom ernannte. Joseph bezog als solcher ein Einkommen von 60.000 Franken im Jahr. Es war doch vorteilhaft, einen so einflußreichen Bruder zu haben!
Erst am 31. August 1797 trat der Gesandte seinen schweren Posten an. Die Vorschriften des Direktoriums und die Weisungen seines Bruders verpflichteten ihn, »alles zu tun, um die parlamentarische Volksherrschaft ohne Gewalt, ohne Störungen in Rom einzuführen und Unordnungen zu verhindern, welche die Revolution in den Staaten des Papstes mit sich bringen könne«. Vor allem aber sollte er vom Heiligen Vater die Anerkennung der Zisalpinischen Republik fordern und ihn veranlassen, seinen kirchlichen Einfluß in der Vendée und Bretagne geltend zu machen, um die Unruhen der Royalisten zu unterdrücken.
Josephs Rolle als Gesandter in Rom ist nicht völlig klargestellt, denn man weiß nicht, ob er wirklich bei den Republikanern im Kirchenstaat den »Anstifter« gespielt hat, oder ob er von den römischen Patrioten mit ins Spiel gezogen worden ist. Sicher lenkten seine Stellung und Lage die Blicke der feindlichen Partei in Korsika auf ihn. Jedenfalls ging anfangs alles ganz gut. Joseph, Julie und Karoline, die mit ihnen gekommen war, wurden von der päpstlichen Regierung nicht allein taktvoll, sondern sogar mit gewisser Auszeichnung empfangen. Man gab ihnen Feste über Feste. Das Haus des französischen Gesandten glich fast einer kleinen Hofhaltung. Julie und Karoline wurden zu einer Privataudienz von Pius VI. empfangen, und diese dehnte sich länger als gewöhnlich aus. Auch Désirée Clary und deren Mutter, die etwas später in Rom eintrafen, wurden vom Papst ausgezeichnet. Beinahe fühlte sich Joseph im Palazzo Corsini, wie Napoleon in Mombello, als Fürst.
Es gelang dem Gesandten jedoch nicht, die Einigkeit und den Frieden zwischen der päpstlichen und der französischen Regierung aufrecht zu erhalten. Die ungeheuren Kriegssteuern, die Frankreich dem Kirchenstaat auferlegte, ferner die Ernennung des österreichischen Generals Provera zum Befehlshaber der päpstlichen Truppen und die Weigerung des Papstes, die Zisalpinische Republik anzuerkennen, trieben die Reibereien auf die Spitze und führten schließlich zu jenem Aufstand vom 7. Dezember 1797, der den Tod des tapferen Generals Duphot und die Abreise Josephs aus Rom zur Folge hatte.
Das Direktorium empfing den ehemaligen Gesandten mit großer Liebenswürdigkeit und bot ihm die Gesandtschaft in Berlin an. Joseph schlug jedoch das Angebot aus. Er zog es vor, in den Rat der Fünfhundert einzutreten. Dadurch war sein Ehrgeiz einigermaßen befriedigt. Er hätte es nicht über sich gewinnen können, wenn er weniger angesehen gewesen wäre als Napoleon, der durch sein Genie immer mehr die Blicke der Welt auf sich zog. Diese Berufsgleichheit schien für seine Ruhe unbedingt vonnöten zu sein.
Als Mitglied des Rates der Fünfhundert lebte Joseph, während Napoleon in Ägypten war, mit seiner Mutter in der Rue Rocher in Paris. Um diese Zeit erwarb er die schöne Besitzung Mortefontaine, deren wunderbar angelegte Gärten einen ganz besonderen Ruf bekamen. Joseph liebte diesen Aufenthalt sehr und zog sich nach der Arbeit gern dahin zurück. Er war ein sehr gemäßigtes Mitglied des Rates. Seinem Bruder Napoleon erwies er dadurch einen Dienst, daß er ihn, als man den General in einem Komitee der beiden Räte aufs heftigste angriff, glänzend verteidigte und schließlich die Stimmenmehrheit auf seine Seite gewann.
General Bonaparte. Nach der Natur gezeichnet und gestochen von G. Werner. Porträtsammlung der Nationalbibliothek, Wien
Da er der Älteste und Zuverlässigste der Familie war, hatte Napoleon ihn mit der Verwaltung seiner Gelder und der Ordnung der übrigen Familienangelegenheiten betraut. So trat Joseph jetzt wieder seine alten Rechte als Familienoberhaupt an, die ihm der Ruhm und die Stellung des Jüngeren für einige Zeit geraubt hatten. Er liebte es ungemein, den Herrn zu spielen, besonders seinen Geschwistern gegenüber. Sie mußten ihn alle, mit Ausnahme von Napoleon, mit »Sie« anreden. Für Napoleon hingegen war Joseph noch immer der einzige Freund, dem er sein Herz ausschütten konnte, wenn er sich um die treulose Josephine sorgte. »Ich lege Dir vor allem meine Interessen ans Herz«, schreibt er ihm am 25. Juli 1798 ganz verzweifelt. »Ich habe viel häuslichen Kummer, denn der Schleier ist vollkommen gehoben.5 Du allein bleibst mir auf Erden. Deine Freundschaft ist mir sehr teuer. Es fehlte nur noch, daß ich sie verlöre, und daß auch Du zum Verräter an mir würdest, um einen vollkommenen Menschenhasser aus mir zu machen!«
Joseph vergalt Napoleons Anhänglichkeit damit, daß er den ärgsten Feind seines Bruders, den General Bernadotte mit Désirée verheiratete. Allerdings wandte er am 18. Brumaire, obgleich er nicht mehr Mitglied des Rates der Fünfhundert war, auch seinen ganzen Einfluß auf, um den Staatsstreich Napoleons gelingen zu lassen. Dabei stand aber das Glück der ganzen Familie auf dem Spiele, und das vergaß Joseph ebenfalls nicht. Eine Niederlage Napoleons hätte die Niederlage aller Bonaparte bedeutet.
Am klarsten offenbart sich Josephs Charakter bei der Ernennung seines Bruders zum Konsul. Nie war er damit zufrieden, was er besaß. Bald tadelte er offen, bald im geheimen die Handlungen Napoleons. Er hoffte jetzt bestimmt, zweiter Konsul zu werden. Als dies nicht erfolgte, und Cambacérès an seiner Stelle gewählt wurde, spielte Joseph den Beleidigten. Denn als ihm Napoleon das Ministerium des Innern anbot, schlug er dieses Angebot aus. Nicht lange darauf aber wurde er in die Gesetzgebende Körperschaft und etwas später in den Staatsrat aufgenommen.
Auch damit war Joseph nicht zufrieden. Er wollte stets, wie alle andern Geschwister, das Gegenteil von dem, was Napoleon wollte. In allem sah er mißtrauisch eine Falle gestellt, ihn zu vernichten. Worüber aber beklagte er sich? Napoleon hatte alles getan, um ihn bis zu seiner Höhe zu erheben. Bereits mit dreißig Jahren konnte Joseph auf eine glänzende Laufbahn zurückblicken. Er war Gesandter an einem der ältesten Höfe gewesen, hatte als Volksvertreter gewirkt, war im Besitze eines großen Vermögens, eines prachtvollen Besitztums in Paris und auf dem Lande. Nach alledem aber behauptete er nicht zu streben. Nur Napoleon zuliebe hatte er alle die Auszeichnungen und hohen Ämter angenommen! Nur um seinem Bruder aus der Verlegenheit zu helfen! Es war eine Gnade seinerseits, wenn er die Stellungen bekleidete, die Napoleon ihm verschaffte. In seinen Augen waren das alles nur Kleinigkeiten, viel zu niedrige Posten für einen Mann wie ihn, für das Oberhaupt einer großen Familie! Er war berufen, den ersten Platz im Staate einzunehmen! Daß Napoleon das nicht einsah, kränkte ihn bitter.
Er nahm an ihm seine Rache, denn er schien einen ganz besonderen Reiz darin zu finden, die Feinde Napoleons in seinen Kreis zu ziehen. Ganz offen und vor aller Welt erklärte er, daß Frau von Staël, Bernadotte, Benjamin Constant und andere zu seinen vertrautesten Freunden gehörten. Nur ihnen zeigte er seinen wahren, neidischen, ehrsüchtigen Charakter. Vor der Welt und besonders vor seinem Bruder spielte er den Bescheidenen, Anspruchslosen, der nie etwas forderte. Napoleon hatte es durchaus nicht leicht, mit Joseph gemeinsam an dem Staatswerke zu arbeiten. Später sprach er sich gegen Roederer darüber aus und sagte: »Wenn Joseph gewollt hätte, würde er mir beigestanden haben; aber er weigert sich, das zu tun, was ich will.«
Die Stadt Ajaccio auf Korsika. Nach einer Lithographie von G. Engelmann
So ruhig und gemäßigt das Verhältnis beider Brüder nach außen hin schien, so sehr bewiesen intime stürmische Auftritte, wie entgegengesetzt beide Charaktere waren. Unter anderem berichtet Lucien, daß Joseph eines Tages wegen der Abtretung Louisianas mit dem Ersten Konsul in so heftigen Streit geraten und dermaßen wütend geworden sei, daß er Napoleon ein Tintenfaß an den Kopf geworfen habe. Nachdem Napoleon sich zu Josephine geflüchtet, habe Joseph einen erneuten Wutanfall bekommen und in dem Zimmer, in dem er sich befand, alles kurz und klein geschlagen. Allerdings ist es fraglich, ob man Lucien in dieser Hinsicht unbedingt Glauben schenken darf. Vereinzelt steht dieser Fall jedoch keineswegs da. So sanft und ruhig Joseph im allgemeinen war, so wenig kannte er die Grenzen im leidenschaftlichen Ärger. Aber Napoleon schien ihm solche Zornesausbrüche nie nachzutragen. Im Gegenteil, Joseph übte, trotz allen Widerspruchs, doch auf Napoleon einen gewissen Einfluß aus. Alles, was den Bruder betraf, interessierte Joseph aufs lebhafteste. Er war sozusagen sein geheimer Agent. Die englischen Zeitungen sprachen von ihm immer als von dem »Influencer«. Da er jederzeit Napoleons vollstes Vertrauen und größte Zuneigung besaß, war er wie kein anderer geeignet, ihn über alles, was sich zutrug, zu unterrichten. Das vermochte Joseph um so leichter, als er viele und weitgehende Beziehungen hatte. Nicht immer gab er freilich Napoleon den besten Rat. So geschah die törichte Verabschiedung des Kriegsministers Carnot auf Veranlassung Josephs, der gemeinsam mit Lucien bei Napoleon dahin gewirkt hatte.
Geburtshaus der Bonaparte in Ajaccio. Lithographie von Rauch nach Despois
Obwohl Joseph nichts oder nicht viel vom Soldatenberuf verstand, nahm er doch am zweiten Italienischen Feldzug teil. Sein Ehrgeiz strebte ebenso nach militärischen wie nach diplomatischen Ehren. Ohne Frage hatte Napoleon damals eine hohe Meinung von den Fähigkeiten seines Bruders, denn noch vor dem Frieden von Lunéville, zu dem er als bevollmächtigter Minister gesandt wurde, unterzeichnete Joseph mit Roederer und Fleurien auf seinem Schlosse Mortefontaine, am 30. September 1800, mit dem amerikanischen Gesandten die Pariser Konvention, die Frankreich und Amerika zu Freunden machte. Darauf eilte er nach Lunéville, um dort mit Österreich Frieden zu schließen. Er erfüllte seine Aufgabe zur vollsten Zufriedenheit Napoleons, der ihn zu solchen diplomatischen Sendungen am liebsten verwendete. Joseph spielte durch sein vornehmes Äußeres eine gute Figur; es fehlte ihm auch nicht an Verstand und an Geschick zu dergleichen Dingen. Seine versöhnende Liebenswürdigkeit, seine Höflichkeit und sein bereitwilliges Entgegenkommen bei bedeutenden diplomatischen Verhandlungen erwarben ihm jederzeit die Achtung und Zuneigung der auswärtigen Gesandten. So war Graf Ludwig Cobenzl nach dem Friedensschluß sein Freund und Gast.
Fast unmittelbar nach der Unterzeichnung des Friedens von Lunéville folgten die Unterhandlungen des Konkordats. Es wurde am 15. Juli 1801, diesmal in Josephs Wohnung in Paris, Rue du Faubourg Saint-Honoré, nachts zwei Uhr von Joseph, dem Abbé Bernier, dem Staatsrat Cretet einerseits und den Kardinälen Caselli, Spina und Consalvi andererseits unterzeichnet. Zur selben Nachtstunde soll Joseph eine Tochter geboren worden sein, zu welchem glücklichen Ereignis ihn die Gesandten beglückwünschten. So will es die Legende. Die Wirklichkeit ist etwas anders. Das Kind, Josephs zweite Tochter Zénaide Letizia Julie, kam acht Tage vor dem Abschluß des Konkordats, am 8. Juli, zur Welt.
Auch die Abschließung des Friedens von Amiens vertraute Napoleon seinem Bruder an. Joseph unterzeichnete diesen Frieden, der allerdings fast allein sein Werk war, mit Lord Cornwallis am 25. Januar 1802 und hatte dadurch die Genugtuung, die beiden Erbfeinde miteinander versöhnt zu haben.
Was jedoch Josephs unzufriedene Natur und seinen Ehrgeiz am meisten beschäftigte, war die Frage, wer die Stelle des Ersten Konsuls nach dessen zehnjähriger Amtstätigkeit einnehmen werde. Am liebsten wäre es ihm gewesen, wenn Napoleon ihn zu seinem Nachfolger bestimmt hätte. Er betrachtete das, als Ältester der Familie, nur als sein gutes Recht. Aber dazu war der Erste Konsul durch die Verfassung nicht ermächtigt. Erst das Konsulat auf Lebenszeit setzte ihn in die Lage, seinen Nachfolger zu bestimmen. Vereint mit Lucien stimmte daher Joseph für diese Regierungsform, denn sie gab ihnen die Hoffnung, doch noch einmal eine Rolle als Staatsoberhaupt zu spielen. Vor der Öffentlichkeit freilich tat Joseph, als ob es ihm sehr unangenehm wäre, wenn Napoleon ihn als Nachfolger bezeichnen würde. Eines Tages sagte er sogar: »Ich will gar nicht sein Nachfolger werden; ich will frei sein!« Und bescheiden fügte er hinzu: »Ich bin nicht stark genug, um den Vergleich mit ihm auszuhalten und die Schwierigkeiten zu bekämpfen.« Das war allerdings ein wahres Wort, aber im Innern dachte Joseph ganz anders.
Joseph Bonaparte. Stich von Schleich nach Bonneville.Porträtsammlung der Nationalbibliothek, Wien
Die Präsidentschaft der Zisalpinischen Republik, die Napoleon ihm anbot, war ihm gleichfalls nicht gut genug: er strebte nach Höherem. Er lehnte daher ab, nahm aber die Senatorwürde mit einem Einkommen von 120.000 Franken jährlich an; gleichzeitig wurde er Mitglied der Ehrenlegion. Auch verschmähte er gewisse Gratifikationen von 200.000 und 300.000 Franken nicht, die sein Bruder ihm bewilligte. Noch aber waren es der Ehren und Auszeichnungen nicht genug! Napoleon hatte ihn noch nicht zu seinem Nachfolger bestimmt. Wie sehnsüchtig wünschte Joseph sich einen Sohn! Dann wäre alles anders gekommen. Aber eben jetzt, im Oktober 1802, hatte ihm Julie wiederum ein Mädchen Charlotte, geboren. Welche Enttäuschung! Und dazu der verletzende Spott Napoleons. »Sagen Sie Madame Joseph«, schrieb der Erste Konsul, »meine besten Glückwünsche. Sie bringt so schöne Mädchen zur Welt, daß man sich darüber trösten kann, daß sie Ihnen keinen Jungen schenkt.« Das war bitter für Josephs Ehrgeiz.
Königin Julie von Neapel, mit ihrer Tochter. (Gemälde von Robert Lefèvre)
Vorläufig war es also mit der Nachfolgerschaft nichts. Er mußte sich ein anderes Feld suchen, wo er zu Ruhm und Ehren kommen konnte. Nach dem Beispiele Napoleons glaubte er das am schnellsten als Soldat erreichen zu können. Auch diesem Wunsche Josephs kam der Erste Konsul nach. Im Jahre 1803 bot er ihm den Posten eines Generaloberst des Schweizerregiments in französischen Diensten an. Joseph lehnte ab. Er wollte sich als Führer einer anderen, vornehmeren Truppe sehen. Bereitwillig schickte ihn Napoleon 1804 in das neugebildete Lager von Boulogne und übergab ihm das Kommando über das 4. Linienregiment. Er gedachte jedoch nicht nur Josephs Laune nachzugeben. Sein Bruder sollte im Gegenteil mit Leib und Seele bei der Sache sein und seine Rolle ernst nehmen. Wie jederzeit ging Napoleon auch hier von dem Grundsatz aus, daß seine Brüder, wenn sie ihren Ehrgeiz in einem Amte befriedigen wollten, dies durch umfassende Kenntnisse ihres Berufs zu erreichen suchen müßten. So schrieb der Erste Konsul am 14. April 1804 an den General Soult, den Befehlshaber des Lagers von Saint-Omer, über Josephs Ernennung: »Er ist wie ich mit Leib und Seele Soldat, denn in unserer Zeit heißt es, nicht nur dem Staate durch seine Ratschläge in den schwierigsten Unterhandlungen beistehen, sondern man muß auch, wenn die Umstände es verlangen, ihm mit seinem Degen dienen können... Joseph wird noch vor dem Ersten des nächsten Monats in Boulogne eintreffen. Er soll seinen Beruf mit dem größten Ernste ausüben. Sie können ihm zwar bei seiner Ankunft alle Ehren zuteil werden lassen, die man einem Großoffizier der Ehrenlegion, einem Senator und einer mir so teuren Person schuldig ist; er wird deshalb auch in meinem Hauptquartier absteigen. Sobald man ihm jedoch diese Ehren erwiesen hat, soll er seinen Oberstenrock anziehen und sich genau so unterordnen, wie es das Militärgesetz den Offizieren vorschreibt.« Und um dieser militärischen Laufbahn einen Schein des Rechts zu verleihen, stellte Napoleon seinem Bruder ein Dienstverzeichnis aus, das ihn folgendermaßen qualifizierte: »Im Jahre 1783 Artillerieschüler; im Jahre 1792 Stabsoffizier; im Jahre 1793 Generaladjutant und Bataillonschef.« Außerdem war darin bemerkt, daß Joseph die Feldzüge von 1793 und 1794 mitgemacht habe und bei der Belagerung von Toulon verwundet worden sei. So stand es auf dem Papier. In Wahrheit verhielt es sich folgendermaßen: Wenn Joseph auch 1793 den Titel »Bataillonschef« führte, so war es eben nur ein Titel, denn die Pariser Nationalgarde, der er angehörte, wurde niemals organisiert. Und welchen Anteil er an den Feldzügen genommen hatte, ist bekannt; als Soldat hat Joseph jedenfalls keine Taten vollbracht!
Da er nun niemals Soldat gewesen war, konnte er mit dem besten Willen in Boulogne nichts weiter als in seiner schönen weißen Uniform ein wenig paradieren, was übrigens seiner Eitelkeit schmeichelte. Im übrigen lebte er, wie er wollte, ohne sich viel um den Dienst zu kümmern. Er entfernte sich ohne Urlaub vom Lager, spielte gern den Oberbefehlshaber und mißbrauchte seine Stellung als Bruder Napoleons dermaßen, besonders später als er Prinz war, daß der Kaiser mehrmals gezwungen war, ihn zu tadeln. Unter anderm schrieb Napoleon am 20. Mai 1805, als Joseph sich zum zweiten Male in Boulogne aufhielt, an den Marschall Berthier: »Teilen Sie Soult meine Unzufriedenheit darüber mit, daß Prinz Joseph während der verschiedenen Paraden in seinem Lager in einer andern Eigenschaft als der eines Oberst erschienen ist. Nichts kann in einer Armee den Oberbefehlshaber verdunkeln! Der Prinz kann über sein Regiment die Paraden abnehmen, wie er will, aber am Tage einer Truppenschau gebührt es dem General und nicht dem Prinzen, ein Essen zu geben; das ist eng mit dem Dienst verknüpft! Der Hauptgrundsatz ist: ein prinzlicher Oberst ist bei der Truppenschau eben nur ein Oberst! Der Prinz kann Boulogne auch nur mit der Erlaubnis des Generals verlassen. Schreiben Sie an Joseph, daß ich erfahren habe, er hätte das Lager ohne Urlaub verlassen, worüber ich ihm nur meine Unzufriedenheit ausdrücken könne. Die militärische Disziplin duldet keine Veränderung! Eine Armee ist ein Ganzes! Derjenige, der sie befehligt, ist alles! Joseph soll sich sofort zu seinem Regiment begeben und im wahren Sinne des Wortes seine Pflichten als Oberst erfüllen. Sagen Sie ihm auch, daß er sich gewaltig irre, wenn er glaube, er besitze die nötigen Fähigkeiten, sein Regiment zu führen.«
Trotzalledem erhöhte Napoleon im Jahre 1804 Josephs Einkommen von 120.000 Franken auf 300.000 Franken. Mit allen Geschenken hatte Joseph in einem Zeitraume von elf Monaten von seinem Bruder 900.000 Franken, fast eine Million, zu seinem Unterhalt bekommen!
Sein erster Aufenthalt in Boulogne währte nicht lange. Bald kehrte er wieder nach Paris zurück, das um diese Zeit eine wahre Brutstätte von Verschwörungen gegen das Leben des Ersten Konsuls war. Pichegru, Cadoudal und Moreau waren bereits verhaftet. Bald kam die Reihe an den jungen Sprossen des Hauses Condé, den Herzog von Enghien. Joseph beklagte diese Maßnahme seines Bruders, ließ ihm indes insofern Gerechtigkeit widerfahren, daß er als Notwendigkeit dieser Handlung die Politik anführte.