Читать книгу Glanz und Untergang der Familie Napoleons - Gertrude Aretz - Страница 6

III.

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Die Gemütsbewegungen der letzten Tage waren selbst für diese starke Frau zuviel. Sie war außerstande, Paris vor dem Einzuge der verbündeten Herrscher zu verlassen. Erst am 19. Juli reiste sie unter der größten Anstrengung in Begleitung Feschs von der Hauptstadt ab. Über die Schweiz suchte sie von neuem eine Zuflucht in Italien, wo sie der gütige Pius wiederum in Rom aufnahm.

Dankerfüllt schrieb sie durch Vermittlung des Kardinals Consalvi dem Papst: »Ich bin wirklich die Mutter aller Schmerzen. Der einzige Trost, der mir geblieben, ist, daß der Heilige Vater das Vergangene vergißt und sich nur der Güte erinnert, die er allen Mitgliedern meiner Familie erweist ... Wir finden nur bei der päpstlichen Regierung Schutz, und unsere Dankbarkeit für eine solche Wohltat ist groß.«

So lebte die Mutter des verbannten Kaisers der Franzosen endlich in Ruhe und Frieden. Ihr einziger Wunsch war und blieb, in Helena bei ihrem Sohne zu sein und sein freudloses Dasein ein wenig zu verschönern. Noch als 70jährige erneuerte sie ihre Bitte bei den verbündeten Mächten. Umsonst! Und wie gern hätte sie Napoleon geholfen. Unter ihren Kleidern verborgen wollte sie ihm alles bringen, was sie noch an Vermögen und Schätzen besaß, ihm, dem größten und unglücklichsten ihrer Kinder! Ihm, dem Begründer dieses Vermögens! Es ward ihr versagt. Aber sie hoffte immer. Als die verbündeten Souveräne sich auf dem Aachener Kongreß versammelten, schrieb Letizia am 29. August 1818 an einen jeden von ihnen folgenden, beredten, von der Mutterliebe eingegebenen Brief: »Eine über alle Maßen betrübte Mutter hat seit langem gehofft, daß die Versammlung Eurer Kaiserlichen und Königlichen Majestäten ihr das Glück wiedergäbe.

Es ist unmöglich, daß die lange Gefangenschaft des Kaisers Napoleon Ihnen nicht Gelegenheit gibt, sich über ihn zu unterhalten, und daß Ihre Großmut, Ihre Macht, die Erinnerung an die vergangenen Ereignisse Eure Kaiserlichen und Königlichen Majestäten nicht veranlassen, sich für die Befreiung eines Fürsten zu interessieren, der soviel Anteil an Ihren Interessen, ja sogar an Ihrer Freundschaft gehabt hat.

Wollen Sie in einer qualvollen Verbannung einen Souverän zugrunde gehen lassen, der im Vertrauen auf seinen Feind sich in dessen Arme warf? Mein Sohn hätte den Kaiser, seinen Schwiegervater, um eine Zuflucht bitten können; er hätte sich dem großen Charakter des Kaisers Alexander anvertrauen oder sich zu Seiner Majestät dem König von Preußen flüchten können, der sich gewiß bei einer solchen Bitte nur seiner früheren Allianz erinnert haben würde. Kann England ihn für das Vertrauen bestrafen, das er ihm bewiesen hat?

Der Kaiser Napoleon ist nicht mehr zu fürchten. Er ist krank. Und wäre er auch bei voller Gesundheit, hätte er auch alle Mittel, die die Vorsehung ihm einst in die Hände gab, so verabscheut er doch aus tiefstem Grunde seines Herzens den Bürgerkrieg.

Sire, ich bin Mutter! Das Leben meines Sohnes ist mir teurer als mein eigenes. Verzeihen Sie um meines Schmerzes willen die Freiheit, die ich mir nehme, an Eure Kaiserlichen und Königlichen Majestäten diesen Brief zu richten.

Lassen sie eine Mutter, die sich über die lange Grausamkeit gegen ihren Sohn beschwert, diesen Schritt nicht vergebens tun!

Im Namen des Allergütigsten, dessen Ebenbild Eure Kaiserlichen und Königlichen Majestäten sind, veranlassen Sie, daß die Qualen meines Sohnes aufhören! Verwenden Sie sich für seine Freiheit! Dies fordere ich von Gott und von Ihnen, die Sie seine Stellvertreter auf Erden sind!

Die Staatsgründe haben hier Grenzen, und die Nachwelt, die alles unsterblich macht, bewundert vor allem die Großmut der Sieger.«

Der Brief, der Schmerzensschrei einer Mutter, blieb unbeantwortet. Nur die Erinnerung an Napoleon, an sein großes Genie, seine Tatkraft und seine unsterblichen Handlungen konnte man der Mutter nicht entreißen. Täglich dachte sie seiner, schloß ihn in ihre Gebete ein und wand im stillen einen Glorienschein um sein Haupt. Ihre Tränen allein waren ein Trost für sie. Sie sollte noch viele Jahre den Schmerz mit sich herumtragen, der eine schwächere Natur vielleicht getötet hätte.

Trotz allem versuchte Letizia des öfteren, ihrem Sohne Unterstützungen zukommen zu lassen. Aber die Sendungen gelangten fast nie in seinen Besitz. Die Briefe wurden aufgefangen oder dem Kaiser geöffnet übergeben. Nur einmal erhielt er von seiner Mutter 100.000 Franken, um die er sie gebeten hatte, damit er sich das Leben ein wenig erträglicher machen konnte. Wie gerne hätte sie ihm alles gegeben, was sie besaß, besonders als er krank war! Für ihn sparte sie ja, für ihn allein suchte sie ihr Geld zusammenzuhalten. Sie meinte immer, ihm Rechenschaft ablegen zu müssen, weil sie all den Reichtum erst durch ihn erlangt hatte. Fast war sie die einzige von der ganzen Familie, die nicht mittellos dastand. Alles hatte sie um sich her versinken sehen. Ihre Söhne und Töchter waren von ihren Thronen verstoßen. Manche von Letizias Kindern befanden sich direkt in Not. Sie allein hatte im Glück nicht vergessen, daß es unbeständig ist. Jetzt konnte sie helfen. Und sie half, soweit sie es vermochte.

Jérôme war das ärmste ihrer Kinder. Er konnte am wenigsten rechnen und war am verschwenderischsten. »Wenn man nicht mehr König ist, so ist es lächerlich, als solcher leben zu wollen«, sagte ihm die Mutter wohl bisweilen, aber sie gab ihm doch mit vollen Händen. Und nicht nur ihm, sondern auch den andern. Elisa, Lucien, sogar Karoline suchten von der Mutter Geld zu erhalten. Drängten sie allzusehr, dann sagte sie ihnen allerdings auch, daß sie ihr Vermögen zusammenhalten müsse, denn es gehöre nicht ihr, sondern dem Kaiser, übrigens verlor Letizia bereits im Jahre 1816 die Pension von 300.000 Franken, die ihr durch den Vertrag vom 11. April 1814 von der französischen Regierung ausgesetzt worden war. Durch ein Gesetz vom 12. Januar dieses Jahres war alles Eigentum der Familie Bonaparte beschlagnahmt worden.

Letizias größter Trost in Rom blieben die Beziehungen zu ihren Kindern und Kindeskindern. Mit ihnen stand sie in regem Briefwechsel. Am liebsten hätte sie alle um sich versammelt und in ihrer Mitte gelebt. Aber nur einigen war es gestattet, die Mutter zu besuchen oder in den letzten Jahren ihren Aufenthalt zu teilen. Von dem Teuersten aber, der ihr am meisten ans Herz gewachsen war, von ihrem kleinen Napoleon in Wien, hörte sie nichts. Er war sowohl für den Vater wie für die Großmutter tot. Nur seine Kinderbildnisse waren Letizia geblieben. Sie hatte sie alle mit den übrigen Familienbildern in ihrem Salon aufgestellt. Fühlte sich die alte Dame einsam und verlassen, dann unterhielt sie sich auf ihre Weise mit den Abwesenden.

Alles in der Umgebung der Kaisermutter war ernst und düster, gleichförmig und still. Sie empfing nur wenige Leute. Fremde hatten fast nie Zutritt. Nur bisweilen machte sie davon eine Ausnahme, wenn sie ihr Nachrichten von dem verbannten Sohne brachten. So war sie sehr glücklich über den Besuch des Doktor O'Meara, der Napoleon eine Zeitlang auf Sankt Helena gepflegt hatte. Auch mit Lord Holland unterhielt sie sich gern, denn er war ein Verteidiger des Gefangenen. Im März 1819 hatte Marie Luise die Absicht, als sie mit ihrem Vater durch Italien reiste, die Mutter Napoleons aufzusuchen. Da sie jedoch nicht wußte, wie sie aufgenommen werden würde, ließ sie Letizia durch den österreichischen Gesandten in Rom von ihrem Plane unterrichten. Ungläubig schüttelte die Matrone den Kopf. »Was Sie mir da sagen, Herr Gesandter«, erwiderte sie ernst, »erstaunt mich wirklich. Sie tun meiner Schwiegertochter unrecht, wenn Sie glauben, sie mache große Reisen, anstatt sich zu ihrem unglücklichen Gatten nach Sankt Helena zu begeben. Die Frau, von der Sie mir sprechen, kann nicht meine Schwiegertochter sein. Ohne Frage ist es eine Abenteurerin, die sich mit meinem Namen schmückt. Und Abenteurerinnen empfange ich nicht!« Damit wußte Marie Luise genug.

Bald aber räumte der Sensenmann unter den Reihen derjenigen auf, die Letizia lieb hatte. Ihre Tochter Elisa machte den Anfang im Jahre 1820. Im nächsten Jahr traf die Mutter der härteste Schlag, der sie treffen konnte: Der Tod Napoleons. Sie erfuhr ihn erst zweieinhalb Monate später, am 22. Juli. Ihr Schmerz war unbeschreiblich und löste sich in heißen Tränen aus. Als sie aber etwas später den Arzt ihres Sohnes, den Doktor Antonimarchi empfing, zeigte sie die größte Selbstbeherrschung und fragte ihn immer wieder über alle Einzelheiten des Lebens Napoleons aus, unaufhörlich die Tränen zurückdrängend. Sie konnte sich kaum beruhigen, daß ihr großer Sohn unter solchen Leiden und einsam wie ein Ausgestoßener gestorben war. Da man ihr nicht gestattet hatte, mit ihm zu leben, wollte sie wenigstens seinen Leichnam in ihrer Nähe bestatten. Aber man gewährte ihr auch das nicht.

Bisher war Letizias Dasein mehr als einsam gewesen, jetzt verschloß sie sich ganz der Außenwelt. »Mein Leben«, sagte sie selbst, »hörte mit dem Sturze Napoleons auf. Als ich meinen Sohn nach Sankt-Helena überführen sah, sagte ich mir: Du, die Mutter dieses Mannes, du mußt jetzt die Welt vergessen; es gibt kein Glück mehr für dich. Dein Sohn ist unglücklich; du wirst von nun an traurig und einsam sein.« Und von seinem Tode an war für Letizia das Leben nur noch ein Hindämmern, ein Träumen von Vergangenem. Denn sie sprach wenig über die Tage des Glücks. Nur das Unglück ihrer Familie erwähnte sie bisweilen. »Mein Sohn«, sagte sie dann wohl traurig, »ist gestürzt worden. Fern von mir ist er elend zugrunde gegangen. Meine andern Kinder sind verbannt; eins nach dem andern seh' ich sterben. Sogar diejenigen meiner Enkel, die am meisten versprachen, scheinen alle bestimmt zu sein, von dieser Welt zu verschwinden. Ich bin alt und verlassen, ohne Glanz, ohne Ehre! Und doch würde ich mein Dasein nicht gegen dasjenige der ersten Königin der Welt vertauschen wollen!« Sie hatte den Becher noch nicht ganz geleert. Nichts sollte ihr erspart werden.

Glücklicherweise ward ihr jetzt wenigstens die Freude, einige ihrer Kinder in Rom um sich zu haben. Mehrere Mitglieder der Familie Bonaparte, worunter Lucien, Louis, Fesch und Pauline, schienen, da Napoleon nun tot war, den Regierungen nicht mehr verdächtig. Madame Mère selbst hätte sogar, wenn sie gewollt, nach Frankreich zurückkehren können. Sie wollte nicht. »Ich habe meine Kinder in ihrem Unglück und Schmerz nicht verlassen und werde sie jetzt ebensowenig wie früher verlassen. Ich will lieber mit ihnen aus Frankreich verbannt sein als dort ohne sie leben«, sagte sie.

Im Jahre 1825 wurde die schwergeprüfte Frau wiederum durch Trauer heimgesucht. Ihre Tochter Pauline, die Letizia trotz ihrer Fehler und ihres leichtsinnigen Lebens am meisten geliebt hatte, starb am 7. Juni. Und am Ende desselben Jahres verlor sie auch ihre alte treue Dienerin Saveria durch den Tod. Alle starben um sie her, nur sie verschonte Freund Hein.

Sie war jetzt nahezu achtzig Jahre alt. Ihre einst aufrechte stolze Gestalt war verfallen und hager. Aber die schwarzen Augen glänzten noch unter dem Turban, den sie nach der Mode des Kaiserreichs trug. Im übrigen kleidete sie sich stets in tiefe Trauer. Ihr Mund schien das Lächeln, das ihn einst so anziehend gemacht hatte, verlernt zu haben. Als sie der französische Geschichtsschreiber Capefigue im Jahre 1835 besuchte, fand er Letizias Züge, obwohl sie fast ganz erblindet war, noch schön. Er nannte ihren Kopf eine »antike Kamee der Agrippina«.

Letizia Bonaparte auf dem Sterbebett. Lithographie von Josef Tunner. Porträtsammlung der Nationalbibliothek, Wien

Die liebsten Erinnerungen waren Letizia die Totenmaske Napoleons, die Doktor Antommarchi aus Sankt Helena mitgebracht und der Mutter übergeben hatte, sowie eine kleine Büste des Königs von Rom. Von ihm hatte sie nie etwas erfahren. Sie hatte zwar bisweilen indirekte Nachrichten über das Leben ihres Enkels erhalten, aber sie waren mehr oder weniger ungenau. Sie wußte nicht einmal, daß man ihm alles, was die Geschichte seines Vaters betraf, verschwieg. Verschiedene Male schrieb Letizia an die Herzogin Marie Luise von Parma oder an den Kaiser von Österreich selbst, um etwas über das Kind ihres Sohnes zu erfahren. Aber die Briefe blieben unbeantwortet. Erst im Jahre 1832 erhielt die Großmutter nähere Nachricht von ihrem Enkel. Sein ehemaliger Erzieher, der Graf von Prokesch-Osten, hatte Madame Mère auf einer Reise durch Rom am 21. Juli einen Besuch abgestattet. Sie war tief bewegt von allem, was Prokesch ihr erzählte. Sie fragte ihn lebhaft über jede Einzelheit des Charakters Napoleons II aus. Sie fand auch, daß er sehr viel ähnliche Charakterzüge mit seinem Vater haben müsse. Als Prokesch sich von der einstigen Kaisermutter verabschiedete, schien sie, die in einem Lehnsessel saß, sich mit aller Kraftanstrengung aufrichten zu wollen. Ihre Enkelin Charlotte, die Tochter Luciens, war ihr dabei behilflich. Letizias Person schien zu wachsen und ganz von majestätischer Würde umhaucht zu sein. Prokesch fühlte, daß sie zitterte. Da legte sie die alten, schmalen Hände auf sein Haupt. Er ahnte, was Letizia zu tun wünschte. Still kniete er vor ihr nieder, und sie segnete ihn mit den Worten: »Da ich nicht bis zu ›ihm‹ gelangen kann, so nehmen sie an seiner Statt den Segen seiner Großmutter entgegen, die bald diese Welt verlassen wird. Meine Gebete, meine Tränen, meine Wünsche werden bis zum letzten Augenblick meines Lebens für ihn sein. Bringen Sie ihm das, was ich Ihrem Herzen anvertraue!« Darauf küßte sie den Freund und Erzieher ihres Enkels und blieb noch lange schweigend über ihn gebeugt.

Allegorische Darstellung Napoleons auf Sankt Helena. Lithographie von Lafosse nach einem Gemälde von Delacroix. Porträtsammlung der Nationalbibliothek, Wien

Prokesch wußte nicht, daß sein Zögling schon am Tage nach dieser Zusammenkunft mit Madame Mère nicht mehr am Leben war. Er erfuhr es erst einige Zeit später in Bologna. Letizia erhielt die Trauerbotschaft durch ihre Schwiegertochter selbst. Sie war untröstlich und ließ Marie Luise durch Fesch folgenden Brief schreiben:

»Madame, trotz der politischen Verblendung, die mich aller Nachrichten über dieses teure Kind beraubte, dessen Tod Sie mir anzeigen, habe ich doch niemals aufgehört, ihm das Herz einer Mutter zu bewahren. Noch war es für mich der Gegenstand des Trostes. Gott hat jedoch zu meinem großen Alter und meiner schmerzhaften Gebrechlichkeit noch diesen Schlag hinzufügen wollen ...

Empfangen Sie, Madame, meinen Dank, daß Sie sich die Mühe genommen haben, das Herzeleid meiner Seele bei einer so schmerzlichen Gelegenheit zu erleichtern. Seien Sie versichert, daß ich Ihnen ewig dafür dankbar sein werde.

Da mein Zustand mir verbietet, diesen Brief zu unterzeichnen, so erlauben Sie bitte, daß ich meinen Bruder damit beauftrage.«

Jetzt waren es der Schicksalsschläge genug. Da Letizia im Jahre 1830 durch einen Fall während eines Spazierganges einen Oberschenkelbruch erlitten hatte, war sie für die letzten Jahre ihres Lebens gelähmt und fortan ans Zimmer gefesselt. Sie hatte oft die entsetzlichsten Schmerzen, wollte sich jedoch keiner Operation unterziehen, wie es die Ärzte rieten. Endlich, am 2. Februar 1836, machte der Tod ihrem Leiden ein Ende. An ihrem Sterbelager standen von ihren Kindern nur Jérôme und Alexandrine, die Gattin Luciens. Die Mutter Napoleons starb »aller Verehrung würdig« und mit der Hoffnung, daß doch einmal der Tag kommen werde, an dem auch Frankreich wieder ihrer Familie die Tore öffne.

1 Carlo Bonaparte starb am 24. Februar 1785 in Montpellier an einer Magenkrankheit.

Glanz und Untergang der Familie Napoleons

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