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Viertes Kapitel. Gefahren und Versuchungen
ОглавлениеDer junge König, für den in Wahrheit nicht die Räte regieren, sondern der »Protektor«, sein Onkel Eduard Seymour, Graf Hertford, späterer Herzog von Somerset, will vor allem seine Schwester Elisabeth so oft wie möglich um sich haben. Sie vertragen sich so gut miteinander. Sie stimmen in allem überein. Vorläufig haben die Räte Eduards und Somerset nichts gegen Elisabeths Besuche bei dem zehnjährigen Knaben, der immer traurig wird, wenn sie ihn wieder verläßt. Elisabeth gibt ihnen noch keine Veranlassung zum Mißtrauen. Beide sind Kinder, die miteinander lernen und spielen wie ehedem. Es hat sich in dieser Beziehung nicht viel seit der Thronbesteigung des Königsknaben geändert. Die Politik interessiert Elisabeth und auch Eduard noch nicht; die beschäftigt nur die Männer, die den König leiten.
Es weht indes eine neue Luft am Hofe. Die protestantische Partei hat jetzt ganz die Oberhand, denn Eduards Staatsmänner, die Somerset und Northumberland und der allmächtige Erzbischof von Canterbury, Thomas Cranmer, gehören schon aus Opposition gegen den hohen englischen Adel der Reform an, während dieser, weil er sich Rom nicht öffentlich anschließen kann, bei der anglikanischen Kirche verharrt. Was Heinrich VIII. willkürlich begonnen, führen die Regierungsmänner unter seinem Sohn schrittweise zu festeren Formen. Der junge Eduard aber wird von allen Staatsaktionen ängstlich ferngehalten und gehütet.
Die Protestanten dürfen sich jetzt frei bewegen, ihren Gottesdienst ohne Gefahr ausüben. »Mit fliegenden Fahnen ging man in das Lager der festländischen Reformation über.« Und zwar überwiegt das helvetische Glaubensbekenntnis. In ganz England wird das englische Gebetbuch eingeführt und ein paar Jahre später durch Cranmer das aus 42 Artikeln bestehende Glaubensbekenntnis veröffentlicht. Niemand macht sich schuldig es zu lesen, sich zu ihm offen zu bekennen. Die einst tage- und nächtelang brennenden Scheiterhaufen, auf denen Menschen aus beiden Religionen für ihren Glauben starben, sind erloschen.
Je mehr aber die Reformation Boden gewinnt, desto stärker wird auch der Widerstand der Katholiken. Am Hofe selbst, dessen König von seinen Lehrern und Ministern ganz dem Protestantismus zugeführt wird, gibt es trotzdem eine Menge Leute, die katholisch empfinden und in ihrem Innern gute Katholiken geblieben sind. Unter ihnen und allen voran die eigene Schwester des Königs, Maria Tudor. Auch sie hat der junge Eduard anfangs zu sich gerufen und sich ihr wie einer Mutter genähert. Sie ist bei seiner Thronbesteigung über dreißig Jahre alt. Durch ihre freudlose Jugend verbittert, im Haß gegen die Protestanten großgeworden, eine fanatische Katholikin. Unvorsichtigerweise versucht sie den kleinen König mit ihren eigenen Ideen bekannt zu machen. In mancher vertrauten Stunde der Unterhaltung klärt sie ihn über Dinge auf, die sonst vor ihm streng geheim gehalten werden. Im Gegensatz zu Elisabeth widersetzt sie sich gegen alles, was die Räte des Königs von ihr verlangen. Seit Maria die wuchtige Hand des Vaters nicht mehr über sich fühlt, glaubt sie wieder freier auftreten zu können.
Der Protektor wittert Gefahr. Er durchschaut die innerlich ganz katholisch gebliebene Prinzessin und deren gefährliches Spiel. Sie muß schleunigst aus der Umgebung des Königs entfernt werden. Nur selten noch und niemals allein wird Maria gestattet, den Bruder zu besuchen. Eduard Seymour meint, diese Besuche stimmen den König nur traurig, er verfalle in eine Melancholie, von der er sich lange Zeit nicht freimachen könne, wenn Maria dagewesen sei. Auch Elisabeth wird von nun an von Eduard fern gehalten, obwohl man durch sie gewiß keinen katholischen Einfluß zu befürchten hat. Sie ist damals in jeder Weise eine korrekte Protestantin. Aber man hat ein leises Unbehagen vor der allzu reifen Intelligenz und der bereits hervortretenden Persönlichkeit der jungen Prinzessin. Plötzlich findet man, daß Elisabeth eines größeren mütterlichen Schutzes bedarf als es bisher der Fall war. Sie ist bald vierzehn Jahre alt, in dem gefährlichen Alter zwischen Kind und Jungfrau. Das Leben am Hofe schließt Gefahren in sich, vor denen ein junges Mädchen behütet werden muß. Elisabeth kommt also ganz in das Haus der Königin Witwe Catherine, die sich schon zu Lebzeiten Heinrichs ihrer angenommen hat. Die Prinzessin erhält ihren eigenen Hofstaat, der aus 120 Personen besteht. Ihre Erzieherin und Gesellschafterin, Lady Ashley, eine Verwandte Anna Boleyns, deren Andenken sie in dem Kinde aufrechtzuerhalten sucht, bleibt bei ihr. Niemals darf indes der Name der Mutter Elisabeths genannt werden, auch jetzt nicht, da Heinrich längst tot ist. Die Prinzessin hütet sich übrigens, es noch einmal zu tun. Und doch erzählt ihr Lady Ashley manches. Sie verstehen sich auch ohne Nennung des Namens. Elisabeth lernt weiter ihre Gefühle verbergen, sich zu verstellen. Ob sie an die Unschuld ihrer unglücklichen Mutter glaubt, hat man von ihr nie erfahren. Als Königin hat sie, wie gesagt, es nicht unternommen, Anna Boleyn zu rehabilitieren. Nur ein einziges Mal erteilt sie – nach ihrer Thronbesteigung – dem damaligen Erzbischof von Canterbury, Mathew Parker, im geheimen den Auftrag, in den Archiven des Palais Lambeth nachzuforschen, ob eine päpstliche Bulle existiere, die die Ehe ihrer Mutter mit Heinrich VIII. bestätige. Parkers Nachforschungen waren natürlich ohne Erfolg, und damit ließ man die Angelegenheit auf sich beruhen.
Unter Catherine Parrs fürsorglichem Schutz lebt die junge Elisabeth dennoch verhältnismäßig frei und ungestört. Die achtunddreißigjährige lebensfrohe Witwe Heinrichs trauert nicht lange um den Verstorbenen. Einer der Seymours, des Protektors jüngerer Bruder, Thomas Seymour, ist bei der Thronbesteigung Eduards VI. zum Peer und Lordadmiral ernannt worden. Doch der Ehrgeiz der Seymour trachtet nach Höherem. Es zu erreichen, ist beiden Brüdern kein Mittel zu schlecht. Thomas neidet dem Bruder das Protektorat über den königlichen Knaben. Auch er will dem Throne nahe, mächtig, reich und einflußreich sein. Thomas Seymour ist schön, noch ziemlich jung, 38 Jahre. Sein Äußeres prädestiniert ihn dazu, eine repräsentative Stellung einzunehmen. Vor allem aber –: er wirkt fast mit magischer Gewalt auf Frauen. Seine hochgewachsene kräftige Gestalt, seine glänzenden Geistesgaben, sein unternehmender, kühner Charakter, seine Gewandtheit bei Turnieren, erleichtern ihm die Erfolge. Immer geht er gerade aufs Ziel los. Nichts scheint ihm zu gewagt, nichts zu hoch für seine Ansprüche. Erleidet er eine Niederlage, sofort findet er neue Mittel und Wege, um das Ziel zu erreichen, das er sich gesteckt hat.
Die Macht seines Bruders gibt ihm keine Ruhe. Maßloser Ehrgeiz lassen in ihm den Plan reifen, sich durch eine Familienverbindung mit dem Hofe Ansehen und Einfluß zu verschaffen. Er ist keine schlechte Partie für eine Frau.
Seine Blicke richten sich auf die jüngste Prinzessin des Hofes, auf die Schwester des Königs, auf Elisabeth. Schon im Februar, wenige Tage nach dem Tode Heinrichs VIII., hält Thomas Seymour um die Hand Elisabeths an. Er wird von den Räten des Königs und von seinem Bruder prompt abgewiesen. Das verblüfft indes den kühnen Brautwerber in keiner Weise. Es muß nicht Elisabeth sein, die ihm zur Macht verhelfen soll. An die dreißigjährige Schwester Maria wird er kaum gedacht haben, denn er kannte deren rein katholische Gesinnung, die ihm in seinen Plänen nur geschadet hätte.
Das Ziel seiner Wünsche ist jetzt die Königin-Witwe selbst. Das Spiel wird ihm leicht, denn Catherine Parr liebte ihn bereits vor ihrer Verbindung mit dem König. Sie sagt nicht nein, als er um sie anhält, und gibt ihm ihre Hand mit solcher Eile, daß sich der an ungewöhnliche Dinge gewöhnte Hof sogar darüber entsetzt. Ihre Stieftochter Maria besonders ist außer sich, daß die Königin so kurz nach dem Tode des Königs ans Heiraten denkt. Der junge Eduard allein hat nichts dagegen und rät seiner Stiefmutter, die Ehe einzugehen. Übrigens braucht Catherine niemand zu fragen, und so heiratet sie den Lordadmiral im Geheimen im Frühjahr, die einen behaupten bereits im März, die anderen im Mai des Todesjahres Heinrichs VIII. Die Feindschaft der Brüder Seymour nimmt damit ihren Anfang.
In Chelsea, dem Schloß der Königin-Witwe, lebt Thomas Seymour durch seine Verheiratung auch mit Prinzessin Elisabeth, die er hatte heiraten wollen, unter einem Dache. Das junge Mädchen ist weder prüde noch schüchtern. Sie ist für ihr Alter auch körperlich sehr entwickelt. Das 16. Jahrhundert kennt wenig Delikatesse. Am Hofe Heinrichs VIII. hat man sich an manches Ungeheuerliche gewöhnt. In Liebesangelegenheiten ist man schon gar nicht heikel oder diskret. Kurz, zwischen der frühreifen Elisabeth und dem Lebemann Thomas Seymour entspinnen sich Beziehungen zweifelhafter Art. Anfangs werden sie von der Königin, die darüber Bescheid weiß, nicht ernst genommen. Sie weiß, ihr Gatte geht jeden Morgen in das Schlafzimmer der jungen Prinzessin, um sie mit einem Morgenkuß zu wecken. Dabei gestattet er sich Freiheiten gegen die im Bett Liegende, die das Maß seiner Rechte als Stiefvater nicht nur überschreiten, sondern mehr als ein eigenartiges Licht auf die am Hofe herrschenden Sitten und die Einstellung der handelnden Personen werfen. Das junge Mädchen Elisabeth ist weder empört noch verschämt. Sie geht zwar nicht direkt auf die lüsternen Scherze und Freiheiten ihres früheren Brautwerbers und jetzigen »Beschützers« ein, aber sie verwahrt sich nicht dagegen, sondern lacht, wenn Seymour zudringlich unter ihre Bettdecke faßt und sie kitzelt, oder, wenn er einen ihrer wunderschönen Füße festhält, daß sie wild vor Lachen um sich schlägt und aus dem Bett springt, um sich von ihm zu befreien. Ihre Unbändigkeit reizt ihn zu immer kühneren Späßen. Die Vierzehnjährige denkt sich vielleicht nicht viel bei alledem. Vorläufig ist das Kind in ihr noch vorherrschend. Aber Seymour ist keineswegs harmlos. Lady Ashley, die die Besuche des Lords bei ihrer Schutzbefohlenen nicht verbieten kann oder vielleicht nicht einmal verhindern will, hält es indes doch für geraten, die Königin von gewissen Dingen zu unterrichten. Und sei es auch nur, damit man ihr später nicht vorwerfen kann, sie habe zu allem geschwiegen. Catherine hört mit gespielter Gleichgültigkeit zu. Sie ist klug genug, sich selbst und ihren Gatten vor der Hofdame nicht bloßzustellen. Sie erwidert: »Ach, Elisabeth ist ja noch ein Kind. Lord Seymour bringt ihr nichts als väterliche Gefühle entgegen. Er lacht und scherzt mit ihr. Das ist alles.«
Am nächsten Tag aber überzeugt Catherine sich selbst, wie »väterlich« er sich gegen die Prinzessin benimmt. Sie begleitet ihn bei seinem Morgenbesuch zu Elisabeth. Mag sein, daß sich Seymour in ihrer Gegenwart etwas mehr zurückhält, immerhin sind die Freiheiten, die er sich dem jungen Mädchen gegenüber gestattet, weitgehend genug, um die Königin stutzig zu machen. Sie sagt indes nichts. Sie nimmt sogar zum Schein an den Scherzen ihres Gatten teil. Sie kneift und zwickt Elisabeth, die sich in ihrem Bett kaum mehr zu helfen weiß. Einmal, im Garten, hält die Königin-Witwe die Prinzessin fest, während Seymour ihr mit einer Schere das ganze Kleid vom Körper schneidet. Solche und ähnliche Scherze liebte man. Sie sind durchaus zur Belustigung der Gesellschaft erlaubt. Catherine hofft damit der ganzen Sache die Spitze und Bedeutung zu nehmen. Vor allem will sie dem Kinde die Unbefangenheit lassen. Aber Elisabeth ist viel zu intelligent, um nicht selbst bald zu merken, was Seymours Morgenbesuche bei ihr bezwecken. Er kommt jetzt übrigens nie mehr allein. Immer ist die Königin mit ihm. Mit der kindlichen Harmlosigkeit Elisabeths ist es bald vorbei. Sie wird zur Beobachterin. Es entgeht ihr nicht, daß Catherine, die Seymour aus Liebe geheiratet hat, eifersüchtig ist. Sie fühlt es nicht nur, sondern sie weiß es. Auch Kate Ashley hat der jungen Prinzessin die Augen geöffnet. Sie hat Elisabeth geradeheraus gesagt, Seymours Liebe gelte ihr und nicht seiner Frau. Nur weil er abgewiesen worden wäre, hätte er die Königin-Witwe geheiratet. Von diesem Augenblick an gewinnt der nahezu vierzigjährige Mann ein anderes Interesse in den Augen der vierzehnjährigen Elisabeth. Sie spricht jetzt öfter mit Kate von ihm. Sie wird verlegen, sie errötet, wenn die Hofdame eine Anspielung auf sie beide macht. Jetzt erst beginnt Elisabeth den wahren Sinn richtig zu verstehen, den das Benehmen des Lordadmirals ihr gegenüber in sich schließt. Sie verliert ihre Unbefangenheit ihm gegenüber nun völlig. Seine Schäkereien üben auf sie einen eigenartigen Reiz aus, dem sie sich nicht entziehen kann. Wenn er sich ihr jetzt nähert, wird sie ernst, schüchtern, sie geht nicht mehr auf alles ein, und doch sieht er in ihren Augen ein Verlangen, das ihn rasend macht. Der Königin entgeht das alles nicht. Elisabeths Erröten ist verräterisch. Catherine zieht ihre Konsequenzen daraus. Ohne Skandal, ohne viel Aufhebens wird die junge Prinzessin von Chelsea nach Cheshunt abgeschoben und so ein für allemal den »väterlichen« Zärtlichkeiten Lord Seymours entzogen.
Nichts indes läßt darauf schließen, daß die Königin ihrer Stieftochter zürnt. Sie läßt sich nichts das Geringste Elisabeth gegenüber merken. Sie ignoriert in ihren Gesprächen die Besuche ihres Gatten. Sie tadelt nicht, sie ermahnt nicht, sondern bleibt während Elisabeths Abwesenheit in herzlichem Briefaustausch mit ihr. Catherines größter Wunsch und Hoffnung sind, daß Elisabeth doch noch einmal Königin von England werde. Dieses Ziel steht ihr bei der Erziehung der Prinzessin immer als Höchstes vor Augen. Sie verspricht ihr, sie vor allem Bösen zu bewahren. Immer wieder weist sie sie darauf hin, daß sie einst vor Aufgaben gestellt werden könne, die man heute noch nicht voraussehe.
Catherine Parr ist es nicht beschieden, diese Zeit, die gar nicht mehr allzu fern ist, mit zu erleben. Auch diese sechste Frau Heinrichs VIII. stirbt noch jung, wenige Monate nach Elisabeths Entfernung, im Wochenbett. Lord Seymour, den sie geliebt hat, dem sie ihr ganzes großes Vermögen hinterläßt, trauert kaum um sie. Der Tod seiner Frau bedeutet für ihn den Weg zur Freiheit, wiederum zu der jungen Elisabeth. Sie hat zum zweitenmal die Mutter verloren. Sie fehlt ihr wohl, aber Lord Seymours Gegenwart wirkt stärker auf die Prinzessin. Von dem Augenblick an, wo die Königin nicht mehr ist, werden die Beziehungen zwischen Elisabeth und dem Lordadmiral immer fester. Nicht ohne Berechnung denkt Seymour jetzt, trotz des hartnäckigen Widerstandes seines Bruders, mit dem er sich verfeindet hat, ganz ernstlich an die Heirat. Seine gefährlichen Verführungskünste bleiben nicht mehr ohne Wirkung auf die nun Fünfzehnjährige. Die Leidenschaft, die Zärtlichkeiten des erfahrenen Mannes entflammen ihr Temperament. Seine Ausdauer, wieder und wieder um sie zu werben, rührt sie und macht sie auch ein wenig stolz. Er ist der erste Mann, der sich ihr genähert hat. Sie liebt ihn bald so, daß sie ganz in seinen Bann gerät. Sie kann nicht mehr von ihm los. Jeden Tag gewährt sie ihm heimliche Zusammenkünfte, im Park, auf der Themse, vielleicht auch in ihrem Zimmer. Lady Ashley und der Schatzmeister Parry sind langst von Thomas Seymour gewonnen. Sie begünstigen eher, als daß sie verhindern. Seymour wird von Tag zu Tag sicherer. Für ihn ist die Zukunft mit Elisabeth keine Frage mehr. Als er aber schließlich von Heirat zu ihr spricht, lehnt sie entschieden ab. Trotz ihrer Jugend ist sie bereits so beherrscht, daß sie sich nicht von ihrem Gefühl hinreißen läßt, eine Dummheit fürs Leben zu begehen. Sie ist eine Tudor! Die Tochter Heinrichs VIII.! Thomas Seymour jedoch stammt aus ehemals kleinem Adel, wenn er auch ihr Onkel ist. Nur die Erhebung Janes zur Gattin Heinrichs haben die Seymour groß gemacht. Die kleine Elisabeth denkt nicht daran, sich die Karriere der Großen für später zu verderben. Liebe, ja, eine Heirat, nie! Eine englische Königstochter kann nach einer höheren Verbindung greifen. Weder der Protektor noch ihr Bruder Eduard, der König, noch seine Räte werden jemals die Einwilligung zu dieser Ehe geben. Das scheint Elisabeth die beste Ausrede. Sie macht also die Einwilligung des Protektors und der königlichen Räte zum Haupthindernis der Wünsche Seymours. Ausweichend antwortet sie dem Geliebten auf sein fortwährendes Drängen, es stehe nicht in ihrer Macht, persönlich eine Entscheidung in dieser Angelegenheit zu treffen.
Thomas Seymour ist nicht der Mann, der sich so leichten Kaufs abspeisen läßt. Daß er aber durch friedliche Mittel sein Ziel niemals erreichen werde, ist ihm sonnenklar. Er sinnt auf Rache gegen seinen Bruder, in dem er seinen Hauptgegner erblickt. Der Zwist zwischen den Brüdern, der schon einmal entflammt und wieder beigelegt ist, bricht von neuem hervor. Zuerst versucht Thomas den jungen König gegen seinen ersten Berater zu beeinflussen, um später selbst allmächtiger Protektor zu werden und dann Elisabeth zu heiraten. Um Eduard ganz für sich zu gewinnen, leiht er ihm sogar Geld, denn der König wird vom Protektor knapp gehalten. Thomas Seymour ist reich, er kann jede königliche Laune befriedigen, und später wird ihm der Monarch Dank dafür wissen. Ist Thomas erst selbst am Ruder, wird ihn keine Macht mehr abhalten, seinen Plan zu verwirklichen. König Eduard aber soll Jane Grey als seine Gattin zum Throne führen, Thomas hat sie schon vor einiger Zeit in dieser Absicht an den Hof in seine Familie gebracht. Als aber auch diese Pläne scheitern, oder nicht im geringsten vorwärts kommen, sinnt Seymour auf anderes. Des Lordadmirals ganzes Verhalten sieht stark nach Aufruhr aus. Der Adel steht auf seiner Seite, denn in diesen Kreisen haßt man den Protektor, der dem Volk geneigt ist. Thomas Seymour hofft also seinen Bruder Somerset mit Hilfe des englischen Adels mit Gewalt zu stürzen. Noch ehe aber Thomas seine Pläne zur Reife bringen kann, wird er verraten. Dies und sein dem Staatsrat ebenfalls bekannter Plan, Elisabeth zu heiraten, bringen ihn zu Fall. Im Januar 1549 wird er verhaftet, in den Tower geworfen und nach drei Monaten, im März, nachdem seine Anklageschrift in den beiden Kammern dreimal verlesen worden ist, dem Henker überliefert. Im Unterhaus gibt es zwar einige, die Widerspruch dagegen erheben. Doch es nützt nichts. Man hält den gefährlichen Mann zu allem fähig, und Somerset fürchtet den eigenen Tod, wenn er den Bruder am Leben läßt.
Auch Elisabeths Vertraute, Thomas Parry und Kate Ashley kommen in den Tower. Es ist offenbar, daß sie beide in die Ehe- und Liebesintrige Seymours eingeweiht sind oder zum mindesten nichts getan haben, um Elisabeth vor den gefährlichen Nachstellungen des Großadmirals zu schützen, sie vor einer Gewalttat zu retten, die für die junge Prinzessin von weittragendsten Folgen hätte sein können. Man weiß auch, es haben Besprechungen zwischen dem Intendanten Parry und Seymour stattgefunden, in denen über Elisabeths finanzielle Lage, über ihre Einkünfte und Ausgaben ziemlich unzweideutig verhandelt wurde. Allen diesen Dingen will man auf den Grund gehen.
Elisabeth selbst wird nicht geschont. Sie muß sich verantworten. Schwere Anklagen lasten auf ihr. Ihre Neigung zu Thomas Seymour ist die erste, vielleicht die stärkste in ihrem Leben. In ihrer Jugend und Unerfahrenheit hat sie seine stürmischen Huldigungen zu rasch angenommen. In ihr pulsiert das heiße Blut ihres Vaters und ihrer Mutter. Sie ist ein Renaissancemensch, der keine Schranken seiner Triebe kennt. In ihrer Umgebung gibt es Männer und Frauen, die ihr Leben in zügelloser Freiheit genießen. Niemand in ihren Kreisen findet sonst etwas Verbotenes und Schlechtes darunter, wenn sich junge Prinzessinnen mit jungen Lords nachts im Park Stelldichein geben. Die Leute, denen Elisabeths Obhut anvertraut ist, Lady Ashley, Parry, lassen sie ruhig gewähren. Sie lassen Dinge vor ihren Augen geschehen, die sie nie gestatten durften. Sie waren es, die Elisabeth eigentlich zuerst von der Liebe, ja von einer eventuellen Ehe mit Seymour sprachen. Sie nährten das Interesse des jungen Mädchens, indem sie ihm sagten, Seymour liebe sie mehr als alles.
Es kommt noch schlimmer. Es werden Gerüchte laut, die Elisabeth ungeheuer bloßstellen. Man munkelt, sie werde bald einem Kinde das Leben geben. Welche Lage für ein Mädchen von fünfzehn Jahren! Sie ist Menschen ausgeliefert, von denen den einen nichts an ihrem Ruf liegt, während die anderen sie für schuldig und absolut verdorben halten. Man tut indes nichts weiter als die Prinzessin in Hatfield streng zu bewachen. Sie wird einem höchst peinlichen, sehr gefährlichen Verhör unterzogen. Sir Robert Tyrwhitt, dem man die Überwachung Elisabeths anvertraut hat, versucht mit höchstem Raffinement aus ihr das Geständnis ihrer Liebe, ihrer Beziehungen und vor allem ihres Einverständnisses zur Ehe mit Lord Thomas Seymour und damit auch mit allen seinen Verschwörungsplänen gegen das Leben des Protektors herauszulocken. Gleichzeitig werden Kate Ashley und Parry im Tower gereinigt, um zu gestehen, und Seymour bleiben nur noch wenige Stunden zu leben.
Anfangs scheint es, als ob das junge Mädchen unter der Wucht der Ereignisse zusammenbrechen will. Elisabeth weiß, was dem Geliebten bevorsteht. Sie weiß, daß er die Kerker des Tower nie wieder lebendig verlassen wird. Auch die Angst um Kate und Parry verzehrt sie. Sie weint verzweifelt Tag und Nacht. Tyrwhitt und alle frohlocken über diese Tränen. Es wird leicht sein, von einem so verzweifelten jungen Ding alles zu erfahren. Hat Elisabeth doch bereits den Fehler begangen, in ihrer Herzensangst den Inquisitor zu fragen, ob Kate oder Parry vielleicht etwas ausgesagt hätten. Doch diese Schwäche dauert nur kurze Zeit. Elisabeths Wille, ihr Trotz und ihr Tudorstolz bäumen sich. Sie darf, sie will nicht unterliegen! Und es ist erstaunlich, ja bewunderungswürdig, mit welcher Geistesgegenwart und Festigkeit sich die Fünfzehnjährige aus der Schlinge zieht. Sie geht in keine der Fallen, die Tyrwhitt, der Protektor und die Räte des Königs ihr legen. Auch eine Freundin hat man ihr geschickt. Die schöne Lady Browne, die Elisabeth sehr liebt und besser als alle versteht, erreicht nichts, so sehr sie sich auch bemüht, das Herz der Prinzessin zu erforschen. Elisabeth bleibt verschlossen. Ob man es auf sentimentale, auf brutale oder hinterlistige Weise versucht, immer verhält sie sich in der ganzen Angelegenheit kühl und fest. Sie sagt nur, was sie für gut hält. Oft sind es halbe Wahrheiten, niemals aber läßt sie sich besiegen alles zu gestehen. In seinem Bericht an den Protektor schreibt Tyrwhitt schließlich verzweifelt: »Nicht um die Welt wird sie zugeben, daß sie durch Vermittlung von Mrs. Ashley oder des Intendanten irgendwelche Liebesintrige mit dem Lordadmiral gehabt hat. Und doch sehe ich es ihrem Gesicht an, daß sie schuldig ist.« Darauf versucht es Somerset selbst mit einem Brief an die Verstockte.
Elisabeths Selbstverteidigung in ihrem Antwortschreiben an den Protektor ist ein Meisterstück an kluger Berechnung, Raffinement und Schlauheit, aber zugleich auch unverblümter Offenheit, die mehr als in Erstaunen setzt, wenn man bedenkt, daß es ein fünfzehnjähriges Mädchen ist, das hier seine Ehre, seine Stellung und seine Zukunft verteidigt. Doch die Angelegenheiten kommen in keiner Weise vorwärts. Es ist gut, ein paar Stellen aus diesem Brief einer werdenden Königin, eines sich plötzlich im Handumdrehen zur Frau entwickelten Kindes zu zitieren. Elisabeth schreibt am 28. Januar 1549 aus Hatfield:
»Da Eure Herrlichkeit mich bitten und als auf richtiger Freund mir empfehlen, alles zu erklären, was ich über diese Angelegenheit weiß, und alles schriftlich niederzulegen, was ich bereits Sir Tyrwhitt gesagt habe, so bin ich dazu gern bereit. Zuerst möchte ich daher erwähnen, daß der Intendant (Parry) mir, nachdem er mir die Antwort des Groß-Admirals hinsichtlich Allen- und Durhamhouse übermittelt hatte, außerdem sagte, Lord Seymour biete mir sein eigenes Haus während der Zeit an, die ich in der Nähe des Königs verbringen würde. Ferner fragte mich Parry, ob ich, wenn der Rat seine Zustimmung zur Heirat mit Seymour gäbe, damit einverstanden sei oder nicht. Ich antwortete, daß ich darüber nicht zu bestimmen habe und fragte ihn, warum er diese Frage an mich stelle. Ob er dazu beauftragt sei? Er erwiderte, niemand habe ihn damit beauftragt, nur glaube er, es aus den Fragen des Großadmirals herausgehört zu haben. Thomas Seymour habe sich erkundigt, ob meine Patentbriefe versiegelt seien oder nicht. Er habe sich ihm gegenüber auch über seine eigene Vermögenslage ausgesprochen und sich nach der meinigen erkundigt. Aus dem allen habe Parry vermutet, daß Seymour sich besonders mit diesem Gedanken beschäftige.
Was Kate Ashley betrifft, so hat sie mich niemals in dieser Sache beraten. Nur sagte sie immer, wenn das Gespräch auf meine Verheiratung kam, sie möchte mich niemals, ob in England oder im Ausland, ohne die Zustimmung S. M. des Königs, ohne Eurer Gnaden und des Hohen Rates Einverständnis verheiratet sehen. Nach dem Tode der Königin (Seymours Gattin), sagte sie mir nur scherzend, als ich sie fragte, was in London vorgehe: ›Man sagt, Eure Gnaden heiraten Milord, den Admiral, und er wird bald selbst kommen und Ihnen seine Huldigung darbringen.‹ Ich habe auch Sir Tyrwhitt erzählt, daß der Intendant Parry mir hierher schrieb, der Großadmiral wolle auf seiner Reise aufs Land bei mir vorsprechen. Darauf befahl ich Kate Ashley, an Lord Thomas Seymour zu schreiben, wie sie es für gut halte und mir den fertigen Brief zu zeigen. Sie schrieb demnach, sie billige seine Absicht nicht, weil sie den Verdacht fürchte. Und der Brief wurde so abgeschickt. Als der Lordadmiral ihn gelesen, fragte er den Intendanten Parry, warum er mich denn nicht besuchen dürfe, wie er es bei meiner Schwester auch täte? Darauf ließ ich Kate schreiben (aus Angst, Mylord könne annehmen, sie wisse darüber mehr als er), daß sie ihm darüber keine Auskunft geben könne, daß sie jedoch Bedenken habe. Ich erklärte daher auch Sir Tyrwhitt, daß ich niemals zu ›so etwas‹ (Elisabeth vermeidet absichtlich das Wort ›Heirat‹ und ›Um die Handanhalten‹) meine Zustimmung gegeben habe, sofern man nicht die Einwilligung des Rates hatte. Kate Ashley und der Intendant haben mir auch niemals gesagt, daß sie dazu beitragen wollen.
Das ist alles, was ich Tyrwhitt auseinandergesetzt habe und was ich mit meinem guten Gewissen verantworten kann, das ich um nichts in der Welt mit irgendetwas belasten möchte. Denn ich weiß, daß auch ich, wie jeder andere, mein Seelenheil zu retten habe. Und daran liegt mir am allermeisten. Sollte mir noch etwas einfallen, so werde ich selbst schreiben oder durch Sir Tyrwhitt schreiben lassen.«
Und schließlich kommt das fünfzehnjährige Mädchen ganz natürlich und offen auf das Heikelste zu sprechen. »Tyrwhitt und andere sagten mir, es gingen Gerüchte um, die meine Ehre und Tugend stark gefährdeten. Aber gerade an diesen Dingen liegt mir mehr als an allem. Man behauptet nämlich, ich befände mich im Tower vom Großadmiral schwanger. Mylord, das sind gemeine Verleumdungen und ein Grund mehr für mich, – abgesehen davon, daß ich sehnlichst wünsche, den König zu sehen – Eure Herrlichkeit in heißem Flehen zu bitten, daß man mir gestatte, sobald Sie darüber entschieden haben, wieder am Hofe zu erscheinen, damit ich mich allen so zeigen kann, wie ich bin.
Ihre beständige Freundin, nach meinen schwachen Kräften
In Eile. – Hatfield, 28. Januar (1549).
Elisabeth.«
Es ist ein halbes Geständnis und doch keines, bei dem man sie und ihre Mitwisser fassen kann. Das Zugeständnis zur Ehe mit Seymour wird weder von Elisabeth noch von Parry und Kate Ashley zugegeben, wenn auch der Intendant und die Gouvernante schließlich unter der Wucht des Verhörs manches gestehen und verraten was sie wissen. Sie geben zu, daß die Prinzessin mit Seymour eine Liebelei gehabt hat. Aber das Wesentliche, was man wissen will und was man als Hochverrat bezeichnet, nämlich die umstürzlerischen Absichten Seymours bei diesem Heiratsplan, erfährt niemand, Endlich muß sich der Inquisitor Tyrwhitt als geschlagen erklären. An den Protektor schreibt er, seine Bemühungen aufgebend: »Es ist unmöglich, von ihr das Geständnis zu erzwingen, daß Mrs. Ashley oder Parry ihr geholfen haben, mit dem Großadmiral, sei es brieflich oder durch mündliche Aufträge, Beziehungen zu unterhalten. Sie pfeifen alle das gleiche Lied. Und ich glaube, das könnte nicht sein, wenn sie sich nicht vorher ganz genau miteinander verständigt hätten. Denn sonst müßten sie einmal etwas zugeben oder gestehen oder wenigstens nicht so wundervoll miteinander übereinstimmen.«
Die wochenlang andauernden Verhandlungen und Untersuchungen zerschellen an dem Willen eines fünfzehnjährigen Mädchens, das genau weiß, was folgt, wenn es auch nur einen Augenblick seine Geistesgegenwart verliert. Daß indes mehr vorgefallen ist, als alle drei zugeben, bleibt ohne Zweifel. Kate Ashley besonders muß noch im Besitz mancher wichtigen Geheimnisse gewesen sein, denn Elisabeth fährt auch nach den Geständnissen ihrer Gesellschafterin, die sie doch immerhin bloßstellen, fort, sie zu lieben und zu begünstigen. Und später, nach ihrer Thronbesteigung, überhäuft Elisabeth sie mit Ehren und Auszeichnungen und befördert ihren Gatten zu einem hohen Posten. Jetzt, da ihren beiden treuen Dienern des Henkers Beil in gefährlicher Nähe droht, tut sie alles, um sie vor einem furchtbaren Schicksal zu bewahren. Sie fleht den Protektor um Gnade für die beiden an, die »ihr ganzes Leben nur dem Guten ihrer Erziehung gewidmet haben«. Niemals haben sie sich auch nur das Geringste zu schulden kommen lassen, was ihre ehrenhafte Stellung erschüttern könne, niemals seien sie ihren Erziehungsgrundsätzen untreu gewesen. Und so erreicht Elisabeth wenigstens, daß sie leben. Aber aus ihrer Umgebung werden sie entfernt.
Vermochte Elisabeth auch etwas für Lord Seymour zu tun? Hätte sie auch sein Leben retten können? Hier liegen die Dinge weit schwieriger. Die Gefahr für sie selbst ist ungeheuer. Die geringste Verteidigung, das kleinste Wort zu Seymours Gunsten, das mindeste Maß unvorsichtiger Fürsprache wäre als ein Geständnis Elisabeths, als Einvernehmen mit Seymours Heiratsplänen und seinen Absichten zur gewaltsamen Beseitigung des Protektors, also des Hochverrats, angesehen worden. Elisabeth muß äußerlich kalt, scheinbar gefühllos bleiben, während ihr erstes Liebeserlebnis ein so ungeheuerliches Ende nimmt. Soll man glauben, daß sie wirklich darüber in ihrem Innern kalt blieb? Keinen Augenblick ist sie im Zweifel, was Lord Seymour bevorsteht, der sich erkühnte, nach den Sternen zu greifen und sie gleichzeitig einzuweihen in die Mysterien des stärksten aller Gefühle und aller Triebe. Wenn er auch dabei selbst nicht von den edelsten Absichten beseelt war, so kann man doch von einer Fünfzehnjährigen annehmen, daß dieses erste Erlebnis ein tieferes gewesen und nicht ohne innere Erschütterungen an ihr vorübergegangen ist. Aber keinen Menschen läßt dieses junge Mädchen in sein Herz sehen. Sie weint bitterlich, und herzzerreißend ist ihr Schmerz, als man ihr Kate Ashley entreißt. Sie tobt in maßlosem Zorn und unbändiger Auflehnung, als man ihr die neue Gouvernante und Ehrendame Lady Tyrwhitt, die Gattin des »Inquisitors« aufzwingt. Um Seymour indes läßt sie keine Tränen sehen, obwohl sie ihn ihren Intimen gegenüber verteidigt und nie etwas duldet, was gegen ihn spricht. Als die Vertrauten des Protektors ihr endlich mit heimlicher Schadenfreude mitteilen, daß Thomas Seymour, ohne Verteidigung und zur Ehrlosigkeit verurteilt, hingerichtet worden sei, da sagt Elisabeth nur mit undurchdringlicher Kälte: »Es ist ein Mann dahingegangen, der sehr viel Geist aber wenig Vernunft besaß.« Man hat wieder vergebens gehofft, sich an der Verzweiflung der jungen Prinzessin weiden zu können. Ihre Lippen zittern nicht, ihre Stimme ist ruhig, ihre Augen füllen sich nicht mit Tränen. Man merkt ihr keinerlei innere Erschütterung an. Undurchdringlich verschließt dieses Kind sein Herz der Außenwelt.
Seymour hat ihr und auch Maria noch kurz vor seinem Tode mit der metallenen Spitze seines Hosensenkels Briefe geschrieben und ihnen den Rat gegeben, sie möchten sich gegen den König, ihren Bruder, verschwören, der ihn so schnöde im Stich gelassen habe. Diese Briefe wurden entdeckt. Elisabeth tat, als ginge sie das nichts an. Sie blieb kalt und unnahbar. Nichts brachte sie aus der Fassung.
Ihre Zeitgenossen behaupten, dieses entsetzliche Erlebnis ihrer ersten Liebe habe in ihr den Grundsatz befestigt, nie zu heiraten. Gesagt hat Elisabeth das nie mit diesen Worten, wie überhaupt in ihrem späteren Leben dieses Ereignisses nur einmal gedacht wird. Als Elisabeth schon einige Zeit Königin war, überreichte ihr Sir John Harrington, einst des Lordadmirals bester Freund, derselbe, der Elisabeth den letzten Brief aus dem Kerker Seymours überbringen sollte, ein Porträt Seymours mit einem Sonett auf die männliche Schönheit und die hohen Geistesgaben des Verstorbenen. Elisabeth nahm das Geschenk wohl an, aber es kam kein Wort über ihre Lippen, das die Vergangenheit berührte. Der Fall Seymour mußte für Englands Königin aus dem Gedächtnis ausgelöscht sein.