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Sechstes Kapitel. Der Tod des jungen Königs

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Inhaltsverzeichnis

Wieder werfen furchtbare Ereignisse ihre Schatten auf Elisabeths Leben voraus. Zunächst muß Somerset, der Protektor Eduards und Mörder ihres ersten Verehrers nun doch einem Stärkeren weichen. Der Haß der Großen des Reichs gegen ihn wird immer heftiger, seine Lage äußerst gefährlich durch die ungeheure Geldnot, die der Krieg mit Frankreich und Schottland herbeigeführt hat. Der Aufstand der katholischen Landbevölkerung erschüttert seine Stellung, obwohl es ihm gelingt, ihn zu unterdrücken. Er kann seine Erfolge nicht ausnützen. Sein Sturz ist unvermeidlich. John Dudley, Graf von Warwick, späterer Herzog von Northumberland, bringt ihn zu Fall. Wie Somerset einst in Gemeinschaft mit dem Oberkammerherrn Warwick den Lordadmiral Seymour kaltblütig aus dem Wege geräumt hat, weil er ihnen unbequem war, so wird der Protektor jetzt von seinem Rivalen, demselben Warwick, der längst nach der höchsten Stelle im Staate trachtet, vernichtet. Somersets Rolle ist ausgespielt. Sein Einfluß auf den jungen König hat keine Wirkung mehr. John Dudley hat sich in die Gunst Eduards eingeschlichen. Ende 1549 wird Somerset verhaftet, seines Amtes enthoben und in den Tower gebracht. Später zwar öffnen sich noch einmal die Pforten des Staatsrats für ihn. Doch er hat keine entscheidende Stimme mehr. Warwick ist der Gebieter. Da Somerset versucht, sich wieder an die Spitze zu setzen und den anderen zu stürzen, wird er 1551 aufs neue verhaftet. Schließlich ereilt den einstigen Protektor, der lange Zeit der mächtigste Mann in England war, sein Geschick, am 22. Januar 1552. Sein Haupt, fällt drei Jahre nach dem Tode seines Bruders Seymour. Der königliche Jüngling hat – nach dem Willen seiner Berater – seinen ergebensten Staatsdiener genau so kaltblütig geopfert, wie ehemals den Mann, der dem Herzen seiner Schwester Elisabeth nahestand, und von dem er manchen Dienst, manche Gefälligkeit entgegengenommen hatte.

Für Elisabeth ist Somersets Schicksal vielleicht eher eine Genugtuung, denn sie sieht darin ein Gottesgericht, das den Bösen ereilt, der sie einst beinahe selbst dem Henker ausgeliefert hätte. Jedenfalls scheint sie sein Sturz und sein späterer Tod wenig berührt zu haben. Man behauptet sogar, Somerset habe, als er seine Sache für verloren betrachten mußte, sich in seiner Verzweiflung an sie gewandt, damit sie sich beim König und seinen Räten für ihn einsetze. Sie aber habe sich hinter ihre gewöhnliche Taktik verschanzt und geantwortet, sie sei noch zu jung und ohne jeglichen Einfluß auf die Regierungsgeschäfte ihres Bruders. Dokumentarisch verbürgt ist ihr Verhalten in dieser Angelegenheit nicht. Aber nach allem, was wir bis jetzt von Elisabeths geschicktem Ausweichen in sie kompromittierenden oder für sie unbequemen Dingen kennen, ist es wohl möglich, daß sie Somerset eine solche Antwort gegeben hat. An der Handlungsweise ihres königlichen Bruders irgendetwas auszusetzen oder Unkorrektes zu finden, stand ihr nicht zu und wäre ihr auch gar nicht eingefallen. Er war der König. Was er tat, dafür waren nur er, seine Räte und seine Politik verantwortlich. Sie kümmerte sich nicht darum. Schwerlich hätte sie auch etwas für Somerset bei dem jungen Herrscher erreicht. Er stand selbst in der Gewalt anderer und hatte keinen eigenen Willen.

Nach dem Sturz des Protektors führen dem Namen nach sechs Regentschaftsmitglieder das Staatsruder. Eigentlich ist aber Warwick der alleinige Herrscher. Unter ihm ist die Regierung Eduards VI. eine Gewaltherrschaft des Landadels, doch der Protestantismus gewinnt mehr und mehr an Kraft. Warwick wendet sich nicht nur gegen den Katholizismus, sondern geht mit aller Strenge gegen die vielen Dissidentensekten vor. Es brennen von neuem die Scheiterhaufen für die Ketzer, die Cranmer, Erzbischof von Canterbury in den Tod schickt.

Obwohl Warwick vor allem daraufhin arbeitet, die völlige Durchführung der Reformation in England zu sichern und dadurch auch Elisabeths Interessen zu fördern scheint, erwächst ihr gerade durch ihn die größte Gefahr, ohne daß sie sie freilich vorläufig auch nur ahnen kann.

Ihre Schwester Maria aber kommt durch die strengen gesetzlichen Verbote der Regierung gegen die katholische Religion gleich zu Anfang der neuen Regentschaft in arge Bedrängnis. Der Regentschaftsrat versucht um jeden Preis das Papsttum zu stürzen. Der hohen katholischen Geistlichkeit fordert man den Eid ab, sich der neuen vorgeschriebenen Liturgie zu fügen. Es darf weder eine Messe gelesen noch angehört werden. Die katholische Kurie weigert sich, teils aus Gewissensgründen, teils aus Widerstand überhaupt. Bonner, Bischof von London, und Gardiner, Bischof von Winchester, zwei heftige Gegner des Protestantismus, werden ihrer Ämter enthoben und durch Reformierte ersetzt.

Auch Maria Tudor weigert sich. Sie kümmert sich nicht um die Vorschriften der Regierung. Sie will um alles in der Welt nicht den wichtigsten Teil ihres Religionsbekenntnisses aufgeben. Nach wie vor läßt sie in ihren Gemächern von ihrem Hofgeistlichen die Messe lesen. Zu ihrem persönlichen Schutz erbittet sie sogar die mächtige Protektion Kaiser Karls V., ihres Vetters, was ihn beinahe in einen Krieg mit England verwickelt hätte. Eine lange Untersuchung des widersetzlichen Verhaltens der katholischen Prinzessin hält das ganze Land in Aufregung. Sie führt schließlich zu einer milden Beurteilung der Schwester des Königs. Die Regierung will sich keine weitgehenden Ungelegenheiten dadurch bereiten, daß sie Maria bestraft. Karl V., der Bekämpfer der Protestanten in Deutschland, ist ein zu mächtiger Gegner. Man kann ihn nicht herausfordern. Die Gefahr der Feindseligkeiten des katholischen Spaniens ist indes damit nicht beseitigt. Man beschließt, König Eduard zu einem Bündnis mit Dänemark zu bewegen, was dem Protestantismus nur förderlich sein und England gegen den Katholizismus stärken kann. Christian III. ist ein sehr aufgeklärter Herrscher. Er hat sich durch die in seinem Reiche eingeführte Reformation die Achtung aller Protestanten erworben. Um ein solches Bündnis noch enger und fester zu gestalten, veranlaßt man Eduard außerdem, seine Schwester Elisabeth dem Kopenhagener Hofe zur Ehe mit dem dänischen Kronprinzen anzutragen.

Elisabeth denkt nicht daran, sich mit einem ausländischen Prinzen zu vermählen. Obwohl sie sich sonst so untertänig gegen ihren königlichen Bruder benimmt, geht sie in dieser Angelegenheit nicht im geringsten weder auf seine Wünsche noch auf seine Politik ein. Sie lehnt diese Heirat glattweg ab, und dadurch zerschlagen sich die Unterhandlungen. Auch diesmal liegt ihrer Weigerung ein nach Höherem strebender Ehrgeiz zugrunde. Sie weiß genau: wenn sie einmal durch eine Ehe England verlassen hat, kann sie schwerlich auf die Erbfolge des englischen Thrones Anspruch machen. Die englische Krone gegen eine andere, geringere, einzutauschen, durch eine Verbindung mit einem Mann, der ihr fremd ist, entspricht weder ihren Zukunftsträumen noch ihrem Charakter.

Inzwischen ist auch Eduard so weit, daß man für ihn ans Heiraten denken kann. Für ihn suchen seine Räte allerdings eine mächtigere Verbindung als für Elisabeth. Eduard bietet seine eigene Hand der Schwester des Königs von Frankreich an. Er ist ein zarter junger Mann, fast noch ein Kind, das bereits die Keime der Schwindsucht in sich trägt. Da er aber dem englischen Thron einen Erben hinterlassen soll, werden die Vorbereitungen zu dieser Heirat nichtsdestoweniger seit langem getroffen. Als der König sein 15. Jahr erreicht und Warwick Heinrich II. soeben (1550) Boulogne zurückgegeben hat – auch eine offene Oppositionshandlung gegen Somersets Politik – trifft eine glänzende französische Gesandtschaft in London ein, die unter anderem auch die Mitgift der französischen Prinzessin festsetzen soll. Man gibt den vornehmen Pariser Gästen am Hofe des zukünftigen Bräutigams die erlesensten Feste und Empfänge. Es ist offenbar, Eduards Räte haben es darauf abgesehen, den allerbesten Eindruck auf die Franzosen zu machen. Da verbreitet sich plötzlich eine entsetzliche Epidemie, eine todbringende Seuche, deren Charakter man nicht deutlich erkennt. Sie fordert vor allem unter der männlichen Jugend ihre Opfer. Binnen vierundzwanzig Stunden erliegen die Erkrankten dem furchtbaren Fieber. Da die geheimnisvolle Krankheit auch in der Umgebung des Königs ihre Opfer fordert, werden alle Festlichkeiten plötzlich abgebrochen. Die fremden Gäste reisen Hals über Kopf ab, und der junge Herrscher flieht vor der mörderischen Seuche aus London nach seinem Schloß Hampton Court. Er bleibt glücklicherweise verschont. Später ist von der Heirat mit der französischen Prinzessin nicht mehr die Rede.

Ein Jahr darauf, 1551, macht Warwick sich selbst zum Herzog von Northumberland. Heinrich VIII. hatte den Titel durch die Ächtung Thomas Percys vor fünfzehn Jahre gelöscht. Warwick läßt ihn wieder auferstehen. Der junge Eduard ist mehr als je in seinem Bann verstrickt. Seit einiger Zeit sind die verheerenden Spuren der Tuberkulose deutlich an ihm zu sehen. Er kann sich nicht mehr an Turnieren und Jagd, nur selten noch an Hoffesten, beteiligen. Sein abgemagerter Körper bedarf der größten Schonung. Unverkennbar geht der junge Herrscher mit Riesenschritten seinem Ende zu.

John Dudley, Herzog von Northumberland, sieht diesem Ereignis mit Schrecken entgegen. Unter Maria, der Katholischen, die Eduards Nachfolgerin wird, hat er nichts zu hoffen, im Gegenteil, alles zu fürchten. Er hat alles getan, sie sich zu seiner erbittertsten Feindin zu machen. Seine Härte gegen die Ausübung ihres Glaubens, so manche habsüchtige Handlung während seiner despotischen Regierung zum Nachteil der Familienmitglieder des Hofes würden gerächt werden, käme Maria zur Regierung. Der neugebackene Herzog von Northumberland hat also kein Interesse, ihre Thronbesteigung zu wünschen. Es gibt für ihn nur einen Ausweg: Marias Erbfolge anzufechten, mit anderen Worten, sie davon auszuschließen. Die englischen Staatsmänner haben ja von Heinrich VIII. selbst gelernt, wie man das macht. Zunächst beredet Northumberland seinen jungen Gebieter Eduard, um des Evangeliums willen, wie er vorgibt, alles zu tun, daß die Katholikin nicht seinen Thron erbe. Er soll Maria für illegitim erklären. Er sei es seinem Lande schuldig, das er so glorreich der Reformation zugeführt habe. Es dürfe keinesfalls wieder dem Katholizismus verfallen. Marias Illegitimität sei leicht zu beweisen, da die Bill, die Heinrich VIII. diesbezüglich erlassen, nicht zurückgezogen worden sei, wenn er auch in seinem Testament die Tochter für thronberechtigt anerkannt habe. Marias uneheliche Geburt konnte aber nur berechtigt erscheinen und bestätigt werden, wenn gleichzeitig auch Elisabeths Legitimität und Thronansprüche für nichtig erklärt werden. Für Northumberland war das kein Hindernis. Im Gegenteil! Er verfolgte schon lange den Plan, seine eigene Schwiegertochter, die wunderhübsche, außerordentlich gebildete und kluge Jane Grey zur Königin von England zu machen. Aber nicht, wie es Seymour einmal geplant hatte, als des Königs Gemahlin, sondern als seine Nachfolgerin. Northumberlands Sohn Guilford soll mit ihr die Krone tragen. Jane ist die Enkelin einer jüngeren Schwester Heinrichs VIII. Er selbst bestimmte in seinem Testament, daß im Fall seine beiden Töchter Maria und Elisabeth stürben, Franziska von Dorset und Eleonore von Cumberland, die Töchter seiner Schwester Maria, der Königin von Frankreich, den englischen Thron erbten. Franziska gebar dem Marquis de Dorset zwei Töchter. Die älteste davon, Jane Grey, rangiert also unmittelbar nach Maria und Elisabeth in der Thronfolge. Ihrem Vater, Henry Grey, Marquis de Dorset, macht Northumberland noch schnell zum Herzog von Suffolk, denn er braucht ihn bald für seine Zwecke.

Der kranke junge König, der sein 16. Lebensjahr nahezu erreicht hat, ist kaum noch fähig, die Tragweite zu ermessen, die die Unterzeichnung der von seinem Minister verlangten Enterbungsurkunde seiner Schwestern, dazu die seiner Lieblingsschwester Elisabeth, umfaßt. Er kann sich auch mit ihnen nicht aussprechen. Sie dürfen sich dem Schwerkranken nicht mehr nähern. Elisabeth besonders leidet schwer darunter. Der König zögert lange. Erst in letzter Stunde gelingt es Northumberland, daß Eduard sein Testament mit der Enterbungsklausel unterzeichnet und der siebzehnjährigen Jane das englische Reich überläßt. Durch Stimmulanzmittel hat der Usurpator die Todesstunde des armen Kranken um einige Tage hinauszuschieben verstanden, bis er alles zur Ausführung und zum Gelingen seines Planes geordnet hat. Weder Maria noch Elisabeth werden von der langen Agonie ihres Bruders in Kenntnis gesetzt. Erst als er am 6. Juli 1553 in Greenwich sein Leben ausgehaucht hat, erhalten sie die Aufforderung, nach London zu kommen. Der junge König ist einsam gestorben. Elisabeth durfte ihm nicht, wie sie es gewünscht hätte, ein letztes Lebewohl sagen und ihm die Augen zudrücken. Zum zweitenmal ist sie vom Throne ihres Vaters verstoßen.

Northumberland liegt vor allem daran, die katholische Maria in seine Gewalt zu bekommen und auch Elisabeth möglichst vom Hofe fernzuhalten. Zum mindesten beabsichtigt er, die Prinzessinnen so lange in der Hauptstadt festzuhalten, dabei, wenn es sein müßte, Gewaltmittel zu gebrauchen, bis er Jane Grey zur Königin proklamiert hat.

Sowohl Maria als auch Elisabeth werden jedoch rechtzeitig gewarnt, in welcher Gefahr sie schweben. Maria befindet sich bereits auf dem Wege nach Greenwich. Da erhält sie von Sir Nicolas Throckmorton die dringende Aufforderung umzukehren. Throckmorton ist zwar überzeugter Protestant, dennoch Maria sehr ergeben. Sie flieht nach ihrem Schloß Kenninghall in Norfolk. Dort versammelt sie alles um sich, was zu ihrer Partei gehört. Sie hat sofort erkannt, daß ihr Thron gefährdet ist. Rasches Handeln allein kann sie retten. Elisabeth hat ohne Zweifel ebenfalls von Freundeshand einen Wink bekommen. Wahrscheinlich von Cecil, der ihr bereits damals mit seinem Rat als Freund zur Seite stand. Er war zu jener Zeit Staatssekretär, ein kluger, sehr vorsichtiger Mann von 33 Jahren. Ein überzeugter Protestant. Er gehörte zu dem engeren Kreise Elisabeths. Jedenfalls hatte sie, klug, vorsichtig und abwartend, wie immer, Hatfield noch gar nicht verlassen.

Northumberland hat guten Grund, den Tod des Königs noch einige Tage vor der Öffentlichkeit geheim zu halten. Erst am 10. Juli gibt er ihn gleichzeitig mit der Thronbesteigung Jane Greys dem englischen Volk bekannt. Elisabeth ist inzwischen genauer von allen Intrigen ihres Feindes unterrichtet worden. Es fällt ihr nicht ein, das Anrecht auf die englische Krone so leichten Kaufs sich entgehen zu lassen. Warwicks Anerbieten, sie mit Ländereien und Geld für die entgangene Erbfolge zu entschädigen, schlägt sie in völlig kühler und sachlicher Betrachtung aus. Ihre Antwort ist nicht nur geschickt, sondern eines erfahrenen Diplomaten würdig.

»Ich habe«, sagt sie, »so lange Maria lebt, nichts zu fordern, nichts zu beanspruchen. Erst muß meine Schwester ihren Teil bekommen.«

Und dann verschafft sie sich eilig tausend berittene Mann, an deren Spitze sie der Schwester auf der Straße nach London entgegenzieht.

Die siebzehnjährige Jane Grey ist an dem ganzen Staatsstreich vollkommen unschuldig. Sie hat bisher teils wegen ihrer großen Jugend, teils aus innerem Empfinden, jeder Politik ferngestanden. Sie beschäftigte sich ernstlich mit wissenschaftlichen Studien und lebte still und friedlich mit ihrem Gatten Guilford Dudley, am Hofe. Sie war eine große Bewunderin und Anhängerin der jüngeren Schwester des verstorbenen Königs, fast eine Freundin. Sicher hätte sie nie aus eigenem Ermessen daran gedacht, ihre verehrte Mylady Elisabeth oder zunächst Maria vom Throne zu verdrängen. Nur widerstrebend hat sie sich von ihrem Vater, dem Herzog von Suffolk, und von ihrem Schwiegervater überreden lassen, die englische Krone aus Northumberlands Händen zu empfangen. Um keinen Preis aber geht sie darauf ein, auch Lord Guilford, seinen Sohn, zum König krönen zu lassen. Darin hat sich der Usurpator arg verrechnet, denn Jane entfacht einen heftigen Streit in der eigenen Familie. Das englische Volk nimmt kaum Anteil an der Usurpierung der Krone zu Gunsten der Schwiegertochter Northumberlands. Es verhält sich schweigend.

Inzwischen aber hat Maria, die rechtmäßige Thronfolgerin Eduards, alles zu ihrer Erhebung vorbereitet. Binnen wenigen Tagen hat sie in Norfolk und Suffolk starke Streitkräfte zusammengezogen. Schon zu Lebzeiten ihres Bruders streckte sie ihre Fühler aus. Sie sicherte sich, wie gesagt, im voraus den Rat und die Stütze Karls V. Allerdings versagt er dann beinahe in der wirklichen Gefahr. Maria weiß sich dennoch durchzusetzen. Sogar der perfide Northumberland unterwirft sich ihr, als er sieht, daß das Glück auf ihrer Seite ist.

Der katholische Adel der östlichen Grafschaften, die Flotte und der Geheime Staatsrat schließen sich Maria zuerst an. In London trägt man ganz offen in beiden Lagern einen tödlichen Haß gegen den Intriganten, den Mörder Somersets zur Schau. Sein gewaltsamer Staatsstreich erregt nur Abscheu und Verachtung. Man bezeichnet Northumberland sogar als den Mörder des jungen Königs. Er soll ihm Gift gegeben haben. Es sind zwar haltlose Gerüchte, aber sie verstärken die Schar seiner Feinde. Alle fallen schließlich von ihm ab. Seine Freunde, seine Söldner, alle. Er wird schwach und entmutigt und ist schließlich einer der ersten, die auf dem Markt von Cambridge Maria mit dem Rufe huldigen: »God save the Queen Mary.« Es nützt ihm nichts mehr. Seine eigenen Leute bemächtigen sich seiner, um sich selbst in Sicherheit zu bringen. Er ist verraten. Graf Arundel nimmt auf Befehl Marias John Dudley, Graf von Warwick, Herzog von Northumberland gefangen und bringt ihn in die Kerker des Tower. Kaum vier Wochen später büßt der Usurpator seinen Ehrgeiz auf dem Schafott. Sein Sohn, der spätere, sehr einflußreiche Günstling Elisabeths, der schöne Robert Dudley, Graf Leicester, wird im Tower mit unmenschlicher Härte von Maria vier Jahre lang festgehalten.

Im Triumph zieht Maria Tudor in London ein. Northumberlands gemeines Verhalten kommt ihr bei der Bevölkerung zugute. Sogar die religiösen Feindschaften scheinen vorläufig zu ruhen. Einstimmig jubeln Katholiken und Protestanten der rechtmäßigen Königin zu, die so kühn sich ihres Thrones bemächtigt, wie es auch ein Mann nicht besser hätte tun können. Auswärtige anwesende Gesandte und eingeborene Augenzeugen dieses seltsamen Schauspiels einer so plötzlichen Änderung der Volksmeinung staunen über diesen unerwarteten Triumph. In einer Chronik der Zeit schreibt ein Engländer: »In meinem ganzen Leben habe ich nichts ähnliches gesehen, und niemals hat auch etwas ähnliches stattgefunden an Triumph. Nicht zu beschreiben die vielen Hüte, die in die Luft geworfen wurden. Graf Pembroke warf seinen Hut jubelnd in die Höhe. Er war bis an den Rand mit Goldmünzen angefüllt. Mit meinen eigenen Augen sah ich die Leute aus lauter Freude das Geld mit vollen Händen aus den Fenstern unter die Menge werfen. Es brannten ungezählte Freudenfeuer. Die Kanonen donnerten, das Volk schrie, die Glocken läuteten, daß keiner sein eigenes Wort verstehen konnte, nicht zu reden von den vielen Banketten und Jubelgesängen in den Straßen und auf den Plätzen Londons.« Sogar der französische Gesandte Antoine de Noailles konnte sich nicht genug über die plötzliche Veränderung wundern, die mit den Menschen vorgegangen war. Er schrieb dieses Werk dem alleinigen Gott zu, der in einem großen Volk das Gefühl für seine Königin erweckt, um ihr zu dienen. »Und nicht nur, daß man Maria zujubelte«, schreibt er, »sondern man brachte ihr auch das wenige Geld, das man besaß, das Silberzeug und die Ringe. Und niemand wollte von ihr irgendwelchen Sold oder Geschenke für seine Dienste annehmen.« Maria kann wohl zufrieden sein mit diesem Erfolg. Niemand denkt mehr an die zarte, ephemere Erscheinung Jane Greys auf dem englischen Thron.

Die Ärmste kam vorläufig, gleich ihrem Beschützer und Verderber Northumberland in den Tower. Der eigene Vater, der ihre Thronbesteigung, um dem Usurpator zu dienen, am eifrigsten befürwortet hatte, riß sie buchstäblich von ihrem Thron. Denn Jane saß gerade, herrlich geschmückt, beim festlichen Mahle unter dem Thronhimmel, als der Herzog von Suffolk in maßloser Aufregung hereinstürzt, den Vorhang des Thrones herunterreißt und ihr zuruft: »Es gebührt Ihnen nicht, von diesem Thron Gebrauch zu machen. Maria Tudor ist von den Räten zur Königin proklamiert!« Jane ist wie versteinert. Sie bleibt indes vollkommen ruhig. Ist sie nicht gewöhnt, von ihrer Familie wie eine Schachfigur hin und hergeschoben zu werden? Die Brutalität des Vaters erstaunt sie gar nicht. Sie kennt trotz ihrer Jugend das menschliche Herz und seinen Egoismus. Sie ahnt: der Vater will seinen Fehler durch diese Geste in den Augen der Königin Mary ungeschehen machen, um dem Tod oder einer harten Strafe zu entgehen. Er behandelt sie, als habe sie den Thron usurpiert. Die kaum siebzehnjährige Königin ist um eine bittere Erfahrung reicher. Sie erhebt sich und schreitet die wenigen Stufen hinab, die von ihrem erhöhten Sitz in den Saal führen. Zu dem inzwischen um sie versammelten Hof sagt sie einfach: »Ich habe den Thron bereitwillig angenommen. Ich entledige mich jetzt ebenso bereitwillig seiner, um die Rechte der Königin Maria anzuerkennen. Es ist sowieso alles ohne meinen Willen geschehen.«

Dann verläßt sie die Prunkgemächer ohne Bedauern über die verlorene Macht und den Glanz, der sie ein paar kurze Tage umgeben hat. Und hinter ihr schließen sich die Kerkertüren. Erst viele Monate später, im Februar 1554, öffnen sie sich wieder für sie, aber nur um ihr den Weg zum Schafott freizugeben. Vergebens hat Maria Tudor in dieser Zeit versucht, Jane Grey zum Katholizismus zu bekehren. Lange widerstand die Königin dem Begehren ihrer Anhänger, sie zum Tode zu verurteilen. Janes Bekehrung hätte ihr Haupt vor dem Beil gerettet. Sie bleibt fest bei ihrem Glauben und stirbt so edel und vornehm, wie sie gelebt hat. Ihr Gatte teilt ihr Los. Den Vater begnadigt Maria. Aber er vergilt ihr die Gnade mit einem zweiten Verrat. Und so ereilt auch ihn der Tod auf dem Blutgerüst.

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