Читать книгу Das neue Herz der Weisheit - Geshe Kelsang Gyatso - Страница 15

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DIE AUSSERGEWÖHNLICHE ERKLÄRUNG DER HINTERGRÜNDE DES SUTRAS

Zu jener Zeit war der Gesegnete in die Konzentration der unzähligen Aspekte der Phänomene versunken, «tiefgründige Illumination» genannt.

Zu jener Zeit betrachtete auch der höhere Avalokiteshvara, der Bodhisattva, das große Wesen, auf vollendete Weise die Praxis der tiefgründigen Vollkommenheit der Weisheit; er betrachtete auf vollendete Weise auch die fünf Anhäufungen als leer von inhärenter Existenz.

Dieser Teil der Erklärung zu den Hintergründen des Sutras wird die «außergewöhnliche Erklärung» genannt, weil er Aspekte der Umstände des Sutras erläutert, die nicht allen Anwesenden bekannt waren.

Zum Zeitpunkt des Sutras, während seines Aufenthaltes auf dem Berg der versammelten Geier, war Buddha in einen Zustand meditativer Konzentration über die direkte Verwirklichung der Vereinigung der zwei Wahrheiten versunken. Das ist die Vereinigung tiefgründiger Leerheit und Illumination, der bloßen Erscheinung der zahllosen Aspekte aller Phänomene. Jene Konzentration ist eine außergewöhnliche, höchste Eigenschaft von Buddha.

Diese meditative Konzentration wird auch «tiefgründige Illumination» genannt, denn während Buddhas Geist einsgerichtet auf das tiefgründige Objekt, die Vereinigung der zwei Wahrheiten, gerichtet war, strahlte sein Körper eine riesige Menge gleißenden Lichtes aus, das die ganze Welt erfüllte. Das Licht reinigte die Umgebung und den Geist der Lebewesen und ließ die Samen der Pfade zur Befreiung und vollen Erleuchtung in ihrem Geist reifen. Nur die Wesen, deren Geist rein genug war, konnten erkennen, dass Buddha dies tat und auf diese Weise Licht ausstrahlte. Deshalb ist dieser Aspekt der Hintergründe in der außergewöhnlichen Erklärung enthalten.

Es gab noch einen anderen Grund, warum Buddha auf solche Weise Licht ausstrahlte. Wenn tiefgründige Lehrreden, wie die Sutras der Vollkommenheit der Weisheit, gehalten wurden, kamen auch große Scharen von Göttern aus den Begierde- und Formbereichen, um zuzuhören. Die Götter haben Körper, die Licht ausstrahlen, und ihrer Ansicht nach sind Menschen verkrüppelte, schlecht riechende, krötenähnliche Wesen. So war der Geist der himmlischen Wesen voller Hochmut und Stolz, als sie ihre Plätze am Berg der versammelten Geier einnahmen. Stolz ist ein großes Hindernis, wenn man Nutzen aus spirituellen Unterweisungen ziehen will. Deshalb strahlte Buddha, um ihren Stolz zu mindern, von seinem eigenen Körper gleißendes Licht aus. Sein Körper überstrahlte die Körper der Götter, wie die Sonne das Licht von Glühwürmchen überstrahlt. Das machte die Götter demütig, und ihr Geist wurde empfänglich für Buddhas Unterweisungen.

Während Buddha in Konzentration versunken war, meditierte Avalokiteshvara über die tiefgründige Sicht der Leerheit. Im Text wird ausdrücklich erwähnt, dass Avalokiteshvara betrachtete, wie die fünf Anhäufungen – Form, Gefühl, Unterscheidung, zusammensetzende Faktoren und Bewusstsein – leer von inhärenter Existenz sind. Aber das Wort «auch» deutet darauf hin, dass Avalokiteshvara auch die Leerheit der inhärenten Existenz des Selbst oder der Person betrachtete. Was «Leerheit von inhärenter Existenz» bedeutet, wird im nächsten Kapitel erklärt.

Die besonderen Eigenschaften Avalokiteshvaras werden dadurch zum Ausdruck gebracht, dass auf ihn als «der höhere Avalokiteshvara, der Bodhisattva, das große Wesen» Bezug genommen wird. Er erhält den Titel «höherer», weil er Leerheit direkt verwirklicht hat und darum ein höheres Wesen ist. Avalokiteshvara ist auch ein Bodhisattva, eine Person, die spontan durch den Erleuchtungsgeist (Skrt. Bodhichitta) motiviert ist. Jemand, der diese Motivation entwickelt hat, ist in den Mahayanapfad eingetreten. Bodhichitta hat zwei hauptsächliche Bestrebungen: Den Wunsch, allen fühlenden Wesen ohne Ausnahme von Nutzen zu sein und ihnen Glück zu bringen. Und den Wunsch, den Zustand der Buddhaschaft zu erlangen, um so am besten in der Lage zu sein, die erste Bestrebung zu erfüllen. Ein Bodhisattva ist somit eine Person, die in erster Linie durch diese zwei Wünsche motiviert ist. Avalokiteshvara ist würdig, ein «großes Wesen» genannt zu werden, weil er als Bodhisattva mit großem Mut und großer Energie einzig und allein zum Nutzen und Wohle anderer wirkt.

Obwohl er die Form eines Bodhisattvaschülers von Buddha Shakyamuni annahm, hatte Avalokiteshvara schon viele Äonen zuvor volle Erleuchtung erlangt. Das gleiche gilt für Manjushri, Vajrapani, Samantabhadra, Maitreya und die anderen wichtigen Mahayanaschüler Buddha Shakyamunis. Obwohl sie in ihrer Essenz Buddhas waren, zeigten sie, wie man sich als richtiger Bodhisattvaschüler verhält. Dadurch halfen sie mit, Buddha Shakyamunis Lehre zum größten Wohle aller zu verbreiten.

DIE ERKLÄRUNG DES EIGENTLICHEN SUTRAS

Der Teil des Textes, der bis jetzt betrachtet wurde und der die Hintergründe zur eigentlichen Lehrrede erläutert, wird in einigen kürzeren Versionen des Sutras weggelassen. Der verbleibende Text enthält das eigentliche Sutra und wird in vier Teilen erklärt:

1. Die Frage Shariputras

2. Die Antworten Avalokiteshvaras

3. Die Billigung der Antworten durch Buddha

4. Die Anhänger sind erfreut und nehmen sich die Unterweisungen zu Herzen

DIE FRAGE SHARIPUTRAS

Dann, durch die Kraft Buddhas, sagte der ehrwürdige Shariputra zum höheren Avalokiteshvara, dem Bodhisattva, dem großen Wesen: «Wie sollte sich ein Sohn der Überlieferungslinie schulen, der den Wunsch hat, die Praxis der tiefgründigen Vollkommenheit der Weisheit auszuüben?»

Dieser Teil des Sutras besteht aus einer Frage Shariputras, die an Avalokiteshvara gerichtet ist. Während Buddha in die meditative Konzentration der «tiefgründigen Illumination» versunken war, segnete er Shariputras und Avalokiteshvaras Geist. So wurde Shariputra inspiriert, seine Frage zu stellen, und Avalokiteshvara, seine Antworten zu geben. Weil beide Schüler durch die Kraft und Inspiration Buddhas sprachen, wird das ganze Sutra folgerichtig als Buddhas Wort betrachtet.

Wenn etwas Buddhas Wort ist, muss es nicht unbedingt mündlich ausgesprochen werden. Buddha lehrte dieses Sutra aus seinem Herzen und nicht aus dem Mund. In einigen Sutras gab Buddha beispielsweise Unterweisungen durch seine Scheitelerhebung und in einem anderen Sutra bewirkte Buddhas Kraft, dass sogar der durch die Zweige eines Baumes streichende Wind Dharmaworte erklingen ließ. Jene Sutras sind, genau wie dieses, das authentische Wort Buddhas, weil sie aus seiner Kraft und Inspiration entstanden.

Shariputra war einer der Hauptschüler Buddha Shakyamunis. Er hatte aus früheren Leben eine ganz besondere Beziehung zu ihm. Unter dem Aspekt gewöhnlicher Erscheinungen war er ein Hörer-Feindzerstörer der Hinayana Überlieferungslinie. Ein «Feindzerstörer» ist jemand, der den inneren Feind der Verblendungen zerstört hat.

In der Frage Shariputras bezieht sich «Sohn der Überlieferungslinie» auf jemanden, der in die Mahayana Überlieferungslinie eingetreten ist. Wir treten in die Überlieferungslinie des Mahayana ein, wenn wir den Geist des großen Mitgefühls entwickeln. Daher bezieht sich Shariputra auf jemanden, der dieses Mitgefühl entwickelt hat. Obwohl er in seiner Frage nur einen «Sohn» der Überlieferungslinie anspricht, ist darin aber auch «Tochter» der Überlieferungslinie enthalten. Dies wird in Avalokiteshvaras Antwort klar zum Ausdruck gebracht. Tatsächlich enthalten einige Texte hier auch das Wort «Tochter».

Die Worte «die Praxis der tiefgründigen Vollkommenheit der Weisheit» enthüllen, dass die Schulung in der Vollkommenheit der Weisheit und Leerheit sehr tiefgründig ist. Sie ist die eigentliche Essenz von Buddhas Lehre. Die Schulung in Weisheit und Leerheit wird schließlich alle Lebewesen zum höchsten Glück der vollen Erleuchtung führen. Wie bereits erwähnt, ist die Vollkommenheit der Weisheit eine Weisheit, die Leerheit – wie die Dinge wirklich sind –, verwirklicht und mit dem mitfühlenden Geist von Bodhichitta verbunden ist.

Deshalb ist die Bedeutung von Shariputras Frage: «Wie sollten sich die Wesen schulen, die durch die Entwicklung von Mitgefühl für alle Lebewesen in die Mahayana Überlieferungslinie eingetreten sind und die tiefgründige Praxis der Vollkommenheit der Weisheit und Leerheit üben wollen?»

Das neue Herz der Weisheit

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