Читать книгу Rot - Die Farbe der Nacht - Gillian Simon - Страница 5
Prolog - Nacht 1
ОглавлениеEin kalter Wind strich über seine Haut, eine Kälte, die er nicht wirklich wahrnahm. Wie lange wartete er nun schon hier auf dem Dach? Seiner Meinung nach viel zu lange, sein Bruder ließ sich immer viel zu viel Zeit. Der nasse Geruch von Regen lag in der Luft, gemischt mit dem modrigen faulender Blätter. Er seufzte. Nie hätte er sich darauf einlassen sollen, nur konnte er seinem Zwilling seine Hilfe einfach nicht verweigern. Fluchend blickte er hinab, auf irgend ein Zeichen wartend, dass er endlich angekommen war. Warum musste sein Bruder immer so voreilig sein und irgendwelche Aufträge annehmen, ohne sich vorher mit ihm abzusprechen? Immer wieder, und dieses war mit Sicherheit nicht das letzte Mal... Und jedes Mal zog er ihn mit hinein. Lautlos entfernte er sich vom Rand des Daches, lauschte in die Nacht. Vier Herzschläge drangen aus dem Gebäude, auf dem er hockte. An sich hätte er den Auftrag wohl auch alleine ausführen können, doch wollte er seinem Bruder nicht den ganzen Spaß nehmen, außerdem fühlte er sich dem Auftraggeber gegenüber nicht wirklich in der Pflicht, schließlich war nicht er es gewesen, der angenommen hatte, es auch niemals getan hätte, da er es für Schwachsinn hielt. Die Sekunden verstrichen und der Wind nahm zu, zerzauste sein schwarzes Haar und wehte ihm einzelne Strähnen vor die Augen. Verärgert versuchte er sein Haar zu bändigen, das doch ein wenig zu lang war, um absolut pflegeleicht zu sein. Dann endlich hörte er, ein paar Straßen weiter, das Verstummen eines vertrauen Motors und kurz darauf, wie die Tür leise geöffnet und wieder geschlossen wurde. Erleichtert stieß er Luft aus seinen Lungen, ging am Rand wieder in die Hocke, bis er seinen Bruder entdeckte. Ihre Blicke trafen sich kurz, trotz der Entfernung reichte es als Absprache aus und er konnte sich wieder zurück ziehen. Es dauerte nicht lange, bis er hörte, wie die Hintertür splitternd eingetreten wurde, was er als Zeichen nahm, ebenfalls loszulegen. Wie ein Schatten sprang er auf ein Fenstersims ein Stück unter dem Dach, warf prüfend einen Blick in den leeren Raum, bevor er es mit einer schnellen Bewegung einschlug und sich hinein schwang. Die Splitter knirschten leise unter seinen Füßen, was jedoch für einen Menschen kaum wahrnehmbar war, einige waren auch in seine Haut gedrungen, die er sorgsam entfernte und einen kurzen Moment verharrte, während er zusah, wie sich die kleinen Wunden sogleich schlossen. Dann lauschte er, hörte die leisen Schritte seines Bruders, die sich auf die Herzschläge im unteren Stockwerk zubewegten, aber auf dieser Etage war auch einer und wenn ihn nicht alles täuschte... Schnell huschte er die Flure entlang, vorbei an Türen, bis er sein Ziel erreicht hatte. Seine Schritte stockten, seine Hand verharrte für wenige Augenblicke auf der Klinke, ehe er sie langsam hinunter drückte. Das Geräusch der sich öffnenden Tür sorgte dafür, dass das ohnehin schon ängstlich schnell schlagende Herz noch schneller schlug und auch die Atmung beschleunigte sich, wurde stoßartig. Seine Augen erfassten das Mädchen sofort, dass mit an den Körper gezogenen Beinen an der Rückwand des leeren Raumes saß, sich gegen die Mauer in seinem Rücken presste, die Augen geschlossen. Sofort hockte er vor dem Kind, dessen braune, schulterlangen Haare ihm wirr ins Gesicht hingen. Es musste die Anwesenheit des Mannes spüren, denn es presste sich noch enger gegen die Wand, als wolle es mit ihr verschmelzen. Langsam hob er seine Hand, strich behutsam einige Haarsträhnen zur Seite, spürte, wie es unter seiner kalten Berührung zusammenzuckte, sah, wie es sein Lippen aufeinander presste. Wie lange war das letzte Mal her? Sein Bruder, der Auftrag, alles war vergessen, er wollte nur noch sein Blut. Allein die Nähe zu diesem Kind sorgte dafür, dass die Gier seine Zähne regelrecht brennen ließ und sich ein erwartungsvolles Grinsen auf seine Lippen schlich. Ohne das Gesicht des Mädchens aus den Augen zu lassen, griff er nach seiner Hand, spürte die warme Haut unter seinen Fingern, das Rauschen des kostbaren Rots in den Adern. Dass es versuchte, ihm seine Hand zu entziehen, merkte er gar nicht wirklich, während er das Handgelenk des Kindes an seine Lippen führte. Beinahe einem Kuss gleich, durchstießen die Spitzen seiner Eckzähne die zarte Haut, öffneten die Ader. Süßes Blut füllte seinen Mund und er schloss seine Augen, sah dadurch nicht, wie das Kind die seinen aufriss und versuchte die Dunkelheit zu durchdringen. Statt zu schreien presste es seine Lippen jedoch noch stärker aufeinander. Seine Angst drang kaum zu ihm durch, auch wenn er den Geschmack von Adrenalin durchaus wahrnahm. Die Kraft, mit der es versuchte seine Hand seinem Griff zu entwinden, wurde immer schwächer, sein Atem flacher, bis sich irgendwann auch seine Augen schlossen und kurz darauf zitternd seinen letzten Atem aushauchte. Reglos hockte er vor der Leiche, seine Lippen noch immer an dem Handgelenk, doch seine Zähne hatten wieder ihre normale Form. Nur langsam schien der Vampir in die Realität zurück zu finden.
„Ach, hier treibst du dich herum, Kiran. Dir ist bewusst, dass ich fast drauf gegangen wäre, während du dich hier vergnügt hast?“ Der Vorwurf in der Stimme klang mehr als deutlich hindurch.
Der Hockende riss die Augen auf, warf einen Blick auf das tote Kind vor sich, ehe er sich erhob und in einer fließenden Bewegung umwandte
„So wie ich das sehe, hast du es doch überlebt. Wo ist dann dein Problem?“ gab er grinsend zurück und musterte seinen Bruder.
„Knapp und nicht dank deiner heroischen Fähigkeit, deine Zähne nicht aus Kindern lassen zu können!“
„Du übertreibst, Alister, ich weiß genau, wie stark du bist, und dass du die schlechte Angewohnheit hast, dich immer schwächer zu machen, als es eigentlich der Fall ist!“
Er schnaubte „Du lässt mich im Stich, aber ich übertreibe?“ seine Augen funkelten wütend seinen immer noch grinsenden Zwilling an „Sag mal, willst du nicht ein Sonnenbad nehmen, das würde dir das dämliche Grinsen vom Gesicht brennen.“
„Nein danke, ich nehme lieber ein Mondbad, ist viel gesünder.“ wobei sein Grinsen noch breiter wurde.
Alister verdrehte die Augen, wandte sich dann ohne ein weiteres Wort um und humpelte davon. Erst dadurch fiel Kiran auf, dass das Bein seines Bruders verletzt war. Er konnte kaum noch laufen. Der Vampir warf einen letzten, flüchtigen Blick auf die Leiche des Kindes, dann eilte er ihm hinterher
„Soll ich dich stützen?“
„Vielen Dank, für dein verspätetes Hilfsangebot, aber ich muss leider ablehnen, jetzt brauche ich deine Hilfe auch nicht mehr.“ fuhr er seinen Bruder zischend an und schüttelte wütend seine Hand ab, die dieser ihm auf die Schulter gelegt hatte.
„Und konntest du wenigstens einen von ihnen beißen?“
Alister stieß ein trockenes Lachen aus „Das würde dich in deiner Theorie bestätigen, nicht wahr?“
Kiran verzog die Mundwinkel und zuckte mit den Schultern.
„Nein, konnte ich nicht! Dank deiner fehlenden Hilfe!“ meinte er verächtlich „Das einzige Blut, das ich hatte, war das, das an meiner Waffe klebte.“
Wieder musste Kiran grinsen „Also hattest du doch was.“
„Jetzt tu nicht so, als wärst du der Meinung, dass das auch nur annähernd genügen würde! Du weißt, dass ich in der Regel nicht so viel trinke, wie du.“
„Würdest du, hätten wir jetzt dieses Problem nicht.“
„Na, vielen Dank, dass du mich auf dein Niveau hinunterziehen willst.“
Sein Zwilling schnaubte „Tut mir leid, dass ich deinen hohen Ansprüchen nicht gerecht werden kann.“
Dieses Mal erwiderte Alister nichts darauf, an diesem Punkt sollte er nicht weitergehen, er kannte seinen Bruder, wusste warum er so geworden war, und hier jetzt nachzusetzen, würde bedeuten, ihm die Schuld für etwas zu geben, wogegen er seit Jahrhunderten ankämpfte. Wenn man von Kindern absah, klappte es sogar... zumindest halbwegs.
Ohne von den Zwillingen bemerkt zu werden, huschte eine in schwarz gehüllte Gestalt lautlos in den Raum, den die beiden soeben verlassen hatte und kam kurz darauf mit einem Sack über die Schulter wieder heraus um dann in die entgegengesetzte Richtung zu verschwinden.
Während die beiden Vampire die Treppe hinunter gingen, lauschten sie auf jedes noch so leise Geräusch. Innerhalb des Hauses herrschte eine Totenstille, die Herzschläge waren allesamt verstummt und hatten eine seltsam anmutende Leere hinterlassen. Abseits des Hauses herrschte Leben. Blätter, die im Wind raschelten, Flügel von Vögeln und Insekten, die durch die Luft schnitten, die Herzschläge von kleineren Tieren und Menschen, die in den Häusern in der näheren Umgebung lebten.
Beide waren froh, als sie das Gebäude endlich verlassen hatten, der kühle Wind wieder über ihre Haut strich. Aber etwas stimmte nicht, Kiran wurde das Gefühl nicht los, dass sie beobachtet wurden. Suchend ließ er seinen Blick über die Häuser und Bäume gleiten, doch obwohl er alles klar erkennen konnte, war nichts zu entdecken und auch seine Ohren enthüllten nichts Ungewöhnliches. Dennoch – er war sich sicher, dass sein Gespür für so etwas ihn nicht trog und gerade, wenn ihnen wirklich Gefahr drohte, würde er Alister jetzt nicht alleine lassen, nicht mit dem verletzten Bein, denn trotz ihrer Zwistigkeiten, war er immer noch sein Zwillingsbruder.
„Spürst du es auch?“ flüsterte dieser plötzlich so leise, dass selbst Kiran ihn kaum verstehen konnte. Er deutete ein leichtes Nicken an, das jemandem, der ihn nicht kannte, niemals aufgefallen wäre. Ein weiteres Mal strengte er Augen und Ohren an, doch auch dieses Mal enthüllten seine Sinne ihm nichts, was seiner Aufmerksamkeit bedarf hätte.
Dann schüttelte er resignierend den Kopf „Nichts... aber ich bin dafür, dass wir aufbrechen, du brauchst Blut, frisches und das am Besten schnell.“
Alister zuckte nur mit den Schultern, er wusste, dass sein Bruder recht hatte, sein Bein schmerzte höllisch. Einer der Jäger hatte es geschafft, ihn mit einer Eisenstange zu erwischen. Keine offene Wunde, doch der Knochen war durch und bei der Menge, die er zu sich genommen hatte, würde es lange dauern, bis der Bruch verheilt war. Sehr lange. Wäre die Verletzung nicht gewesen, wäre der Kampf deutlich einfacher gewesen. Humpelnd folgte er seinem Zwilling zu dessen Motorrad, sein Auto würden sie vorerst stehen lassen müssen, mit der Verletzung konnte er es nicht fahren und sein Bruder würde seine Maschine niemals freiwillig in dieser Gegend zurück lassen. Mühsam schwang er sich hinter Kiran, der schon ungeduldig mit dem Gas spielte und sofort losraste, kaum dass er sicher hinter ihm saß. Sobald sie unterwegs waren zog Alister sein Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer aus seinem Telefonbuch an. Es wurde abgenommen, aber es meldete sich niemand.
„Sie sind tot,“ flüsterte er ins Telefon, „aber es waren nur drei anwesend...“ dann legte er auf und steckte es wieder weg.
Die Fahrt dauerte länger, als es für gewöhnlich der Fall gewesen wäre, da Kiran einige Umwege fuhr, ehe auf die Autobahn bog und mit Vollgas auf ihre Heimatstadt Iefana zusteuerte.
Als sie ankamen, war nicht mehr so besonders viel Zeit jemanden zu suchen, aber Alister brauchte frisches Blut, sonst wäre sein Bein am nächsten Abend noch nicht wieder verheilt. Sie hatten Glück, ein paar Meter weiter entfernte sich eine Frau von ihnen. Sofort eilte Kiran ihr hinterher, während sein Bruder schon zu ihrem Haus ging. Mit dem Bein konnte er ohnehin nicht schnell rennen. Ohne zu zögern, fasste der Vampir die Frau am Arm „Komm mit!“ Gegen die Macht seines Befehls konnte sie sich nicht wehren und folgte ihm bereitwillig, ohne überhaupt in der Lage zu sein, anders reagieren zu können.
Alister sah auf die Frau, als sein Bruder mit ihr das Haus betrat „Du hast wirklich eine sehr subtile Art, Frauen anzusprechen.“
Kiran bleckte die Zähne „Wenn es dir nicht passt, kann ich sie auch gleich wieder wegschicken.“
„Nein... es ist in Ordnung...“ er schloss seine Augen und seufzte „Sie ist ja nur zum Trinken hier.“
Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss, was den gesamten Flur in völlige Finsternis hüllte.
„Genau, guten Appetit.“ damit ließ er seinen Bruder mit der Frau alleine und ging in die Küche.
Der Blick des Vampirs glitt über den Hals der Frau. Seine Zähne kribbelten schon eine ganze Weile und er war froh, nicht mehr länger warten zu müssen.
„Still...“ hauchte er, während er seine Finger über ihre Halsschlagader streichen ließ.
Obwohl leise gesprochen, hatte dieses eine Wort durchaus einen Befehl beinhaltet und er konnte spüren, wie sich der Geist der Frau panisch dagegen auflehnte. Dann zog er sie schnell an sich, brachte sie dazu, ihren Kopf zur Seite zu legen, so dass ihr Hals frei lag und er seine Zähne in ihre Ader dringen lassen konnte. Er musste mehr nehmen, als er für gewöhnlich getan hätte, sein Körper brauchte das Blut, um sein Bein heilen zu lassen und sie war für diesen Tag seine letzte Gelegenheit dafür.
Doch irgendwann ließ er sie dennoch los, leckte sich das Blut von den Lippen und flüsterte leise „Geh, vergiss, dass du jemals hier warst...“
Nur kurz beobachtete er sie, wie sie sich mit emotionslosem Gesicht abwandte und sich zur Tür begab, dann ging er zu seinem Bruder in die Küche, bevor die Tür geöffnet wurde und kurz darauf wieder zu fiel.
Beinahe liebevoll legte die dunkle Gestalt den Sack ab. Behutsam entfernte sie den rauen Stoff von dem Körper des Kindes. Sie untersuchte die kleinen Einstiche am Handgelenk und entfernte das angetrocknete Blut, dann holte sie ein Spritze. Rotes, flüssiges Blut war in ihr und auf einem kleinen Zettel, der auf das Glas geklebt war, stand der Name „Kiran“. Die Gestalt injizierte der Leiche den Inhalt des Spritze. Es würde noch eine Weile dauern, aber dann...