Читать книгу Rot - Die Farbe der Nacht - Gillian Simon - Страница 7
Nacht 3
ОглавлениеPlötzlich schreckte er hoch, es war wohl auch für ihn zu viel gewesen, denn eigentlich hatte er gar nicht schlafen wollen. Saskia lag ruhig da, aber was hatte ihn geweckt? Als er das Zimmer verließ kam Alister ihm entgegen. Die beiden Brüder blickten sich an, beide wussten sofort, dass sie aus dem selben Grund hoch waren. Schon von der Treppe aus konnten sie erkennen, dass die Tür unten offen stand. Alister hielt seinen Zwilling zurück, als dieser sofort runter flitzen wollte um sie zu schließen. Er lauschte und auch Kiran spitzte die Ohren. Von unten waren Schritte zu hören. Den Herzschlägen nach waren es 4 Personen die unten herumschlichen, oben war zum Glück alles still. Nun nickte Alister seinem Bruder zu, der sofort die Treppe hinunter huschte und die Tür schloss ohne dabei ein Geräusch zu verursachen, während sein Bruder seinen Rücken deckte. Es war niemand zu sehen, aber sie waren in der Nähe und dabei nicht gerade leise. Beziehungsweise, sie waren so leise, wie es einem Menschen überhaupt möglich war, aber sie konnten ihren Aufenthaltsort nicht verbergen. Zum Glück befanden sie sich alle zusammen, was das Ganze etwas vereinfachte. Die beiden Brüder huschten vors Wohnzimmer, von wo der Lärm kam. Ein kurzer Blick hinein zeigte ihnen, dass sie irgend etwas suchten. Sie deuteten sich gegenseitig an, um welchen sie sich kümmern wollten und sprangen dann gleichzeitig los. Die ersten beiden Männer fielen mit gebrochenem Genick zu Boden, ehe sie überhaupt mitbekommen hatten, dass jemand wach geworden war. Das Knacken alarmierte die anderen Beiden, aber auch sie waren zu langsam. Bevor sie reagieren konnten, hatten die beiden Brüder den Männern ihre Zähne in den Hals gerammt und kurz darauf sackten auch diese beiden tot zu Boden. Erst jetzt spürte Kiran den Schrecken, ein Schreck, der nicht sein eigener war. Er drehte sich zur Tür und wusste genau, dass Saskia dort stand, noch bevor er sie sah.
„Ihr... ihr habt sie umgebracht...“ Sie sprach leise, der Schock war genau zu hören.
Er seufzte. Alister ging an ihr vorbei, legte ihr kurz die Hand auf die Schulter und verschwand in der Küche. Kiran setzte sich aufs Sofa und klopfte neben sich. Sie zögerte kurz kam dann aber langsam zu ihm, darauf bedacht, nicht an eine der Leichen zu stoßen. Auf dem Boden lagen einige Blätter, da die meisten Schubladen jedoch leer waren, hatten die Eindringlinge nicht viel Chaos anrichten können. Er ließ seinen Blick durch den Raum streifen, als sie sich neben ihn setzte. Sie wirkte ängstlich und zitterte. Ihre Gefühle waren stark, genauso stark wie seine eigenen. Er verfluchte die Schafferbindung innerlich, er hätte sie nicht gebraucht um ihre Gefühle zu kennen, und sie selber spüren zu müssen war eine Erfahrung auf die er gerne verzichtet hätte. Starr hingen ihre Augen an den Bissspuren am Hals des Mannes, der ihr am nächsten lag. Ihre Zähne kribbelten, durch den leichten Blutgeruch in der Luft und die kleinen Tröpfchen an den Wunden.
„Du weißt, dass wir uns schützen müssen und da gehörst du ebenfalls zu. Was auch immer die hier wollten, ich glaube kaum, dass die zufällig hier sind, geschweige denn, dass es sich um einen normalen Einbruch handelt.“ Saskia sagte nichts. „Und ein Gefühl sagt mir, dass die durchaus wussten, was wir sind.“
Das Mädchen schaute immer noch zu den Leichen. „Aber musstet ihr sie deswegen gleich umbringen?“
Kiran nickte. „Jeder Eindringling stellt eine Bedrohung dar, genauso wie jeder, der von unserer Existenz weiß. Zwar macht das Wissen noch lange keinen Jäger aus einem Menschen, aber es ist ein Anfang.“
„Und diese vier...?“ „Waren keine. Der Kampf war zu einfach und sie waren nicht immun gegen unsere Macht, dennoch ist ihr Eindringen äußerst beunruhigend.“
„Macht? Ihr habt doch gar keine verwendet?“
„Alister nicht, das ist richtig.“
Das Kind wurde langsam wieder etwas ruhiger „Aber du hast...“
Der Vampir stand auf und ging zur ersten Leichen. Ihre Verwirrung spürend erklärte er „Ich will wissen, was sie hier gesucht haben.“
Er hockte sich hin und begann in den Taschen zu wühlen. Saskia wollte sich gerade abwenden, als er ein Bild aus der Tasche des einen Mannes zog und es ihr nach einem flüchtigen Blick wortlos hinhielt. Als sie ihr Gesicht darauf erkannte, riss sie es ihm sofort aus der Hand. Sie lag auf einer Art Tisch und war extrem blass. Weitaus blasser als jetzt, sie hatte sich immerhin schon in einem Spiegel gesehen, auf dem Bild jedoch wirkte sie absolut blutleer. Nur langsam sickerte die Bedeutung des Bildes in ihr Bewusstsein, doch dann sog sie scharf die Luft ein, das Foto segelte langsam zu Boden. Ihr Schreck ließ Kiran zusammenzucken. Unerwartete Gefühlsschwankungen... er bleckte die Zähne. Der nächsten Gegenstand den er fand war ein einfacher Ausweis, den er zur Seite warf, er hatte keine wirkliche Bedeutung für ihn. Entschlossen trat sie zu einer weiteren Leiche und hockte sich neben sie. Ihre Lippen waren fest zusammengekniffen, aber er konnte den Schreck immer noch spüren, aber auch ihre Entschlossenheit. Nach und nach gingen sie die Taschen der restlichen Toten durch und zogen Ausweise, Einbruchswerkzeug, Taschentücher und Kleingeld aus den Klamotten. Dann fand Saskia noch einen kleinen, beschriebenen Zettel. Da es ihr schwer fiel die Schrift darauf zu lesen gab sie den Zettel an Kiran, der ihn sofort entzifferte und den Inhalt mit einem leisen Knurren quittierte. Ihre Adresse war drauf gekritzelt worden, schnell, als wäre der Schreiber in Eile gewesen. Für sich selber stellte er fest, dass Saskia noch Unterricht im Lesen und Schreiben bekommen müsse, denn ihr derzeitiger Stand, der eines normalen Kindes ihres Alters, würde nicht für die Ewigkeit ausreichen. Andererseits hatte sich auch eine Ewigkeit zeit, alles zu lernen. Aber der Einbruch und die Fotos bewiesen wenigstens, dass es kein Zufall war, eröffneten allerdings eine neue Frage. Die danach, warum sie das Mädchen hier abgeladen hatten und nun doch wieder zurückholen wollten. Möglich war zwar auch, dass irgendwer anders Saskia hatte entführen wollen, aber das war relativ unwahrscheinlich. Außer Sophie und die, die sie verwandelt hatten, mit seinem Blut, wusste niemand, dass sie überhaupt hier war. Allein das Foto von ihr sprach eindeutig dagegen, ein Foto, auf dem sie tot war. Aber egal, was dahinter steckte, und wer ihnen schaden wollte, Saskia hatte es am schlimmsten getroffen. Bis vor Kurzem war sie noch am Leben gewesen und hatte durch eine Verschwörung eben dieses verloren. Das komplette Ausmaß ihres Verlustes würde sich noch verdeutlichen, wenn ihre Erinnerungen langsam zurück kehrten, aber bis dahin war noch etwas Zeit. Er blickte zu ihr hinüber, wie sie immer noch die Taschen durchsuchte, jedoch ohne weiteren Erfolg. Sie würde Schutz benötigen, niemand konnte abschätzen, was mit ihr geschehen würde, wenn diese Typen sie in die Finger bekommen würden.
Alister kam ins Wohnzimmer zurück „Ich habe Sophie angerufen, sie schickt mit dem Umzugskommando auch ein Aufräumkommando um den Müll wegzuräumen.“
„Gut. Nur leider haben wir nicht viel gefunden.“ er sammelte Foto und Adresse auf und hielt sie seinem Bruder hin.
Auf Beides warf er nur einen kurzen Blick „Es wird Zeit, dass wir hier wegkommen. Ich hoffe stark, dass die neue Wohnung dann sicherer sein wird. Hier wird es langsam echt ungemütlich.“
„Och, wieso? Ich finde es sehr gemütlich mit unseren neuen Freunden hier zu sitzen.“ Kiran grinste seinen Bruder an.
„Ja, sie geben mit Sicherheit eine sehr unterhaltsame Gesellschaft ab, trotzdem solltet ihr beide mal wieder etwas anderes sehen.“
„Wie sie befehlen, der Herr.“ er hob Saskia hoch und ging mit dem zappelnden Mädchen in die Küche.
Auf dem Tisch standen schon drei gefüllte Gläser. „Langsam häufen sich die Probleme.“ Kiran blickte seinen Zwilling mit gehobener Augenbraue an. „Ach, und du hältst dich für unschuldig an der ganzen Sache?“
„Wie meinst du das?“ Alister klang misstrauisch.
„Hättest du nicht wieder einen Auftrag angenommen, ohne zu überlegen oder dich mit mir abzusprechen...“
„Und dein Kontrollproblem hat natürlich rein gar nichts damit zu tun.“
„Das hatte wenigstens nichts mit meiner Anwesenheit in dem Gebäude zu tun, von ihrer ganz zu schweigen.“ er warf einen Blick zu dem Kind, das auf einem Stuhl saß und an seinem Glas nippte.
Sie versuchte sich klein zu machen und nicht aufzufallen. Die Wut der beiden Brüder knisterte geradezu in der Luft und er spürte ihre Angst nur all zu gut. Auch wenn ihr Gefühl ihr genau sagte, dass Kiran dafür sorgen würde, dass ihr nichts geschah, waren sie ihr dennoch recht unbekannt und vieles konnte sie einfach noch nicht einschätzen. Sie vertraute ihrem Gefühl noch nicht so recht, wie könnte sie auch, er hatte sie schließlich umgebracht und die vier Leichen im Wohnzimmer waren der ganzen Situation auch nicht unbedingt zuträglich, auch wenn sie die Gefahr für sich selber erkannt hatte, die von den Männern ausgegangen war.
„Ach und du glaubst, dass sie dort gewesen ist, weil ich den Auftrag angenommen habe?“
„Vielleicht. Sicher ist nur, dass ich dort war, weil du ihn angenommen hast.“
„Schön, dass ich jetzt die Schuld dafür bekomme, dass du beim Trinken deine Umgebung völlig vergisst.“
„Ja, genau der Aspekt ihrer Verwandlung ist deine Schuld.“ wütend verließ Kiran die Küche.
Da die Sonne noch nicht untergegangen war, ging er in sein Zimmer und packte seine Sachen. Er hatte noch nicht einmal angefangen und all zu lange dürfte es nicht mehr dauern, bis der Umzugswagen kam.
Alister beobachtete Saskia, wie sie verschüchtert auf ihrem Stuhl saß.
„Es tut mir leid.“ murmelte er leise. Sie musste ihn gehört haben, reagierte jedoch nicht. „Ich glaube er ist gerade einfach ein wenig überfordert und er hat die schlechte Angewohnheit einen Teil seiner Verantwortung auf mich abzuwälzen.“
„Ach komm, du bist auch nicht besser!“ kam Kirans Stimme von oben.
„Manchmal hasse ich diese Eigenschaft von uns.“ Er lächelte das Mädchen schief an. „Für private Gespräche ist es echt etwas hinderlich.“
„Hmm.“ Saskia klang ein wenig abwesend.
Sie hatte viel erlebt heute, da war es kein Wunder.
„Komm, trink dein Glas leer, ich bringe dich wieder ins Bett. Du solltest für diese Nacht sicher sein. Weder Kiran noch ich werden uns heute noch hinlegen.“
„Na gut.“ sie nahm einen letzten, großen Schluck, rutschte vom Stuhl und folgte ihm ins Gästezimmer.
„Versuch noch ein wenig zu schlafen, im Gegensatz zu uns brauchst du ihn noch.“
Rasch krabbelte sie unter die Decke und schaute ihn an. „Danke.“ flüsterte sie, ehe sie sich hinlegte.
„Dank nicht mir. Ich habe nichts getan. Und nun schlaf gut.“
Sie kuschelte sich in die Kissen und er ließ sie alleine. Sein Bruder war noch immer am packen, aber sehr aggressiv, es klang als würde er einfach alles in einen Karton schmeißen. Er ging jedoch an dessen Zimmer vorbei in sein eigenes und begann dort, um einiges ruhiger, seine restlichen Sachen zu verstauen.
Als die Klingel unten losging schreckte Saskia hoch. Dieses laute, schrille Geräusch hatte sie bisher noch nicht gehört und es riss sie brutal aus dem Schlaf. Ein Schlaf, der tiefer war als alle bisherigen, wie es ihr vorkam. Es war das Umzugskommando, das ihr angekündigt worden war. Sie schnappte ihre wenigen Sachen und lief die Treppe runter. Unten waren sie schon fleißig dabei, die wenigen Kartons der Brüder in einen kleinen Transporter zu laden. Das Meiste an Möbeln würde wohl in der Wohnung verbleiben. Einige der Helfer schauten ein wenig merkwürdig als sie das Mädchen erblickten, das auf der unteren Treppenstufe stand und so tat, als gehöre es zum Inventar. Keiner sagte etwas, aber sie fühlte sich äußerst unwohl in ihrer Haut. Plötzlich tauchte Kiran hinter ihr auf.
„Mach dir keine Sorgen um sie, die sind harmlos.“ er zwinkerte ihr ermutigend zu, bedeutete ihr, ihm zu folgen und brachte einen Karton zu dem draußen wartenden Kleinlaster.
Alister stand vor einem metallic blauen Wagen. Selbst aus dieser Entfernung konnte sie erkennen, dass jemand etwas in den Lack geritzt hatte, das wie Buchstaben aussah. Ärger kam in ihr auf, dass sie in der Schule nicht besser aufgepasst hatte, als Lesen und Schreiben dran war. Auch wenn ihre Erinnerung fehlte, sagte ihr die Tatsache, dass sie keinen der Buchstaben entziffern konnte, schon genug. Bei dem was hier los war, grenzte es wirklich an ein Wunder, dass keiner der Nachbarn auf sie aufmerksam wurde.
„Er liebt seinen Wagen, naja nun wird er ihn wohl neu lackieren lassen müssen.“ Kiran zuckte mit den Schultern „Meine Maschine ist mir eh lieber.“ damit wandte er sich wieder ab um noch ein paar Kartons zu holen, die mit mussten und ließ das Mädchen verunsichert und planlos stehen.
Nachdem alles verstaut war stieg Alister in sein Auto, er wirkte alles andere als glücklich.
Sein Bruder stand neben seinem Motorrad „Möchtest du mit mir fahren, oder ziehst du es vor mit im Auto zu sitzen.“
Saskia überlegte kurz, kam dann aber zu ihm. Nachdem sie hinter ihm saß und sich festhielt trat er aufs Gas und gemeinsam fuhren sie hinter dem Transporter her. Kaum hatten sie sich ein Stück von dem Haus entfernt loderten die ersten Flammen aus den Fenstern im Erdgeschoss, ihre Beobachtung wurde jedoch dadurch beendet, dass die kleine Kolonne in eine Nebenstraße abbog. Kiran wirkte etwas ungeduldig, sie merkte, dass er die Geschwindigkeit und Freiheit seiner Maschine liebte. Es passte ihm gar nicht, so dahin schleichen zu müssen. Aber so oder so musste er folgen, da er das Ziel ihrer Fahrt nicht kannte.
Der Transporter hielt schließlich gegenüber eines kleinen Parks vor einem Mehrfamilienhaus. Bis zu 6 Familien konnten hier auf 3 Stockwerken miteinander leben. Ihre Wohnung befand sich unter dem Dach auf der linken Seite. Von innen war sie auch schon Vampirgerecht hergerichtet und sie hatte genügend Zimmer, damit jeder der drei seine Privatsphäre haben konnte, auch wenn es nur ein Badezimmer für alle gab. Die wenigen Habseligkeiten der Brüder waren schnell in die Wohnung geräumt und noch schneller verschwanden die Helfer danach wieder, ließen jedoch für jeden der drei einen Schlüssel für die beiden Schlösser da. Kaum waren sie alleine schwang sich Kiran wieder auf sein Motorrad und blickte Saskia fragend an.
„Das kannst du nicht machen!“ Alister klang aufgebracht und hielt das Mädchen sanft zurück, da es sich im Begriff befand, erneut hinter seinen Bruder zu klettern.
„Irgendwann wird sie ohnehin mitbekommen, was du gemeint hast, und jetzt ist so gut wieder jeder spätere Zeitpunkt auch.“
„Du weißt so gut wie ich, dass das Schwachsinn ist!“
Kiran zuckte mit den Schulter, startete seine Maschine und raste davon.
„Tut mir leid, ich glaube es ist momentan einfach zu viel für ihn.“
„Wo will er denn hin?“
Alister zuckte mit den Schultern „Mist bauen.“
„Aber er kommt doch zurück, oder?“
„Natürlich, er würde uns beide nicht zurücklassen, wenn er wirklich verschwinden würde. Zwar aus verschiedenen Gründen, aber er könnte es gar nicht.“ Alister blickte in die Richtung, in die sein Bruder verschwunden war. „Komm,“ meinte er dann „gehen wir schon mal rein und fangen mit einrichten an.“
Saskia folgte ihm, hatte aber ein ungutes Gefühl, was Kiran anging. „Hätte ich nicht vielleicht doch mitgehen sollen?“
„Glaub mir, es ist besser, wenn du das nicht miterlebst.“
Ohne direktes Ziel fuhr er durch die leeren Straßen. Angetrieben von Gier. Einer Gier, ausgelöst durch die Umstände der letzten Tage. Allein der Auftrag, den sein Bruder einfach angenommen hatte, hatte ihn verstimmt, aber dann das Auftauchen von Saskia und der Einbruch... Ohne Frage stand er neben sich und das wiederum führte dazu, dass er unruhig wurde und danach gierte, dieses Gefühl zu beruhigen, in Blut zu ertränken. Unbemerkt von ihm, hatte die Gier die Kontrolle übernommen, was seine Augen rot färbte und seine Handlung instinktiv werden ließ. Er hatte sich schon ein ganzes Stück von ihrer neuen Wohnung entfernt, als er in der Nähe laute Musik vernahm. Es schien sich um eine kleine, private Feier zu handeln, denn er zählte elf menschliche Herzschläge. Wie magisch zog es ihn an und er blieb vor einem gutbürgerlichen kleinen Einfamilienhaus stehen. Licht drang aus den Fenstern. Grelles Licht, das in seinen Augen schmerzte, aber das würde schnell vergehen, wenn er sich daran gewöhnt hatte. Er machte sich keine Hoffnung, dass der Garten ebenfalls voller Menschen war, für sie war es viel zu kalt, auch wenn noch kein Schnee lag und seine Ohren bestätigten seine Vermutung diesbezüglich schnell. Ohne groß darüber nachzudenken, trat er auf die Haustür zu und betätigte die Klingel. Drinnen wurde die Musik leiser gedreht und es kamen Schritte auf die Tür zu, die kurz darauf geöffnet wurde. Eine Frau stand vor ihm, bevor sie jedoch etwas sagen konnte hatte Kiran sie schon angesprungen. Sie war wie gelähmt in seinen Armen, als er ihr das Leben aussaugte. In dem Raum aus dem noch immer die Musik erklang war sein Eindringen noch nicht bemerkt worden. Gedämpfte Gespräche drangen zu ihm, als stände er daneben. Ein Mann mittleren Alters steckte den Kopf in den Flur um zu sehen wo die Frau blieb und schreckte zurück, als er den Fremden sah, der nun mit blutverschmiertem Mund auf ihn zu kam. Er öffnete den Mund zu einem Schrei, jedoch kam kein Laut heraus. Die Augen des Vampirs leuchteten leicht rötlich in dem Licht und als die Gäste sahen, wie der Mann erst zurück taumelte und dann eine weitere Person in Sicht kam, brach Chaos aus. Der zweite Teil seiner Beute war auf dem Boden erstarrt und so sprang er zur Terrassentür und hinderte ein junges Mädchen daran diese aufzureißen und hinaus zu stürmen. Sie wich vor ihm zurück, stürzte, als er sich auf sie warf. Auch ihr Funke erstarb rasch unter seinem Biss, dann wandte er sich den anderen zu. Einige waren starr vor Angst, einer hatte sich oben in einem kleinen Raum eingeschlossen, um den würde er sich später kümmern. Die Restlichen hatten die Flucht in die obere Etage angetreten. Sein stummer Befehl sorgte dafür, dass die vier Salzsäulen auch weiterhin so verharren würden, dann rannte er nach oben. Leise vernahm er das Abheben eines Telefonhörers und das Wählen der erste Zahl, weiter kam der ältere Herr am Telefon nicht. Der Hörer flog, mitsamt seiner Hand gegen die Wand. Blut spritzte auf den Boden und gegen Kiran. Völlig unbeeindruckt von der Verschwendung zog er den Mann zu sich und seine Zähne drangen tief ins Fleisch. Er genoss jeden einzelnen Tropfen, schaute bedauernd auf die kleine Blutlache auf dem Boden und suchte dann sein nächstes Opfer. Er konnte den Herzschlag eines Kindes aus dem Schrank vernehmen. Da er aber das Öffnen eines Fensters hörte, hatte er erst einmal Wichtigeres zu tun. Schnell war er hinter dem Flüchtigen, riss ihm das Herz aus der Brust und versenkte seine Zähne darin. Herzblut, eine Seltenheit, wenn man darauf bedacht war, die Beute am Leben zu lassen. Den Rest ließ er liegen, aber er beobachtete sekundenlang, wie sich das Blut aus dem Loch im Rücken ergoss. Plötzlich hörte er einen lauten Knall und verspürte einen scharfen Schmerz im Arm, der aber sofort wieder abebbte. Ein prüfender Blick zeigte ihm, dass die Haut unter seinem kaputten Hemd augenblicklich heilte. Sofort stand er neben dem Schützen, riss grob seinen Kopf zur Seite, so dass der Hals frei lag.
„Verloren!“ raunte er ihm ins Ohr, ehe er seine Zähne auch in seinen Hals dringen ließ und das Blut seine Kehle hinabrann.
Nun konnte er sich um die letzten Beiden im hier oben kümmern, und danach warteten noch die vier Salzsäulen unten. Er trat zum Schrank, aus dem er noch immer den Herzschlag hören konnte. Seine Sinne verrieten ihm, dass es sich um ein junges Mädchen handelte. Schnell riss er die Türen auf, machte sie in dem Klamottenberg auf den Boden aus und einige Sekunden später sank auch sie leblos und blutleer in seinen Armen zusammen. Dann wandte er sich der Tür auf der anderen Seite des Raumes zu. Vermutlich ein kleines Bad ohne Fenster. Die Tür flog aus den Angeln und zersplitterte an der Wand, als er dagegen trat. Der Junge, der sich in einer Ecke zusammengekauert hatte, wurde von Splittern getroffen, die in seine Haut eindrangen. Kiran sog den Duft seines austretenden Blutes tief ein, bevor er sich rasch neben ihn hockte. Das Kind zitterte sehr stark, als der mittlerweile extrem blutverschmierte Vampir ihm einen der etwas größeren Splitter aus dem Fleisch zog und das Blut ableckte. Er hatte, wie bei fast allen anderen, nur eine minimale Kontrolle aufgebaut, die verhinderte, dass er schrie, ansonsten hatte er ihm seinen freien Willen gelassen, was er auch versuchte auszunutzen, denn als er sich seinem Hals näherte, sprang der Junge auf, versuchte zu fliehen, wurde aber von Kiran festgehalten. Mit schmerzverzerrtem Gesicht sank er wieder neben ihm zu Boden, er wehrte sich, als die Zähne des Vampirs in sein Fleisch eindrangen, aber die Versuche wurden sehr schnell schwächer und ließen dann ganz nach und kurz darauf verstummte auch sein Herzschlag. Blieben noch vier Salzsäulen, also ging er wieder hinunter. Sobald er neben dem Mann, der vor der Tür lag, ankam, löste er seinen Bann auf diesem vollständig.
Er richtete sich auf und sah den Unbekannten an, versuchte das Blut zu ignorieren. „Was wollen sie von uns?“
Kiran kniete sich neben ihn „Och, nur so eine Laune.“ seine Stimme klang fröhlich „Aber nun bedanke ich mich für ihre Kooperation, ich habe noch etwas zu erledigen.“ er beugte sich vor, so dass er direkt neben dem Ohr des Mannes war und flüsterte „Den brennenden Hunger stillen!“ dann versenkte er seine Zähne in seinem Hals.
Als auch dieses Leben verloschen war, wandte er sich den drei letzten Opfern zu, die immer noch erstarrt im Wohnzimmer standen. Eine ältere Damen und zwei junge Frauen, die sich recht ähnlich sahen, wie Schwestern. Keine Zwillinge, stellte er fest. Er setzte sich aufs Sofa, und weidete sich an ihrem Anblick. Seine dunkelroten Augen musterten jede einzelne von ihnen. Blut tropfte von seinen Zähnen als er grinste. Er stand wieder auf und umrundete sie, nahm den Duft jeder einzelnen in sich auf. Alle drei Herzen rasten vor Angst. Mit einer schnellen Bewegung riss er den Kopf einer der Frauen an den Haaren zur Seite und ihr Blut ergoss sich sprudelnd in seinen Mund, nachdem seine Zähne eingedrungen waren. Sie schmeckte nach Sommersonne. Er genoss jeden einzelnen Schluck, etwas wozu er vorher nicht gekommen war. Als sie ihm erschlafft aus den Händen glitt wandte er sich der Schwester zu. Gespannt, ob sie genauso schmecken würde, versenkte er seine Reißzähne in ihrer Schulter. Wolken und Licht umspülten seine Zunge. Ganz versunken ließ er den Bann auf der älteren Dame fallen, was er aber erst bemerkte, als sie ihm einen Schlag mit einem Baseballschläger verpasste. Den zweiten Schlag fing er ab und riss ihr den Schläger aus der Hand. Die nach Wolken und Licht schmeckende Frau hatte ihr Leben zum Glück schon ausgehaucht. Durch den Schwung, wurde die ältere Dame an seine Brust geschleudert und lehnte nun an seinem Blutverschmierten Hemd. Sie versuchte zu fliehen, aber er zog sie zurück und drehte sie so, dass sie in seinem Arm lag
„Aber meine Dame, sie wollen doch nicht etwa schon gehen?“ Seine Nase strich an ihrem Hals die Schlagader entlang.
Ihre Stimme war ein leises Flüstern, der neu errichtete Bann ließ sie nicht lauter sprechen „Nein... nein...“
„Wie schade!“ und auch ihr Blut wurde von seinen Zähnen befreit.
Ein lauer Herbstabend und Äpfel... Als auch ihr Leben teil seiner Kraft geworden war und er von ihr abließ hatten seine Augen wieder ihre normale, dunkle grün-braune Farbe angenommen. Sein nun wieder klar gewordener Blick glitt über die Leichen. Im Haus herrschte Totenstille, bis auf die, für seine Ohren immer noch viel zu laute, Musik, die aus den Boxen erklang. Benommen sackte er auf die Knie. Einen solchen Kontrollverlust hatte er bisher nur sehr selten gehabt, das Erschreckendste jedoch war, dass er nicht mehr wusste, was er getan hatte, das Ergebnis allerdings sah er nun deutlich vor sich, ohne abstreiten zu können, dass er es gewesen war, denn noch immer hatte er den Geschmack von frischem Blut im Mund. Langsam erhob er sich wieder, stellte die Musik ab und ging nach oben, auch hier waren, wie erwartet, einige Leichen. Vor dem offenen Fenster lag ein Mann in einer Blutlache, das Herz daneben. Kiran sprang auf die Fensterbank, ohne in das Blut zu treten und schwang sich von dort auf das Satteldach. Er setzte sich neben den Schornstein und blickte zu den Lichtern der Innenstadt in der Nähe. Ungewollt hatte er ein Massaker angerichtet und auch, wenn es ihm Kraft gab, war er darauf nicht unbedingt stolz. Genau genommen, hatte es so begonnen. Gedankenverloren rieb er sich über den Arm, dort wo die Kugel ihn durchschlagen hatte. Von der Wunde war nichts mehr zu sehen oder zu spüren, aber es zeigte, wie gefährlich dieser Zustand sein konnte, der ihn seit ihrer Verwandlung immer mal wieder ereilte. Seufzend zog er sein Handy aus der Hosentasche. Es hatte einige Blutflecken abbekommen, die er kurzerhand ableckte, bevor er Alisters Nummer anwählte. Beinahe augenblicklich wurde abgenommen, als hätte er nur auf den Anruf gewartet.
„Es ist wieder passiert...“ meinte er leise.
„Ich weiß. Wir sind gleich da.“
„Wir? Aber... Saskia... sie sollte das nicht sehen!“ er war etwas lauter geworden.
„Du wolltest sie sogar mitnehmen!“ kam Alisters trockene Antwort, dann legte er auf.
Kiran saß auf dem Dach und bewegte sich nicht, nur das Handy hatte er runter genommen, hielt es aber weiterhin in der Hand, während er seinen Gedanken nach hing. Selbst als er unten den Wagen seines Bruder vorfahren sah, der mit den Kratzern noch leichter zu erkennen war als sonst, und kurz darauf die beiden ausstiegen und das Mädchen zu ihm hoch deutete, bewegte er sich nicht.
„Willst du hier warten, oder mitkommen? Ich kann dir nur gleich sagen, dass dir der Anblick mit Sicherheit nicht gefallen wird.“
Saskia blickte zu Kiran hoch und meinte dann entschlossen „Mitkommen!“
Alister zuckte mit den Schultern und stieß die Tür auf. Die ersten beiden Leichen, die in Sicht kamen versetzten dem Mädchen einen riesen Schreck, der dazu führte, dass von oben ein Knacken zu hören war, als Kiran sein Handy zerdrückte. Scharfe Splitter schnitten in seine Handfläche und bohrten sich tief ins Fleisch. Saskia spürte diesen scharfen Schmerz in der Hand und besah sich ihre eigene, unversehrte, anders als der Schmerz am Arm, der viel zu plötzlich kam und ebenso schnell wieder verschwand, als dass sie ihn wirklich hätte realisieren können, blieb er dieses Mal.
„Es ist wieder mein Bruder.“ meinte Alister „Komm mit, wir sind gleich da.“
Das Kind ballte seine schmerzende Hand zur Faust und folgte dem Vampir ins obere Stockwerk. Der Geruch von Blut kroch ihr in die Nase, als sie oben ankamen. Die beiden toten Kinder waren ein weiterer Schock und die blutige Hand, die noch immer den Telefonhörer hielt war auch nicht gerade ein schöner Anblick. Die kleine Lache um den zerfetzten Armstumpf ließ ihre Zähne kribbeln und auch von den Blutspritzern an der Wand ging eine unheimliche Faszination für sie aus, aber der schrecklichste und zugleich schönste Anblick war das Herz, dass neben dem toten Körper in der riesigen Blutlache lag.
„Komm, ich helfe dir.“
Saskia die von dem Anblick gefesselt war, wurde nun wieder des Vampirs gewahr, der schon längst auf der Fensterbank hockte und ihr eine Hand hinstreckte. Sie griff danach und stand kurz darauf neben ihm auf dem schmalen Brett. Dann nahm Alister sie auf die Schultern und kletterte geschwind zu seinem Bruder aufs Dach, dort setzte er das Mädchen wieder ab. Sie blickte Kiran an, der sehr stark nach Blut roch und dessen Gesicht komplett rot verschmiert war.
„Du brauchst eine Dusche.“ ihre Stimme war leise und eine große Traurigkeit schwang drin mit „Die ganzen Toten im Haus... warst... warst du das?“ Er nickte. „Warum?“ sie klang schockiert.
„Eine gute Erklärung habe ich zumindest nicht dafür.“ er sah zu Alister, der an seinem Handy darauf wartete, dass Sophie seinen Anruf entgegen nahm. „Nun...“ Saskia setzte sich neben ihn und nahm seine rechte Hand, die die auch bei ihr immer noch schmerzte, und begann die Reste seines Handys aus seiner Haut zuziehen. „...ich habe wohl ein kleines Problem... zwischendurch verliere ich die Kontrolle. In der Regel artet es nicht so aus. Aber wenn so viel zusammen kommt, wie die letzten Tage...“ er sah ihr dabei zu, wie sie einen Splitter nach dem anderen aus seiner Hand zog „Tut mir leid. Geht es deiner Hand schon besser?“ das Mädchen nickte. „Zum Glück ist die Verbindung nur in eine Richtung so stark...“ murmelte er.
„Hm?“ Saskia blickte zu ihm auf. „Was heißt hier zum Glück?“ sie klang empört, was Kiran zum Lachen brachte.
„Die Hand ist gar nichts.“ Er zwinkerte ihr zu. „Was meinst du, warum ich das Handy zerdrückt habe?“
Sie zuckte mit den Schultern „Vielleicht Wut?“
Er schüttelte den Kopf „Es war, weil du dich erschrocken hast.“
„Das hast du gemerkt?“ fragte sie ungläubig.
„Sicher... ich habe dir doch gesagt, dass ich deine Gefühle spüre. Egal, wo du bist, dadurch weiß ich immer, ob es dir gut geht. Zumindest, solange die Bindung in dieser Form noch besteht. Sie wird im Laufe der Jahre allerdings schwächer werden, ganz verschwinden jedoch nie. Dann werde ich nur noch wissen, ob du am Leben oder in der Nähe bist.“
„Und Alister? Spürt er es auch?“
„Nein, er hat mit dir eigentlich gar nichts zu tun, ich habe dich erschaffen, zwar unfreiwillig, aber es ist nicht zu leugnen. Diese Bindung besteht also nur zwischen uns beiden. Dennoch, mein Bruder würde dir niemals etwas antun.“
„Warum bist du dir da so sicher?“
Kiran seufzte „Seit wir geboren wurden, waren wir kaum getrennt... glaubst du nicht, dass ich da so etwas wissen sollte?“
„Hmm... Ja... doch...“
„Na siehst du.“ er schenkte ihr ein schiefes Lächeln „Also... Auch, wenn wir alles dafür tun werden, dich zu schützen, bist du doch in Gefahr, das hat der Einbruch heute gezeigt.“
„Hmm... Und warum genau hast du dann die Kontrolle verloren?“ sie wirkte abwesend, beinahe desinteressiert, doch er wusste, dass dem nicht so war.
„Schwer zu sagen... Momentan ist mir wohl einfach alles zu viel... Die Bindung, deine Gefühle... und alles was daraus resultiert, begünstigt die Wahrscheinlichkeit, in einen Blutrausch zu verfallen...“
„Das heißt, sie mussten meinetwegen sterben... Ich werde ab jetzt versuchen, mich zusammen zu reißen!“ eine rote Träne rollte ihr über die Wange.
„Ach Kleines.“ Kiran wischte den blutigen Tropfen weg. „Du kannst noch so sehr versuchen, deine Gefühle unter Kontrolle zu behalten, ich merke es dennoch, wie du dich fühlst, und du bist auch sicher nicht Schuld an ihrem Tod. Derjenige, der dich zurückgebracht hat ist Schuld und ehrlich gesagt bin ich mir noch nicht wirklich sicher, ob ich froh oder verärgert darüber sein soll.“ seine Worte schmerzten sie, das merkte er deutlich, aber er wollte sie diesbezüglich auch nicht anlügen. „Tut mir leid, damit wirst du wohl leben müssen.“ meinte er seufzend „Ich hatte nun einmal nicht vor irgendjemanden zu verwandeln und schon gar kein Kind.“
Sie hatte ihre Arbeit beendet und musterte seine Hand, die wieder völlig normal aussah „Heile ich auch so schnell?“
„Das hängt davon ab, wann und wie viel du das letzte Mal getrunken hast. Zum Überleben brauchen wir nicht viel, und wenn du deinen Konsum auf das Nötigste beschränkst, dauert es deutlich länger. Das heißt, umso mehr Blut du im Körper hast, umso schneller verheilen Wunden und umso länger dauert es, bis du erschöpft bist. Aber Blut allein reich nicht aus um deine Macht zu steigern.“
„Was dann?“
„Leben.“ meinte Alister „Allerdings sollten wir langsam los, hier wird es bald ungemütlich.“
Kiran nickte und stand auf „Ich brauche auch ein neues Handy, aber erstmal...“ er hob Saskia hoch und sprang mit ihr vom Dach, sein Bruder folgte ihnen.
„Was meinst du mit Leben?“ Saskia blickte ihn über Kirans Schulter fragend an.
„Dass du trinken musst, bis deine Beute stirbt.“ antwortete ihr Erschaffer für seinen Zwilling, was dieser mit einem Nicken bestätigte, „Vorher musst du allerdings lernen, sie am Leben zu lassen.“
„Aber... du hast...“
„Er hat ja auch keinerlei Selbstbeherrschung.“
„Na vielen Dank.“
„Und was ist, wenn wieder jemand kommt, um mich zu entführen?“
„Dann wird derjenige genauso sterben, wie die anderen vier.“ meinte Kiran fest, während sein Bruder sich heraushielt.
„Und wenn ihr nicht bei mir seid?“
„Dann werde ich dich retten.“
Saskia schüttelte den Kopf „Ich will mich selber verteidigen können!“
„Weißt du, wie viele Menschen du umbringen müsstest um stark genug dafür zu werden gegen alle Gefahren bestehen zu können?“
Sie biss sich auf die Unterlippe „Viele?“
„Das ist pure Untertreibung.“ „Wie viele dann?“
„Hunderte.“ Der Vampir setzte das Mädchen ab und schwang sich auf Motorrad.
„Und du willst nun wirklich so fahren?“ Alister musterte ihn kritisch.
„Wieso nicht?“ er blickte in den Spiegel seiner Maschine „Ich finde das Rot steht mir“
„Deine Sache, aber nimm dein Kind mit, ich muss noch etwas trinken gehen.“
„Ich auch!“ „Das machen wir, wenn ich geduscht habe, lass ihn alleine losziehen, er braucht ein wenig Ruhe.“
„Na gut.“ Sie kletterte hinter ihn.
„Bis später, und pass auf dich auf.“
Alister nickte knapp, setzte sich in seinen Wagen und fuhr davon.“ Kiran ließ seine Maschine an, dann raste er durch die Straßen zu ihrer neuen Wohnung zurück.
Es waren nur sehr wenige Autos unterwegs, aber keiner der Fahrer achtete wirklich auf ihn, zumal er auch zu schnell war, als dass sie etwas hätten erkennen können. Dazu war es dunkel, und die Augen der Menschen in den schlechten Lichtverhältnissen nicht wirklich zu gebrauchen. So kamen sie ohne weitere Probleme an und Kiran stellte seine Maschine ab. Gemeinsam betraten sie den leeren Flur.
„Warte kurz, ich will mich nur eben vom Blut befreien und mit etwas Sauberes anziehen, dann gehen wir los und suchen dir etwas frisches zu trinken.“
Saskia nickte und verschwand in ihrem Zimmer. Es war leer bis auf ein großes Bett, einen Schrank und einen kleinen Tisch mit zwei Stühlen. Sie legte sich aufs Bett, starrte an die Decke und wartete.
Kiran holte sich einige frische Klamotten aus einem seiner Kartons und ging ins Bad. Es war deutlich kleiner als das in ihrem vorherigen Haus, aber es besaß eine Dusche und das würde ausreichen. Nachdem er sich entkleidet hatte, besah er sich im großen Spiegel, der fast die gesamte Rückseite der Tür einnahm. Fast sein kompletter, leicht muskulöser Körper war mit Blut beschmiert. Nicht nur im Gesicht, sondern auch dort, wo das Blut seiner Opfer durch seine Kleidung gedrungen war, etwas, das ihm ein schwaches Grinsen entlockte. Er drehte das kalte Wasser auf und stieg unter die Dusche. Von getrocknetem Blut rotbraunes Wasser umspülte seine Füße und nach und nach löste sich alles von seinem Körper. Seine Haut war ungewöhnlich rosig, wie jedes mal, wenn er etwas mehr getrunken hatte. Nachdem er sicher war, das alles Blut abgespült war, drehte er das Wasser aus, trocknete sich ab und zog sich an, dann verließ er das Bad. Saskia war noch immer in ihrem Zimmer, aber als sie merkte, dass er fertig war, kam sie zu ihm.
„Können wir los?“
„Sicher.“ er nahm sich seine Jacke und gemeinsam machten sie sich auf den Weg.
Es hatte begonnen zu nieseln, was die Chancen etwas verschlechterte, etwas für das Mädchen zu finden.
„Willst du laufen, oder wollen wir fahren?“
„Laufen, ich würde gerne etwas von der Gegend hier sehen.“
Sie schob ihr Armband zurecht und nahm seine Hand. Langsam gingen sie die menschenleere Straße entlang. In ihrer unmittelbaren Nähe war kein menschliches Lebewesen im Freien. Heute wollte er ihr jedoch die Gelegenheit geben, ihre Beute selber zu orten, aber zuvor musste sich dafür jemand in ihrer Reichweite befinden. Sie waren schon eine ganze Weile unterwegs, ehe Kiran aufhorchte. Nicht weit entfernt war ein leiser Herzschlag zu vernehmen.
Als sie seiner Meinung nach nahe genug dran waren, hielt er Saskia zurück „Hörst du das?“ Sie lauschte und schüttelte dann den Kopf. „Schließ deine Augen und konzentriere dich, ich bin mir sicher, dass du es hören kannst.“
Ihre braunen Augen schlossen sich und man konnte förmlich sehen, wie sie ihre Ohren spitzten. Leise konnte sie etwas vernehmen, das ein Herzschlag sein könnte und versuchte es zu fokussieren.
„Die Richtung?“ sie deutete in die Richtung, aus der sie meinte, das leise Pochen zu vernehmen.
„In etwa.“ Kiran lächelte „Du wirst mit der Zeit besser werden, mach dir keine Sorgen. Aber nun versuchen wir mal, uns deinem Mitternachtssnack zu nähern.“
Sie mussten nicht lange laufen, ehe sie einen Mann mittleren Alters an einer Haltestelle warten sahen. Gemütlich schlenderten sie auf den Mann zu und stellten sich neben ihn, als wollten auch sie auf den Bus warten. Er warf ihm einen etwas angewiderten Blick zu und schien zu überlegen, was er tun sollte. Der Anblick von einem jungen Mädchen um diese Uhrzeit war sehr ungewöhnlich, Kinder in ihrem Alter waren normalerweise schon längst im Bett. Aber normal war ihre Anwesenheit auch aus einem ganz anderen Grund nicht. Kiran schaute den Mann nicht einmal an um ihn unter seine Kontrolle zu bringen. Mit einem Zeichen gab er ihr zu verstehen, dass sie nun anfangen konnte. Vorsichtig griff sie nach der Hand des Mannes. Er wehrte sich nicht, zuckte nicht einmal, als ihre Zähne durch die Haut seines Handgelenkes drang. Sein Blick war starr geradeaus gerichtet.
Sie trank und blendete absichtlich alle Geräusche aus und als Kiran nach ihr griff und meinte „Es ist genug, Saskia!“ schüttelte sie ihn ab, und trank weiter. „Saskia, es reicht!“ seine Stimme klang eindringlich und er versuchte sie mit sanfter Gewalt von dem Mann wegzuziehen.
Sie ignorierte ihn. Plötzlich spürte sie ein Licht in sich aufflammen und der Mann brach zusammen.
„Was... was war das?“
„Wir reden später, wir müssen erst einmal die Leiche wegschaffen.“ seufzend warf sich die Leiche über die Schulter.
Ohne sein Handy musste er sie verstecken, bis er die Möglichkeit hatte, Sophie darüber zu informieren., das Mädchen folgte ihm mit verwirrtem Blick.
Alister war schon ein ganzes Stück gefahren, als es zu regnen begann. Er war froh, endlich mal wieder alleine zu sein. Trotz der tiefen Liebe zu seinem Bruder und einer riesigen Angst, ihn zu verlieren, brauchte er hin und wieder ein paar Momente für sich alleine und er wusste, dass es Kiran genauso ging. Sein Bruder zog sich häufiger zurück, als er selber, jedoch kam er immer wieder zurück. Sie waren Zwillinge und somit nur gemeinsam vollständig. Ohne es zu merken war er auf die Autobahn gefahren. Er war ganz in Gedanken versunken gewesen. Kiran reagierte häufig sehr heftig, aber so völlig außer Kontrolle geriet er für gewöhnlich nicht, was jedoch nicht hieß, dass es nie vorkam. Ein Blick aus dem Fenster verriet ihm, dass die nächste Ausfahrt eine Raststätte war, welche er ohne zu zögern ansteuerte. Die Chance dort Beute zu finden war zumindest wesentlich größer, als hier auf der Fahrbahn. Die wenigen Wagen, die noch auf der Straße waren konnte er schlecht anhalten ohne einen Unfall zu verursachen und ein Unfall hätte viel zu viel Aufsehen erregt. Also hielt er auf dem Parkplatz und blickte sich um. Zwei weitere Autos standen schon auf dem kleinen Parkplatz und warteten darauf, dass ihre Besitzer zurückkehrten. Alister lauschte. Alle beide schienen sich auf der Toilette zu befinden, der einzige Grund, aus dem man zu dieser Zeit solch einen Ort ansteuerte - als Mensch. Als Vampir stand er in einer uneinsehbaren Ecken und wartete darauf, dass die beiden Personen das kleine Klohäuschen wieder verließen. Es dauerte auch nicht lange, bis ein etwas dickerer, älterer Mann aus dem Häuschen kam, in seinen Wagen stieg und weg fuhr. Nun war außer ihm nur noch eine Person hier und auf die wartete er. Die Tür öffnete sich und eine Frau kam heraus. Sie sah jung aus, höchstens um die dreißig. Er konnte die leichte Gänsehaut an ihren Beinen erkennen, die der Regen verursachte. Sie fröstelte und steuerte auf ihren Wagen zu. Alister trat hinter sie und sagte leise, aber mit Nachdruck „Halt!“ Die Frau blieb stehen, verharrte reglos, konnte ein Zittern jedoch nicht unterdrücken. Er strich ihr über die Halsschlagader und spürte gleichzeitig, wie sie sich gegen seinen Bann auflehnte. Ihr Bewusstsein kämpfte, unterlag aber, als sich seine Zähne in ihren Hals bohrten.
Sobald er merkte, dass für sie Gefahr drohte, ließ er von ihr ab und flüsterte ihr zu „Geh! Vergiss was passiert ist!“
Ohne zu zögern ging sie zu ihrem Auto und fuhr davon. Er hoffte, dass diese Begegnung niemals wieder in ihr Bewusstsein dringen würde. Diese Gefahr konnte bestehen, wenn eine willensstarke Person als Beute ausgewählt wurde. Sein Bruder hatte dieses Problem nicht mehr, er war um einiges mächtiger, und Alister bedauerte es irgendwie, der Unterlegene zu sein. Andererseits wollte er die Schuld von so vielen unschuldigen Opfer nicht so ohne weiteres auf sich nehmen. Ein Menschenleben war ihm bei Weitem nicht mehr so viel Wert, wie es mal war, als er selber noch ein Mensch war. Auch in den Anfänge seines Vampirdaseins hatte es ihm noch einiges mehr bedeutet, als es das jetzt tat, im Laufe der Jahre war es jedoch immer weniger geworden. Aber trotzdem war er der festen Überzeugung, dass sinnlose Opfer vermeidbar waren, ganz davon abgesehen, dass Leichen immer Probleme mit sich brachten. Kiran sah das das alles deutlich lockerer, als er selber, was wohl mit seinem Kontrollproblem zusammen hing. Wenn es nichts gab, das seine Aufmerksamkeit fesselte, konnte er sich selten selber von seiner Beute losreißen, wodurch er auch ohne Blutrausch, die eine oder andere Leiche hinterließ. Vielleicht auch gerade deswegen, hatte Sophie im Laufe der Jahrhunderte einen riesigen Vertuschungsapparat aufgebaut, so dass es sie heute nur noch einen Anruf kostete, damit alle Spuren beseitigt wurden. Das Problem war nur, dass Kiran sich strikt weigerte, diese Anrufe selber zu tätigen, so blieb es immer an ihm hängen. Er war sein Bruder, daher tat er es, wenn auch nicht gerne und mittlerweile war es für ihn schon eine Selbstverständlichkeit. Vor ihrer neuen Wohnung hielt er seinen Wagen an und stieg aus, von einer Garage hatte keiner was gesagt, also blieb ihm nur, davor zu parken. Das Motorrad seines Bruders stand noch da, wo er es nach seinem Kontrollverlust abgestellt hatte. Hieß wohl, dass sie entweder zu Fuß los, oder schon zurück waren. Als er die Wohnung betrat, stellte er fest, dass Kiran alleine im Wohnzimmer saß und vor sich hin starrte, Saskia war nicht zu sehen.
„Ist die Kleine auf ihrem Zimmer?“
Sein Bruder nickte.
„Habt ihr was gefunden?“ wieder nur ein Nicken.
Diese Schweigsamkeit war seltsam für ihn. „Ist irgendwas geschehen?“
Dieses Mal schüttelte Kiran den Kopf, jedoch erst nach kurzem Zögern, dann stand er auf und verschwand in seinem Zimmer und kurz danach war ein lautes Krachen und das Splittern von Holz zu hören. Alister zuckte zusammen. Es war definitiv etwas passiert, ansonsten würde er sich nicht so verhalten. Ohne anzuklopfen öffnet er die Zimmertür seines Bruders, der vor einer Kommode stand, in der ein riesiges Loch klaffte.
„Ich weiß ja, dass du nicht gerne über deine Gefühle redest und mittlerweile sind sie auch zum Teil für mich schwer einzuschätzen... Aber wenn du unsere Einrichtung zerstörst, wird es offensichtlich... Also, was ist los?“
„Saskia...“ eine gut verborgene Wut schwang in seiner Stimme mit.
„Hat sie irgendwas angestellt?“ „Klar, wenn du es so bezeichnen willst...“ er gab der Kommode einen weiteren Tritt und drehte sich dann um, um sich dagegen zu lehnen.
Alister verdrehte die Augen „Jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!“
Sein Bruder schnaubte „Sie hat getötet, absichtlich – hat mich einfach ignoriert, als ich ihr gesagt habe, dass es genug ist.“
„Wundert dich das? Nach deiner Aktion heute?“
Kiran stieß ein trockenes Lachen aus „Und du bist natürlich völlig unschuldig daran? Du hast ihr doch gesteckt, dass sie töten muss, um ihre Macht zu steigern!“
„Als hättest du ihr das nicht selber erzählt, wäre ich nicht schneller gewesen.“
Ein leises Knurren kam aus seiner Kehle, doch Alister ignorierte es einfach „Wie geht es ihr denn jetzt?“
„Wie soll es ihr schon gehen? Den Umständen entsprechend, würde ich sagen?“
„Und das heißt?“
„Was glaubst du?“
Er seufzte „Geschockt vielleicht, wegen dem, was sie getan hat?“
Wieder musste sein Bruder lachen „Schön wäre es. – Sie ist wütend, weil ich ihr gesagt habe, dass es wichtig ist ihre Beute am Leben zu lassen und es nicht als Grund akzeptiere, dass sie möglichst schnell stärker werden will.“
„Vielleicht merkt sie, dass du nicht wirklich hinter dieser Aussage stehst?“
Kiran bleckte die Zähne „Danke, ich weiß selber, dass ich nicht unbedingt der Richtige dafür bin – nur bei ihr leider derjenige, der dafür verantwortlich ist.“
„Glaubst du denn, dass du sie in dieser Beziehung überhaupt unter Kontrolle bekommst?“ fragte Alister seufzend.
„Dürfte schwierig werden. Mehr als mich zu bemühen, kann ich nicht tun... Aber könntest du bitte Sophie Bescheid geben, dass ich ein neues Handy benötige?“
„Natürlich.“ er nickte seinem Bruder zu und ließ ihn dann wieder allein.
Der abrupte Themenwechsel, hatte ihm deutlich gezeigt, dass sein Bruder wieder alleine sein wollte.
Mal wieder war Kiran froh darüber, dass sein Bruder ihn gut genug kannte, dass er seinen Hinweis verstanden hatte, ohne dass er etwas hatte sagen müssen. Seufzend legte er sich aufs Bett und schloss die Augen. Eigentlich war ihm die ganze Situation zu viel, doch besaß er trotz allem zu viel Verantwortungsgefühl, um das Kind einfach im Stich zu lassen. Das hätte er zu keiner Zeit getan, weder als Mensch, noch als Vampir nur hatte er dieses Mal die Gelegenheit dazu bekommen, damals nicht. Er öffnete die Augen, verdrängte die Erinnerung schnell wieder, die aufzukommen drohte, sie gehörte zu den Dingen, die er am liebsten gänzlich vergessen wollte, die ihn aber nach all der Zeit noch immer verfolgten. Doch gerade als er aufstehen wollte, um in die Küche zu gehen, klopfte Saskia schüchtern an seine Tür.
„Komm rein.“
Sofort betrat sie sein Zimmer, blieb aber an der Tür stehen, nachdem sie diese hinter sich wieder geschlossen hatte.
„Es tut mir leid...“ murmelte sie leise.
„Ich weiß.“ Er spürte, wie unangenehm ihr seine Antwort war. „Du brauchst dich bei mir nicht zu entschuldigen, wir haben beide Fehler gemacht... außerdem spüre ich, dass du bedauerst, was geschehen ist und das ist mehr wert, als deine Worte.“
Saskia schauderte. Diese vollkommene Klarheit, die er über ihre Gefühle hatte, war ihr unheimlich.
„Und... wie geht es nun weiter?“
„Wir setzen deine Ausbildung fort, du musst schließlich noch viel lernen.“
„Und die Gefahr von der du erzählt hast? Die Männer, die bei euch eingebrochen sind...“
„Mach dir darüber mal keine Gedanken, wir kümmern uns darum. Der Schuldige kann sich nicht ewig vor uns verstecken. Aber versprich mir, dass du versuchst, keine Unschuldigen mehr zu töten.“
„Ich verspreche es.“ ihre Stimme klang beinahe feierlich, aber er spürte, dass sie das Versprechen nicht ernst meinte, zog jedoch nur eine Augenbraue nach oben und sagte nichts.
Dann kam sie zögerlich zu ihm hinüber, krabbelte zu ihm ins Bett und kuschelte sich an ihn „Und du versprichst mir, dass ihr auf mich aufpasst?“
„Das tue ich... immer!“
Behutsam hielt er sie im Arm und nach einer Weile schlummerte sie ein, während er auch den Rest des Tages seinen Gedanken nachhing.