Читать книгу Rot - Die Farbe der Nacht - Gillian Simon - Страница 9
Nacht 5
ОглавлениеEr schlief nicht besonders tief und unruhig. Die kurzen Schlafphasen wurden von äußerst blutigen Träumen beherrscht, Ausdruck seiner Wut. Alisters Handy weckte ihn sehr früh. Die Sonne war gerade erst hinterm Horizont verschwunden. Der Kerl hatte einen Schlaf. Den Gedanken ihn zu wecken verwarf er jedoch wieder. Saskia war schon wach, sie lief unruhig in ihrem Zimmer umher. Selbst eine kalte Dusche beruhigte ihn jedoch nicht. Noch immer schwelte die Wut in ihm. Danach zog er sich an, holte Saskia aus ihrem Zimmer, die bereits angezogen auf ihn wartete, und verließ mit ihr die Wohnung. Auf dem Weg zu seinem Motorrad kam ihnen Abigail entgegen. Sie verschluckte ihren Gruß, als sie seinen Blick sah und seine Wut roch. Allerdings blickte sie ihnen noch eine ganze Weile nach, bevor sie das Haus betrat. Alisters Bruder sah ihm wirklich zum verwechseln ähnlich. Die Tür zur Wohnung stand bereits offen und er wartete in der Küche auf sie.
„Ich habe Kerzen mitgebracht... darf ich?“
„Bitte.“ er deutete auf den Tisch, dachte aber nicht daran, dass sie es so gar nicht sehen konnte.
Ein Streichholz flammte auf und Sekunden später brannte eine Kerze auf dem Küchentisch. Alister stellte schnell einen Teller drunter und sah sie an. Glas knirschte unter ihren Füßen, als sie näher kam. Nun konnte sie auch das Blut sehen, was ihr zuvor schon in die Nase gestiegen war. Einige getrocknete Tropfen klebten noch an seinem rechten Arm. Auf dem Boden und an den Schränken waren ein paar Spritzer.
„Alles in Ordnung?“ fragte sie, er sah überhaupt nicht gut aus.
Seine Haut schimmerte weiß und seine Augen waren rot unterlaufen. Er schüttelte den Kopf und seufzte, sagte aber nichts. Ihre Augen folgten ihm und erst nach einer ganzen Weile fiel ihr auf, dass er seinen rechten Arm nicht bewegte.
Auf ihren fragenden Blick meinte er nur „Gebrochen.“
Sie schlug die Augen nieder „Oh...“
„Mach dir keine Sorgen, ist nur halb so schlimm. Wenn ich was getrunken habe, wird es schnell wieder heilen.“ als er ihr leises Knurren hörte meinte er „Bleib ruhig, du darfst Kiran nicht böse sein, er macht sich nur Sorgen. Leider reagiert er manchmal etwas über.“
„Kiran?“
„Mein Bruder.“ Er holte ihr ein Glas Wasser „Und ehrlich gesagt mache ich mir derzeit große Sorgen um ihn. So wie er momentan drauf ist, endet das für gewöhnlich in einem Blutbad.“
Alister starrte zur Decke, zum leeren Lampenschirm, der über dem Küchentisch hing.
„Hat er öfters solche Probleme?“
„Nein, normalerweise hält es sich in Grenzen. Hier und da mal eine Leiche aber im Großen und Ganzen bemüht er sich und rastet nicht so aus. Aber momentan steht er etwas neben sich... Erst Saskia und nun du...“
„Was meinst du damit?“
„Die Tatsache, dass du hier sitzt ist alles andere als normal, so viel ist ja klar. Und Saskia... Nun, ihre Verwandlung war weder geplant noch wirklich freiwillig. Er hat sie getötet, das habe ich gesehen, aber er hat ihr kein Blut gegeben. Und trotzdem ist sie plötzlich bei uns auf dem Sofa aufgetaucht.“
„Und jetzt quält ihn die Frage, wo sie herkommt...“
„Natürlich, dazu kommt die starke emotionale Bindung, die wir zu unseren Kindern haben. Er macht sich also große Sorgen, wegen der ganzen Situation mit der Kleinen und ich bringe einen Werwolf mit nach Hause. Wundert es da wirklich, dass er ausrastet?“
„Nein, aber ich glaube wir sollten dir erstmal was zu essen besorgen, mir gefällt gar nicht, wie du aussiehst und danach kümmern wir uns um alles andere.“ bestimmend griff sie seine Hand, eine Berührung die ein Feuerwerk auf seiner Haut entfachte.
Er konnte nicht anders, als ihr zu folgen pustete im Vorbeigehen aber noch die Kerze aus.
Kiran stoppte sein Motorrad. Saskia hüpfte hinter ihm auf den Boden und folgte ihm die belebte Straße entlang. Es war seltsam, so viele Menschen. Die Gerüche waren überwältigend und jeder Herzschlag schien sie zu locken. Sie wichen vor Kiran zurück, wie ihr auffiel, während sie hinter ihm her stolperte. Eine Gruppe Halbstarker, sechs Jungen, kamen ihnen entgegen, benahmen sich als würde die Straße ihnen gehören, pöbelten einige Leute an und blieben dann vor ihnen stehen, versperrten ihnen den Weg. Der Vampir blickte auf.
„Ihr wollt euch mir in den Weg stellen?“ seine Stimme klang gefährlich.
Saskia bemerkte, dass alle Leute in der näheren Umgebung auf einmal abwesend wirkten und weder sie noch die Rowdys zu sehen schienen.
„Das ist unsere Straße und du bist im Weg, verpiss dich, Alter.“ sie hatten nicht mitbekommen, dass die Menschen um sie herum einen engen Kreis gebildet hatten.
Zwar sah keiner sie an, aber ein Entkommen gab es für die Jungs nicht mehr. Eine solche Fähigkeit der Massenkontrolle war beeindruckend und beängstigend zugleich. Kiran bewegte sich schnell und stand im Bruchteil einer Sekunde vor dem Anführer der Gruppe.
„Ich frage nochmal: Ihr wollt euch mir in den Weg stellen?“
Nun schien die Gruppe doch Angst zu bekommen und wollte die Flucht ergreifen, doch die Menschenmenge war undurchdringlich. Er nickte Saskia kurz bestätigend zu und sie schnappte sich einen der Kleineren. Es war ihre erste richtige Jagd, bisher hatte sie nur Beute gehabt, die vorher für sie ruhig gestellt worden war. Sie sprang ihn an und er wurde von der Wucht gegen den Menschenring geschleudert, der die beiden zurück schubste. Er schrie auf, als sie ihre Zähne in seinen Hals rammte, aber niemand reagierte. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Kirans erstes Opfer tot zu Boden sank. Das Blut von ihrem schmeckte ekelig. Es mussten irgendwas in seinem Blut haben, dass den Geschmack derart veränderte, aber sie hörte erst auf, als sie wieder dieses Licht spürte. Sie löste sich von dem toten Jungen. Der Zweite, den sie sich raus suchte war ein groß gewachsener, schlaksiger Typ, der gerade versuchte über die Leute, die sie eingrenzten, rüber zu klettern. Mit Gewalt riss sie an seinem Bein und er stürzte nach hinten. Geschickt fing sie seinen Kopf und biss ihm von vorne in den Hals, so dass er nicht mehr Schreien konnte. Sein Blut war auch nicht besser. Ein Kopf landete neben ihr und als sie zu Kiran sah, hatte er gerade seine Zähne in einem Herz versenkt. Der letzte Lebende hatte die Augen geschlossen, presste sich an die Menschenwand und flüsterte vor sich hin. Sie wollte sich ihm gerade nähern, als Kiran auch ihm das Herz heraus riss und es ihr hinhielt. Sein Körper sackte in sich zusammen. Sie nahm es an sich. Es war warm, nass und zuckte. Bevor sie vorsichtig dran leckte, roch sie dran, konnte dann aber nicht widerstehen. Es war nicht viel, aber besser als alles, was sie bisher probiert hatte. Alles war voller Blut, auch einige der Menschen. Kiran wartete, bis sie fertig war, drehte sich dann um und ging einfach weiter. Kurz war ihr, als hätten seine Augen rot geleuchtet. Die Menge teilte sich vor ihnen wieder und Saskia nahm die Gelegenheit wahr, ihre Augen in dem Außenspiegel eines parkenden Fahrzeuges zu betrachten, doch sie sahen völlig normal aus. Plötzlich hörte sie hinter sich Schreie. Entweder hielt Kiran es nicht mehr für nötig, die Menschen weiterhin zu kontrollieren oder es war außerhalb seiner Reichweite. Die Leute in ihrer Nähe hingegen reagierten weiterhin überhaupt nicht auf sie. Sie wichen ihnen aus, schienen sie aber nicht wirklich wahrzunehmen. Polizei fuhr mit Blaulicht und Sirene an ihnen vorbei, Kiran kümmerte sich jedoch überhaupt nicht darum. Ohne auch nur einen Augenblick innezuhalten bog er in eine Einkaufspassage ein. Als Saskia bemerkte, dass eine bunte Mischung Menschen ihnen folgte, bekam sie im ersten Moment einen Schreck, aber als ihr der Blick der Menge auffiel begriff sie, dass sie unter Kirans Kontrolle standen. Am Ende der Passage war ein kleiner, dunkler Park und Kiran führte die Gruppe von etwa 20 Menschen zu einem Spielplatz. Dort setzte er sich auf eine Schaukel und ließ seinen Blick über die Menge streifen. Seine Augen leuchteten rot, ein tiefes, dunkles Rot, es erinnerte sie an Blut. Dann ließ er den ersten auf sich zukommen und trank ihn leer.
Das war selbst für Saskia zu viel „Kiran hör auf!“
Ihre Stimme hallte im Park wider und einen kurzen Moment flackerten seine Augen in dem dunklen Grün-braun, das sie kannte, aber dann fiel auch das zweite Opfer leer gesaugt zu Boden und er schien endgültig im Rausch gefangen zu sein. So bemerkte er gar nicht, wie Saskia ihm sein neues Handy aus der Tasche zog. Sie zitterte, als sie seine Kontakte durchsuchte um Alister anzurufen. Es dauerte eine ganze Weile, bis er abnahm.
„Alister? Kiran... er...“
„Ich weiß, Saskia, du kannst da leider grade nicht viel machen... Wo seid ihr?“
„In dem kleinen Park hinter dem Kaufhaus in der Innenstadt, Nähe vom Bahnhof. Dort war alles voller Menschen und er...“
„Beruhige dich, Kleines, wir machen uns gleich auf den Weg.“
Alister legte einfach auf und Saskia sah, wie auch der vierte tot zu Boden sank.
Er legte sein Handy zur Seite. Abigail lag immer noch nackt und verführerisch auf dem Bett. Sie waren zwar fertig, aber er bedauerte es dennoch, dass sie sich nun wieder würde anziehen müssen.
„Ich weiß jetzt, wo mein Bruder ist... und ich habe den Verdacht, dass wir in den Nachrichten einige Informationen darüber bekommen können, was er angestellt hat.“
„Oh...“ schnell erhob sie sich, um sich wie er etwas überzuziehen, bevor sie die Kerzen auf seiner Kommode löschten und eilig die Wohnung verließen.
Alister steuerte auf sein Auto zu, er hatte es noch nicht neu lackieren lassen, aber das würde erst einmal zurück stehen müssen. Er setzte sich hinters Steuer und öffnete die Tür für Abigail. Nachdem sie neben ihm Platz genommen hatte, raste er los. Die Werwolfdame stellte einen Nachrichtensender ein und Alister wählte Sophies Nummer, ohne hinzuschauen.
Bevor sie sich melden konnte sagte er „Kiran sorgt mal wieder für Nachrichten, er ist gerade in einem Park dort in der Nähe, ich bin schon auf dem Weg.“
Ihr „Danke.“ drang gerade noch so an sein Ohr, bevor er aufgelegt hatte.
Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, wie die sonst so stark scheinende Frau neben ihm blass wurde und zusammensackte, während sie dem Bericht lauschte. Er selber hörte gar nicht hin, er konnte sich auch so vorstellen, wovon die Rede war. Raus gerissene Herzen, abgerissene Gliedmaßen. Sein Bruder war nicht gerade zimperlich, wenn er die Beherrschung verlor.
Er hielt am beschriebenen Park „Willst du mitkommen, oder lieber hierbleiben? Mir wäre es lieber, du bleibst, aber ich möchte dir nichts vorschreiben.“
Abigail riss sich von dem Radio los „Ich würde gerne helfen.“
„Na gut.“ Alister seufzte „Aber ich warne dich, es kann gefährlich werden. Mein Bruder ist völlig außer Kontrolle und es besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass er dich angreift, sobald er dich bemerkt.“
Sie nickte und folgte ihm dann in den dunklen Park. Schnell eilten sie die Wege entlang, bis einige Herzschläge an sein Ohr drangen, auf die er sofort zusteuerte. Sie erreichten den Spielplatz und die Werwolfdame blieb erschrocken stehen. Kiran saß noch immer auf der Schaukel und neben ihm türmte sich ein Leichenberg. Einige der Menschen standen noch und warteten regungslos auf ihr Ende, dennoch hatte er sie sofort bemerkt. Saskia flitzte zwischen den Erstarrten hindurch und klammerte sich an Alister, während sein Bruder deutlich langsamer auf sie zu kam. Er bewegte sich kontrolliert geschmeidig, wie ein Raubtier auf der Jagd. Abigail spürte, dass sie sein Ziel war und wich ein paar Schritte zurück. Die Macht, die er ausstrahlte war beängstigend und ihr wurde schlagartig bewusst, wie ernst seine Drohung am Vortag gewesen war. Seine Augen leuchteten dunkelrot und er kam näher. Sie musste gegen ihren Fluchtinstinkt ankämpfen. Gegen diesen Vampir wäre sie im Leben nicht angekommen. Alister stand schützend vor ihr und beobachtete seinen Bruder genau, auf das geringste Anzeichen achtend, dass er zum Angriff überging. Als Kiran los sprang, schnellte er dazwischen. Nur dank seiner Anspannung war er überhaupt schnell genug. Schmerzhaft bohrten sich die Zähne seines Bruders in seine Schulter. Abigail schrie auf, aber Kiran taumelte schon zurück. Der Geschmack von Alisters Blut hatte ihn aus dem Blutrausch gerissen. Stumm hockte er auf dem Boden und hielt sich den Kopf. In die vier, noch stehenden Menschen kam wieder Leben.
„Kannst du bitte aufpassen, dass sie nicht abhauen?“ fragte Alister Abigail, sie antwortete nicht, sondern rannte sofort hin um die aufkommende Panik zu verhindern.
Blut tropfte von seiner Schulter, wo sein Bruder ihn gebissen hatte, aber die Wunde verheilte schon wieder.
„Kiran?“ er schaute sich um, Saskia hatte sich auf eine Bank gesetzt und starrte vor sich hin.
Sie würde schon drüber hinweg kommen. Sein Bruder reagierte nicht. Zusammengekauert hockte er da und hielt sich den Kopf, als habe er Kopfschmerzen. Langsam ging er auf ihn zu, doch Kiran bewegte sich auch nicht, als er ihn sanft schüttelte. Er hockte sich neben ihn und blickte ihn an. Sein Bruder hatte die Augen geschlossen und die Lippen zusammen gepresst. Alles war voller Blut und einige Tropfen quollen noch zwischen seinen Lippen hervor. Er warf einen kurzen Blick zu seiner Freundin. Sie hatte die Verbliebenen dazu gebracht, auf einer Bank Platz zunehmen. Wie sie das geschafft hatte, war ihm derzeit egal, aber er war ihr unendlich dankbar dafür. Um die Leichen würde sich Sophie kümmern müssen, die Lebenden machten ihm im Augenblick viel mehr Sorgen, davon abgesehen, dass sein Bruder momentan nicht wirklich ansprechbar war. Zum Glück wehrte er sich nicht, als er ihn dazu drängte aufzustehen. Er brachte ihn zu Saskia und es bekümmerte ihn, als Kiran dort wieder in sich zusammensackte. Trotzdem wandte er sich um und ging zu Abigail hinüber. Als er die Leichen und die Lebenden betrachtete, schauderte er. Es musste seinem Bruder gelungen sein, über zwanzig Menschen gleichzeitig zu beherrschen. Die Macht, die er mit den Jahren erreicht hatte war erschreckend. Alister selber musste zu jedem Einzelnen gehen und ihm laut den Befehl erteilen, dass er gehen und die Ereignisse dieser Nacht vergessen sollte.
„Dein Bruder macht mir angst.“ flüsterte Abigail.
„Mir auch...“ er blickte zu Kiran, der immer noch neben Saskia saß und sich nicht bewegte „Mir auch...“ seine Stimme wurde leise und Trauer schwang in seinen Worten mit „Aber komm, wir müssen ihn hier weg bringen, dann kommt er hoffentlich bald wieder zu sich.“
Gemeinsam brachten sie Kiran zu Alisters Auto. Saskia trottete langsam hinterher und freute sich, als er ihr die Vordertür aufhielt. Abigail bekam den Schlüssel und er setzte sich zu seinem Bruder nach hinten. Die Fahrt dauerte nicht lange. Kiran war auf dem Hinweg einen riesigen Umweg gefahren. Das Radio enthüllte, dass die Panik in der Innenstadt noch immer anhielt. 6 Leichen auf offener Straße und niemand hatte etwas gesehen, obwohl viel los war. Alister fröstelte. Wie viele Menschen hatte er gleichzeitig kontrolliert um das zu bewerkstelligen? Die Werwolfdame parkte den Wagen dann brachten sie Kiran in die Wohnung zurück, wo sie ihn im Badezimmer auf den Boden setzten. Die beiden Brüder blieben alleine zurück, während Saskia und Abigail in die Küche gingen. Sorgsam zog Alister seinen Zwilling aus bevor er ihn unter die Dusche schob. Blut floss in den Abguss und langsam schienen Kirans Lebensgeister zurückzukehren. Zumindest stand er auf und nahm seinem Bruder den Duschkopf ab.
Leise murmelte er „Mir ist schlecht...“ wobei das Brausen der Dusche es beinahe übertönte, während sich nach und nach immer mehr Blut aus seinen Haaren und von seinem Körper löste. Kirans Blick schien keinen Halt zu finden und streifte durch das Badezimmer, bis er auf der Schulter seines Bruders, der sich auf den Klodeckel gesetzt hatte, zur Ruhe kam. Sein Hemd war zerfetzt und voller Blut und auch die Haut darunter war rötlich braun verkrustet. Beschämt wandte er sich ab. Es war nicht die Tatsache, dass sein Bruder dort saß und ihn beim Duschen beobachtete. Ein Schamgefühl ihm gegenüber hatte er nie besessen. Es war die Tatsache, dass er ihn gebissen hatte. Der Geschmack von Alisters Blut in seinem Mund wollte nicht vergehen, also spülte er sich den Mund mit Wasser aus. Es schmeckte nicht und er musste husten, als er etwas runter schluckte. Sobald nur noch klares Wasser den Boden der Dusche bedeckte stieg er hinaus, nahm das Handtuch, das sein Bruder ihm stumm hin hielt und trocknete sich ab. Sein Blick war auf den Boden gerichtet, er wollte Alister nicht in die Augen sehen. Schuldgefühle nagten an ihm, als er in sein Zimmer ging um sich anzuziehen. Fließendes Wasser verriet ihm, dass sein Bruder sich die Schulter wusch.
Kurz darauf hörte er ihn in der Küche „Du kannst jetzt ins Bad.“ sagen und ein paar Minuten darauf hörte er die Dusche erneut.
Kiran saß auf seinem Bett, eine frische Hose angezogen, aber noch offen und nur einen Socken an. Die Übelkeit wollte nicht verfliegen. Er konnte sich nur Schemenhaft an die Ereignisse erinnern und die zeigte ihm, dass er Abigail hatte angreifen wollen, aber der Geschmack von dem Blut seines Bruders brannte immer noch in seinem Mund. Alister musste also dazwischen gegangen sein. Was fand er nur an einem Werwolf? Andererseits hatte er mit dieser Aktion auch die Menschen gerettet, die Kiran noch nicht getötet hatte. Er befand, er müsse ruhiger werden. Die letzten Tage hatten ihn ausgebrannt, was dazu führte, dass er bei der geringsten Gelegenheit die Beherrschung verlor, vor allem, wo er ohnehin schon besonders anfällig für den Rauschzustand war, der durch Blut hervorgerufen werden konnte... Dafür fühlte er sich körperlich in Bestform. Selbst schwere Verletzungen heilten binnen Sekunden und kein normaler Mensch konnte sich ihm noch widersetzen. Aber nun würde er Saskia beruhigen und irgendwie den Geschmack aus seinem Mund bekommen müssen. Nach dem Ankleiden ging er in die Küche. Die Dusche lief immer noch und in der Küche befanden sich nur sein Bruder und seine Freundin. Die Anwesenheit eines Werwolfs machte ihn enorm nervös, aber das versuchte er zu ignorieren. Abigail war immer noch blass und das Licht der auf dem Tisch brennenden Kerze hob diese Blässe noch hervor. Alister saß neben ihr und hielt ihre Hand. Keiner der Beiden sagte etwas. Auch nicht, als Kiran sich mit einem vollen Glas an den Tisch setzte. Zumindest die Splitter waren weggefegt worden, die Blutspritzer vom Vortag waren hingegen noch da. Er starrte sein Glas an, vermied den Blick zu seinem Bruder. Auch wenn er ein frisches, heiles Hemd trug und von der Wunde ebenfalls nichts mehr zu sehen sein dürfte änderte das nichts an seinen Schuldgefühlen. Plötzlich stand Alister auf und verließ mit Abigail den Raum. Er blendete ihr Gespräch aus und bekam so nicht mit, dass er sie bat zu gehen, weil Kiran Ruhe brauchte. Erst, als die Tür sich schloss blickte er kurz auf, fixierte dann jedoch wieder sein Glas. Es war beinahe leer, aber noch immer übertönte der Geschmack vom Blut seines Bruders alles Andere. Er registrierte nur halb, dass Alister in die Küche zurückkam und zuckte zusammen, als dieser ihn umarmte. Sein Bruder zitterte, wofür Kiran keine Erklärung wusste, keines seiner Gefühle war stark genug dafür, aber er war dankbar, dass er bei ihm war. Zögerlich legte er seine Hand auf Alisters Arm. Die ganze Zeit rauschte im Hintergrund die Dusche. Saskia wollte noch immer nicht darunter hervorkommen. Sie versuchte sich die Gedanken und Erinnerungen abzuwaschen, etwas das ihr nie gelingen würde, wie Kiran wusste, aber sie sollte es ruhig versuchen. An Tagen wie diesen dachte er immer daran aufzugeben. Es war ein ständiger Kampf mit der Kontrolle und sein Bruder half ihm sehr dabei. Nur, um so stärker er war, umso besser konnte er ihn beschützen. Ihn und Saskia.
„Geht es dir wieder besser?“ Alisters Stimme klang trocken und zitterte ebenfalls.
„Ein wenig...“ sein Bruder löste sich von ihm, löschte endlich die Kerze und schaute ihn an, doch Kiran versuchte weiterhin ihm auszuweichen. Er setzte sich ihm gegenüber und versuchte seinen Blick einzufangen.
„Sieh mich an.“ forderte er ihn auf.
Kirans Blick fand seinen, flackerte aber immer wieder weg, als wäre es ihm unangenehm.
„Ich weiß, dass es nichts bringen würde, dir ein Versprechen abzunehmen, dass du ab jetzt die Kontrolle behältst. Ich weiß aber auch dass du mich niemals absichtlich ernsthaft verletzten würdest allerdings ist mir genauso bewusst, dass es notwendig war, heute dazwischen zu gehen um dich zu uns zurück zu holen. – Kiran, ich mache mir Sorgen um dich, du scheinst dich momentan selbst zu verlieren.“
Die Verzweiflung in Alisters Stimme brachte seinen Bruder dazu, ihm endlich in die Augen zu sehen.
„Ich weiß...“ gab er flüsternd zurück, „und das macht mir auch Angst.“
„Was hältst du davon, wenn wir Saskia morgen zu Sophie bringen? Du musst dringend runterkommen. Ich weiß, dass ich nicht gerade unschuldig daran bin, Abigail hier her zu bringen war ein Fehler, das sehe ich ja ein, und es tut mir leid.“
Kiran nickte „Können wir machen. Der Kleinen tut es sicher auch gut, mal ein wenig Abstand zu dem Chaos hier zu gewinnen, dem ich sie ausgesetzt habe.“ er klang immer noch abwesend.
„Sie ist ziemlich durcheinander, seitdem du vor ihren Augen so durchgedreht bist. Da muss sie erst einmal drüber weg kommen.“
„Als würde ich das nicht wissen... Allein ihretwegen wird sich mein Problem allerdings nicht von Heute auf Morgen in Luft auflösen.“
„So lange, wie du schon dagegen ankämpfst, würde es mich wundern, wenn es überhaupt jemals verschwindet.“
„Ja, mach mir Hoffnung...“
Seufzend verdrehte Alister die Augen „Ich bin einfach nur realistisch. Aber vielleicht sollten wir langsam zu Bett gehen.“
„Hmm...“ machte Kiran, erhob sich dann jedoch, spülte seinen Mund erneut mit Wasser aus, ehe er die Küche verließ um in sein Zimmer zu gehen.
Alister folgte ihm, blieb aber vor der Tür stehen „Schlaf gut.“ sein Bruder nickte nur und verschwand dann in seinem Zimmer.
Angezogen wie er war, legte Kiran sich aufs Bett und starrte an die Decke. So oder so hatte er starke Zweifel, dass er überhaupt schlafen konnte. Sekunden später hörte er, wie sein Zwilling an die Tür des Badezimmers klopfte um Saskia zu bitten, endlich heraus zu kommen, damit sie ebenfalls zu Bett zu ging. Kurz darauf schlich sie dann, umschlungen mit einem Handtuch, über den Flur in ihr Zimmer. Sie fühlte sich befleckt. An sich war sie noch nicht bereit für solcherlei Bilder gewesen, denen sie heute ausgesetzt gewesen war. Andererseits gehörten sie zu der Welt, in der sie sich nun befand und sie würde damit klarkommen müssen. Dazu kam, obwohl Kiran so vollkommen die Kontrolle verloren hatte, befand sie sich zu keiner Zeit in Gefahr und beinahe wäre es ihr sogar gelungen, ihn aus seinem Rausch zu reißen. Nur leider war sie nicht vollständig zu ihm durchgedrungen. Erschöpft legte sie sich auf ihr Bett, nachdem sie sich ein etwas zu großes T-Shirt übergeworfen hatte. Sie fror und auch die Bettdecke, in die sie sich kuschelte, wollte sie nicht wärmen. Seit sie ein Vampir war, war die Decke nur noch optional, genauso wie das Atmen, wobei das noch zum Sprechen benötigt wurde. Nachdem sie sich eine Weile hin und her gewälzt hatte stand sie auf. Sie sehnte sich nach etwas zum Festhalten. Nach kurzem Überlegen ging sie zu Alisters Tür und klopfte an. Kiran wollte sie derzeit nicht sehen. Alister war überrascht, als er sie schüchtern in der Tür stehen sah. Sie krabbelte zu ihm aufs Bett und kuschelte sich an ihn, dankbar für die kleinen Unterschiede zu seinem Bruder. Insbesondere die Ruhe, die er ausstrahlte wirkte sich positiv auf sie aus. Und obwohl sie den leichten Werwolfgeruch, der seinem Bett anhaftete als störend empfand, schlief sie bald ein. Saskias Nähe wirkte auch auf Alister beruhigend, dennoch wollte sich bei ihm der Schlaf nicht so bald einstellen. Er sehnte sich nach Abigail, aber ihr Leben spielte sich auch am Tag ab und dem wollte er nicht im Wege stehen. Die Sonne war wichtig für sie. Irgendwann musste er seinem Bruder auch noch sagen, wann der nächste Angriff auf die Jäger statt finden sollte. Nicolai hatte sich in der vergangenen Nacht erneut gemeldet und in fünf Tagen war es wieder soweit. Genug Zeit sich vorzubereiten, aber auch genug Zeit, um Kiran ein wenig Ruhe zu gönnen, Ruhe die er dringend benötigte. Nach und nach dämmerte Alister ebenfalls weg, Saskia im Arm, die sich, seitdem sie zu ihm gekommen war, nicht bewegt hatte.