Читать книгу Rot - Die Farbe der Nacht - Gillian Simon - Страница 6
Nacht 2
ОглавлениеPlötzlich überkam sie ein Hustenreiz, ihre Kehle brannte vor Durst und alles um sie herum schien so laut und intensiv. Ihre Umgebung roch seltsam, doch irgendwie vertraut. Verwirrt schlug sie die Augen auf, blickte sich um. Eine schwache Erinnerung an einen dunklen Raum und ein Piksen an ihrem linken Handgelenk blitzte vor ihrem inneren Auge auf, doch schon verblasste sie, als wäre sie nicht mehr gewesen, als ein Traum. Dieser Raum jedoch, wenn auch ebenso dunkel, war möbliert, und sie konnte es erkennen. Irritiert rieb sie sich die Augen, setzte sich auf. Die Ausstattung wirkte alt, zwar gut gepflegt, aber ein wenig staubig, das Sofa auf dem sie saß, schien genauso alt und war etwas hart, dennoch, alles in allem wirkte der Raum beinahe unbewohnt. Weder auf dem Tisch noch in den Schränken lag offen etwas herum. Vorsichtig erhob sie sich und ging zu den Schränken um irgend ein Anzeichen von Leben zu finden, doch plötzlich spürte sie etwas – eine seltsam vertraute Präsenz. Verwundert wandte sie sich um und zuckte erschrocken zusammen, als sie einen Mann in der Tür stehen sah, der jedoch beim nächsten Wimpernschlag auch schon wieder verschwunden war. Völlig durcheinander starrte sie zur Tür, war sich nicht sicher, ob der Mann nicht doch nur Einbildung gewesen war, sein Bild allerdings, hatte sich ihr eingebrannt. Er war groß gewesen, in ihren Augen beinahe riesig, dabei relativ schmal, mehr war von seiner Statur nicht zu deuten gewesen, da sein weinrotes Hemd jegliche genauere Einschätzung unmöglich machte, dazu trug er eine schwarze Stoffhose. Sein Gesicht... die Lippen waren weder besonders schmal, noch besonders voll, die Nase gerade und nicht zu groß für das ebenfalls schmale Gesicht. Der Blick seiner Augen jedoch war kalt gewesen, dunkelgrün-braune Augen, die zum Teil verdeckt gewesen waren, von Strähnen seines schwarzen Haares, die davor hingen. Ein Blick, der sie jetzt im Nachhinein erschaudern ließ und sie fragte sich, warum sie sich so genau an jede Einzelheit seine Aussehens erinnern konnte. Langsam drehte sie ihr linkes Handgelenk, zwei kleine, runde Narben, die gut zu sehen waren, befanden sich genau über der Schlagader. In genau diesem Moment ging Alister am Wohnzimmer vorbei um zu seinem Bruder in die Küche zu gelangen, zu leise, als dass sie ihn hätte hören können und für ihn war es der falsche Winkel, als dass er sie, ohne zurück zu blicken, hätte sehen können. Kiran stand, mit verschränkten Armen an die Arbeitsfläche gelehnt, in der Hand ein mit Blut gefülltes Glas. Obwohl er, im Gegensatz zu seinem Bruder, kein Experte dafür war, erkannte er durchaus, dass etwas nicht stimmte. Sein Zwilling wirkte verstört, starrte reglos zur Küchentür. Aber genauso reichte sein fragender Blick aus, damit Kiran mit der Hand, in der er das Glas hielt, zur Tür deutete und leise murmelte
„Im Wohnzimmer...“
„Was ist im Wohnzimmer?“ fragte er, während er sich verwirrt umwandte.
Das Mädchen hatte sich mittlerweile zur Tür getraut und sah zu ihnen hinüber, als Alisters Blick sie jedoch traf, zog sie sich schnell wieder in den Raum zurück.
Perplex sah er wieder zu seinem Bruder „Ein Kind? Wie kommt ein Kind in unser Wohnzimmer?“
Kiran zuckte mit den Schultern „Ich weiß nur, ich habe sie gestern umgebracht...“
„Also...“ er brauchte den Satz gar nicht zu beenden, sein Zwilling nickte auch so schon.
„Gebunden?“
Wieder nickte er nur.
„Du hast ihr nichts gegeben, oder?“
„Natürlich nicht! Du weißt, wie ich allgemein dazu stehe... und sie ist noch dazu ein Kind!“
„Aber wie kann es dann sein, dass sie mit deinem Blut verwandelt worden ist?“
„Woher soll ich das bitte wissen? Ich verstehe ja nicht einmal, wieso sie überhaupt wieder aufgestanden ist, ohne vorher Vampirblut im Körper gehabt zu haben!“
„Sollte das nicht eigentlich unmöglich sein?“
„Eigentlich... aber anscheinend ist es doch möglich...“
„Und was willst du jetzt machen?“
Wieder zuckte Kiran mit den Schultern „Ich werde Sophie fragen...“
„Ich meinte eigentlich mit ihr.“
Er presste die Lippen zusammen „Wirklich eine Wahl habe ich doch gar nicht... dank der Schafferbindung.“
Alister musterte seinen Bruder, dann seufzte er „Kommst du damit klar?“
Sein Zwilling bleckte die Zähne „Sehe ich so aus?“
Er sah ihm in die Augen. Wenn es nach Aussehen ginge... Würde er ihn nicht so gut kenne, wüsste er nicht, dass die Art, wie er da stand, davon zeugte, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war, denn nach außen hin wirkte er kühl und desinteressiert, wie fast immer, seit sie Vampire waren.
Nach einer Weile wandte Alister den Blick ab, sah in den Flur zurück „Und jetzt? Willst du sie einfach alleine im Wohnzimmer sitzen lassen?“
„Sie wird es überleben.“
„Trotzdem liegt es in deiner Verantwortung! Immerhin hast du sie umgebracht!“
Kiran stürzte den letzten Rest Blut hinunter und stellte das Glas hinter sich ab „Als hätte ich mir das ausgesucht! Schließlich habe ich ihr nichts von meinem Blut gegeben!“
„Musst du sie jetzt deswegen dafür strafen? Sie kann doch überhaupt nichts dafür, dass sie verwandelt worden ist!“
„Nein, ich aber genauso wenig!“ er stieß sich von der Arbeitsfläche ab und schob sich an seinem Bruder vorbei „Ich fahre jetzt zu Sophie!“
„Solltest du nicht erst einmal mit ihr reden?“
„Darin warst du schon immer besser als ich...“
„Und das heißt? Dass du deine Probleme wieder auf mich abwälzen willst?“doch Kiran war schon aus dem Haus verschwunden und Sekunden später konnte er hören, wie sein Motorrad angelassen wurde und sich kurz darauf rasch entfernte.
Demnach, blieb es nun an ihm hängen. Seufzend begab er sich ins Wohnzimmer, in dem das Mädchen verschreckt auf einem Sessel saß und zur Tür starrte. Er konnte es atmen hören, etwas, das ihm zuvor nicht aufgefallen war, aber warum auch hätte er die Geräusche in ihrem Wohnzimmer kontrollieren sollen? Während er zum Sofa ging, um sich zu setzen, versuchte er Ruhe auszustrahlen, sein Bruder hätte es deutlich einfacher gehabt, trotz seiner beängstigenden Aura. Warum auch immer, sie war an ihn gebunden, mit seinem Blut verwandelt worden und diese Schafferbindung sorgte dafür, dass sie vor ihm keinerlei Angst hatte, für ihn selber jedoch, galt das nicht. Langsam ließ er sich ihr gegenüber auf dem Sofa nieder, spürte ihren unsicheren Blick.
„Wo ist der andere?“
Überrascht sah Alister sie an „Mein Bruder?“
Das Kind zuckte mit den Schultern.
„Der wollte mit jemandem reden... also wirst du wohl vorerst mit mir vorlieb nehmen müssen.“
Es antwortete nicht, sondern presste nur die Lippen aufeinander.
„Keine Sorge, ich werde dir nichts tun...“ meinte er seufzend.
„Aber... ich... er... er hat gesagt... er hat mich umgebracht?“ seine unsichere Stimme brach mehrfach während des Satzes.
Es war klar gewesen, dass es ihr Gespräch in der Küche belauscht hatte, selbst für einen Menschen wäre es auf diese Entfernung, bei offenen Türen gut zu hören gewesen.
„Sonst wärst du wohl kaum hier.“ hätte Kiran das Mädchen nicht ausgesaugt, hätte niemals eine Bindung entstehen können, und wäre dem nicht so, hätte er es ohne mit der Wimper zu zucken gänzlich getötet, auch wen es nun einer von ihnen war.
Wie genau jedoch diese Bindung hatte entstehen können, war die große Frage, denn er glaubte seinem Bruder, wenn dieser sagte, er habe ihm nichts gegeben.
„Aber... wenn er doch gesagt hat... er hat mich doch umgebracht?“
„Hat er, so wie Sophie ihn und mich...“
„Das heißt... ihr seid auch tot?“
Alister nickte „Streng genommen schon...Und, wenn ich mich richtig erinnere... du hast Durst, nicht wahr?“
Dieses Mal nickte das Mädchen.
„Warte hier kurz...“ der Vampir erhob sich und ließ es alleine im Zimmer zurück.
Frisches Blut war zwar besser, aber das würde warten müssen, bis sein Zwilling wieder zurück war. In der Küche füllte er ein Glas mit Blut, kehrte dann zu ihm zurück und stellte es vor ihm auf dem Tisch ab.
„Was ist das?“
„Blut.“
Angewidert schob es das Glas von sich weg „Kann ich nicht vielleicht etwas Wasser bekommen?“
„Ich kann dir welches holen, aber es wird dir nicht schmecken.“
„Bitte!“ seine Stimme klang flehend, so dass Alister erneut in die Küche ging um ein zweites Glas mit Wasser zu füllen, das er neben dem ersten abstellte.
„Hier, bitte.“ dann setzte er sich wieder aufs Sofa und beobachtete es.
Dankbar griff es nach dem neuen Glas und trank einen Schluck, was einen neuerlichen Hustenreiz auslöste.
Würgend schob es das Wasserglas von sich „Das ist doch nie und nimmer Wasser.“
„Natürlich ist es das. Frisch aus dem Wasserhahn. Probierst du jetzt das Blut?“
Misstrauisch beäugte es die rote Flüssigkeit „Habt ihr nicht noch etwas anderes? Etwas, das besser schmeckt?“
„Ich kann dir nur Blut aus einem anderen Beutel anbieten, aber ob dir das besser schmeckt kann ich nicht sagen, dafür müsstest du es erst einmal probieren.“
„Hmm...“ zögernd griff die junge Vampiress nach dem Glas und roch daran. Der Geruch erinnere kein Bisschen an Blut, er war eher leicht blumig und löste ein ungewohntes Kribbeln in ihren Zähnen aus. Vorsichtig nippte sie daran. Ein seltsam fruchtiges Aroma breitete sich in ihrem Mund aus.
„Bist du sicher, dass das Blut ist?“
Alister lächelte „Wir haben nichts anderes im Haus.“
„Aber... es schmeckt fast wie Saft... nur... irgendwie anders.“
„Es gibt Unterschiede, das wirst du mit der Zeit noch merken. Und so ist es natürlich kein Vergleich zu frischem, warmen Blut.. Es reicht gerade mal aus, um zu überleben, aber dir würde immer etwas fehlen. Um allerdings mit deinem jetzigen Dasein gut klarzukommen, wirst du noch einiges lernen müssen und dir dabei zu helfen ist eigentlich die Aufgabe meines Bruders.“
„Warum?“
„Weil er dich getötet hat. Du müsstest die Bindung eigentlich spüren.“
„Ich... Ich habe etwas gespürt, als er mich angesehen hat...“
Ruhig sah er sie an „Und jetzt?“
Das Mädchen schüttelte mit dem Kopf „Es ist weg...“
Ein leichtes Grinsen huschte über Alisters Gesicht „Das meine ich gar nicht.“ gab er zwinkernd zurück „Du müsstest eigentlich spüren können, wie er sich entfernt.“
Nachdenklich blickte sieh ihn an, horchte in sich hinein und versuchte auf das zu achten, was er meinte. Tatsächlich war da dieses Gefühl, das etwas wichtiges immer weiter weg war.
„Ja...“ flüsterte sie und versuchte den Schauer zu verbergen, der sie überlief.
Um nicht näher darauf einzugehen, hielt es ihm das leere Glas hin „Kann ich noch etwas haben, bitte?“
So oder so, sie hatte noch immer Durst, so wie das Gefühl, noch mehr zu brauchte.
„Sicher.“ er nahm beide Gläser mit in die Küche, goss das Wasser in den Ausguss und füllte das andere wieder auf, dann kehrte er zu dem Mädchen zurück und gab ihm das frisch gefüllte Glas, ehe er sich wieder auf seinen Platz setzte und ihm schweigend dabei zusah, wie es sofort daran nippte. Die Kleine war viel zu jung verwandelt worden und das auch noch mit dem Blut seines Bruders, der dafür nicht einmal annähernd die richtige Person war. Sie würde damit klar kommen müssen, ob Kiran ihr dabei jedoch angemessen helfen würde, wagte er zu bezweifeln.
Erst nach einer Weile meinte er, wobei seine Stimme etwas nachdenklich klang „Nun, da du durch die Umstände wohl bei uns bleiben wirst, wäre es wohl ganz angebracht, deinen Namen zu erfahren...“
„Saskia.“ sie nahm einen letzten Schluck aus ihrem Glas, das damit schon wieder leer war „Und ihr?“
„Ich heiße Alister und mein Bruder Kiran.“
„Wohnt ihr hier zusammen?“
Er nickte „Nur wohl nicht mehr lange... aber jetzt komm erst mal, dann zeige ich dir zumindest schon mal, wo du schlafen kannst.“
Sie nickte und folgte ihm dann in die obere Etage. Das Zimmer, in welches er sie führte, war recht klein und spärlich eingerichtet. Ein großes Bett stellte den Hauptteil der Einrichtung dar, daneben stand ein kleiner Nachttisch und an der Wand, neben einer schmalen Tür, stand eine kleine Kommode.
„Hier wirst du vorerst bleiben können. Es ist nicht groß, aber fürs Erste ausreichend. Hinter der kleinen Tür ist eine Toilette, die wirst du aber wohl nicht brauchen. Zum Duschen musst du dann ins große Bad, das ist unten.“
Die fröhlich geblümte Tagesdecke passte nicht wirklich in das sonst so dunkle Zimmer. Die schweren, roten Samtvorhänge waren zugezogen, so dass kein Licht von draußen eindringen konnte. Er beobachtete sie dabei, wie sie sich mit neugierigem Blick in dem Raum umschaute und dabei jede Tür und Schublade öffnete. Alisters Nähe verunsicherte sie noch immer. Lieber wäre es ihr, wäre sein Bruder bei ihr. Irgend etwas sagte ihr, dass es so nicht richtig war, dass Kiran bei ihr sein sollte. Auch wenn sie Zwillinge waren, was nicht zu übersehen war, fehlte das vertraute Gefühl, dass sie gehabt hatte, als er sie angesehen hatte... nur dann kam ihr wieder in den Sinn, wie er sie angesehen hatte und erneut lief ihr ein Schauer über den Rücken. Dazu war er einfach abgehauen, ohne auch nur ein Wort mit ihr geredet zu haben. Nun kümmerte sich sein Bruder um sie, allerdings konnte sie nicht einschätzen, ob das nun gut oder schlecht war. Kurz hielt sie inne, dann schob sie diese Gedanken schnell wieder zur Seite und widmete sich erneut der Untersuchung ihrer neuen Bleibe. Das Zimmer enthielt keinerlei persönlichen Gegenstände, war aber sauber, obgleich es wohl nur sehr selten oder gar nicht genutzt wurde. Sie war sich nicht sicher, ob es eine angemessene Unterkunft war, aber ihr blieb keine Wahl, sie musste lernen, sich in ihrer neuen Welt zurecht zu finden, und wo sonst hätte sie hingehen sollen? Hier zu sein allerdings, fühlte sich seltsam an. Kirans Aussage darüber, dass er sie umgebracht habe, das Blut, das eher nach Saft denn nach Blut schmeckte und all die neuen Eindrücke, Geräusche, Gerüche. Es kam ihr vor, als würde das alles sie überfluten.
Seufzend beendete sie ihre Inspektion und ging zu Alister hinüber „Kannst du mir noch etwas zeigen?“
„Den Rest des Hauses, für alles andere ist mein Bruder verantwortlich. Und diese Aufgabe werde ich ihm sicher nicht abnehmen.“
Kiran trat aufs Gas. Er würde denjenigen erwischen, der ihm das eingebrockt hatte. Einen neuen Vampir zu erschaffen war nichts, was man einfach so aus einer Laune heraus tat, dafür war die Bindung zu stark, die Verantwortung zu groß, die man damit übernahm. Er selber hatte nie vor gehabt überhaupt jemals jemanden zu verwandeln. Nun war ihm diese Entscheidung abgenommen worden, irgendwer hatte ein Kind an ihn gebunden. Für einen Erwachsenen konnte es schon schwer sein, mit seinem neuen Dasein klar zu kommen, für ein Kind gab es noch andere, zusätzliche Hürden, ganz davon abgesehen, dass sie auf ewig ihr kindliches Äußeres behalten würde und mit den daraus resultierenden Schwierigkeiten würde klar kommen müssen. Nur, wie und warum war sie überhaupt verwandelt worden? Als er sie in dem Raum hatte sitzen sehen, war ihr Geruch rein menschlich gewesen. Seiner Einschätzung nach war sie bis dahin noch nie in der Nähe eines Vampirs gewesen, geschweige denn, dass sie das Blut eines solchen im Organismus gehabt hätte, wobei es genau genommen sogar sein eigenes hätte sein müssen, denn die Bindung war da, er konnte sie deutlich spüren. Eine Bindung, die nur entstand, wenn der Vampir, der sein Blut gab auch das Blut desjenigen nahm, dem er es gegeben hatte. Aber dann war sie, obwohl sie gestorben war, ohne Vampirblut im Körper gehabt zu haben, was an sich schon eine Verwandlung unmöglich machte, bei ihnen wieder aufgewacht. Das Ganze deutete darauf hin, dass ihr Versteck bekannt war und das war alles andere als gut. Sie würden umziehen müssen, mal wieder, doch es war nötig, um ihren Wohnort geheim zu halten. Was ihn verstörte war, dass derjenige, der sie verwandelt hatte, an sein Blut gekommen sein musste, ohne, dass er es bemerkt hatte, denn Vampire gehörten nicht unbedingt zu den freiwilligen Blutspendern. Und die Kleine? Bei ihr war ungewöhnlich, dass sein Biss nicht vollständig verheilt war. Weder sein Bruder, noch er selber hatten Narben von Sophies Biss zurückbehalten, denn bei einer normalen Verwandlung verheilten die Einstiche sofort, sie aber hatte zwei kleine, rote Narben von seinen Zähnen zurückbehalten.
Ohne merklich langsamer zu werden, durchfuhr er das große, gusseiserne Tor, das aufschwang, sobald er in seine Nähe kam. Sophie wusste immer, wenn er kam, und auch er spürte ihre Präsenz, alt und stark. Er parkte seine Maschine auf einem der zum Anwesen gehörenden Stellplätze und betrat das große Gebäude. Bis auf einige Diener, die sich bei seiner Ankunft schnell zurück zogen, war die große Eingangshalle verlassen, wie meist. Ein Großteil derer, die sich hier aufhielten, befanden sich im Salon, manche aber auch in der Bibliothek, oder ihren Zimmern. Er selber bevorzugte es, abseits dieser Räumlichkeiten zu leben. Nicht nur aufgrund der Diener, die eine ständige Herausforderung für ihn darstellten, sondern auch, wegen der Anderen, insbesondere einer einzelnen Vampiress. Um das allerdings nicht auch noch herauszufordern, beeilte er sich, zu Sophies Büro zu kommen, der Ort, an dem er sie spürte und an dem sie sich meist aufhielt. Da sie ohnehin wusste, dass er kam, machte er sich gar nicht erst die Mühe, anzuklopfen. Seine Erschafferin saß hinter ihrem Schreibtisch. Die langen blonden Haare waren zu einem Zopf geflochten, der ihr locker über die Schulter fiel. Mit ihren eisblauen Augen musterte sie ihn kurz.
„Kiran, schön dich zu sehen. Was verschafft mir die Ehre eines deiner seltenen Besuche?“
„Ich hab ein Problem.“
Ein sanftes Lächeln legte sich auf ihre Lippen „Wie sollte es auch sonst sein? Grundlos tauchst du ja nie hier auf... Also, was hast du?“
„Ein Kind.“
Irritiert blickte sie ihn an „Ein Kind? Ich dachte du wolltest nie jemanden verwandeln.“
„Habe ich auch nicht!“ gab er zurück und presste dann die Lippen aufeinander.
Sie wusste, er versuchte wieder einmal, seine Gefühle zu verbergen, kalt zu wirken, doch er war so aufgewühlt, dass selbst sie es noch deutlich spüren konnte.
Ein leiser Seufzer drang über ihre Lippen „Also, was ist passiert?“
„Wir waren gestern in Rean um diesen bescheuerten Auftrag von deinem tollen Freund zu erfüllen...“
„Beruhige dich bitte! Ich weiß, dass du aufgebracht bist und von Anfang an dagegen warst.“ warf sie in seine kurze Pause ein, was ihn dazu brachte, die Zähne zu blecken, bevor er weitersprach „Jedenfalls war sie dort in dem Haus... und du weißt, dass ich mich bei Kindern nicht zurückhalten kann...“ seine Stimme klang resigniert.
Nachdenklich sah sie ihn an, ein Kind an solch einem Ort konnte vieles bedeuten. Es konnte zu den Jägern gehören, oder sich ohne deren Wissen dort versteckt haben.
„Also hast du sie getötet.“ stellte Sophie fest.
Kiran zuckte mit den Schultern „Was nichts besonderes wäre... wäre sie nicht heute Abend bei uns auf dem Sofa wieder aufgewacht... und wir haben sie sicher nicht dort hingelegt.“
„Sie ist mit deinem Blut verwandelt worden?“
Er nickte „Gegeben habe ich ihr allerdings nichts... und sie roch auch nicht so, als hätte sie mein Blut schon im Körper gehabt, als ich sie dort gesehen habe...“
„Das klingt ja beinahe so, als wäre sie dort absichtlich von jemandem platziert worden, der einen Weg gefunden hat, eine Verwandlung durch das Verabreichen von Blut nach Eintritt des Todes, durchzuführen!“
„Daran habe ich auch schon gedacht... Nur wie? Und wer außer Nicolai und uns wusste überhaupt, dass wir zu der Zeit dort sein würden?“
Seine Erschafferin schüttelte mit dem Kopf „Das ist schwer zu sagen... du weißt, dass selbst wir nicht vor Spionen gefeit sind, und er hat den Auftrag ja auch nur weiter gegeben, da explizit nach euch gefragt worden ist. Wenn, dann müsste es derjenige gewesen sein, der um die Vermittlung dieses Auftrages an euch gebeten hat.“
„Und du glaubst nicht, dass er selber etwas davon wusste?“
„Nein... vor allem glaube ich nicht, dass er wissentlich einem anderen Vampir so etwas antun würde. Aber selbst unter diesen Umständen, wirst du wohl kein Wort über seine Kontaktperson aus ihm heraus bekommen. Er war schon immer sehr diskret, das hat ihn damals sogar das Leben gekostet... Und ich weiß bis heute nicht, wer ihn zuvor von seinem Blut hat trinken lassen. Das und die Umstände seines Todes haben ihn zu einem der wenigen ungebundenen Vampire gemacht, weswegen er diese Seite gar nicht kennt. Ohnehin sind seine Erfahrungen mit der anderen Seite der Schafferbindung wesentlich dramatischer und der eigentliche Grund dafür, dass ich nicht glaube, dass er so etwas tun würde...“
„Und was sind das für Erfahrungen, dass sie dich so sicher machen?“
„Tut mir leid, das werde ich dir nicht erzählen. Es ist seine Geschichte und nur er hat das Recht dazu!“
Kiran stieß ein leises Knurren aus „Dann fang doch gar nicht erst damit an!“ dann seufzte er „Das heißt allerdings, dass die Kleine unser einziger Anhaltspunkt dafür ist...“
Seine Erschafferin nickte „Vielleicht kann sie dir helfen, wenn ihre Erinnerung zurückkehrt, irgend etwas muss sie ja wissen. Aber als erstes werde ich dafür sorgen, dass ihr eine neue Bleibe bekommt, nach diesen Ereignissen möchte ich euch so schnell wie möglich da raus wissen. Und... Kiran?“
Er hatte sich eigentlich gerade zum Gehen wenden wollen, sah sie nun aber doch wieder an.
„Wenn du die Zeit finden solltest, würde ich mich freuen, wenn du sie mir mal vorstellen würdest.“
„Ja ja...“ er klang gereizt und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum. Sophie zuckte zusammen, als die schwere Tür laut hinter ihm ins Schloss fiel.
Er war wirklich schwierig geworden, jedoch konnte sie ihm sein Verhalten nicht verübeln, denn wirklich zufriedenstellend war ihr Gespräch für ihn nicht gerade verlaufen.
Ohne sich noch einmal umzudrehen begab er sich wieder zu seinem Motorrad, froh darüber, dass er keinem der anderen über den Weg gelaufen war. Er wusste, dass sich die geschäftige, alte Vampiress gleich daran machen würde, alles Nötige für den Umzug in die Wege zu leiten. Er selber konnte nichts weiter tun. Natürlich brannten die Fragen immer noch in ihm und er war sich absolut nicht sicher, ob Sophie mit ihrer Einschätzung richtig lag, zumindest was den Teil anging, ob Nicolai es getan haben könnte, oder nicht. Erst einmal wollte er aber nun dem Mädchen noch ein Armband besorgen, um die Narben zu verdecken, und dann nach Hause. Auch wenn er es nie gewollt hatte, hatte er doch genügend Verantwortungsgefühl, das Kind nicht komplett im Stich zu lassen und es würde frisches Blut benötigen. Konserven hatte es schon bekommen, darüber war er sich sicher, denn seine Präsenz fühlte sich ein wenig besser an, doch ersetzten diese niemals die Kraft und Energie von frischem, lebendigen Blut. Allein der Gedanke daran, ließ seine Zähne kribbeln und zeigte ihm, dass er ebenfalls welches brauchen konnte. Rasch schwang er sich auf seine Maschine, raste in Richtung Innenstadt, um seine Besorgung zu erledigen. Glücklicherweise war Herbst und so war es, dank der frühen Sonnenuntergänge, nicht all zu schwer, noch einen Laden zu finden, der noch geöffnet hatte und Armbänder verkaufte. Er suchte sich ein etwas breiteres aus, von dem er nach Augenmaß befand, dass es der Kleinen passen müsste. Es war nicht ganz billig, aber Geld sollte das geringste Problem sein. Der Verkäufer lächelte ihn vielsagend an, als er bezahlen wollte.
„Eine gute Wahl, ihre Liebste wird begeistert sein! Soll ich es als Geschenk einpacken?“
„Nein danke.“ Kiran bleckte die Zähne zu etwas, das nicht einmal entfernt an ein Lächeln erinnerte.
Gereizt nahm er das bezahlte Armband entgegen, steckte es in seine Hosentasche und verließ den Laden. Nach all den Jahren machte ihn Geruch und Geräusche von fließendem Blut noch immer nervös, wenn er versuchte sich zu beherrschen. Blut, das von einem lebendigen Herzen durch den Körper gepumpt wurde, auch wenn es leicht unregelmäßig schlug, wie das von dem in die Jahre gekommenen Herren hinter der Theke. Rasch kehrte er zu seinem Motorrad zurück, um nur Sekunden später in Richtung ihres Hauses zu rasen.
Er stellte sein Motorrad in die nun leere Garage. Sie würden das Auto noch zurückholen müssen, aber derzeit hatten sie andere Sorgen. Leise Stimmen waren aus der Küche zu hören. In erster Linie die seines Zwillings, ruhig und erklärend, aber auch die Stimme des Mädchens war zu vernehmen, zart, leise, unsicher und fragend. Er blieb im Türrahmen stehen und beobachtete die Beiden, wissend, dass sie ihn beide bemerkt haben mussten, sie ignorierten ihn jedoch. Kiran räusperte sich, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
„Ach, lässt du dich auch nochmal blicken? Ich habe heute gar nicht mehr mit dir gerechnet.“ Alister klang sehr trocken und hielt es auch nicht für nötig sich umzudrehen, also wandte er sich an das Mädchen.
„Ich hab dir etwas mitgebracht.“ Vorsichtig zog er das Armband aus seiner Tasche und ging zu ihr rüber. „Gib mir mal deine Hand.“ als sie ihm die Rechte hinstreckte schüttelte er mit dem Kopf, „Die andere bitte.“
Sie streckte ihm die linke Hand hin und beobachtete, wie er ihr behutsam das Armband überstreifte und so hin schob, dass die beiden kleinen Narben nicht mehr zu sehen waren. Als ihr auffiel, was sein Ziel war, blickte sie ihm ins Gesicht und er lächelte sie an, zumindest versuchte er es, doch mehr als ein schiefes Grinsen brachte er nicht zustande, was Saskia zum Lachen brachte.
„Als Entschuldigung dafür, dass ich vorhin einfach abgehauen bin.“
„Ähm... danke?“ „Ich heiße übrigens Kiran.“
Sie nickte „Das hat dein Bruder schon erzählt.“
Er warf seinem Bruder einen flüchtigen Blick zu, der verdrehte die Augen und verließ die Küche. „Und du?“
„Saskia. Aber... Wo will er hin?“ Sie folgte dem verschwindenden Vampir mit ihren Augen.
Kiran zuckte mit den Schultern, „Er ist zwar mein Bruder, und wir haben auch durchaus gewisse Kräfte, aber hellsehen oder Gedanken lesen gehört nicht dazu.“
Er musterte sie. Ihr Alter brachte durchaus auch Vorteile mit sich. Kinder lernten schneller, waren neugieriger und allgemein offener für ihre neue Existenz. Wie gut sie es jedoch wirklich aufnahm, würde sich zeigen, sobald ihre Erinnerung zurückkehrte. Er selber war damals beinahe durchgedreht. Nicht, weil Sophie ihn zu einem Vampir gemacht hatte, sondern wegen dem, was sie dadurch zurückgelassen hatten. Auch Alister hatte darunter gelitten, doch ihm war es deutlich leichter gefallen, als seinem Bruder. Allerdings hatte ihr neues Dasein ihnen auch neue Möglichkeiten eröffnet und im Laufe der Jahre hatte er es geschafft, sich mit den meisten Dingen zu arrangieren. Nur die Unfähigkeit das Sonnenlicht zu ertragen, störte ihn immer mehr. Es ging dabei nicht um Licht, elektrisches Licht tat durch seine Helligkeit in den Augen weh und ohnehin konnten sie in völliger Finsternis noch besser sehen als ein Mensch an einem sonnigen Tag. Es war das angenehme Gefühl auf der Haut, die Wärme der Sonnenstrahlen an einem schönen Tag, was er vermisste und worauf er als Vampir verzichten musste. Seiner Meinung nach dennoch, ein sehr geringer Preis für das, was er dadurch gewonnen hatte.
„Hat Alister dir eigentlich schon etwas gezeigt?“
Sie nickte, „Das Haus!“
Er musste lachen, dieses Mal wirkte es etwas ehrlicher, als sein fehlgeschlagener Lächelversuch. „Nein, das meinte ich nicht. Ich meinte bezüglich deiner neuen Kräfte.“
Saskia schüttelte den Kopf.
„Nun gut, trink dein Glas leer und ich zeig dir etwas. Nur eine Kleinigkeit, die jedoch dein Leben retten kann.“
Ein warmes, vertrautes Gefühl überkam sie, als er sich erhob und ihr die Hand reichte. Sie fühlte sich geborgen und absolut sicher, ein Gefühl, das sie bei seinem Bruder nicht verspürt hatte, obwohl er von Anfang an freundlich zu ihr gewesen war, während Kiran einfach abgehauen war, ohne überhaupt mit ihr geredet zu haben. Nun führte er sie in den Garten. Am Himmel waren ein paar Sterne zu sehen, jedoch kein Mond. Ob er nun schon untergegangen, noch nicht aufgegangen war oder ob sie Neumond hatten wusste sie nicht, nur dass er nicht zu sehen war und sie trotzdem so gut sehen konnte, als wäre es helllichter Tag. Fragend blickte sie zu ihm hoch. Sein Blick war auf einen weit entfernten Punkt gerichtet, den sie nicht bestimmen konnte.
„Schließ die Augen und konzentriere dich auf das, was an deine Ohren dringt.“
Sie zögerte, sah ihn unsicher an, tat dann aber doch, wozu er sie aufgefordert hatte. Das Gewirr an verschiedenen Geräuschen kam ihr mit einem mal noch lauter vor, als es anfangs der Fall gewesen war und was ihr Gehirn schon beinahe vollständig weg gefiltert hatte. Nun aber, nach Ausschluss des Sehsinns, schien ihr der Lärm wieder äußerst präsent.
„Ich weiß es ist laut...“ flüsterte er plötzlich dicht an ihrem Ohr „Aber versuche, dich auf einzelne Dinge zu konzentrieren. Wir sind in der Lage ziemlich genau den Ursprungsort auszumachen, auch über größere Entfernungen hinweg und selbst kleine Unterschiede sind gut zu erkennen. So ist es uns möglich, Menschen am Klang ihrer Herzschläge auseinander zu halten.“
Fasziniert hatte sie seinen Worten gelauscht, wollte aber nun, wo er schwieg um ihr die Gelegenheit zu geben, diese Fähigkeit auszuprobieren, dieses auch tun. Doch anstatt dass sie ihre Sinne auf eines der lauten Geräusche, die aus dem Garten zu ihr drangen zu konzentrieren, lenkte sie ihre Konzentration auf Kiran, der direkt hinter ihr stand. Er war so nah bei ihr, und sie erwartete seinen Atem zu hören, seinen Herzschlag, oder rauschendes Blut, aber alles war still. Sie spürte seine Nähe, wie einen schützenden Umhang der sie umgab, aber diese absolute Abwesenheit von Geräuschen des Lebens jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Ihre Atmung stockte, dadurch fiel ihr auf, dass diese das einzige Geräusch war, was sie selber verursachte und erst jetzt wurde ihr bewusst, was seine Worte bedeuteten – die Worte, dass er sie umgebracht habe. Mit einem Mal begann sie zu zittern. Die Hände, die sanft und leicht auf ihren Schultern lagen drückten kurz zu und lösten sich dann. Sofort drehte sie sich um und hielt sich an ihm fest, während sie schluchzte. Tröstend legte er seine Arme um sie. Er spürte ihren Schmerz stärker als er je vermutet hätte und sie es sich derzeit vorstellen konnte. Sie war nun sein Kind und er würde versuchen sie vor allem zu beschützen, auch wenn er sich noch immer fragte, wie es überhaupt dazu kommen konnte. Er ließ ihr Zeit, er wusste genau, dass das nötig war. Auch ohne die Erinnerung an ihr altes Leben, gab es zu viele Dinge, die ein junger Vampir begreifen und mit denen er klar kommen musste. Die Tatsache, nicht mehr zu leben, war eine davon, eine andere, dass ihre Beute nun Menschen waren, deren Leben sie bei der Nahrungsaufnahme zwar verschonen, aber auch auslöschen konnten und nicht immer war es möglich, die Kontrolle zu behalten – etwas, das er selber gut genug, eigentlich schon zu gut, kannte. Als sie sich langsam wieder beruhigte atmete er auf. Zum Glück würde sie seine Gefühle niemals so stark und intensiv wahrnehmen, wie er die ihren.
„Wir sollten erst einmal reingehen und dein Gesicht waschen.“ meinte er leise.
Sie sah ihn fragend an, „Wieso? Ich möchte es doch nochmal versuchen.“ tapfer kniff sie die Lippen zusammen.
„Später, erst einmal müssen wir dafür sorgen, dass du nicht mehr so furchterregend aussiehst.“ er zwinkerte ihr zu und wischte mit dem Daumen eine ihrer Tränen weg um ihr seinen roten Finger zu zeigen.
„Oh, tut mir leid...“ traurig blickte sie auf sein Hemd, das nun einige, rote Flecken aufwies „Ich habe dein Hemd ruiniert! Das wollte ich nicht...“
„Mach dir nichts draus, was meinst du, wie oft wir Blut aus unseren Klamotten waschen müssen? Die Farben sind schon mit Bedacht ausgewählt worden. Aber nun komm, wir müssen doch dafür sorgen, dass du wieder ansehnlich bist.“ Sie folgte ihm ins Bad und er nahm einen Waschlappen um ihre rot verschmierten Augen zu säubern. „Unsere Tränen sind wohl einer der wenigen Nachteile an unserem Dasein,“ meinte er gedankenverloren, „wenn wir nicht aufpassen, können sie uns verraten. Aber ich bin sicher, dass es dir mit der Zeit gelingen wird sie zu verbergen.“
Saskia nickte stumm, während sie im Spiegel beobachtete, wie nach und nach das Rot aus ihrem Gesicht verschwand. „Ich bin so blass, wird das wieder weg gehen?“
„Es sollte ein wenig besser werden, wenn du regelmäßig Blut trinkst, am Anfang allerdings ist es völlig normal. Aber zum Jagen kommen wir später, vorher darfst du noch ein wenig üben.“ Er wischte eine letzte, rote Strieme weg „So, nun können wir wieder in den Garten, wenn du magst, ich hatte das Gefühl, dass dir das Lauschen recht leicht fiel.“
„Ja, es war nur...“
Er winkte ab „Ich weiß was los war, mach dir darüber mal keine Sorgen, an diesen Gedanken, wirst du dich schnell gewöhnen. Aber geh bitte schon mal vor, ich will nur noch kurz mit meinem Bruder reden.“
Sie nickte und lief los, es schien, als sei sie unnatürlich glücklich, als sie zur Hintertür hüpfte um sich wieder auf die kleine Terrasse zu stellen. Kiran sah ihr einen kurzen Moment zu, dann ging er zu Alister, der im Wohnzimmer auf dem Sofa saß und gerade den Hörer wieder auflegte.
„Hat sie schon was gefunden?“
Sein Bruder nickte, „Morgen Abend, sobald die Sonne unter gegangen ist, geht es los. Jetzt würde die ganze Aktion etwas knapp werden.“
Kiran nickte, „Dann werden wir nachher noch unsere Sachen packen müssen.“
Sein Bruder musterte ihn, „Was ist los mit dir? Du wirkst so ruhig und entspannt!?“
„Tu ich das?“
Alister nickte und sein Zwilling seufzte „Lass mich raten, es ist alles nur Fassade für die Kleine, nicht wahr?“
Der Zwilling zuckte mit den Schultern „Vielleicht...“ und verschwand wieder zu ihr in den Garten.
Saskia stand mit dem Rücken zur Tür und lauschte in die Nacht hinein. Kiran spürte ihre Freude, die wie eine leuchtende Aura um sie lag, aber auch die Angst die dahinter verborgen war. Er trat zu ihr und legte ihr wieder eine Hand auf die Schulter.
„Ich will dir noch etwas zeigen. Etwas, das noch wichtiger ist als dein Gehör. Schließe wieder deine Augen, versuche aber dieses mal auch die Geräusche auszublenden, verlass dich ganz auf dein Gespür. Versuch erst einmal meine Position zu orten und dann versuchen wir etwas Schwereres.“
Er huschte an eine uneinsichtige Stelle im Garten und wartete. Er schaute ihr zu und fühlte ihre Enttäuschung. Sie spürte wohl seine Nähe, konnte aber seine Position nicht genau ausmachen. Also trat er wieder zu ihr und drückte mit seinen Daumen sanft auf ihre Schläfen, während er versuchte sie geistig an die Hand zu nehmen. Er führte ihre Gedanken durch den Garten und lies sie ihre Umgebung spüren. Mehr als eine ungefähre Ahnung von der Position der erspürten Wesen würde sie ohnehin nicht bekommen können, nur bei ihm selber war es dank ihrer Bindung anders, aber dafür auch deutlich einfacher. Dann ließ er seinen Gespürsinn ins Haus eindringen. Saskia folgt ihm. Er wollte zu Alister und nach einer kurzen Ortung, wusste er, dass dieser schon in seinem Zimmer am Packen war. Seine Aura war unruhig, aber dennoch vertraut.
„Merk dir das Gefühl seiner Präsenz,“ flüsterte Kiran, „sie wird für dich in Zukunft fast so wichtig sein wie meine eigene.“
Sie verharrte einen kurzen Augenblick und zog sich dann wieder zurück.
„Alister fühlt sich fast wie du an, da ist nur... etwas Fremdes.“
Er nickte, „Das ist völlig normal. Unsere Bindung ist anders, aber glaube mir, im Laufe der Jahre wird diese Fremde verschwinden.“
„Aber, warum ist unsere Bindung anders? Und wieso meint dein Bruder immer, dass du für mich verantwortlich bist?“
„Weil ich es bin! Mein Blut hat dafür gesorgt, dass du von den Toten wiedergekehrt bist, und mein Biss war es auch, der dir das Leben nahm.“
„Und was ist diese Bindung genau?“
„Sie entsteht durch eben dieses Zusammenspiel von Blut geben und Blut nehmen, und ihretwegen erschafft auch niemand leichtfertig einen weiteren Vampir. Und vor allem, nach Möglichkeit keinen so jungen wie dich. Die Verantwortung ist enorm, aber genauso die Einschränkungen, die es mit sich bringt. Ich spüre deine Gefühle, fast so, als wären es meine eigenen.“ Kiran wurde immer leiser beim Sprechen und sein Blick wanderte in die Ferne, „Ich spüre die Angst, die du mühsam zu verbergen versuchst, die Unsicherheit und den tiefen Schock, den dir der heutige Tag zugefügt hat. Auch der Schmerz, den meine Worte auslösen spüre ich.“
Er verstummte. Sein normales Gespür für Gefühle war anders, es war mehr wie das Wahrnehmen feiner Schwingungen, die von seinem Gegenüber ausging, hier spürte er ihre Gefühle direkt und musste sie irgendwie von seinen eigenen trennen.
Saskia sah ihn mit Verwunderung an, dann flüsterte sie, „Ich werde versuchen stark zu sein.“
Kiran lachte, „Du kannst deine Gefühle verbergen, das solltest du auch, aber vor mir ist es nicht möglich.“
Seine Gedanken wanderten zu Sophie, ihrer eigenen Erschafferin. Sie hatten ihr Anfangs ganz schön zugesetzt, das wusste er, gerade, weil sie sich größtenteils auch ohne Worte verstanden. Aber ihr musste klar gewesen sein, dass sie einen Zwilling nicht allein verwandeln durfte. So oder so, er hätte Alister auch selber gewandelt, hätte sie es nicht getan. Über ihre Gründe für die Verwandlung aber, schwieg sie hartnäckig.
„Was ist los?“ drang die Stimme des Mädchens durch seine Gedanken.
Sie hatte den Kopf auf die Seite gelegt und schaute ihn fragend an.
„Nichts... ich musste nur an früher denken.“
„Früher... ich erinnere mich kaum an früher, mir kommt es vor, als sei dort viel Dunkelheit gewesen.“
„Mach dir keine Sorgen, die Erinnerung wird im Laufe der Zeit zurückkehren. Es hilft auf jeden Fall erst einmal Abstand zu gewinnen, so das wir unser altes Leben wesentlich differenzierter betrachten und uns von ihm lösen können.“ Sein Blick wanderte zum Himmel, die Nacht war schon deutlich fortgeschritten. „Komm, wir sollten etwas zu uns nehmen und dann darfst du noch ein wenig alleine üben.“
Die Sache mit Saskia beschäftigte Kiran sehr, dank der Bindung hatte er an sich kaum eine andere Wahl, denn alles was er ihr antat, spürte er genauso. Nicht nur ihre Gefühle, sondern auch alles körperliche. Nun jedoch brannte es in ihm, zu erfahren, wer dahinter steckte und vor allem auch wie, nur konnte ihm diese Fragen derzeit noch niemand beantworten, also blieb ihm erst einmal nur, sich um die Kleine zu kümmern und ihr ihr neues Leben zu zeigen. Alister wartete bereits in der Küche auf sie.
„Willst du ihr wirklich schon wieder Konserven geben?“
„Nein... eigentlich nicht...“ besorgt blickte er zu dem Mädchen, das einfach nur dastand und ihn abwartend ansah, dann seufzte er „Lass uns gehen.“
Er musste seinem Bruder die Bedenken, die er hatte, nicht erklären, dazu kannten sie sich zu gut und zu oft hatte er ihm dabei schon unter die Arme gegriffen. Aber nun, mit einem Kind an ihrer Seite, wurde das ganze schwieriger. Es reichte, wenn zwei Leute von seinem Problem wussten, aber er würde es nicht verhindern können, dass sie es erfuhr, früher oder später. Sein Zwilling nickte und ging, gefolgt von ihm selber und Saskia, zur Tür. Während sie sich ihre Jacke überzogen, musterte Kiran die Kleidung der Kleinen. Sie war recht staubig, einige Blutstropfen waren in die Fasern eingezogen, die man auf ihrem schlichten, gelben T-Shirt gut sehen konnte und unter ihrer verwaschenen, löchrigen Jeans, kam ein Paar Turnschuhe zum Vorschein, das verdreckt war und auch nicht mehr ganz neu schien.
„Ich glaube wir sollten Saskia ein paar neue Sachen besorgen. Sie hat ja nicht einmal eine Jacke, geschweige denn, saubere Sachen zum Wechseln.“
Sein Zwilling nickte nach einem kurzen Blick auf das Mädchen „Frieren wird sie zwar nicht, aber für die Menschen wird es etwas befremdlich aussehen. Zum Glück wird sie ja nicht mehr wachsen.“ wobei sich Alister ein Grinsen nicht verkneifen konnte.
„Ich werde mich bemühen!“ Saskia klang entschlossen, was den beiden Brüdern ein kurzes Lachen entlockte.
„Glaub mir,“ meinte Kiran, „selbst wenn du es drauf anlegst ist nicht einmal ein wachsen in die Breite noch möglich. Dein Körper ist einfach nicht mehr in der Lage dazu sich zu verändern.“
Das Mädchen blickte ihn schmollend an „Ich versuche es trotzdem!“
Er zuckte mit den Schultern „Wie du meinst, aber wir sollten nun losgehen. Und später versuchen wir noch schnell dir ein paar neue Klamotten zu besorgen, viel Zeit bleibt nur leider nicht dafür, da wir vor Sonnenaufgang wieder zuhause sein müssen.“
„Warum?“
Kiran stieß einen Seufzer aus, was Alister erneut zum Lachen brachte „Weil die Sonne dich umbringen kann und wenn sie das nicht tut, wird es zumindest sehr schmerzhaft.“
„Ach so.“
Gemeinsam machten sich auf den Weg in die Nacht. Saskia versuchte die ganzen Geräusche zuzuordnen und ihre Sinne für die Umgebung zu schärfen, auch wenn es ihr nicht einmal annähernd gelang, wie sie feststellen musste, als Kiran und Alister stehen blieben und lauschten. Sie versuchte es ebenfalls, konnte aber nicht herausfiltern, was die beiden dazu bewegt hatte anzuhalten.
„Willst du den Anfang machen, Alister?“ fragte sein Bruder leise.
Er zuckte mit den Schultern und schlenderte langsam die Straße entlang, während Kiran die Kleine in eine kleine Seitengasse zog und sie gemeinsam sein Vorgehen beobachteten. Es war nichts ungewöhnliches an ihm. Er bewegte sich geschmeidig und leise, wirkte dabei aber nicht wie ein Raubtier, sondern einfach nur selbstbewusst und trainiert. Die angestrebte Beute war eine Frau mittleren Alters, weder besonders hübsch noch hässlich. Vielleicht die Mutter einer Familie, die schnell durch die Straße auf sie zu eilte und beinahe Mühe hatte, die schwere Tasche die sie trug ordentlich festzuhalten, sie drohte ihr aus der Hand zu rutschen. Alister tat hingegen völlig gedankenverloren und hielt dabei genau auf die Frau zu um ihr genau im richtigen Moment die Tasche mit einem Rempler aus der Hand zu reißen. Er tat erschrocken und erklärte ihr mehrfach, wie leid es ihm täte, während er sich daran machte, ihren Einkauf aufzusammeln.
Als sich ihre Blicke trafen murmelte er „Still!“ und ließ ein wenig Macht in diese Worte fließen, wodurch die Frau sofort erstarrte, der Apfel, den sie gerade aufgehoben hatte, rutschte ihr wieder aus der Hand, Alister fing ihn auf, bevor er wieder auf dem Boden aufschlug.
Er sammelte alles wieder zusammen und stellte die Tasche neben ihr ab, bevor er sich wieder ihr zu wandte. Er sog ihren Geruch in die Nase. Ihr Herzschlag hatte sich aufgrund der Angst verschnellert.
„Schließ die Augen!“ Der Verstand der Dame unterlag seinem vollständig, so dass sie sich nicht wehren konnte.
Behutsam führte er sie in eine dunkle Ecke, ehe seine Zähne langsam zu kribbeln begannen und sich schärften, stimuliert durch das pochen ihrer Adern. Beinahe zärtlich, wie einen Kuss, drangen seine nadelspitzen Eckzähne in ihre Halsschlagader ein. Er achtete sehr darauf nicht mehr zu nehmen, als ihr Körper vertragen konnte. Dafür lauschte er nach ihrem Herzschlag, der ein sehr gutes Indiz dafür war.
Er leckte die letzten Tropfen ab, die aus den kleinen Wunden drangen und flüsterte ihr zu „Nun geh nach Haus und vergiss, was geschehen ist.“
Mit seinem Blick folgte er ihr noch eine Weile, wie sie ihre Tasche aufhob und ein wenig steifbeinig weiter in Richtung ihres Zuhauses strebte. Kiran hob die geistige Verbindung mit Saskia wieder auf.
„Hast du alles mitbekommen?“ Sie nickte. „Meinst du, du bist in der Lage, es selbst einmal zu probieren?“
„Ich... ich denke nicht, es war alles so kompliziert.“
„Ich denke, du wirst es schaffen. Aber wir brauchen jemand geeignetes.“
Alister stand plötzlich wieder neben ihnen und deutete in eine Straße, die auf der anderen Straßenseite von ihrem derzeitigen Aufenthaltsort abging „Ich tippe auf einen jungen Mann.“
„Ich höre es.“ Kiran bedeutete Saskia ihm zu folgen und gemeinsam liefen sie in Richtung des Mannes.
Als sie in die Nähe kamen blieb Alister zurück und sah ihnen zu. Er hatte sie noch nicht bemerkt.
Kiran blieb vor dem Mann stehen „Entschuldigung?“ der Sitzende hob den Kopf und blickte ihn an.
Seine Augen waren gerötet, aber auch ohne ein Wort zu sagen unterwarf Kiran ihn seinem Willen und die Augen des Mannes wurden glasig, dann setzte er sich neben ihn und hob Saskia auf seinen Schoß.
„Riechst du das?“ flüsterte er.
Das Mädchen saß ganz fasziniert da und beobachtete wie er den Arm des Mannes nahm und ihr hinhielt. Sie sah das langsame pulsieren, hörte das Rauschen des Blutes in den Adern und den lauten Herzschlag. Ihre Eckzähne kribbelten, wurden spitzer. So spitz, dass sie ihre eigene Zunge ritzte, als sie mit dieser ihre Zähne prüfen wollte. Kiran hielt ihr immer noch den Arm hin. Tief sog sie seinen Geruch ein. Er kam ihr nicht mehr menschlich sondern appetitlich vor. Ein herber Unterton, gemischt mit einer Schwere, die an Wein erinnerte. Vorsichtig ließ sie die Spitzen ihrer Zähne durch seine Haut und sein Fleisch in die Adern dringen. Beinahe sofort spürte sie seinen Lebenssaft auf ihrer Zunge. Süß aber weniger blumig und fruchtig. Der ganze Geschmack kam ihr voller vor.
Sie genoss das Trinken, ehe Kiran sie langsam weg zog. „Es ist genug. Hör auf sein Herz, wenn du mehr nimmst, könntest du ihm Schaden zufügen.“
Sie lauschte und tatsächlich hatte sich sein Herzschlag und ein klein wenig verändert.
„Achte immer darauf, sonst könnte es zu ernsthaften Problemen kommen.“ dann flüsterte er dem Mann zu „Dies hier ist nie geschehen.“ nahm Saskia bei der Hand und kehrte zu seinem Bruder zurück.
„Du musst auch noch was trinken.“ meinte Alister.
Sein Bruder schaute in die Ferne und schien etwas abwesend.
„Kiran?“ Saskias Stimme drang zu ihm durch und er kehrte zu ihnen zurück.
„Kannst du dich bitte auf deine Aufgabe konzentrieren?“ Alister klang vorwurfsvoll.
„Hmm...“ er warf einen Blick auf das Mädchen „Bringst du sie bitte zu Sophie?“ bevor sein Bruder antworten konnte, war er auch schon verschwunden.
„Du warst doch heute schon bei ihr...“ murmelte Alister leise, und spürte Saskias fragenden Blick „Es hat schon seine Gründe, warum er mächtiger ist, als ich. Aber das muss er dir selber erklären und ich bin mir sicher, dass das tun wird... oder aber er vermasselt es und du erlebst es selber.“
Kiran rannte über die Dächer. Mit wenigen Sätzen hatte er sich hochkatapultiert und eilte nun, ohne ein Geräusch zu verursachen, in luftiger Höhe dahin. Er hoffte sehr, sich heute beherrschen zu können, doch umso aufgewühlter er war, umso schwerer fiel es ihm, und nicht selten konnte er den Tod seiner Beute nicht verhindern. Aber er wollte, dass Saskia den richtigen Weg lernte, sie musste beigebracht bekommen, sich unter Kontrolle zu behalten, auch wenn es alles andere als einfach war, denn er musste ihr etwas beizubringen, das er selber nicht wirklich konnte.
In der Nähe eines Parks sprang er vom Dach und landete, ohne einen Laut zu verursachen am Vorgarten eines kleinen Einfamilienhauses. Er lauschte, in der Nähe hatte er einen leisen Herzschlag vernommen, beinahe übertönt von dem Rauschen eines Brunnens. Vorsichtig huschte er zwischen die Bäume. Und je näher er dem Herzschlag kam, umso dominanter wurde das Rauschen.
Ein junger Mann saß auf dem Rand des Brunnens und schien auf jemanden zu warten. Kiran beobachtete ihn zwischen den Bäumen hervor. Er sog Luft ein und der Duft seines Blutes drang an die Nase des Vampirs. Mit einem Sprung landete er leise hinter dem Mann und flüsterte ihm ins Ohr „Bleib ruhig.“ Das Opfer erstarrte und die Augen wurden leicht glasig, das erwartungsvolle Lächeln auf seinen Lippen erstarrte. Kirans Zähne pressten sich wie von selbst gegen die Halsschlagader und er versank im Blut.
Er merkte nicht, wie viel er trank, dass er den kritischen Bereich beinahe überschritt, als eine weibliche Stimme ihn aus dem Rausch riss. „Michael? Was ist da los?“
Eine Frau kam schnellen Schrittes auf den Brunnen zu und Kiran musste sich von dem Mann losreißen, der bedenklich schwankte, als er seine Stütze im Rücken verlor. Seine Macht traf sie völlig unvorbereitet, so dass sie beinahe stürzte.
Er murmelte „Hier war alles ruhig, bis ihr euch getroffen habt. Ich war nie hier und ihr verbringt eine schöne Nacht miteinander, so wie ihr es euch vorgestellt habt.“ dann verschwand er zwischen den Bäumen.
Langsam fiel seine Anspannung von ihm ab, es wäre beinahe wieder schief gegangen. Der Mann war schon sehr geschwächt, er würde eine ganze Weile brauchen, bis er sich wieder erholt hatte. Kiran hasste es die Kontrolle zu verlieren, es machte ihn angreifbar, da er den Blick für seine Umgebung fast vollständig verlor. Die Leichen an sich störten ihn weniger, eher genoss er es sogar, den letzten Tropfen aus seiner Beute zu saugen, aber er wusste, dass es besser war, den Tod seiner Opfer zu vermeiden, da es jedes mal vertuscht werden musste, damit ihre Existenz nicht allgemein bekannt wurde. Er wischte sich die Reste des Blutes vom Kinn und machte sich auf dem Weg zu Sophie, in der Hoffnung, dass sein Bruder mit dem Mädchen bereits dort war.
Alister und Saskia saßen bei Sophie am Tisch. Das Mädchen wirkte verschüchtert, während sie von der großen, blonden Frau gemustert wurde. Die mit roten, langen Fingernägel bestückten Finger schob ihren Kopf hin und her und die eisblauen Augen bohrten sich in ihre. Das Kind versuchte zurückzuweichen, aber die Rückenlehne hinderte sie daran.
„Du brauchst keine Angst vor ihr zu haben, sie wird dir nichts tun. Sie hat sogar mehr Grund dazu, als ich selber.“ flüsterte Alister ihr zu.
Sophie zog eine Augenbraue hoch und warf ihm einen kurze Blick zu, ehe sie sich abwandte und wieder hinter ihren Schreibtisch ging. Es kam ihm vor, als verbringe sie den ganzen Tag dort.
„Die heutige Zeit tut dir wirklich nicht gut. Wie lange bist du schon nicht mehr hier raus gekommen?“
Sophie lächelte ihn an „Mach dir um mich mal keine Sorgen. Ehrlich gesagt bin ich ganz froh, endlich ein wenig Ruhe zu haben. Und die Organisation hier ist mir allemal lieber als die ständige Flucht.“
„Das stimmt schon, besonders angenehm war es nicht.“
„Wie alt ist sie?“ fragte Saskia so leise sie konnte.
„Älter als meine Zwillinge.“ antwortete Sophie und räumte einige Blätter zur Seite, obwohl Alister der Angesprochene gewesen war.
Auf einmal flog die Tür auf. Kiran war auch endlich angekommen.
„Du hast dir ganz schön Zeit gelassen.“ meinte sein Bruder vorwurfsvoll.
„Nicht meine Schuld, dass die Menschen sich bei Nacht lieber in ihren Häusern verkriechen. Und hätte ich damit angefangen, hätte es vermutlich noch länger gedauert. Also...“ er wandte sich an seine Erschafferin „Was sagst du?“
„Dass du Glück hast, dass sie recht umgänglich ist. Alister, führst du sie bitte etwas herum?“
Er nickte und nahm das Mädchen bei der Hand um ihr das Gebäude zu zeigen.
Sophie wartete, bis sie sich ein Stück von ihrem Büro entfernt hatten. „Ich kann dir leider nur sagen, dass alles normal scheint.“
„Alles, bis auf die Narben an ihrem Handgelenk.“
„Ja, die waren kaum zu übersehen. Ungewöhnlich, dass die nach einer Verwandlung bleiben.“
Kiran nickte „Ich hoffe nur, dass sie mir wirklich weiterhelfen kann, sobald ihre Erinnerung zurückkehrt... Momentan ist es so, als würde man in der Luft hängen.“ ein leiser Seufzer drang über seine Lippen „Mir wurde die Verantwortung für sie aufgezwungen und ich kann mich nicht einmal angemessen dafür bedanken!“
Seine Erschafferin schüttelte mit dem Kopf „Du weißt, dass es Wege gibt...“
Kiran stieß ein trockenes Lachen aus „Als würde ich das überhaupt in Erwägung ziehen. Nur, weil ich es nicht wollte, werde ich mich jetzt nicht davor drücken, ganz davon abgesehen, dass sie ja nichts dafür kann. Außerdem habe ich wenig Lust darauf, das ganze durchzustehen.“
„Ich kann dich ja verstehen, aber kommst du damit klar?“
Er zuckte mit den Schultern „Unter diesen Umständen muss ich wohl...“
Ein sanftes Lächeln legte sich auf ihre Lippen „Genau deswegen habe ich gefragt. Du bist immer noch aufgewühlt, beinahe verzweifelt.“
Gereizt bleckte er die Zähne „Ich komme schon klar, aber du musst meine Gefühle, nur weil sie stark genug sind, hier nicht laut herum posaunen. Du weißt genau, dass manche ihre Ohren überall haben!“
Nun musste sie lachen „Du bist doch auch nicht besser!“
„Na und? Dennoch mag ich es nicht besonders, wenn persönliche Dinge über mich die Runde machen.“
„Ja ja... ich weiß, einer von vielen Gründen, warum ihr außerhalb wohnt.“
„Und das wundert dich? Immer noch? Nach all den Jahren?“
Wieder drang ein Seufzer über ihre Lippen „Ich hätte euch nur gerne wieder näher bei mir.“ dann schwieg sie, sortiere einige Blätter, bis sie den Kopf nach einer Weile wieder hob „Sag mal, hattet ihr nicht noch etwas vor?“
„Ja.“
„Dann sollte ich euch wohl nicht länger aufhalten, schließlich müsst ihr vor Sonnenaufgang wieder zuhause sein.“
Kiran nickte „Aber könntest du vielleicht Alisters Auto abholen lassen? Wir mussten es gestern in Rean stehen lassen.“
„Natürlich, ich brauche nur die Adresse.“
Er notierte sie ihr auf einen kleinen Zettel „Danke.“
Dann ließ er sie alleine, wieder ohne ein Wort des Abschieds, was ihr ein erneutes, leises Seufzen entlockte.
Alister und Saskia kamen gerade die Treppe hinunter, als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. Zu seinem großen Bedauern allerdings, nicht nur die Beiden. Kiran warf seinem Bruder einen kurzen Blick zu, der der blonden Frau, die hinter ihnen die Stufen hinab geeilt war, sofort den Weg verstellte, dann zu dem Mädchen, das verwirrt stehen geblieben war, allerdings gleich hinter ihm her rannte, als er wortlos das Gebäude verließ.
„Geh mir aus dem Weg, Alister.“ sie versuchte an ihm vorbei zu kommen, doch ließ er das nicht zu
„Du weißt, dass er nichts mit dir zu tun haben will!“
„Oh doch! Er liebt mich, er weiß es nur noch nicht!“ ihre Stimme klang voller Überzeugung.
„Mit Sicherheit, Theresa.“ mir sanfter Gewalt drehte er sie um und schob sie die Treppe wieder hinauf „Aber heute wirst du ihn garantiert nicht dazu bringen, deine Gefühle zu erwidern und wir haben es eilig, also lass es bitte.“
Der Blick, den sie ihm zuwarf, war hasserfüllt, doch als er sich abwandte um den anderen Beiden zu folgen, blieb sie stehen. Er selber hatte zwar nichts gegen sie, doch konnte er seinen Bruder durchaus verstehen, so wie sie sich bei ihm immer anbiederte. Demnach wunderte es ihn auch nicht, dass Kiran mit Saskia außerhalb des Geländes auf ihn wartete und sofort los eilte, kaum, dass er sie erreicht hatte.
Nur wenige Geschäfte waren schon erleuchtet, als sie ankamen, geöffnet hatte von denen allerdings noch keines. Es gab aber einen Laden, der etwas versteckt in seiner Seitenstraße lag, und schon lange vor Sonnenaufgang öffnete, dafür aber meist schon relativ früh wieder dicht machte. Der Besitzer wusste was sie waren, war einer der wenigen Menschen, die trotz dieses Wissens nicht beherrscht waren oder zu den Jägern gehörten. Er kannte alle Vampire, die in der Stadt lebten, auch wenn selten mal einer von ihnen seinen Laden besuchte, aber extra für sie, hatte er seine Öffnungszeiten angepasst. Die Verluste, die ihm das einbrachte, glich Sophie aus, sonst hätte er wohl längst endgültig schließen müssen. Dafür hatte er viele Dinge vorrätig, auf die sie sonst, teilweise, tagelang hätten warten müssen, wie Beispielsweise Kinderkleidung, denn Saskia war die einzige, zumindest in Iefana. Insgesamt wirkte das kleine Geschäft ein wenig düster, zumindest für einen Menschen, denn der Besitzer wusste um die Lichtempfindlichkeit der Vampire und hatte daher auf grelle Beleuchtung verzichtet. Der Anblick des Kindes in Begleitung der Zwillinge, verwunderte ihn, aber er verkniff es sich, nachzufragen. Wäre Alister mit ihr alleine gewesen, hätte er seiner Neugierde wohl nachgegeben, aber nicht in Kirans Anwesenheit, denn der machte ihm, wie den Meisten anderen auch, Angst. Obwohl der Laden gut bestückt war, war das Sortiment an Kinderkleidung, vielleicht auch gerade aufgrund der Vielfalt der unterschiedlichen Waren, relativ klein und von dem, was auf Lager war, passte Saskia nur wenig. Also hatten sie kaum eine andere Wahl, als alles mitzunehmen. Um andere Sachen, die mehr nach ihrem Geschmack waren, würde sich Sophie beizeiten kümmern müssen. Sie bezahlten die ausgewählten Sachen, wobei Kiran genau von der Angst und Neugier des Mannes wusste, aber er enthielt sich eines Kommentars froh darüber, dass er nichts weiter sagte, was sie nur unnötig aufgehalten hätte. Danach ging es endlich zurück, nach Hause, auch wenn sie wussten, dass es derzeit nicht wirklich sicher dort war. Sie würden Augen und Ohren offen halten müssen, zumindest noch für einen Tag und der würde lang werden.
Auch ohne Eile schafften sie es, vor Sonnenaufgang zuhause zu sein. Dort angekommen brachte Kiran Saskias neue Sachen in das Gästezimmer, während Alister die Räume kontrollierte, doch alles wirkte unberührt. Es sah nicht so aus, als wäre in ihrer Abwesenheit jemand eingedrungen und so machte er sich, vorläufig beruhigt, wieder daran seine Sachen zu packen, während sein Bruder das Mädchen zu Bett brachte. Sie war erschöpft, was durchaus verständlich war. Die Nacht war lang und ereignisreich gewesen, nicht nur für sie, sondern auch für ihn selber. Seufzend zog er sich einen Stuhl heran um sich zu setzen und sie zu mustern. Sie war ein kleines, unscheinbares Ding, mit schulterlangen, braunen Haaren, braunen Augen und etwas zu dünn. Allgemein wirkte sie ein wenig heruntergekommen, was nicht unbedingt für eine glückliche Vergangenheit sprach und ihn in der Theorie bestärkte, dass sie nicht zufällig in dem Raum gesessen hatte, aber auch nicht zu der Jägergruppe gehörte, der sie einen Besuch hatten abstatten sollen. Doch jetzt war sie bei ihnen, ob das allerdings besser war oder nicht konnte er nicht beurteilen. Alles was sie nun tun konnten war, dafür Sorge zu tragen, dass ihr nichts weiter geschah, ihr dabei zu helfen sich in der Welt das Vampire zurecht zu finden und ihr die Möglichkeit zu bieten, dieses neue Leben so zu gestalten, wie sie es gerne hätte. Der Anfang war mit der neuen Kleidung gemacht, ihre alten würden sie am Abend hier zurücklassen. Ihr viel zu junges Alter hingegen ließ sich nicht mehr ändern, sie würde lernen müssen, einen Vorteil für sich daraus zu ziehen, das war aber etwas, das er ihr nicht beibringen konnte und wollte Sie würde es nicht einfach haben, das wusste er, nicht nur aufgrund ihres Alters, sondern auch mit ihm als Erschaffer. Trotz alldem würde er auf sie aufpassen, während er nebenbei versuchte, herauszufinden, was passiert war – warum sie wieder aufgestanden war.