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Diäten
ОглавлениеDie Methode funktioniert nicht, nicht der Mensch
Nach den Studien zur Lebenserwartung könnte der nachfolgende Abschnitt zum Thema Diäten eigentlich wegfallen. Warum abnehmen, wenn die Lebenserwartung dadurch nicht gesteigert wird? Dennoch spielen Diäten für viele Menschen eine große Rolle und eine kritische Auseinandersetzung damit soll hier nicht fehlen.
Ich kenne keinen dicken Menschen, der nicht bereits mehrmals in seinem Leben versucht hat, abzunehmen. Die meisten Diätkarrieren beginnen in der Pubertät. Der Körper entwickelt sich und dabei werden von Mitschülern, Eltern und zum Teil auch von den Lehrern sehr rigide Kriterien angelegt, wie dünn man zu sein hat. Möglichst rappeldünn, je dünner, je besser.
Bis plötzlich auffällt, dass eine Essstörung vorliegen könnte. Dann dreht sich das Blatt. Oft zu spät – aber dieses dramatische Thema soll uns jetzt hier nicht beschäftigen. In jedem Fall versucht die Mehrheit der Jugendlichen, die keine sehr schlanke genetische Disposition mitbringen, sich mit Ernährungsbeschränkungen und Bewegung möglichst schlank zu hungern bzw. zu trainieren.
Für viele Menschen ist es aber nicht mit ein oder zwei Diäten in der Pubertät getan. Im Gegenteil, der Körper will sich einfach nicht an die Kontrolle halten und es heißt, in regelmäßigen Abständen sich wieder zu kasteien und die Nahrungszufuhr auf ein Kalorienniveau abzusenken, die der Körper nur als Hungersnot interpretieren kann. Die anschließende Gewichtszunahme wird als Kontrollverlust und eigenes Versagen interpretiert. In zahlreichen Zeitschriften, in Fernsehsendungen und sogar in vielen Arztpraxen wird doch vermittelt, dass eine Gewichtsabnahme kein Problem ist. Also geht der Kampf gegen den eigenen Körper weiter. Aber vielleicht ist es gar nicht die eigene Willensschwäche und der eigene Körper, der hier versagt? Vielleicht ist die empfohlene Methode einfach der falsche Weg?
Wie würde man reagieren, wenn bei einer Krankheit die Ärztin einem eine Behandlungsmethode empfiehlt, die wissenschaftlich nachgewiesen die Chance von 5% hat, zu einer Besserung beizutragen? Und die dazu noch eine ganze Reihe von anderen Risiken und Nebenwirkungen mit sich bringt?
Für Diäten sieht die Statistik genau so aus. Zusammengefasst lässt sich sagen: Diäten funktionieren auf eine lange Sicht nicht, sie erhöhen die Chance, mehr Gewicht zuzulegen, sind für zahlreiche Krankheiten verantwortlich und untergraben massiv ein positives Lebensgefühl.
Gewichtszunahme ist nicht die Schuld und das Versagen der einzelnen Person. Sie hat nichts falsch gemacht! Jenseits aller Werbesprüche und Motivationstexte in Frauenzeitschriften ist mittlerweile wissenschaftlich nachgewiesen: Die Behandlungsmethode ist die falsche, nicht die Menschen, die diese anwenden. Dazu einige Hintergründe: Der Jo-Jo-Effekt dürfte inzwischen hinlänglich bekannt sein. Kurz zusammengefasst: Der Körper kennt keine Diäten, sondern Hungersnöte. Nach jeder Hungersnot verbessert er seinen Stoffwechsel, um mehr Energie aufzunehmen und in Form von Fett zu speichern. Kluger Schachzug – denn die nächste Hungersnot kommt bestimmt. Mit dieser Form der Dauerdiäten haben es einige Menschen geschafft, einen extrem effektiven Stoffwechsel aufzubauen, der mit nur wenigen Kalorien für den Grundumsatz auskommt und alle weiteren Kalorien munter speichert. Dumm für uns – evolutionstechnisch macht dies aber durchaus Sinn. Dazu kommt, dass unsere Stoffwechsel grundsätzlich sehr unterschiedlich funktionieren und es nachgewiesener Weise längst nicht so ist, dass eine Kalorie bei jedem Menschen gleich viel Energie spendet. Es gibt Menschen, die können damit mehr anfangen und andere weniger. Es gibt Menschen, die nehmen bei erhöhter Nahrungsaufnahme zu und andere tun dies in einem deutlich geringeren Umfang.
Bei manchen Menschen ist der Jo-Jo-Effekt deutlich nachvollziehbar, wenn diese ihre Diätgeschichte dokumentieren. Bei anderen verschwimmt er, weil sich natürlich eine Gewichtszunahme Jahre später und meistens sehr schleichend einstellt. Sie ist nicht unmittelbar der Diät von anno dazumal zuzuschreiben und möglicherweise wird durch neue Diäten ein Jo-Jo-Effekt immer wieder hinausgezögert. Dennoch waren die Diäten langfristig nicht erfolgreich. Warum ist das so?
Warum scheitert die Behandlungsform Diät?
In unserer Gesellschaft dominierten und dominieren auch heute noch bestimmte Schönheitsideale. Diese werden besonders bei Frauen angewendet, aber zunehmend gilt dies auch für Männer. Im Vergleich zur vorletzten Jahrhundertwende wird das weibliche wie männliche Schönheitsideal immer dünner. Models, die uns heute Mode präsentieren, sind unnatürlich dünn, viele von ihnen leiden unter Magersucht. Ganz davon abgesehen, dass Models in Zeitschriften nichts mehr mit ihrem wirklichen Selbst zu tun haben, Photoshop macht es möglich. Obwohl wir oft wissen, dass diese Bilder nichts mit der Realität zu tun haben, setzen sie sich in unseren Köpfen fest und wir versuchen, mit Diäten und Selbstbeherrschung diesem Schönheitsideal zu entsprechen. Um unseren Körper dem herrschenden Schönheitsideal anzupassen, wenden sehr viele die vordergründig einfache, schnellste und effektivste Maßnahme an – sie reduzieren die Nahrungsaufnahme und machen eine Diät.
Aber Diäten funktionieren nicht! Der einfachste Beweis sind die vielen dicken Menschen, die es gibt. In der westlich industrialisierten Welt wird ein hoher Druck gegenüber dicken Menschen ausgeübt. Er ist so hoch, dass viele dicke Menschen meinen, kein glückliches Leben führen zu können. Dennoch nehmen sie nicht ab, sondern bleiben dick. Das kann einfach nicht an ihrer fehlenden Willensstärke liegen, denn dicke Menschen bringen enorm viel Willen auf, um dem Leidensdruck, der auf sie ausgeübt wird, zu entrinnen. Es ist wenig bekannt, aber wissenschaftlich nachgewiesen worden und ich kann es nur immer wieder betonen: Nur 5% aller Diäten funktionieren auf eine Sicht von 5 Jahren. Bei den 5% handelt es sich übrigens oft um „Ersttäter“, bei denen der Stoffwechsel vermutlich noch relativ intakt ist.
Was sind Diäten?
Diäten sind erstmal nur „Nahrungspläne”, in unserem Zusammenhang sind Diäten aber grundsätzlich als Diäten zur Gewichtsreduktion zu verstehen. Die Nahrungsaufnahme wird entsprechend reduziert, je nach Diät werden bestimmte Lebensmittel ausgetauscht oder die gesamte Nahrungsaufnahme verringert.
Bisher gibt es kein Mittel oder Rezept, das Gewicht niedrig zu halten, wenn man wieder zu einer normalen Ernährung übergeht. Selbst beim jahrelangen Diäthalten, kommt es bei vielen Menschen wieder zu einer Gewichtszunahme, obwohl sie weiterhin reduziert essen. Diäten gibt es zahlreiche, die meisten dicken Menschen haben jahrelang Diäten ausprobiert und dabei eins auf jeden Fall erreicht – sie haben ihren eigenen Stoffwechsel mindestens aus der Ordnung gebracht, wenn sie ihn nicht sogar in gänzliche Unordnung gebracht haben.
Menschen sind nicht einfach nur dick, weil sie zu viel essen, sondern es gibt zahlreiche Ursachen für das sogenannte „Übergewicht“. Ein Großteil liegt in der genetischen Disposition, aber auch unser Ernährungsangebot, unser Lebensstil und letzten Endes auch unsere Sucht nach Schlankheit können eine Rolle spielen. Die unterschiedlichen Gründe sind oft miteinander kombiniert und viele dicke Menschen werden deshalb lange brauchen, um die jeweiligen eigenen Gründe zu ermitteln. Und viele finden es nie heraus, eben weil der Körper komplex ist und nicht einfach nach den Spielregeln funktioniert, die suggerieren: Iss weniger und beweg Dich mehr, dann wirst Du weniger.
Genetische Ursachen
Das Schicksal, schlank oder dick zu sein, ist zu einem Großteil vererbt. Das bedeutet: Die Möglichkeiten des Körpers und die Bandbreite, mit der er auf hohe oder niedrige Kalorienzufuhr, wie auch auf hohen oder niedrigen Energieverbrauch, zu reagieren vermag, ist zum Teil eben bereits genetisch festgelegt. Deshalb entwickeln sich unterschiedliche Menschen in derselben Umwelt, die derzeit durch Überernährung und Bewegungsmangel gekennzeichnet ist, individuell anders. Die einen bleiben, obwohl sie sich kaum bewegen und ungesund ernähren, schlank; die anderen halten trotz Fitnessstudio und kontrollierter Ernährung ihr hohes Gewicht und legen von Zeit zu Zeit noch zu. Wie stark im Einzelfall die Genetik hineinspielt, mögen folgende Beispiele belegen: Nur rund zehn Prozent der Kinder, die zwei schlanke Elternteile haben, werden später übergewichtig sein. Ist jedoch ein Elternteil dick, werden schon vierzig Prozent der Kinder später ebenfalls dick, und wenn gar beide Elternteile übergewichtig sind, können siebzig bis achtzig Prozent der Kinder diesem Schicksal nicht entgehen. (Burton-Freemann, B. Fat and satiety, Rosemont, Illinois 1996, zitiert aus Nicolai Worm „Diätlos glücklich“, S. 56)
Wie stark das mehr an Gewicht dann jeweils ausgeprägt ist, wird noch zu vierzig bis fünfzig Prozent über Gene festgelegt. (Holt, S.H.A., Brand-Miller, J.C., Petocz, P. et al. A satiety index of common foods. Eur.J. Clin. Nutr. 1995; 49:675-690 zitiert aus Nicolai Worm „Diätlos glücklich“, S. 56)
Berühmt geworden sind Untersuchungen an Zwillingen, die gezeigt haben, dass Geschwister, die jeweils in einer ganz unterschiedlichen Umwelt aufwachsen, im Laufe des Lebens meist ein fast identisches Körpergewicht entwickeln. Man findet bezeichnenderweise auch einen viel engeren Zusammenhang zwischen dem Körpergewicht von Adoptivkindern – wenn diese erwachsen sind – und ihren biologischen Eltern als mit den Adoptiveltern. (Poppott, S.D., Prentice, A.M. Energy density and its role in the control of food intake: evidence from metabolic and community studies. Appetite 1996; 26:153 – 174, zitiert nach Nicolai Worm: „Diätlos glücklich“,S.56)
Die genetischen Anlagen werden in den meisten Fällen nicht gesehen, sie werden in unserer schlankheitsfixierten Gesellschaft systematisch übersehen. Für viele dicke Menschen ist es eine absolute Offenbarung, dass sie vielleicht nicht dick sind, weil sie zu viel essen, sondern dass dies ihnen – wie ihre braunen Augen – genetisch mitgegeben worden ist. Während wir nie auf den Gedanken kämen, einer besonders großen Frau oder einem kleinen Mann, beides eher benachteiligende Faktoren in unserer Normgesellschaft, ihre genetische Disposition abzusprechen, machen wir uns selbst und unsere Umwelt uns ständig Vorwürfe für unseren dicken Körper – einer häufig schlichten genetischen Veranlagung.
Wandel unserer Ernährungsgewohnheiten
Ernährungsbedingt geht es uns in den industrialisierten Ländern seit dem zweiten Weltkrieg immer besser. Hunger ist in Deutschland fast unbekannt. Die Kosten für Lebensmittel sind im Vergleich zu anderen Kosten des alltäglichen Lebens immer mehr gesunken. Das Angebot ist vielfältig, wir können uns über die Fülle nicht beklagen. Dennoch hat diese Fülle ihre Tücken. Verstärkt werden verarbeitete Nahrungsmittel angeboten, also Fertiggerichte, die die weitere Zubereitung vereinfachen, die aber meist über einen hohen Fett- und Zuckeranteil verfügen. Aufgrund unseres Lebensstils, der sich für viele dadurch kennzeichnet, wenig Zeit für die Nahrungszubereitung zu finden, greifen wir gerne auf solche Fertigprodukte zurück. Aber dennoch - auch hier gibt es Menschen, die von diesem Angebot nicht dicker werden und andere, die dies tun.
Ein Grund liegt im unterschiedlichen Stoffwechsel, dem komplizierten Prozess, wie unser Körper und unser Gehirn Energie benötigen und wiederum verarbeiten. Der Stoffwechsel ist bei vielen Menschen, die Diäterfahrung gemacht haben, komplett durcheinander. Er sorgt vor, für Zeiten des Mangels. Die hat er bereits erlebt, und dies könnte in Zukunft wieder vorkommen.
Gestörtes Essverhalten durch Diäten
Diäten verursachen durch die künstliche Steuerung der Nahrungsaufnahme oft sehr starke Probleme im Essverhalten. Nach einem kurzen oder auch längeren Zeitraum der „Beherrschung und Disziplin”, entwickelt sich Heißhunger auf „verbotene Nahrung” und im Zweifel auch Fressanfälle, die bis zu einer Esssucht führen können. Die Erkenntnisse über diese Probleme sind an sich nicht neu. Ein Feldversuch gab darüber schon 1944 Auskunft. Am Ende des zweiten Weltkrieges wollte man in den USA genauer wissen, welche Folgen das Hungern hat. 1944 nahmen 36 junge, gesunde Männer in Minnesota (USA) an einem Experiment teil. Für drei Monate erhielten sie eine normale, sättigende Kost. Dann folgte eine sechsmonatige Hungerphase, in der ihre Ration halbiert wurde. Anschließend gab es noch einmal drei Monate lang ausreichend zu essen. Diese Studie ließ damals schon erahnen, welche Probleme später durch die Diäten auf uns zukommen würden. Denn sie zeigte, dass Kalorienrechnen keinen Sinn hat, da der Körper versucht, dem drohenden Gewichtsverlust entgegenzuwirken. So kam es, dass die Versuchspersonen im Durchschnitt nur etwa halb soviel abnahmen, wie rein rechnerisch aufgrund der „Kalorieneinsparung” zu erwarten gewesen wäre. Es lag daran, dass ihr Grundumsatz bis zu 40 Prozent reduziert war, und dass sie ihre körperlichen Aktivitäten verringert hatten. Aber auch die Essgewohnheiten der Teilnehmer veränderten sich: Sie sprachen ständig übers Essen und litten unter Konzentrationsstörungen, ihr sexuelles Interesse sank, Depressionen und Stimmungsschwankungen peinigten sie – alles Dinge, die wir heute von Diätgeschädigten kennen. Die Sättigungsregulation der „Testhungerer” war gestört, zum Teil so nachhaltig, dass die Probleme auch nach Versuchsende nicht verschwanden: Es kam zu Heißhungeranfällen, es fiel ihnen schwer, mit dem Essen aufzuhören, das Sättigungsempfinden war geschwächt und trat nur zögernd ein.
Obwohl mit diesem Experiment schon früh erkannt wurde, dass sich das Gewicht eben nicht einfach durch Kalorienzählen regulieren lässt, hat sich diese Erkenntnis leider nicht durchgesetzt, sondern wurde fast komplett verschwiegen.
Was kontrolliert das Gewicht?
Unser natürliches Gewicht wird überwiegend durch unsere Gene bestimmt. Zahlreiche Studien haben versucht nachzuweisen, dass dicke Menschen mehr und anders als dünne Menschen essen. Alle sind sie gescheitert. Einige wiesen stattdessen nach, dass dicke Menschen weniger essen als Dünne.
Eines der größten Probleme mit Diäten ist die Annahme, dass das Gewicht im Magen bestimmt wird. Unsere Verdauung wird aber, wie die meisten Körperfunktionen, durch unser Gehirn gesteuert, durch den Hypothalamus. Im Gehirn wird der sogenannte Gewichts-Setpoint reguliert. Wie ein Thermostat variiert unser Gewicht leicht, je nach äußeren Einflüssen, wie Temperatur, Nahrungsmenge und -qualität sowie Bewegung. Dennoch gilt dies höchstens für 10 – 15 Prozent des Gewichtes eines Menschen. So kann das Gewicht zwischen fünf und zehn Kilo pendeln, wenn das Essverhalten nicht kontrolliert wird. Dabei kommt es auch bei dieser Gewichtsregulation bereits zu Unterschieden. Das Gehirn will in jedem Fall versorgt werden. Egal, wie sehr Mangel herrschen mag, zunächst achtet das Gehirn darauf, mit Energie – konkret Glykose – versorgt zu sein. Steht dieses nicht zur Verfügung oder kann auf die entsprechenden Speicher nicht zugegriffen werden, kommt es zu Heißhungerattacken. Und alles, was dann doch nicht benötigt wird, wird gelagert. Aber auch hier gibt es Unterschiede, die Achim Peters erforscht hat.
Ob Prüfungen, konzentrierte Bildschirmarbeit oder Spannendes im Kino, das Gehirn braucht Energie und startet sein Programm, genauso wie es dies bereits in der Steinzeit getan hat. Adrenalin und Kortisol fluten ins Blut, wie Jäger und Sammler dies für überwiegend körperliche Aktivitäten benötigen und verbrauchen würden. Doch in der Moderne wird die wieder und wieder bereitgestellte Energie so nicht benötigt – das System gerät aus dem Gleichgewicht.
Unsere archaische Neurobiologie lässt auf Dauer nur wenige Menschen ungeschoren davonkommen. Die überwiegende Mehrheit, etwa 80 Prozent, leidet darunter. Sie lässt sich laut Peters aus noch ungeklärten Gründen in zwei etwa gleich große Gruppen aufteilen: Typ A läuft unter Stress innerlich hochtourig und wirkt zielstrebig. Sein Hirn ist dank effizienter Zuckerpeitsche reichlich mit Energie versorgt. Deshalb isst er eher zu wenig und nimmt ab. Typ B hingegen lässt es ruhiger angehen, wirkt eher hartnäckig. Dennoch haben die häufigen Stress-Signale Auswirkungen. Körpereigene Beruhigungsstoffe (Cannabinoide) beginnen die steten Stress-Signale zu dämpfen, und als Folge wird Insulin nicht mehr effizient ausgebremst. Daher fühlt sich das Hirn unterversorgt, die körpereigenen Zuckerreserven liefern ihm zu wenig Treibstoff. Als Konsequenz daraus zwingt das Hirn den Körper zu verstärkter Nahrungsaufnahme. So erhöht es den Blutzuckerspiegel weiter – und von dieser Energieeskalation profitiert auch das Fettgewebe. Das Körpergewicht steigt.
Gesellschaftlich könnte man nun sagen, dass die Menschen vom Typ A das bessere Los gezogen haben. Denn sie bleiben trotz Stress schlank. Dafür ist ihr Risiko größer, an Depressionen und Burn-out zu erkranken. (Artikel aus der Zeit vom 13.3.2011 – „Despot im Kopf“)
Und – wir haben nicht die Wahl nach welchem Programm unser Gehirn aktiv wird. Von daher ist es gut, um diesen Mechanismus zu wissen und es ist gut zu wissen, dass sich mit gezielter Entstressung des Lebens ein Mehrwert für das Gehirn und dessen Steuerung erreichen lässt. Aber die Wahl, welches Steinzeitprogramm unser Gehirn wählt, die haben wir nicht. Bleibt der Trost, dass beide ihre Nachteile mit sich bringen.
Je mehr man die Biologie der Gewichtsregulation versteht, desto mehr sieht man, ungeachtet des Gewichtes, wie Diäthaltende gegen den natürlichen Widerstand ihres Körpers ankämpfen.
Gewichtsverlust zu erreichen, ist kurzfristig relativ leicht, aber diesen Verlust aufrecht zu erhalten, ist sehr schwierig.
In den meisten Fällen gehen wir anti-biologisch vor. Körpergewicht wird durch das Gehirn und den Stoffwechsel reguliert, ebenso wie viele andere biologische Prozesse (z. B. Körpertemperatur, Herzrhythmus und Blutdruck). Innerhalb einer gewissen Grenze geht der Körper bemerkenswert weit, um ein Gleichgewicht oder einen Ausgleich zu erhalten. In Bezug auf das Gewicht gilt für dieses Gleichgewicht eben der Set-Point des Körpers. Wenn das Körpergewicht sich reduziert, wird der Stoffwechsel verlangsamt, so dass weniger Kalorien verbraucht werden, um das niedrigere Gewicht zu halten und nicht noch mehr zu verlieren. Zusätzlich zu diesen körperlichen Veränderungen, mit denen der Körper versucht, das Ungleichgewicht, das durch den Gewichtsverlust ausgelöst wurde, zu verbessern, verstärkt sich auf natürliche Art die vorrangige gedankliche Beschäftigung des Diäthaltenden mit Nahrung und Hunger. Dies ist ebenfalls ein Teil der Bemühungen des Systems, das Gleichgewicht zu erhalten.
Für Tausende von Jahren der menschlichen Evolution wurden die Gene jener selektiert, die dazu bestimmt waren, dick zu sein (das heißt, die, die ihre Kalorien wirkungsvoller nutzten), da diese Menschen fähig waren, während Nahrungsknappheit zu überleben. Von Natur aus dünne Menschen starben einfach öfter angesichts der existierenden Hungersnöte. Jene, die ihr Gewicht auch mit weniger Nahrung beibehielten, überlebten. In der heutigen Gesellschaft, die es gern immer schlanker hätte, wird dieser genetische Vorteil plötzlich zum Vorwurf. Obwohl die Faktoren vielfältig und komplex sind, gilt generell, dass es natürliche Unterschiede im Körpergewicht bei den Menschen gibt, genauso wie es auch Unterschiede in anderen körperlichen Eigenschaften gibt.
Wir akzeptieren natürliche Abweichungen vom Durchschnitt bei anderen körperlichen Attributen (z. B. Größe und Intelligenz), sogar wenn sie mit sozialen Nachteilen verbunden sind. Ich bin 1,65 Meter groß, und obwohl Größe bevorzugt wird und Kleinsein alle Arten von sozialen Nachteilen verleiht, wäre ich überrascht, wenn mich jemand anflehen würde, wegen der sozialen Vorteile zu wachsen. Genauso wenige Beweise gibt es, dass man sein Körpergewicht auf Dauer ändern kann. Aber in allen Zeitschriften und selbst durch Mediziner wird uns weisgemacht, dass die Manipulation des Körpers bei dicken Menschen möglich sei. Wie absurd würde es uns anmuten, wenn wir in einer Modezeitschrift lesen könnten: „Die wirklich hübschen Models sind 1,80 Meter, mit unseren Tipps zur Ernährung wachsen sie täglich mindestens einen Zentimeter!” Natürlich gibt es hier einen Unterschied: Kurzfristiger Gewichtsverlust ist relativ einfach. Das geringere Gewicht dann zu halten, ist statistisch eine unwahrscheinliche Begebenheit. Eine Freundin fasste den Zustand gut zusammen. Sie meinte: „Ich kann einen dünneren Körper mieten, aber ich werde ihn nie besitzen können.” Die kleine Minderheit der Menschen, die abnehmen und so bleiben, kämpfen oft mit chronischem Hunger und werden immer weniger essen müssen, als ihre von Natur aus dünnen Freunde. Es ist ein chronisches Kämpfen gegen den natürlichen Drang zu essen und zu überleben!
Die Gefahren von Diäten
Der Gewichtsverlust durch eine Diät ist in den meisten Fällen nicht von Dauer. Langfristig können aber die Schäden sein, die eine Diät dem Körper zufügt. Denn die weitverbreitete Annahme, der Körper würde bei verringerter Nahrungszufuhr Fett abbauen, ist falsch. Der Körper baut sich selbst ab. Bei radikalen Diäten können Muskeln, Knochen und sogar Organe abgebaut werden. Die Muskeln, die am meisten gefährdet sind, sind die Herzmuskeln. Das Risiko, am Herz zu erkranken, ist 70 Prozent höher, wenn das Gewicht stark schwankend ist. Unabhängig von der Höhe des Gewichts, des Blutdrucks, der Rauchgewohnheiten, des Cholesterinspiegels und der körperlichen Aktivitäten. (Framingham Studie, veröffentlicht im „New England Journal of Medicine“, 1991)
Hoher Blutdruck ist ein weiterer Nebeneffekt bei Diäten, verursacht durch hohen physischen und psychischen Stress. Der ernährungsbedingte Stress kann auch zu einem elektrolytischen Ungleichgewicht führen, das heißt, im Blut befindet sich eine sehr geringe Menge an Kalium, welches zum Herzinfarkt führen kann. Und wenn der Körper zuletzt doch Fett abbaut, dann schwimmt dieses zunächst im Blut, was für längere Zeit eine dramatische Verschlechterung der Lipidwerte zur Folge hat mit dem Risiko eines Herzinfarktes. Studien darüber werden der Öffentlichkeit vorenthalten.
Ein direkter Zusammenhang zwischen Diäten und Osteoporose konnte auch nachgewiesen werden. Osteoporose ist eine tödliche Krankheit, die aufgrund eines Kalziummangels zum Knochenabbau, bzw. zu stark zerbrechlichen Knochen, führt. Schon ein fünfmonatiges Diätprogramm kann zu einem signifikanten Knochenverlust führen.
Die Liste der Krankheiten, die mit Diäten verbunden werden, ist lang und wird mit jedem Tag ein bisschen länger. Es weisen immer mehr Studien nach, dass unsere „Kuren” uns umbringen. Die Krankheitsliste enthält beispielsweise: Angstzustände, Depressionen, Lethargie, verringertes Selbstbewusstsein, verminderte Aufnahmefähigkeit, Schwächeanfälle, hoher Blutdruck, Haarverlust, Gallenblasenkrankheiten, Gallensteine, Herzinfarkte, Verstopfung, Anämie, trockene Haut, Schwindelanfälle, vermindertes Sexualbedürfnis, Menstruationsunregelmäßigkeiten, Unfruchtbarkeit, Nierensteine, Taubheit in den Beinen, Geschwüre, Gewichtszunahme, Essstörungen, verringerte Abwehrkräfte, Gicht, verringerte Bewegungstoleranz, elektrolytisches Ungleichgewicht, Knochenverlust, Osteoporose und Tod. (Dwan Atkins „Weight Loss, Fact and Fiction“ von NAAFA, USA)
Wenn man sich diese Liste anschaut, dann ist es vielleicht ein bisschen einfacher, von Diäten loszukommen. Dennoch gibt es auch Gefahren, die in einem dicken Körper schlummern. Wie in jedem Körper übrigens. Denn auch in einem schlanken Körper schlummern zahlreiche Krankheitsgefahren, nur wird bei diesen dem Patienten nicht automatisch die Schuld gegeben bzw. es wird nicht das Gewicht als ursächlicher Grund für die Krankheit gesehen. Warum also noch Diäten machen? Warum sich selbst für einen Körper schuldig fühlen, der an nichts Schuld hat, sondern einfach nur nach seinem besten Programm funktioniert?
Ich glaube, wir sind zutiefst verunsichert durch viele Botschaften, die uns verändern wollen und uns sagen, dass wir so, wie wir sind, nicht richtig und nicht gesund sind. Diese Botschaften, die uns bewusst und unbewusst erreichen, sind schwer mit einem Buch und einigen Studien zu widerlegen. Sie sitzen tief. Um uns in unserem tiefsten Inneren mit uns im Reinen zu fühlen, ist noch viel Arbeit angesagt. Arbeit übrigens, die bei vielen mit Rückschlägen, ich nenne sie lieber Ehrenrunden, verbunden sind. Trotzdem möchte ich Dich nach diesen einleitenden zentralen Fakten schon mal einladen, kurz für Dich das bisher Gelesene Revue passieren zu lassen.
Was heißt es für Dich? Wie möchtest Du mit den Informationen zum Thema Lebenserwartung und Gesundheit in einem dicken Körper umgehen? Was machst Du damit, dass Diäten ohnehin kaum funktionieren? Hast Du Lust, Dich gegen den Mainstream zu stellen? Oder sind Deine Zweifel trotz allem zu groß? Denn was ist schon ein Buch? Was sind schon einige Untersuchungen? Diese Entscheidung ist Deine. Eine Entscheidung, ob Du – ich sage es gerne plakativ – weiterhin glauben willst, die Erde sei eine Scheibe oder ob Du Dich im Widerstand gegen die Mehrheit auf die Suche nach neuen Antworten machen willst. Die Mehrheit der Medizin, die Mehrheit der Medien und die Mehrheit der Gesellschaft wird sagen, probiere es weiter, Übergewicht ist ungesund, Du musst es einfach schaffen, abzunehmen. Andere haben es bereits geschafft und ein vollwertiges Leben in dieser Gesellschaft ist nur möglich, wenn Du abgenommen hast. Auch wenn dies bisher für Dich unmöglich war, irgendwann wirst Du es schaffen.
Soviel zu der mehrheitlichen Verheißung, bei der es schwer fällt, dagegenzuhalten. Wenden wir uns den Stimmen der Minderheit zu, die es selbstverständlich auch gibt, allerdings längst nicht so lautstark. Denn an der Aussage: Versuche ein gesundes und glückliches Leben zu leben, mit dem Körper, den Du gerade hast; können viel weniger Menschen Geld verdienen. Und sie ist derzeit auch noch so klein, dass es wenig Unterstützung gibt, um effektiv zu wachsen. Aber das ist ein anderes Thema. Hier geht es um die Bewertung Deiner eigenen Erfahrungen und der Möglichkeit, diese dazu zu nutzen, Dich von der Vorstellung, dass nur ein schlanker Körper ein guter und gesunder Körper sein kann, zu verabschieden. Eine komische Vorstellung? Nach all den Jahren, den vielen Gedanken und schlechten Gefühlen bezüglich Essen? Ja, ungewohnt, oder? Ganz zu schweigen von den Ängsten, die auftreten können. Wenn ich keine Diäten mehr machen werde, dann gehe ich auf wie ein Hefekuchen. Ich will nicht dicker werden. Ich will eigentlich schon nicht so aussehen, wie ich jetzt aussehe und schon gar nicht dicker.
Aus der Praxis
Mit Annabell habe ich im Rahmen eines Coachings genau zu diesen Ängsten gearbeitet. Sie nannte als wesentliche Angst, aufzugehen wie ein Hefekloß. Die komplette Kontrolle über sich zu verlieren. Hier eine kurze Sequenz aus unserer Arbeit:
Annabell, was heißt es für Dich, die komplette Kontrolle über Dich zu verlieren? Wie müsste ich mir das vorstellen, wenn das genau eintritt?
A: Dann würde ich 250 kg wiegen, ich könnte mich nicht mehr bewegen, und ich würde nur noch im Bett liegen.
Und kannst Du Dir absolut sicher sein, dass dieses Szenario eintreten wird?
A: Nein, klar, absolut sicher kann ich mir nicht sein.
Wie fühlst Du Dich, wenn Du an dieses Horrorszenario denkst?
A: Ich bin fast wie gelähmt, alles um mich rum ist Angst und da ist auch viel Panik.
Wie würde es Dir gehen, wenn Du diesen Gedanken nicht hättest?
A: Dann könnte ich viel entspannter loslassen und wäre viel weniger angespannt, was meinen Körper angeht. Überhaupt (lacht), mein ganzes Leben wäre wahrscheinlich ein bisschen entspannter, weil ich dieses ewige Schuldgefühl nicht mehr hätte.
Und wenn Du jetzt einmal tief Luft holst und entspannt darüber nachdenkst, keine Diäten mehr zu machen. Wie fühlt sich das dann jetzt an?
A: Die Angst ist vielleicht etwas kleiner. Ein bisschen kommt mir auch die Idee, dass ich ja nicht gleich 250 kg wiegen würde, selbst wenn ich jetzt zunehme. Vielleicht kann ich es ein bisschen ausprobieren und schauen, wie es mir geht und ob ich wirklich zunehme, wenn ich mein Essen nicht mehr kontrolliere, bzw. nicht regelmäßig Diäten mache, um mein Gewicht unter Kontrolle zu halten.
Die Ängste, die wir mit dem Kontrollverlust verbinden, sind bei vielen Menschen immens. Und meist sehr unbewusst. Hier im Verborgenen entwickeln sie eine starke Wirkkraft. Weil unbewusst, werden sie nicht hinterfragt, aber sie produzieren das Bild, dass wir unseren Körper kontrollieren, dass wir sogar gegen ihn kämpfen müssen. Erklär das mal einem Besucher von einem anderen Planeten. Ja, wir haben einen Körper und der ist in der Regel unser Feind. Unsere Waffe sind Diäten und damit halten wir unseren überschwenglichen Körper, diese unmöglichen Fettmassen in Schach. Ich bin sicher, das Wesen vom anderen Planeten würde sehr erstaunt abreisen.
Vorteil Übergewicht
Was für grandiose Zeiten wären das, wenn Ärzte bei bestimmten Krankheiten zu uns sagen würden: Bitte achten Sie auf Ihr Gewicht. Es sollte lieber so bleiben, wie es ist, dies ist für Ihre Genesung gerade das Beste. So utopisch und fantastisch sich das anhört, so richtig wäre es. Es würde unsere Lebenserwartung verlängern und bei bestimmten Krankheiten ist Gewicht und unser Fett ein wichtiger Schutz und Garant für eine ausreichende Versorgung.
Leider wird in der Medizin und beim Arzt bisher nicht erwähnt, dass dicke Menschen bei bestimmten Krankheiten im Vorteil sind. Entweder weil sie an diesen überhaupt nicht erkranken oder weil das Fett ein zusätzlicher Schutz oder eine Ressource für einen guten Heilungsprozess darstellt. Beispielsweise sind die Risiken geringer, an verschiedenen Arten von Krebs sowie an Atemwegsbeschwerden zu erkranken. Bei dicken Menschen kommt Brustkrebs in den mittleren Jahren sowie Magenkrebs, Lungenkrebs, Dickdarmkrebs und Hirnhauterkrankungen seltener vor. Ebenso gibt es Befunde, dass sie mit Krebs länger leben als Dünne. Auch die Häufigkeit von Bronchitis und Tuberkulose, Blutarmut, Magengeschwüren und Hüft- und Wirbelsäulenbrüchen ist geringer. Überhaupt darf der Schutz unseres Umfangs bei Unfällen, Stürzen und anderen Verletzungen nicht unterschätzt werden. So gibt es Berichte von dicken Menschen, die sich zweimal mit dem Auto überschlagen haben. Ohne größere Verletzungen. Sicherlich war da auch Glück im Spiel, aber selbst die überraschten Ärzte mussten zugeben, dass gerade die inneren Organe in dem Fall gut geschützt waren und nur einige oberflächliche Prellungen zu heilen waren. (David Garner „Rent a new body” in Radiance 1991)
Dennoch gibt es natürlich auch Untersuchungen, die diverse gesundheitliche Risiken bei dicken Menschen nachgewiesen haben. Viele der dabei nachgewiesenen Krankheiten finden sich schon auf der Liste der möglichen Krankheiten, die durch Diäten verursacht werden. Die meisten MedizinerInnen, die über übergewichtige Menschen forschen, unterscheiden nicht zwischen solchen Menschen, die Diäten gemacht haben und solchen, die keine gemacht haben. Dies ist in der westlich industrialisierten Welt auch schwierig, da die meisten dicken Menschen hier eine Diätvergangenheit haben.
Studien in anderen Kulturen – in denen füllige Körper akzeptiert sind – zeigen, dass sehr viele „Dicken-Krankheiten“ wesentlich seltener auftauchen als bei dicken Menschen aus unserem Kulturkreis. Dies ist ein Indikator, dass Diäten und der Stress in einer schlankheitsbesessenen Gesellschaft zu leben, viele Probleme verursachen. Ancel Keys hat 16 verschiedene Langzeitstudien in sieben verschiedenen Ländern zur Frage der Relation zwischen Fettleibigkeit und Todesrisiko koordiniert und stellte im Gegensatz zur Annahme vieler Krankenkassen fest: „In keinem Land dieser Studie war Übergewicht oder Fettleibigkeit ein großes Todesrisiko oder der Auslöser für eine Herzkranzkrankheit“.