Читать книгу Kompetenzentwicklung und Mehrsprachigkeit - Gisela Mayr - Страница 23
Оглавление3.2 Die Interkomprehension und ihre Didaktik
In engem Zusammenhang mit der Mehrsprachigkeitsdidaktik steht die Interkomprehensionsdidaktik, die in den Folgejahren von Meißner, Hufeisen und Neuner ausgearbeitet wurde (Hufeisen & Neuner 2003b, 2004a; Hufeisen 2010a; Byram 2010). Sie nutzt laut Meißner (Meißner 2010: 381) die Fähigkeit des Individuums, unbekannte Sprachen ohne formalen Lernprozess zu verstehen. Das bedeutet, dass durch bereits vorhandene sprachliche Archetypen fremdsprachliche Aspekte in allen Bereichen identifiziert, abgeglichen, angepasst und in eine noch unbekannte Zielsprache transferiert werden, um diese zu verstehen. Bei dieser Methode wird nicht die aktive Sprachproduktion in der Fremdsprache gefördert, sondern es werden hauptsächlich rezeptive Fähigkeiten angelegt, die es vor allem im europäischen Sprachraum ermöglichen sollen, fremdsprachliche Texte innerhalb derselben Sprachfamilie zu erschließen. So können z.B. vom Deutschen ausgehend anhand gezielter Texterschließungsstrategien, das Norwegische und Schwedische erschlossen werden. Solche rezeptive Fähigkeiten werden besonders durch den Sprachvergleich gefördert. Mit Blick auf diese Eigenschaft interkomprehensiven Lernens kann in Bezug auf das hier vorgestellte Unterrichtsprojekt gesagt werden, dass Formen interkomprehensiven Lernens sich insbesondere für Französisch herauskristallisiert haben, wobei auch in diesem Fall die kritische mehrsprachige Texterschließung und die damit einhergehende ständige Mediation zwischen Sprachen und ihren Strukturen einen grundlegenden Beitrag leisten. Die Lernenden konnten zudem Vorgelerntes in anderen Sprachen auf das Französische übertragen und dadurch den Verständnisprozess erleichtern und beschleunigen.
3.2.1 Metakognition und Language Monitoring
Die Interkomprehension löst das Desiderat im Bereich der Didaktik ein, das „verfügbare, mehrsprachliche und potenziell lernrelevante ‚träge Wissen’ in aktives, den Erwerbsprozess förderndes Wissen umzuwandeln“ (Meißner 2010: 383; Doyé 2006: 16). Dazu werden laut Meißner Strategien aus dem kognitiven und metakognitiven Bereich herangezogen, die auch zur Bewusstwerdung der Lernsteuerung beitragen. Es werden in der Interkomprehension also keine Sprachstrukturen vermittelt, als vielmehr Strategien entwickelt, mittels welcher Neues auf Bekanntes zurückgeführt werden kann. Die daraus resultierende erhöhte Sprachlern- und Rezeptionskompetenz führen in der Folge zu einer erweiterten Lernautonomie, wie Doyé sie beschreibt (Doyé 2010b: 133), da die ständige Hypothesenbildung und Verifizierung bzw. Falsifizierung, welche im Zuge der interkomprehensiven Texterschließung entsteht, einen sehr hohen kognitiven Anforderungsgrad für die Lernenden mit sich bringt. Dadurch bildet sich eine entdeckende und überprüfende Haltung heraus, die sich fördernd auf die Lernautonomie auswirkt. Eben dieser Wechsel von einer geleiteten in eine selbstgesteuerte, lernautonome Unterrichtsform führt auch in der mehrsprachigen komplexen Kompetenzaufgabe dazu, dass die Lernenden neue Lernkanäle und Lernformen entdecken, die für sie besser nutzbar sind und eigene Strategien entwickeln, um komplexe mehrsprachige Situationen zu meistern. Dabei nehmen die Lernenden eine forschende und verifizierende Haltung beim Sprachenlernen ein, die es ihnen ermöglicht, sprachübergreifend Hypothesen aufzustellen und diese gemeinsam zu überprüfen (ibid.: 135f.).
In diesem Zusammenhang wird der Begriff Language Monitoring, so wie ihn Jessner bereits 2004 postuliert (Jessner 2004: 113), für die vorliegende Studie relevant, wird aber in dieser Form in der Theoretisierung der Interkomprehension nicht erwähnt. Bär (Bär 2009: 72) spricht ausschließlich vom Monitorisieren des Sprachlernprozesses, nicht aber von dem der Sprachen selbst. Das metalinguistische Bewusstsein (Language Monitoring) ist laut Jessner die Fähigkeit zwei- bzw. mehrsprachiger Menschen, ihre Sprachen und ihre Sprachproduktion ständig zu überwachen, zu vergleichen, zu kontrollieren und im Idealfall durch Autokorrektur zu verbessern. Daraus resultieren ein sehr hohes Sprachbewusstsein und Flexibilität im Umgang mit Sprachen. Meißner spricht in diesem Zusammenhang von Metakognition und metasprachlicher Kompetenz in Bezug auf Interkomprehension (Meißner & Morkötter 2009: 53) und der Relation zwischen metasprachlichem und metakognitivem Wissen. Laut Meißner ist metakognitives Wissen nicht sprachspezifisch, es wird in Relation zum metasprachlichen Wissen gebracht, indem es von den Lernenden bei der Aufgabenanalyse herangezogen wird. Es bestehen also laut Meißner und im Gegensatz zu Jessner zwei Ebenen der Metakognition, eine sprachunabhängige und eine sprachabhängige, die bei der konkreten Aufgaben- und Problemlösung eingesetzt wird. Die Existenz einer sprachunabhängigen Metakognition scheint jedoch nicht sehr plausibel, weshalb für die vorliegende Studie Jessners Modell herangezogen wird.
3.2.2 Interlingualer Transfer
Im Zuge der mehrsprachigen Sprachverarbeitung können interlinguale Transferbasen identifiziert und Hypothesen gebildet werden. Diese wiederum werden aufgrund von Plausibilitätsprüfungen verifiziert oder falsifiziert (Meißner & Reinfried 1998: 46). Bei der Plausibilitätsprüfung spielt die „soziale Unterstützung“, wie sie Meißner nennt, eine relevante Rolle: Hypothesen können im Austausch mit anderen und durch Übersetzungen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Hier kommen Formen sozialen Lernens, wie sie sich die mehrsprachige komplexe Kompetenzaufgabe zum Ziel setzt, zum Tragen. Die Lernenden können sich in der Gruppe austauschen und gemeinsam sprachübergreifend Hypothesen überprüfen und vergleichen. Dadurch wird eine Vielzahl an Ressourcen mobilisiert, die sich als lernfördernd erweisen. Damit eng verbunden ist die Fähigkeit, Details zu verstehen und zuzuordnen unter der Anforderung eines hohen Maßes an Korrekturfähigkeit, enzyklopädischem Wissen und Rekonstruktionsfähigkeit (ibid.: 57). Es entstehen laut Meißner sog. Interlexeme oder Brückenwörter, die über Sprachbrücken zur zielsprachlichen Kompetenz führen. Folglich sind negative Transferleistungen bzw. Interferenzen eher als kreativer Aspekt des Fremdsprachenerwerbsprozesses zu sehen und Ausdruck einer provisorischen Hypothesengrammatik (ibid.: 59). Dabei spielt das Prinzip der thematischen Einbettung eine zentrale Rolle, da die Verarbeitungsprozesse der thematischen Interpretation laut Meißner (ibid.: 60) nicht auf einer lexiko-grammatischen Ebene ablaufen, sondern auf der thematischen Auslegung der Nachricht beruhen. Da nun Themen kulturspezifisch verarbeitet und aktualisiert werden, sind Transferbasen nicht ausschließlich sprachlich zu verorten, sondern in besonderem Maße auch kulturell. Jeder Transfer ist somit ein kultureller Transfer (ibid.: 64). Dies ist aus didaktisch-methodischer Sicht durchaus sinnvoll und wird auch im hier vorgeschlagenen Modell eines mehrsprachigen aufgabenorientierten Unterrichts anvisiert. Denn Lernen nach thematischen Schwerpunkten und Kontextualisierung sind ausschlaggebend für erfolgreichen Unterricht und haben sich auch im vorliegenden Unterrichtsdesign als wirkungsvolles und unabdingbares Instrument für die Entwicklung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz erwiesen (MKK). Denn im mehrsprachigen Diskurs vernetzt sich das Vorwissen und es wird je nach Bedarf auch auf heterolinguales Wissen zurückgegriffen (ibid.: 65). Es werden also Wissensbestände aus allen Sprachen und Kulturbereichen herangezogen und das nötige gesamtsprachliche Weltwissen aktiviert, um die Dekodierung eines Textes zu ermöglichen. Dazu ist es aber in erster Linie nötig, dass ein solches Weltwissen im Unterricht durch spezifische Unterrichtsdesigns vermittelt wird.
Aus diesem Blickwinkel erhalten auch sog. Interferenzfehler eine völlig neue Valenz, sie sind nämlich ein Fenster zu diesem höchst komplexen Falsifizierungs- und Verifizierungsmechanismus, der in Gang gesetzt wird. Daher betont Meißner in seiner Ausführung, dass „was als Interferenzfehler sichtbar/hörbar wird, ist nur die Oberfläche, deren Tiefenstrukturen bis weit in die Konzeptbildung und bis in den Zwischenbereich von Sprache und Welt hineinreichen“ (ibid.: 66). Es soll in den Kapiteln der Datenauswertung u.a. auch aufgezeigt werden, wie solche Interferenzfehler einerseits von einem kreativen Umgang mit Sprache zeugen und andererseits die Fähigkeit zur Selbstkorrektur aktivieren, die häufig durch Formen sozialen Lernens ergänzt wird.
Auch Morkötter betont in diesem Zusammenhang, dass Normabweichungen dahingehend gedeutet werden können, dass sie Ausdruck eines kreativen Umganges mit Sprache sind und sich somit auch positiv auf die emotionale Ebene auswirken können. Hier spielt die emotionale Ebene eine relevante Rolle, die allgemein bislang wenig Beachtung gefunden hat (Morkötter 2004: 37). Diese fehlende Aufmerksamkeit für die emotionale Kompetenz betrifft nahezu alle Bereiche des Sprachenlernens, obwohl sie von grundlegender Wichtigkeit für den Spracherwerbsprozess ist. Daher wird sie in die hier anvisierte Modellierung der MKK als Kompetenzbereich aufgenommen, denn ihr kommt vor allem im mehrsprachigen Lernen die Aufgabe zu, den Lernenden ihren unterschiedlichen emotionalen Zugang zu den einzelnen Sprachen und das daraus resultierende Sprachverhalten bzw. die unterschiedlichen emotionalen Sprachrollen bewusst zu machen.
Bär (2009) betont in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit des Prinzips der Bewusstmachung für die Förderung der Sprachlernkompetenz. Diese erfolgt durch den andauernden Vergleich aller den Lernenden verfügbaren Sprachen und die daraus resultierende Nutzung aller Vorwissensbestände (Bär 2009: 505) – ein Prozess, der nur durch ständiges Monitoring und Reflexion des eigenen Lernprozesses ermöglicht wird. Meißner verwendet in diesem Zusammenhang erstmals den Begriff Metakognitive Kompetenz (Meißner & Morkötter 2009: 68). Einer der Vorteile, die sich aus dieser Methode für den Fremdsprachenunterricht ergeben, ist laut Meißner, dass die Nutzung der Wechselbeziehungen zwischen Sprachen den Anforderungen einer Lernökonomie entgegenkommt (Meißner 2010: 382), ein Aspekt, der in der heutigen Interkomprehensionsdidaktik von zentraler Bedeutung ist. Es werden in diesem Verfahren sehr schnell die nötigen rezeptiven Fähigkeiten entwickelt, indem die Sprachverarbeitungs- und Sprachhandlungsprozesse miteinander verknüpft werden. Durch diesen Zusammenschluss entsteht eine Interimsprache, die Interlanguage, die das Potenzial zur Mehrsprachigkeit des mentalen Lexikons ankurbelt (vgl. Cenoz et al. 2003).
Die Entwicklung dieser metakognitiven Kompetenz und die Nutzung der Vorwissenbestände resultieren, wie auch aus der Datenauswertung hervorgeht, in einer gesteigerten Sprach(en)bewusstheit, wodurch die Lernenden ihre Sprachkenntnisse in den einzelnen Sprachen besser einschätzen und für den Sprachlernprozess nutzbar machen. Ebenso hat sich gezeigt, dass der Sprachenvergleich auf den verschiedensten Ebenen wirkt und zu Aktivierung und Erweiterung des mehrsprachigen Repertoires führt. Es entwickeln sich also nicht nur die rezeptiven Fähigkeiten, wie vom Meißner postuliert, sondern, wie aufgezeigt werden wird, auch die produktiven. Es kommt also auch zu einer Steigerung der aktiven Sprachkompetenzen.
Projekte auf EU-Ebene wie GALATEA, EuroComGerm und EuroComRom, EuroComSlav haben didaktische Instrumente entwickelt wie z.B. die sieben Siebe, die schnell zu einer rezeptiven individuellen Mehrsprachigkeit führen. Zu erwähnen sind auch die Arbeiten von Bär, Morkötter und Schöpp zur Umsetzung und Implementierung interkomprehensionsdidaktischer Einheiten (vgl. Schöpp 2008; Morkötter 2014; Bär 2009, 2014;). Laut Bär fußt die Interkomprehensionsdidaktik zwar auf kulturellem, enzyklopädischem, pragmatischem und strategischem Wissen, ein Transfer wird in diesem Zusammenhang jedoch nicht erwähnt (Bär 2008: 27). Das rührt wahrscheinlich daher, dass dieses Wissen laut Bär dazu benutzt wird, um Hypothesen über die unbekannte Zielsprache aufzustellen.