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3.3 Das Tertiärsprachenlernen oder TLA (Third Language Acquisition)

Eng mit der Interkomprehension verbunden ist das Tertiärsprachenlernen. Dabei handelt es sich um einen Ansatz, der sich insbesondere damit beschäftigt, wie die Sprachabfolge der erworbenen oder gelernten Sprachen sich auf das Sprachenlernen auswirkt. Es werden Transfermöglichkeiten innerhalb spezifischer Sprachenkonstellationen festgehalten und für die Spracherwerbslehre und Didaktik nutzbar gemacht (Hufeisen & Lindemann 1998, Gibson & Hufeisen 2003; Hufeisen 2003a; 2004b; 2010b; Hufeisen & Neuner 2000, 2004a; Hufeisen & Jessner 2009; Kemp 2009).

Das Tertiärsprachenlernen baut sprachwissenschaftlich auf der Theorie der Third Language Acquisition (TLA) auf. Zunächst wurde der Drittspracherwerb als eine Unterkategorie des Zweitspracherwerbs (SLA) angesehen bis man aufgrund von Untersuchungen feststellte, dass es eine qualitative und quantitative Veränderung des Lernprozesses beim Erwerb einer zweiten Fremdsprache gibt (vgl. Cenoz et al. 2001; Herdina & Jessner 2002; Jessner 2008; Cenoz 2013). Laut Jessner unterscheidet sich der Erwerb einer Drittsprache sogar wesentlich von dem einer Zweitsprache, da auf ein „komplexes, qualitativ anderes System, einer bilinguale Norm, zurückgegriffen werden kann“ (Jessner & Allgäuer-Hackl 2015: 212; Jessner 2008: 11). Aus dieser neuen Perspektive heraus entwickelten sich unterschiedliche Spracherwerbsmodelle: das Faktorenmodell (Hufeisen 2010b) und das Dynamic Model of Multilingualism DMM (Herdina und Jessner 2002), das Ecological Model of Multilinguality (Aronin & Òlaoire 2001, 2002) und das FLAM Foreign Language Acquisition Model (Groseva 1998). Für die Entwicklung und Theoriebildung der Tertiärsprachendidaktik am einflussreichsten sind das Faktorenmodell und das DMM, auf die im folgenden Kapitel eingegangen wird.

3.3.1 Spracherwerbsprozesse fruchtbar miteinander verknüpfen

Dem Englischen kommt im TLA eine besondere Rolle zu, denn es ist sowohl im europäischen als auch im außereuropäischen Kontext in den meisten Fällen als L2 anzutreffen. L1 ist variabel und L3 ist in Europa in sehr vielen Fällen Deutsch. Eben diese Konstellation Deutsch nach Englisch untersucht Hufeisen, wobei es darum geht herauszufinden, welche besonderen Merkmale diese beiden Sprachen aufweisen, wie diese im Spracherwerbsprozess fruchtbar miteinander verknüpft werden können und welche Formen des retroaktiven und proaktiven Transfers stattfinden (vgl. Cheung et al. 2011; De Angelis 2005; Ó Laoire & Singleton 2009). So meint Cheung, es gebe Hinweise dafür, dass Deutsch L3 Englisch L2 rückwirkend beeinflusst, es also einen retroaktiven Transfer zwischen den beiden Sprachen gibt. Allgemein ist festgestellt worden, dass Lernende mehr von Sprachen beeinflusst werden, die genetisch nahe zusammen liegen. So kann Englisch L2 die Funktion einer Brückensprache zwischen L1 und L3 Deutsch übernehmen, besonders wenn L1 eine romanische Sprache ist. Durch diese Tatsache erlangt das Englische auch in der Mehrsprachigkeitsdidaktik unerwartete Relevanz und das, obwohl es zunächst ein Anliegen der Mehrsprachigkeitsdidaktik war, den Einfluss des Englischen als Lingua franca zu reduzieren (vgl. Fäcke 2008: 12). Die Rolle des Englischen in der Funktion als Brückensprache ist mittlerweile unbestritten, da es sich aufgrund seiner sprachgeschichtlichen Entwicklung als Bindeglied sowohl für germanische Sprachen als auch für romanische Sprachen sehr eignet, was beim multiplen Sprachenlernen einen erheblichen Vorteil darstellt. Allerdings wird diese Annahme nicht kritiklos von allen Forschern übernommen, denn auch psycholinguistische Faktoren beeinflussen die Transferleistung.

3.3.2 Psychotypologie und Lernbereitschaft

Die Häufigkeit und Modalität des Transfers wird damit in Zusammenhang gebracht, wie nahe bzw. entfernt voneinander Sprachen subjektiv empfunden werden, die Psychotypologie also und die Anwendungshäufigkeit von bestimmten Strukturen und Lexemen. Auch Jessner und Allgäuer-Hackl (Jessner & Allgäuer-Hackl 2015: 221f.) behaupten, dass Englisch nicht unbedingt als Brückensprache fungieren kann, da dies auch von der Psychotypologie der Sprache, also wie fern oder nah verwandt Sprachen subjektiv wahrgenommen werden, aber auch von dem subjektiven Bezug des einzelnen zu den verschiedenen Sprachen abhängt. Daraus ergeben sich laut Jessner und Allgäuer-Hackl sehr unterschiedliche und durch Subjektivität gekennzeichnete Lernvoraussetzungen. Christ betont hierzu, dass häufig in Vergessenheit gerät, dass in der Brückensprache, die eine Fremdsprache ist, die Referenzsysteme, wie sie in der Muttersprache vorhanden sind, fehlen (Christ 2004: 35).

Bei diesen Referenzsystemen handelt es sich um kulturelle, gesellschaftliche und Referenzsysteme zum Sprachgebrauch. Daher unterstreicht Christ, dass die Verwendung von Brückensprachen im Unterricht kritisch reflektiert werden sollte (ibid.). Auch Sanchez betont die Wichtigkeit verschiedener Faktoren, die einen Transfer beeinflussen können: Zusätzlich zur Psychotypologie und dem L2-Status erwähnt sie auch die Sprachkompetenz und den Zeitabstand des Spracherwerbs. Singleton und Ó Laoire ( Ó Laoire 2006; Ó Laoire & Singleton 2009: 81;) sprechen in diesem Zusammenhang von der psychotypologischen Perspektive und der L2-Perspektive (vgl. Cenoz & Genesee 1998; Cenoz et al. 2001, 2003; Hammarberg 2009;).

Besonders in Südtirol spielt L2 für den weiteren Spracherwerbsprozess, einhergehend mit der für europäische Begriffe unüblichen Sprachabfolge, eine grundlegende Rolle (cf. 5.1.), da L2 nicht Englisch, sondern Italienisch ist. Der soziale Status dieser Sprache ist hierzulande nicht so unumstritten positiv behaftet wie das beim Englischen der Fall ist und wirkt sich, wie auch aus der Datenerhebung hervorgeht, in manchen Fällen auf das Verhalten der Lernenden aus (cf. 8.1.). Aus diesem Grund und auch aufgrund der geschichtlichen Ereignisse und der sozialen Gegebenheiten kann die psychotypologische Wahrnehmung dieser Sprache hier sehr unterschiedlich ausfallen. Wie aus der Datenauswertung hervorgeht kann die Einstellung zu L2 Italienisch zu Formen der Verweigerung im Lernprozess führen, die Einfluss auf den weiteren Spracherwerbsprozess nehmen können.

Kompetenzentwicklung und Mehrsprachigkeit

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