Читать книгу Kompetenzentwicklung und Mehrsprachigkeit - Gisela Mayr - Страница 36
4.2.1 Die symbolische Form als Baustein für die Identitätsbildung
ОглавлениеDer Begriff der symbolischen Kompetenz entstammt einem Verständnis von Sprache nicht nur als formales Konstrukt, sondern auch als „lebendige Verkörperung der Realität“ (engl.: lived embodied reality, Kramsch 2009: 4). Sprache ist für Kramsch in vielerlei Hinsicht symbolisch, wobei sich der Begriff „symbolisch“ über die Jahre für Kramsch um vieles erweitert hat. Symbolisch bedeutet zunächst die Darstellung von Realität, wie sie durch Sprache erfolgt, diese entfaltet sich laut Kramsch auf drei Ebenen (Kramsch 2011: 357):
Die Ebene der Darstellung: Sie beinhaltet grammatikalische und lexikalische Strukturen, die als konzeptionelle Darstellungen Aufschluss geben über die Funktionsweise des Geistes.
Die Ebene der Handlung: In Form von Sprechakten, Genres und symbolischen Interaktionsregeln gibt sie Aufschluss über die Wirksamkeit von Worten und Absichten der Sprechenden.
Die Ebene der Macht: Durch Intertextualität werden Werte einer Gesellschaft, ihres kollektiven und individuelles Gedächtnisses, Ideologien, Emotionen und Erwartungen offen gelegt (vgl. Bourdieu 1991: 163).
Sprache ist für Kramsch zudem für das Individuum in zweierlei Hinsicht symbolisch: Einerseits, weil sie durch ihre symbolischen Formen als konventionelles Medium zur Realitätsdarstellung dient und andererseits, weil eben diese symbolischen Formen durch Wahrnehmung, Emotionen, Haltungen und Werte die subjektive Realität jedes einzelnen konstruieren (Kramsch 2009: 7). So werden sprachliche symbolische Formen zu Bausteinen für die Bildung einer sozialen Identität. Dieser Identität wohnt die Sehnsucht und das Bestreben inne, sich mit dem anderem, dem Fremden zu identifizieren, sei dies nun ein anderer Sprecher, eine andere Sprache oder ein anderes Selbst. Eine solche Sehnsucht wird von Kristeva als desire bezeichnet (Kristeva 1980: 203) bzw. als Wunsch, aus den Einschränkungen der eigenen sprachlichen Realität zu entfliehen und nach Selbsterfüllung zu streben (Kramsch 2009: 14).
Sprache ist also ein symbolisches Medium, mittels welches Gegenstände, Handlungen, Kontexte und Menschen dargestellt werden. Symbolisch ist daher für Kramsch auch die Konstruktion von Wahrnehmung, Einstellungen, Glauben, Werten, Bestrebungen und Sehnsüchten, die darin Ausdruck finden (ibid.: 6). Besonders junge Menschen haben laut Kramsch das Bedürfnis, ihren innersten Gefühlen und Wünschen Ausdruck zu verleihen, da sie sich auf der Suche nach der eigenen Identität und ihrer Positionierung in der Erwachsenenwelt befinden. Im Sprachenunterricht können sie sich erstmals ihrem eigenen Sprachgebrauch kritisch gegenüberstellen und die enge Beziehung zwischen ihrer Sprache, ihrem Körper und ihren Gedanken erkennen (ibid.: 5). Durch MKK gelingt es Lernenden, beeinflusst durch die unterschiedlichen Bedeutungen, die in Sprachgemeinschaften zur Beschreibung von Ereignissen Anwendung finden, diese symbolische Dimension von Sprache zu begreifen und eine neue Selbstwahrnehmung zu entwickeln.
Da Subjektivität teils aus der bewussten, im Geistigen verankerten und teils unbewussten körperlichen Bedeutung besteht, die wir selbst dank der Vermittlung symbolischer Formen geben, ist das sprechende Subjekt durch diese Eigenschaft bestrebt, sich selbst und die anderen nicht nur als das zu sehen, was sie im Augenblick darstellen, sondern auch deren Vergangenheit und deren Geschichte. Ebenso kann zukünftiges sprachliches Handeln erahnt werden. Ein Subjekt zu werden bedeutet für Kramsch, ein Bewusstsein für die Leerstellen zwischen den Wörtern und Sprachen zu entwickeln und für die möglichen vergangenen und zukünftigen Bedeutungen, die darin liegen (ibid.: 18).
Durch die soziale Interaktion ergibt sich Intersubjektivität, denn jedes Subjekt kann sich selbst nur vollständig erkennen, wenn es sich in einem anderen spiegelt. Intersubjektivität kann nur durch strukturierte und an einen Kontext gebundene Gesprächspraktiken erfolgen, unter Voraussetzung eines geteilten Weltwissens. Sie wird gestaltet durch Gesprächsroutinen und Strategien, die ständig angepasst und verändert werden müssen. Es werden dabei in dem Augenblick, in welchem durch Sprechakte soziale Realität geschaffen wird, soziale und kognitive Anforderungen an die Sprechenden gestellt (vgl. Gumperz 1982; Duranti & Goodwin 1994). Diese Realität wird in einem bestimmten Kontextualisierungsrahmen und vor dem Hintergrund eines geteilten Auslegungssystems anhand spezifischer Sprechverhalten konstituiert.