Читать книгу Die besten 10 Liebesromane November 2021: Romanpaket - Glenn Stirling - Страница 74

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Ina war geistesgegenwärtig genug, Anna am Ärmel zu ziehen und zu sagen: „Ich muss dringend weg, und Sie ja wohl auch. Also, mach es gut, Nicole!“ Und schon waren sie beide draußen. Nicole rief ihnen nach, und sie hörten es beide. Aber sie gingen weiter, und Ina sagte zu Anna: „Frau von Frederici, wir müssen sie da allein lassen. Ich glaube, Sie sehen das ein.“

„Ich denke wie Sie, Frau Doktor. Aber es ist nett, Ihnen begegnet zu sein. Ich hoffe nur, dass sie gute Nachricht aus Amerika bekommen hat“, fügte sie ernst hinzu.

„Sie glauben gar nicht, wie sehr ich das hoffe. Schließlich sind die beiden miteinander verheiratet, und Nicole braucht jetzt jemand. Ich glaube auch, dass sie sich geändert hat.“

„Da bin ich Ihrer Meinung, Frau Doktor“, bestätigte Anna. Anna von Frederici und Ina trennten sich im ersten Stock, als Ina aus dem Fahrstuhl stieg, Anna aber weiter nach unten fuhr.

Draußen goss es in Strömen. Anna stand noch unter dem Vordach, zog ihren Knirps aus der Handtasche, versuchte ihn zu öffnen; aber es gelang ihr nicht. Da hakte etwas. Sie schüttelte daran, nestelte am Verschluss und wurde immer wütender und nervöser, als es ihr nicht gelingen wollte, den Schirm zu öffnen. Da drüben am Taxistand waren nur zwei Wagen. Sie hatte nicht ihr Auto genommen. Wie meistens, wenn sie in der Stadt etwas zu tun hatte, benutzte sie einTaxi.

Plötzlich sagte eine sonore Männerstimme hinter ihr: „Geht er nicht auf? Darf ich Ihnen helfen? Oder kommen Sie ganz einfach unter meinen Schirm. Sie wollen sicher zum Parkplatz hinüber.“

Anna sah sich um und blickte in ein kantiges Männergesicht. Dunkles Haar, die Schläfen ergraut, stahlblaue Augen, ein buschiger Schnurrbart auf der Oberlippe. Ein sehr männliches Gesicht, wie sie auf Anhieb zugeben musste.

Er lächelte sie gewinnend an.

„Nun geben Sie schon her! Vielleicht kriege ich das verdammte Ding auf.“

Aber er schaffte es so wenig wie sie. Kurzerhand öffnete er seinen eigenen Schirm. Er war viel größer als der ihre, schwarz, ein typischer Herrenschirm.

„Ich wollte aber nicht zum Parkplatz, ich wollte zu den Taxis.“ Sie sah in die Richtung zum Taxistand, und da fuhr eben das letzte Taxi davon.

„Das war ein Satz mit x“, sagte er und lachte. „Ich habe meine Karre da drüben. Wo kann ich Sie denn hinbringen? Es wird mir ein Vergnügen sein. Übrigens, entschuldigen Sie, mein Name ist Happling.“

„Von Frederici“, erwiderte sie. „Ich möchte aber nicht, dass Sie sich meinetwegen ...“

Er sah sie bewundernd an. „Ihretwegen?“ Er lächelte. „Ich tue für jede Frau etwas, wenn sie die Hilfe eines Mannes braucht. Und ich werde es erst recht für Sie tun.“

„Erst recht, wieso erst recht?“, fragte sie, verwirrt.

Er gab ihr keine Antwort darauf, schob seine Hand unter ihren Arm, hielt den Schirm über sie beide und ging mit ihr los.

„Wo möchten Sie denn hin?“, fragte er, als sie zwischen den parkenden Autos entlanggingen.

„Ich wohne gar nicht weit von hier. Aber ich kann Ihnen dennoch nicht zumuten, dass Sie meinetwegen extra einen Umweg machen.“

„Umwege, was bedeutet das schon?“, meinte er „Das ist gar nichts. Wir machen im Leben ganz andere Umwege, gehen Strecken, die ins Nichts führen.“

„Das klingt richtig philosophisch“, meinte sie lachend.

„Alltagsphilosophie“, sagte er bescheiden.

Dann blieben sie vor einem hellgrauen BMW stehen. Er schloss auf, öffnete ihr die Beifahrertür und hielt den Schirm über sie, bis sie eingestiegen war.

„Vorsicht, ich mache die Tür zu!“, sagte er. Dann knallte er sie zu, zog den Schirm zusammen und stieg ein. Er warf den Schirm achtlos vor die Rücksitze, streckte sich im Sitz aus und sagte mit einer Handbewegung zur Windschutzscheibe hin: „Gießt ganz schön, was? Einmal scheint die Sonne, dann gießt es. Ein Sommer ist das! Aber hier in Hamburg sind wir das ja gewöhnt, nicht wahr? Wohin darf ich Sie bringen?“

Sie nannte die Adresse. Er wusste, dass es eine sehr vornehme Gegend war, eine sogenannte Erste Adresse.

„Oh“, meinte er anerkennend, „das ist ja für mich eine ganz besondere Ehre.“

Anna wehrte ab.

„Was soll daran besonders sein?“

Er fuhr los. Als sie dann auf der Elbchaussee waren, ließ er sich viel Zeit und fragte sie: „Haben Sie jemanden im Hafenkrankenhaus besucht?“

Sie nickte. „Ja, eine Freundin“, erwiderte sie nur. „Sind Sie da Arzt?“

„Ja. Haben Sie das erraten?“

„Es ist nicht sehr schwer. Sie konnten entweder Arzt sein, oder Besucher oder vielleicht ein Pfleger. Aber wie ein Pfleger sehen Sie nicht aus.“

„Ach, lassen wir das, da kann man sich sehr täuschen“, meinte er nur.

„Da vorne rechts ist es schon. Sie können hineinfahren, das Tor steht immer offen.“

„Donnerblitz, so möchte ich auch einmal wohnen!“

Sie schwieg dazu. Und als er dann durchs Tor gefahren war und auf das Haus zuhielt, das weit zurück im Park lag, da hörte sie ihn sagen: „Da kann man ja richtig lange Zähne vor Neid bekommen. Ich glaube, ich habe das Klassenziel doch verfehlt.“

„Welches Klassenziel?“, fragte sie.

„So gut zu sein“, erwiderte er, „dass man sich selbst so etwas auf die Beine stellt. Aber das wird ein Traum bleiben.“

„Hegen Sie diesen Traum nicht! Dies allein ist noch nicht das Leben. Dazu gehört mehr.“

Er hielt vor dem Haus an. Es schüttete noch immer. Alfred stand in der Tür, kam jetzt mit dem Regenschirm heraus. Alfred war der Diener. Happling sah es, und sie sah es auch. Plötzlich sagte er: „Kann man sich nicht irgendeinmal wiedersehen, gnädige Frau? Sie kommen doch sicher noch einmal zu Besuch ins Hafenkrankenhaus.“

„Ja, morgen, kurz nach zwei.“ Sie wusste selbst nicht, warum sie ihm diese Antwort gegeben hatte. Da war er schon ausgestiegen, lief um den Wagen herum. Aber Alfred war schneller, Alfred mit seinem Schirm. Und Alfred half ihr aus dem Wagen. Sie rief Happling einen Dank zu, lächelte und ging dann mit Alfred die lange Treppe zum Haus hinauf. Oben wandte sie sich noch einmal um, winkte, und wieder dieses strahlende Lächeln, dann war sie verschwunden.

Er stieg wieder ein, wischte sich die Regenperlen vom Haar und fuhr los. Er spürte, dass sie ihm von einem der Fenster nachblickte. Aber dann schüttelte er diesen Gedanken ab. Ich bilde mir das nur ein, sagte er sich. Aber er hoffte auf morgen.

Anna stand wirklich am Fenster und schaute ihm nach, wie er davonfuhr. Dann aber bemerkte sie Alfred neben sich, der mit leichtem Vorwurf sagte: „Gnädige Frau, Sie hatten nicht einmal einen Mantel mit. Das schlechte Wetter war angesagt.“

Alfred mit seinem glatten Gesicht, dachte sie, und sah ihn an. Sein Kopfhaar wurde immer spärlicher. Die hohe Stirn wirkte noch höher als früher, dazu sein Hundeblick. Eine treue Seele, dieser Alfred. Immer bereit und diskret und verschwiegen, besonders was die Eskapaden von Franz angingen. Er hätte sich eher die Zunge abgeschnitten, als ihr zu erzählen, mit wem Franz es trieb.

Sie hatte sich selbst diese Formulierung angewöhnt, dass es Franz mit irgendeiner trieb.

Als sie dann in ihr Zimmer ging, dem einzigen Platz im Haus, wo sie wirklich allein war und ungestört, dachte sie über ihre Ehe mit Franz nach und über das, was sie sich mit Nicole erzählt hatte.

Ihre Ehe war zu diesem Zeitpunkt im Grunde längst am Ende. Ein Dahinsiechen über Jahre hinweg. Eigentlich mehr nur eine Formsache. Man war höflich zueinander, was sie bei gründlichem Nachdenken mehr als Heuchelei empfand. Aber noch mehr verurteilte sie an sich, nicht den Mut gefunden zu haben, um ihn zu verlassen. Es gab nichts, was sie im Grunde daran hindern konnte. Da waren keine Kinder, nur eben dieses Leben im Wohlstand. Aber ein Leben ohne Glück, wie sie fand.

Dieser Mann eben, der sie gefragt hatte, ob er sie nicht wiedersehen könnte, der hatte in ihr etwas ausgelöst, was sie noch vor einer Stunde für immer abgestorben glaubte.

Unsinn!, schalt sie sich. Er ist sicherlich verheiratet. Ganz bestimmt ist er verheiratet. Ein Mann in seinem Alter. Er sucht ein Abenteuer.

Und was suche ich?, fragte sie sich selbst. Suche ich nicht auch ein Abenteuer? Wie lange ist es her, dass Franz mit mir geschlafen hat? Nein, ich will es gar nicht, nicht mit Franz. Aber ich will es doch. Nur mit wem? Mit einem, der ein Abenteuer sucht?

Sie fand auf all diese Fragen keine Antwort, warf sich auf ihr Bett, verschränkte die Arme unter dem Kopf, versuchte sich über ihr eigenes Schicksal Klarheit zu verschaffen. Es war alles so verwirrend, ein Labyrinth der Gedanken, der Eindrücke: Und immer wieder dieses Gesicht, dieses männliche, kantige Gesicht mit dem Bart, mit den stahlblauen Augen. Dieses warme Lächeln um die Lippen, die Stimme, die ergrauten Schläfen. Er ist mindestens Mitte Vierzig, dachte sie. Er wäre vierzehn oder fünfzehn Jahre älter als ich. Aber was besagt das bei einem Mann?

Sie versuchte dann, die Erinnerung an ihn einfach abzuschütteln. Aber es gelang ihr nicht.

Ich sollte nicht hier herumliegen, dachte sie. Ich muss mich auf die Party vorbereiten und dem Butler helfen, alles so zu machen wie sonst. Franz erwartet das von mir. Eine kleine Pflicht, die mir noch übrig geblieben ist. Und ich muss mich umziehen. Unter die Dusche und dann umziehen.

Über dieser kleinen Pflicht, wie sie es nannte, vergaß sie erst einmal Happling und vergaß alles andere. Am Abend dann, als die Gäste kamen, schlüpfte sie in die Rolle der Gastgeberin, die ein intaktes Eheleben vorgaukeln musste, die immer zu lächeln bereit war, zu einem freundlichen, aufmunternden Wort, die in der Lage war, geistreich zu plaudern und gleichzeitig vor Schönheit strahlen musste. Und Franz war da.

Bei solchen Gelegenheiten sah er gut aus. Er war groß, schlank. Auf seine Figur achtete er sehr. Sein Haar kam ihr ein wenig zu straff gekämmt vor, doch sonst war alles an ihm tadellos. Achtunddreißig war er jetzt. Eigentlich ein Mann, für den Frauen schwärmen können. Aber für sie war er nichts mehr als eine Person. Etwas, das sie nicht mehr begeistern konnte. Ihr Umgang mit ihm war ebenfalls nur noch Heuchelei, geprägt von gegenseitigem Respekt und Höflichkeit. Dahinter war nichts. Die Ehe war hohl und nur für die Außenwelt noch scheinbar in Ordnung.

Erst als die Gäste gegangen waren, dachte sie wieder an Nicole und an den Brief, den sie bekommen hatte. Sie überlegte, ob sie noch anrufen konnte. Aber es war viel zu spät, fast Mitternacht.

Das Personal räumte ab, und Franz stand noch mit drei der Gäste vorn in der Diele. Dann kam er zurück, schaute sich suchend um, entdeckte sie und kam zu ihr.

„Mein Schatz, ich werde Frau Hartenstein nach Hause bringen. Sie hat keinen Wagen, und die Krügers sind schon weg.“

„Natürlich, tu das! Kommst du bald?“ Sie lächelte, als sie diese Frage stellte.

Er lächelte zurück.

„Aber sicher doch, Schatz. Ich werde die Gelegenheit nutzen, sie nach ein paar geschäftlichen Dingen zu fragen. Schließlich hält sie ein beträchtliches Aktienpaket von uns.“

Das waren Dinge, von denen sie nicht viel verstand. Jedenfalls glaubte er das, und sie ließ ihn in diesem Glauben. In Wahrheit hatte sie Zeit genug gehabt, um sich für solche Sachen zu interessieren und dazuzulernen. Aber das wusste er nicht, und er sollte es auch nicht wissen. Er ging und lächelte, und sie lächelte zurück. Lächeln von früh bis früh. Immer lächeln, immer freundlich, höflich, respektvoll. Sie wusste genau, warum er Frau Hartenstein nach Hause fuhr. Und es gab nichts Geschäftliches mit ihr zu besprechen. Das mit dem Aktienpaket war ein Blödsinn, von dem er glaubte, dass sie es für bare Münze nahm. Aktien hatte Frau Hartenstein seit ihrer Scheidung nicht mehr. Aber sie war eine äußerst attraktive Frau, beinahe so alt wie Franz und von einem SexAppeal, an dem offenbar kein Mann vorbeisehen konnte, am wenigsten Franz.

Auch wenn er jetzt nur noch ganz selten zu ihr kam, das wusste Anna, war Franz äußerst potent. Anfangs hatte sie Sex im Überfluss gehabt, mehr als ihr lieb war, ob sie wollte oder nicht. Die letzte Zeit war sie froh, wenn sich dafür keinerlei Gelegenheit ergab. Sie vermisste das nicht, nicht mit Franz, bei dem sie nur das Gefühl hatte, in diesem Moment ein Objekt für ihn zu sein. Sollte er ruhig zu dieser Hartenstein gehen. Es ärgerte sie nur, dass er ihr so kaltlächelnd Märchen erzählte und sich sonst keinerlei Mühe gab, zu verbergen, was er wirklich tat. Sie sah, wie er mit ihr ins Auto stieg. Jetzt fuhr er selbst. Tagsüber ließ er sich vom Chauffeur fahren. Aber um diese Zeit brauchte er wohl keine Zeugen.

Vorn am Eingang zur Elbchaussee brannten die beiden Lampen. Das Licht fiel von vorn auf den Wagen, und so konnte Anna durch die Rückscheibe blicken, sah, wie Irene Hartenstein ihren Arm um seine Schultern legte, wie sie sich an ihn schmiegte.

Sie hatte nichts anderes erwartet. Ihr war klar, dass er erst in den frühen Morgenstunden kommen würde, wenn überhaupt. Vielleicht fuhr er von dort aus in die Firma.

Es focht sie nicht mehr an. Sie musste stattdessen vielmehr an Nicole denken. Vielleicht hat sie etwas mehr Glück, dachte sie. Hansjörg wird ihr geschrieben haben, dass er zurückkehrt.

Als sie sich niederlegte, dachte sie noch immer an Nicole und war gespannt darauf, morgen zu erfahren, was Hansjörg geschrieben hatte. Sie gönnte Nicole ihr persönliches Glück und hätte viel dafür gegeben, selbst einen Weg für die Zukunft zu finden. Und da musste sie erneut an diesen Arzt Happling denken, der ihr heute begegnet war ...

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